Telefonüberwachung zur Strafverfolgung: Wie sind die Zahlen und wie wirksam ist der Richtervorbehalt?

Der § 100 a StPO ermöglicht die Telefonüberwachung des Fernmeldeverkehrs, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die dort genannten Straftaten von einem Beschuldigten als Täter oder Teilnehmer begangen wurden bzw. werden. Studien namhafter Forschungseinrichtungen aus jüngster Zeit belegen, dass es bei der strafprozessualen Telefonüberwachung vor allem im Hinblick auf den Richtervorbehalt erheblichen Verbesserungsbedarf in der Praxis gibt. Diese Fragestellungen sind auch bei der Diskussion um Notwendigkeit und Grenzen einer evtl. „präventiven Telefonüberwachung" im PolDVG zu berücksichtigen.

Dies vorausgeschickt frage ich den Senat:

1. Wie viele Telefonüberwachungen wurden in Hamburg im Jahre 2003 von welcher Behörde durchgeführt?

Der Justizbehörde wurden für das Jahr 2003 von der Generalstaatsanwaltschaft keine und von der Staatsanwaltschaft 131 Verfahren gemeldet, in denen eine oder mehrere Telekommunikationsüberwachungen durchgeführt wurden.

Die Behörde für Inneres hat für das Jahr 2003 713 Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung durch die Polizei erfasst.

Die unterschiedlichen Zahlen der Justizbehörde und der Behörde für Inneres ergeben sich nicht nur aus den unterschiedlichen Erfassungssystemen, sondern auch mit Rücksicht auf die erfassten Sachverhalte. In den gezählten Verfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg können auch Telekommunikationsüberwachungen anderer Behörden als der Hamburger Polizei enthalten sein (z. B. Zollfahndung oder Bundeskriminalamt). In der Statistik der Hamburger Polizei können auch solche Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen enthalten sein, die im Rahmen von Verfahren für auswärtige Staatsanwaltschaften durchgeführt worden sind.

2. In wie vielen Fällen beruhten die Telefonüberwachungen im Jahre 2003 auf einer staatsanwaltschaftlichen Eilanordnung, die ohne Richteranordnung außer Kraft getreten ist?

Nach Kenntnis der zuständigen Behörden wurde in 23 Fällen eine Maßnahme zur Durchführung der Telekommunikationsüberwachung nach staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung aufgrund neuer Erkenntnisse umgehend eingestellt und somit dem Richter nicht zur Entscheidung vorgelegt oder aber nach Vorlage der Anträge bei Gericht durch den Richter nicht bestätigt.

3. Welche Straftaten waren jeweils Grundlage für die unter 1. genannten Maßnahmen (bitte aufschlüsseln wie in Drs. 17/2094)?

Die Unterteilung und Kennzeichnung der Straftaten, denen ein Verfahren von der Justizbehörde und eine einzelne Telekommunikationsüberwachung von der Behörde für Inneres zugeordnet werden, sind zum Teil unterschiedlich. Die Statistik der Justizbehörde schlüsselt die erfassten Verfahren nach den in der Anordnung genannten Katalogtaten auf, wodurch sich ggf. auch Mehrfachnennungen ergeben können: Lfd. Nr. Katalogtat gemäß § 100 a Satz 1 StPO. Nr. In welchem Umfang ist bei den unter 1. genannten Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden auch von der in § 100 a StPO gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden, eine Überwachung schon im Vorbereitungs- und Versuchsstadium der jeweiligen Straftat zu beantragen bzw. anzuordnen (bitte möglichst wie zu Frage 3. aufschlüsseln)?

Die zur Beantwortung erforderlichen Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst.

5. Wie viele Personen waren im Jahre 2003 von der Telefonüberwachung betroffen?

Die Polizei führt keine Statistiken im Sinne der Fragestellung. Die staatsanwaltschaftliche Statistik weist für das Jahr 2003 insgesamt 284 Betroffene von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung im Sinne des § 100 a Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) aus.

6. Wie stellen sich die Antworten zu 1. und 5. im Vergleich zu den Vorjahren dar? Welche Trends sieht der Senat insoweit in der Entwicklung und welche Schlussfolgerungen zieht der Senat hieraus? Ist dem Senat diese Studie bekannt?

Die Studie liegt der zuständigen Behörde vor.

8. Wenn ja, wie bewertet der Senat bzw. die zuständige Behörde diese Studie und welche Konsequenzen gedenkt er bzw. sie hieraus zu ziehen?

