Gleichstellung

17.2 „Lebensbilder" aus der NS-Zeit

Auch heute noch muss Forschung über Lebensschicksale aus der NS-Zeit die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Betroffenen und ihrer Angehörigen achten.

Die Akten des Amtes für Wiedergutmachung sind auch über 50 Jahre nach ihrer Entstehung Fundgruben für Familien- und Zeitgeschichte-Forscher. Im Rahmen einer Eingabe hatten wir zu beurteilen, ob und unter welchen Bedingungen ein Hamburger Bürger Wiedergutmachungsakten von 10 Personen einsehen und auswerten darf, die Angeklagte in einem Hochverratsprozess in der NS-Zeit waren. Einer dieser Angeklagten war der Vater des Antragstellers.

Die Wiedergutmachungsakten enthalten zahlreiche Informationen über die Lebensumstände der Betroffenen, aber auch von deren Familien und Nachkommen.

Zunächst wiesen wir das Amt für Wiedergutmachung auf die Forderung des Hamburgischen Archivgesetzes hin, abgeschlossene Akten innerhalb von 30 Jahren dem Staatsarchiv anzubieten. Vom Archiv übernommene Akten unterliegen hinsichtlich personenbezogener Daten detaillierten Nutzungsregeln, die das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen schützen sollen. Da die Wiedergutmachungsakten jedoch auch heute noch häufig gebraucht würden, gibt es nach Auskunft des Amtes eine Vereinbarung mit dem Staatsarchiv, ihm die Akten erst 2010 zu übergeben.

Wollte der Antragsteller zunächst private Familienforschung betreiben, will er nun anhand der 10 Familienschicksale der Frage nachgehen, wie Verfolgung im NS-Staat erlebt und erlitten wurde. Die Qualifikation für eine zeitgeschichtliche Forschung besitzt der Antragsteller. Das Forschungsergebnis möchte er in Form von „Lebensbildern" im Sinne von Familiengeschichten veröffentlichen.

Nach §27 Abs.5 und 6 Hamburgisches Datenschutzgesetz dürfen Forscher „personenbezogene Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nur veröffentlichen, wenn dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist." Dies wurde in der Vergangenheit jedoch nur dann angenommen, wenn es sich um wichtige staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger (Richter, Polizeidirektoren u.a.) handelte, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Dies traf bei den genannten 10 Angeklagten und deren Familien nicht zu.

Wir haben den Antragsteller deswegen dringend gebeten, sich mit den Angehörigen der betroffenen Personen zu verständigen, um eine einvernehmliche Form der Aktenauswertung und ggf. Veröffentlichung zu erreichen. Ohne eine entsprechende Einwilligung haben wir dem Antragsteller nur zugestehen können, die Akten zwar einzusehen, aber jegliche Dokumente, Exzerpte oder Vermerke auf Papier oder Datenträgern nur anonymisiert oder pseudonymisiert aus dem Amt für Wiedergutmachung mitzunehmen. Für eine Veröffentli7919. Tätigkeitsbericht 2002/2003 HmbDSB chung kommt ohne eine Einwilligung nur eine anonyme Darstellung in Betracht. Dies schließt die Form von „Lebensbildern" möglicherweise aus, die für Verwandte oder Bekannte auch ohne Namen ausreichend Anhaltpunkte für eine Re-Identifikation aufweisen werden.

Angesichts der überschaubaren Anzahl der betroffenen Personen bzw. Familien erscheint die Einholung einer Einwilligung auch vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Forschungsfreiheit zumutbar. Die Vorstellung, dass die Familien der betroffenen NS-Verfolgten „Lebensbilder" über sich lesen (müssen), ohne zuvor in irgendeiner Weise mit dem Autor gesprochen zu haben, zeigt die Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts. Auch datenschutzrechtlich wäre dieses nicht vertretbar.

Forschungsprojekte

Bei einer Reihe von Forschungsprojekten konnte unsere Beratung eine Verbesserung des Datenschutzes erreichen.

