Streitkräfte

In ihrer Sitzung am 1. April 1998 hat die Bürgerschaft den Senat ersucht, „1. für Deserteure und von westlichen Geheimdiensten befragte ehemalige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die in Hamburg einen Asylantrag mit negativem Ausgang gestellt haben, eine wohlwollende, qualifizierte Einzelfallprüfung vorzunehmen.

2. sich auf Bundesebene für diese Personengruppe für eine vereinheitlichte großzügigere Regelung als bisher praktiziert einzusetzen."

Hierzu teilt der Senat mit:

1. Vorgeschichte

Die schwierige Situation von Deserteuren der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat gab Bund und Ländern schon im Februar 1997 Anlaß, für diesen Personenkreis die Notwendigkeit eines gruppenbezogenen Abschiebungsschutzes und Bleiberechts in Erwägung zu ziehen.

Bundesweit sind nach Angaben des Bundesministeriums des Innern ca. 600 Deserteure betroffen, einschließlich ihrer Familienangehörigen ca. 1.600 bis 1.700 Personen.

Der Hamburger Ausländerbehörde sind konkret sechs Fälle mit insgesamt elf Familienangehörigen bekannt. Ob es in Hamburg weitere Deserteure aus der ehemaligen Westgruppe oder der ehemaligen Sowjetarmee insgesamt gibt, ist mangels gesonderter Erfassung dieses Personenkreises nicht feststellbar.

In Hamburg stellte zunächst eine Anweisung der Behörde für Inneres vom 28. Februar 1997 sicher, dass Abschiebungen bei diesem Personenkreis vorerst zurückgestellt wurden.

Das Auswärtige Amt bestätigte in der Folge, dass Deserteure der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, soweit sie nicht Staatsangehörige eines der baltischen Staaten (Lettland, Estland, Litauen) sind, im Falle der Rückkehr einer hohen Gefahr ausgesetzt sind. Die Innenminister und -senatoren der Länder nahmen daraufhin mit Beschluß vom 17. April 1997 die Ankündigung des Bundesministers des Innern zustimmend zur Kenntnis, er werde das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge anweisen, auf Antrag der Betroffenen unter Einbeziehung des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes eine Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu treffen. Soweit bereits (ablehnende) Bescheide vorlägen, würden die Verfahren auf

Antrag wieder aufgegriffen. Die Innenminister und -senatoren der Länder sicherten ihrerseits zu, bis zu der Entscheidung über die Anträge keine Abschiebungen vorzunehmen.

Die daraufhin vom Bundesministerium des Innern erlassene Anweisung an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sieht vor, dass bei Deserteuren der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte wegen erheblicher konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit gemäß § 53 Absatz 6 AuslG ein Abschiebungshindernis festzustellen ist, soweit sie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert waren und nicht Staatsangehörige der baltischen Staaten sind.

2. Regelungslage in Hamburg:

An diese Anweisung des Bundesministeriums des Innern an das Bundesamt anknüpfend wurde in Hamburg die bereits seit dem 28. Februar 1997 bestehende Anweisung an die hiesige Ausländerbehörde zur Zurückstellung von Abschiebungen durch eine weitere Anweisung vom 6. August 1997 abgelöst. Darin ist folgendes festgelegt:

Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 1. April 1998 (Drucksache 16/531) ­ Bleiberecht für Deserteure aus der ehemaligen Sowjetunion ­

­ Soweit nach Aktenlage gemäß der Anweisung des Bundesministeriums des Innern an das Bundesamt die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Absatz 6 AuslG vorliegen oder die Betroffenen aufgrund ihrer Zugehörigkeit bzw. Desertion aus der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte Abschiebungshindernisse geltend machen, sind sie von Amts wegen an das Bundesamt zur entsprechenden Antragstellung zwecks Wiederaufnahme des Verfahrens weiterzuleiten. Findet eine Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Bundesamt nicht statt, ist auf die Möglichkeit der Asyl(-folge)antragstellung hinzuweisen.

