Informationsreise nach Brüssel

Der Europaausschuss hat in seiner Sitzung am 3. Mai 2004 eine Informationsreise zur EU nach Brüssel beschlossen, die es vor allem den vielen neuen Ausschussmitgliedern ermöglichen sollte, sich mit den Einrichtungen der EU sowie dem Hanse-Office vertraut zu machen und somit den Einstieg in die Europapolitik sowie die Herstellung von Kontakten zu erleichtern. Zu diesem Zwecke hielt sich der Europaausschuss in der Zeit vom 28./29. September 2004 vor Ort auf.

An diesem Arbeitsbesuch nahmen die Abgeordneten Lars Dietrich (CDU-Fraktion), Günter Frank (SPD-Fraktion), Rolf Harlinghausen (CDU-Fraktion), Hans Heinrich Jensen (CDU-Fraktion), Rolf-Dieter Klooß (SPD-Fraktion), Stefan Kraxner (CDU-Fraktion), Lutz Kretschmann-Johannsen (SPD-Fraktion), Rüdiger Kruse (CDU-Fraktion), Farid Müller (GAL-Fraktion), Clemens Nieting (CDU-Fraktion), Aydan Özoguz (SPD-Fraktion), Manuel Sarrazin (GAL-Fraktion), Jürgen Schmidt (SPD-Fraktion) sowie eine Mitarbeiterin der Bürgerschaftskanzlei teil. Begleitet wurde die Delegation in Brüssel durch den Leiter Hamburg des Hanse-Office, Herrn Roland Freudenstein.

Nach Begrüßung durch Herrn Roland Freudenstein im Hanse-Office stellten sich die Fachreferenten mit kurzen Eingangsstatements über ihre Ressorts vor ­ Vivika Kutter, Medien, Kultur, Bildung: Generell sei festzuhalten, dass die EU keine regelnde Zuständigkeit im Bildungsbereich habe und sie nur Fördermaßnahmen ergreifen könne.

Wichtiges Thema sei zurzeit, junge Menschen für die EU zu begeistern und ihnen näher zu bringen, dass sie aktiv an der Gestaltung mitwirken könnten. Simone Stamme, Verbraucherschutz, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit: Für den Gesundheitsbereich könne die EU Richtlinien vorgeben, so zum Beispiel ab 2005 eine Dienstleistungsrichtlinie für den Gesundheitsbereich und die Umsetzung einer Richtlinie gegen Sozialdumping. Werner Kloss, Verkehr, kleinere und mittlere Unternehmen, Forschung (kommissarisch): Beim Thema Verkehr gehe es primär um die Erneuerung der transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN), die jetzt zu 50 % über die EU finanziert werden könnten, außerdem erfahre das EU-Budget hierfür eine fünffache Erhöhung auf ca. 20 Mrd. Euro; mit dem „port package" werde die Liberalisierung der Hafendienste vorangetrieben. Im Bereich Forschung werde derzeit das 7. Forschungsrahmenprogramm (2006 ­ 2010) erarbeitet, welches 35 Mrd. Euro bereithalte, obwohl eine Verdoppelung der Mittel gewünscht sei. Für Hamburg gelte, dass beim 6. Forschungsrahmenprogramm ca. Zweidrittel der Anträge von den Hochschulen gekommen seien und Eindrittel aus der Industrie. Das Hanse-Office biete als Service für Hamburger Institutionen die Vorprüfung eines Antrags an. Sven Kahle, Justiz und Innen, Agrarpolitik und Fischerei, Tourismus und Ausschuss der Regionen (AdR): Vorrangige Themen im Ressort Justiz und Innen seien die Themen Terrorismusbekämpfung und organisierte Kriminalität, Steuerung der Einwanderung und die Integration von Einwan derern sowie Wirtschaftsflüchtlingen. Die Zuständigkeit für die Entwicklungszusammenarbeit liege zwar beim Bund, aber es wäre auch sinnvoll, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den betroffenen Regionen außerhalb der EU zu fördern. Agrarpolitik und Fischerei machten über 50 % des Gesamthaushaltes der EU aus, langfristig solle es hier weniger Geld geben und mehr Wert auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz, als auf Prämien gelegt werden. Folker Hellmund, Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, Erweiterung der EU, Außenbeziehungen: Im Rahmen der Finanzplanung der EU unter Einbeziehung der neuen Mitgliedsstaaten für die Jahre 2007 ­ 2013 hätten die Nettozahler, unter ihnen Deutschland, angezeigt, nur noch 1 % ihres Bruttoinlandsprodukts in die EU einzahlen zu wollen, während der Vorschlag der EU für 1,14 % plädiere, was jedoch für Deutschland rund 10 Mrd. Euro mehr ausmache. In diesem Rahmen werde auch der von Thatcher im Jahre 1984 für England ausgehandelte Beitragsrabatt, der nur für England gelte und auch nur von den Briten abgeschafft werden könne, diskutiert. Deutschland wolle weniger einzahlen und England solle dafür mehr geben. Außerdem könne es bei der zukünftigen Finanzplanung zu einem Paradigmenwechsel in der Strukturpolitik kommen, von dem Hamburg profitiere. Nämlich dass alle Gebiete, die nicht ganz arm seien, grundsätzlich förderfähig seien und hierbei insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich Wissenschaft und Innovation gefördert werde, ein Gebiet, auf dem sich Hamburg gut positioniert habe. Allerdings gebe es keinen Konsens unter den Bundesländern, da ärmere Bundesländer davon ausgingen, dass nur Regionen mit besonderen Problemen förderfähig seien (Nachteilsausgleich). Bezüglich des Arbeitsmarktes gehe es um neue Richtlinien zu Arbeits- und Ruhezeiten (Bereitschaftsdienste) und Leiharbeitnehmer. Zur Sozialpolitik sei festzuhalten, dass am 04.10.2004 das Antidiskriminierungsgesetz in Bezug auf unterschiedliche Tarife bei Versicherungen je nach Geschlecht und Benachteiligung am Arbeitsplatz wegen des Geschlechts verhandelt werde. Wesentlicher Topos in Bezug auf die Erweiterung und Außenbeziehungen sei der Beginn von Aufnahmeverhandlungsgesprächen mit der Türkei und die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens im Jahre 2007 und das Anliegen Kroatiens, Mitglied der EU werden zu wollen.