Im Berichtszeitraum hatten wir wieder zu einigen Forschungsprojekten datenschutzrechtlich Stellung zu nehmen. Bei den nachstehenden Vorhaben benötigten die Forscher Daten aus dem Hamburger Krebsregister. Das Hamburgische Krebsregistergesetz sieht in diesen Fällen die Beteiligung des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten vor.

· „Postmenopausale Hormonsubstitution und Brustkrebsrisiko" der Arbeitsgruppe Epidemiologie der Behörde für Umwelt und Gesundheit und des UKE,

· „Akute und posttraumatische Belastungsreaktionen bei Brustkrebspatientinnen" des Zentrums für Psychosoziale Medizin am UKE,

· „Effekte psychoonkologischer Betreuung auf die Überlebenszeit und Lebensqualität bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren" des Klinikums der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Bei unserer Stellungnahme ging es um Fragen der Probanden-Rekrutierung, um die Erforderlichkeit der Krebsregisterdaten für das Vorhaben, um die Formulierung des Aufklärungs- und Einwilligungsblattes sowie um die Ausgestaltung der Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung und der Datenlöschung.

Ferner ist in diesen Fällen sicherzustellen, dass die Forscher nur Daten von solchen Krebspatienten erhalten, die seinerzeit in die Meldung an das Krebsregister eingewilligt hatten.

Die folgenden weiteren Forschungsprojekte wurden uns von Hamburger Institutionen vorgelegt:

· „Auswirkungen des Reisens auf den Gesundheitszustand der Reisenden", Reisemedizinisches Zentrum des Bernhard-Nocht-Institutes, 80 19. Tätigkeitsbericht 2002/2003 HmbDSB

· Genforschungsprojekt „Gesundes Altern", Amalie Sieveking Krankenhaus,

· „Beziehungsbiographien im sozialen Wandel", Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE,

· „Kohortenstudie zur Krebsinzidenz bei den Beschäftigten des Wasserschlosses Winsen / Luhe", Arbeitsgruppe Epidemiologie der Behörde für Umwelt und Gesundheit und des UKE,

· „Vergleichende Studie von in Hamburg lebenden Gewaltopfern", Hamburger Initiative gegen Aggressivität und Gewalt e.V. und Institut für Rechtsmedizin am UKE,

· Telefonbefragung für das Senatsamt für die Gleichstellung,

· Befragung „Lebensqualität und Gesundheit im Alter", Gesundheits- und Umweltamt Hamburg-Eimsbüttel,

· „Suizid und Suizidversuch. Untersuchung des Mortalitätsrisikos in einem 15-Jahres-Zeitraum", Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE,

· „Monitoring von Suizidversuchen im Rahmen der Multicentre Study des WHO-European Network for Suicide Research and Prevention", Therapiezentrum für Suizidgefährdete, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE,

· „Survey zur Teilnahme an Schutzimpfungen im frühen Kindesalter in Hamburg", Institut für Hygiene und Umwelt,

· „Körpermaß und Hodentumor", Arbeitsgemeinschaft für Urologische Onkologie,

· „Services for Supporting Family Carers of Elderly People in Europe (EUROFAMCARE)", Institut für Medizin-Soziologie des UKE,

· „Basisdokumentation forensische Psychiatrie", Zentrum für Psychosoziale Medizin des UKE.

Eine Darstellung der datenschutzrechtlichen Probleme bei allen diesen Vorhaben würde den Berichtsrahmen sprengen. Beispielhaft sei anhand des Projekts „Monitoring von Suizidversuchen" die immer wieder auftretende Frage nach der Personenbeziehbarkeit und Pseudonymisierung der verarbeiteten Daten skizziert:

Das Therapiezentrum für Suizidgefährdete des UKE (TZS) entwickelte für Krankenhäuser, Hausärzte und weitere psychotherapeutische / psychiatrische Einrichtungen einen „Monitoring-Bogen Suizidversuche". Auf diesem sollen Ärzte und andere Therapeuten sensible medizinische und psychosoziale Informationen von solchen Patientinnen und Patienten dokumentieren, die sie nach einem Selbstmordversuch behandelten. Ohne Wissen der Patienten soll dieser Bogen monatlich an das Therapiezentrum im UKE geschickt werden.

8119. Tätigkeitsbericht 2002/2003 HmbDSB