­ Für die Dauer der Verfahren zur (erneuten) Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Absatz 6 AuslG durch das Bundesamt erhalten die Betroffenen gegebenenfalls einschließlich ihrer Familienangehörigen (Ehegatten und minderjährigen ledigen Kinder) Duldungen.

­ Nach Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Absatz 6 AuslG durch das Bundesamt erhalten die Betroffenen und gegebenenfalls ihre Familienangehörigen bei Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen eine Aufenthaltsbefugnis gemäß §§ 30 Absatz 3, 31 AuslG (wegen nicht zu vertretender Abschiebungshindernisse); soweit zwingende gesetzliche Ausschlußgründe (vgl. § 8 Absatz 2 AuslG) oder Regelversagungsgründe (vgl. § 7 Absatz 2 AuslG) der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis entgegenstehen, erhalten sie gemäß § 55 Absätze 2 und 3 AuslG eine Duldung.

­ Nach zweijährigem geduldeten Aufenthalt ist zu prüfen, ob eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Absatz 4 AuslG erteilt werden kann.

Die auf der Grundlage dieser Handlungsanweisung erteilten Aufenthaltsbefugnisse werden grundsätzlich mit der gesetzlichen Höchstgeltungsdauer von zwei Jahren (vergleiche § 34 Absatz 1 AuslG) versehen, die Duldungen mit einer Geltungsdauer von einem Jahr (vergleiche § 56 Absatz 2 AuslG).

Eine weitere, generell für alle Fälle rechtlicher Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG geltende Arbeitsanleitung des Einwohner-Zentralamtes lässt für die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen gemäß den §§ 30 Absätze 3 und 4, 31 AuslG weitreichende Ausnahmen vom Regelversagungsgrund der mangelnden Lebensunterhaltssicherung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu (vergleiche § 7 Absatz 2 Nr. 2 AuslG); das gilt namentlich in den Fällen der Erwerbsunfähigkeit, der notwendigen Kinderbetreuung, bei nachweislich zweijährigem erfolglosen Bemühen um eine Arbeitsstelle, bei Geringverdienern auf der Basis sozialversicherungsfreier Tätigkeiten sowie bei Schülern und Auszubildenden.

Mit der Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen verbessern sich die Chancen, eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung gemäß §§ 285, 286 SGB III und damit Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten.

3. Würdigung des Bürgerschaftlichen Ersuchens „Wohlwollende, qualifizierte Einzelfallprüfung für Deserteure und von westlichen Geheimdiensten befragte ehemalige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die in Hamburg einen Asylantrag mit negativem Ausgang gestellt haben"

Nach dem Antrag ­ Drucksache 16/531 ­, der dem Bürgerschaftlichen Ersuchen zugrunde liegt, drohen Deserteuren und von westlichen Geheimdiensten befragten ehemaligen Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte bei Rückkehr in das jeweilige Herkunftsland Anklage wegen Vaterlandsund Geheimnisverrat sowie hohe Freiheitsstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Insoweit handelt es sich um asylrelevante Gefahren bzw. Gefahren, die zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG begründen können.

Die Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen von Asylgründen oder zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG obliegt dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (vergleiche §§ 5, 24, 31 AsylVfG). Die Entscheidungen des Bundesamtes bzw. des Verwaltungsgerichts enthalten insbesondere gegenüber der Ausländerbehörde eine gesetzliche Bindungswirkung (vergleiche §§ 4, 42 AsylVfG)