Sodann stellten sie sich der Diskussion mit den Abgeordneten. Die Abgeordneten interessierten sich vornehmlich dafür, wie die Lobbyarbeit des Hanse-Office konkret für Hamburg und es mit der Kooperation und Kontaktpflege zu anderen Bundesländern, der ständigen Vertretung, der EU-Kommission und dem EU-Parlament aussehe.

Der Leiter des Hanse-Office führte aus, dass z. B. beim „port package" die Hamburger Standpunkte gegenüber der Kommission formuliert und damit vor Ort hamburgische politische Interessen näher gebracht würden. Jedoch seien die Länder in allen Bereichen der Strukturpolitik dazu gezwungen, Kooperationen mit anderen Ländern einzugehen. Falls Hamburg nach den neuen Kriterien förderfähig würde, könnte es auch auf nationaler Ebene im Verbund agieren. Die norddeutsche Kooperation sei auch Dank des Hanse-Office verstärkt worden und sehr gut. Angedacht sei, einen Netzwerkaufbau durch einen Vertreter im Hanse-Office vorzunehmen. Da die Mitarbeiter des Hanse-Office Teil der hamburgischen Verwaltung seien, könne jederzeit auf sie von den Abgeordneten zurückgegriffen werden. Das Hanse-Office gebe einen Newsletter mit den aktuellen Themen heraus, der auch im Internet abrufbar sei. Auf Nachfrage wie Hamburg seine Position in der Bildungspolitik, weil es neben den OECDund PISA-Studien, als einziges Land auch die LAU-Studie durchführe, stärken könne, erklärte die Bildungsreferentin, dass Hamburg diesbezüglich noch nicht am guten Methodenaustausch (best practices) partizipiere, dieses Anliegen jedoch durch das Hanse-Office in den Rat hineingetragen werden könne.

An diese Diskussionsrunde schloss sich ein Vortrag von Dr. Mary Papaschinopoulou, Leiterin der Vertretung der IHK Nord in Brüssel, über das angemessene Lobbying in Brüssel an. Auf die Nachfragen, welches das größte Problem sei, Hamburger Interessen hier zu vertreten, inwiefern es eine Kooperation mit dem Ostseeraum gebe und wie die IHK die Interessen von Kleineren und Mittleren Unternehmen (KMU) wahrnehme, antwortete Dr. Papaschinopoulou auf die erste Frage, die Hamburger seien sehr von sich überzeugt und selbstgefällig, aber die Welt drehe sich nicht nur um Hamburg, weshalb sie ihre Kommunikationsfähigkeiten auf allen Ebenen, und nicht nur den offiziellen fördern müssten. Zur zweiten Frage wies sie darauf hin, die neu eingerichtete German-Baltic Chamber of Commerce öffne jede Tür und sei ein Stück im Mosaik des Lobbying, nordeuropäische Interessen könnten hier zudem gebündelt werden. Zur letzten Frage müsse festgehalten werden, dass große Unternehmen als eigene Lobbyisten ihre Interessen ungefiltert bei den jeweiligen Stellen wahrnähmen, die IHK hingegen kleinteilig, an mehreren Stellen und gefiltert vorgehen müsse, um die Interessen kleinerer und mittlerer Unternehmen voranzutreiben.