9. Wenn nein, warum hält der Senat bzw. die zuständige Behörde eine Befassung mit bedeutsamen Evaluationen namhafter Forschungsinstitutionen über fundamentale Eingriffe in Freiheitsrechte der Bürger nicht für erforderlich?

Die zuständige Behörde sieht zu einer Bewertung der Studie keinen Anlass. Der Senat hat sich hiermit nicht befasst.

10. Die unter 7. genannte Studie kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass rund ein Viertel der untersuchten richterlichen Beschlüsse lediglich formelhaft begründet wurden. Eine ähnliche Untersuchung der Universität Bielefeld hat sogar ermittelt, dass lediglich ein Viertel der richterlichen Beschlüsse überhaupt nach den gesetzlichen Kriterien vollständig waren. Welchen detaillierten Anforderungen muss ein Beschluss von Gesetzes wegen genügen und wie wird dieses in Hamburg in der praktischen Umsetzung von Seiten der zuständigen Behörden ­ selbstverständlich unter Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit ­ gewährleistet bzw. unterstützt? Gibt es hierzu z. B. detaillierte Vordrucke bzw. Formulare, die auszufüllen sind und eine vollständige Abarbeitung der gesetzlichen Kriterien sicherstellen?

Die inhaltlichen Anforderungen an einen Beschluss, mit dem die Überwachung einer Telekommunikation angeordnet wird, ergeben sich aus § 100 b Abs. 2 StPO und den Konkretisierungen durch die obergerichtliche Rechtsprechung.

11. Inwieweit ist im Übrigen gewährleistet, dass Ermittlungsrichter ihre gesetzlich vorgeschriebene umfassende Prüfungskompetenz wahrnehmen können? Wie wird dieses konkret in den Pensenschlüsseln o. Ä. berücksichtigt?

Für Verfahren gegen erwachsene Beschuldigte ist die Zuständigkeit für das gesamte Stadtgebiet auf derzeit acht Richter des Amtsgerichts Hamburg konzentriert, die in einem Dezernat zusammengefasst und vorrangig als spezialisierte Ermittlungsrichter tätig sind. Die ermittlungsrichterliche Tätigkeit dieser Richter ist beim Zuschnitt ihrer geschäftsplanmäßigen Zuständigkeiten besonders berücksichtigt.

12. Inwieweit ist in Hamburg die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters rund um die Uhr gewährleistet?

In Hamburg ist die Erreichbarkeit eines für die Telekommunikationsüberwachung zuständigen Ermittlungsrichters während der üblichen Dienststunden durch dessen Präsenz und die Präsenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Geschäftsbereichs sowie durch die getroffenen Bereitschafts- und Vertretungsregelungen sichergestellt.

An Wochenenden und Feiertagen ist die Erreichbarkeit im Rahmen des richterlichen Eildienstes gewährleistet. Darüber hinaus besteht für unaufschiebbare richterliche Entscheidungen in Strafsachen eine telefonische Rufbereitschaft.

13. In wie vielen Fällen hat die Hamburger Staatsanwaltschaft im Jahre 2003 von Telefonabhörmaßnahmen unmittelbar betroffene Personen nach Abschluss der Maßnahme benachrichtigt?

Die Anzahl der von einer Maßnahme der Telefonüberwachung im Jahr 2003 benachrichtigten unmittelbar Betroffenen kann ohne eine Einzelfallauswertung, die mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand nicht möglich ist, nicht ermittelt werden.

14. Die unter 7. genannte Studie kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass es erhebliche Defizite in der praktischen Umsetzung der Benachrichtigungspflicht nach § 101 StPO gibt. Wie bewertet der Senat bzw. die zuständige Behörde diese Erkenntnis und welche Konsequenzen zieht er bzw. sie daraus?

Siehe Antwort zu 8. und 9.

15. Hält der Senat bzw. die zuständige Behörde die praktische Umsetzung des vom Gesetzgeber mit dem Richtervorbehalt angestrebten Zieles, die Anordnung der Telefonüberwachung durch eine eigenständige richterliche Entscheidung prüfen zu lassen, damit der durch die Maßnahme erfolgte Grundrechtseingriff messbar und kontrollierbar bleibt, für ausreichend oder verbesserungsbedürftig? Worauf gründet der Senat seine Einschätzung?

16. Was gedenkt der Senat bzw. die zuständige Behörde wann und wie zu tun, um zu einer Stärkung des Ermittlungsrichtersystems zu kommen?

Die zuständige Behörde hält die praktische Umsetzung des genannten Ziels in Hamburg für ausreichend. Der Senat hat sich hiermit nicht befasst.