Die an den Senat gerichtete Bitte um „wohlwollende, qualifizierte Einzelfallprüfung" bei Deserteuren, „die in Hamburg einen Asylantrag mit negativem Ausgang gestellt haben", wendet sich daher nach den vorstehenden bundesgesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen an den falschen Adressaten. Die Formulierung „qualifizierte Einzelfallprüfung" greift einen Begriff auf, der insbesondere im Zusammenhang mit dem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 2. Februar 1998 zu Abschiebungen nach Algerien verwendet worden ist. Auch in diesem Zusammenhang hat der Präses der Behörde für Inneres jedoch ­ u. a. vor dem Innenausschuß der Bürgerschaft ­ erläutert, dass die Behörde für Inneres nicht in die bundesgesetzlich vorgeschriebene Entscheidungskompetenz des Bundesamtes eingreifen kann, sondern ­ bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ­ lediglich eine erneute Antragstellung bzw. Prüfung beim Bundesamt anregen kann (vergleiche den in der Bürgerschaftssitzung am 1. April 1998 angenommenen Bericht des Innenausschusses ­ Drucksache 16/519 ­).

Genau dieses aber ist bezogen auf den Personenkreis der Deserteure der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte bereits mit der Handlungsanweisung an die hiesige Ausländerbehörde vom 6. August 1997 umgesetzt (siehe oben zu 2.).

Auch in den übrigen Fällen, die nicht von den speziellen Regelungen auf der Grundlage des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 17. April 1997 erfaßt sind, ist es den Betroffenen unbenommen, gegebenenfalls ein (weiteres) Asyl(folge)verfahren zu betreiben. „Sich auf Bundesebene für diese Personengruppe für eine vereinheitlichte großzügigere Regelung als bisher praktiziert einsetzen"

Auch dem an den Senat gerichteten Ersuchen, „sich auf Bundesebene für diese Personengruppe für eine vereinheitlichte großzügigere Regelung als bisher praktiziert einzusetzen", kann nach derzeitiger Sach- und Rechtslage keinen Erfolg haben. Wie der Senat bereits in seiner Antwort zu 6. b) der Schriftlichen Kleinen Anfrage ­ Drucksache 15/8056 ­ festgestellt hat, sind mit den auf der Grundlage des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 17. April 1997 getroffenen Regelungen (siehe oben zu 1. und 2.) der erforderliche Abschiebungsschutz und angemessene Bleiberechtsperspektiven gewährleistet, so dass ein darüber hinausgehender Handlungsbedarf nicht besteht. Denn neben den besonderen Regelungen für Deserteure der Westgruppe der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte gewährleisten die allgemeinen ausländergesetzlichen Bestimmungen zum Abschiebungsschutz bei drohender menschenrechtswidriger Behandlung oder konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit gemäß § 53 AuslG auch für sonstige Deserteure, die nicht der Westgruppe angehörten, nach derzeitigem Kenntnisstand den erforderlichen Schutz. Die erbetenen Bemühungen auf Bundesebene mit dem Ziel einer vereinheitlichten, noch großzügigeren Regelung lassen sich deshalb sachlich weder qualitativ noch quantitativ begründen und sind daher zum Scheitern verurteilt. Denn Anhaltspunkte, dass die geltenden rechtlichen Bestimmungen zum Abschiebungsschutz im allgemeinen (§ 53 AuslG) oder die speziellen Regelungen auf der Grundlage des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 17. April 1997 im besonderen nicht ausreichen, um den erforderlichen Schutz vor menschenrechtswidriger Behandlung oder konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit zu bieten, sind nicht ersichtlich, so dass konkreter Handlungsbedarf für „eine vereinheitlichte großzügigere Regelung" nicht vermittelt werden kann. Ebensowenig bestehen derzeit Anhaltspunkte dafür, daß sich künftig ­ nach Abschluß zum Teil noch anhängiger (Rechtsmittel-/Eingabe)Verfahren ­ über eventuelle Einzelfälle hinaus Schutzlücken in einer Größenordnung abzeichnen, die einen Bedarf für eine bundeseinheitliche gruppenbezogene „großzügigere Regelung" begründen könnten.

Sollte sich gleichwohl künftig ein derartiger Bedarf nachweisen lassen, werden die gegebenenfalls erforderlichen Bemühungen auf Bundesebene ergriffen werden.

4. Petitum:

Der Senat bittet die Bürgerschaft um Kenntnisnahme.