Im Anschluss daran gab es ein Gespräch mit Herrn Gerhard Lohan, GD Relex ­ Auswärtige Beziehungen, Referatsleiter für Russland, Ukraine, Republik Moldawien, Belarus, Europäische Kommission. Im Rahmen der EU-Erweiterung werde eine neue europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) seitens der EU zu den östlichen und südlichen Nachbarn angestrebt, die auch Russland mit einbeziehe. Allerdings wolle Russland den Status eines Hegemonialpartners haben, und nicht wie ein südlicher Mittelmeeranrainer, z. B. Marokko, angesehen werden. Die Zusammenarbeit gestalte sich deshalb schwieriger als mit anderen Nachbarschaftsländer, auch weil Russland die Rahmenabkommen und Aktionspläne in Bezug auf Wirtschaft, Energie und Umwelt, innere und äußere Sicherheit, Kultur und Forschung zum Teil infrage stelle und unter Präsident Putin einen problematischen Prozess der Zentralisierung durchlaufe. Trotzdem gebe es eine gute regionale und lokale grenzüberschreitende Zusammenarbeit Hamburgs mit den Partnerstadt St. Petersburg und dem Oblast Kaliningrad, denn lokale Stimmen seien gegenüber regionalen Modellen aufgeschlossen, allerdings werde auch hier die Zusammenarbeit durch die zunehmende Zentralisierung erschwert. Eine Strategie der EU gegenüber Russland könnte sein, nur eine Position transparent und kohärent in den Aussagen gegenüber Russland zu vertreten und diese Position im Kontext mit bestimmten Themen zu nutzen, um Druck ausüben zu können. Ob der politischen Entwicklung Russlands entspann sich eine Debatte mit folgenden Schwerpunkten: Wer noch an der ENP partizipiere, was ein kluger Umgang im Geflecht der Regionen und des Zentralismus Putins sei, ob es für norddeutsche Unternehmen eine ökonomische Sicherheit in Russland gebe und wie es um den Aufbau einer Zivilgesellschaft in Russland bestellt sei.

Herr Lohan erklärte, dass die Ukraine und Moldawien partizipierten, ebenso könne sich Belarus beteiligen. Die EU versuche, diese Länder zu Wohlstand zu bringen, ein Anliegen, das nicht unbedingt im Interesse Russlands liege.

Ein kluger Umgang könnte in der Verbindung von Anreizen und Druck bestehen, denn es bestehe die Angst, Russland durch zu viel Druck zu verlieren, d. h. dass Russland sich in die Isolation getrieben sehe oder aber einem Revanchedenken anheimfallen könnte. In Bezug auf die anzustrebenden Demokratievorstellungen und den Umgang mit den Medien und Journalisten werde sich das Denken auf EU-Seite nicht ändern.

Eine konkrete Einschätzung für norddeutsche Unternehmen vorzunehmen sei schwierig, allerdings sei zum Beispiel die Entwicklung auf dem Energiesektor mit Besorgnis zu registrieren. Hier sei eine Zentralisierung und Kontrolle über die Ressourcen und Reserven nicht zu übersehen, zudem falle dieser Sektor in den Bereich der Staatssicherheit.

Der Aufbau einer Zivilgesellschaft sei vor allen Dingen vonnöten in Belarus mit einer freien Presse, Vertretern von NGOs und einer Basisdemokratisierung. Hierbei komme es zu einer Mischung aus Zusammenarbeit und Konfrontation über die vielseitigen Interessenskonflikte.

Nach einem auswärtigen Arbeitsessen mit dem Stellvertretenden Generalsekretär der Europäischen Kommission, Herrn Eckart Guth, und mit Vertretern der Partnerregionen aus dem Ostseeraum gab es ein Gespräch mit Reinhold Gnan, Verwaltungsrat im Kabinett des Generalsekretärs des Ausschusses der Regionen (AdR). Herr Gnan berichtete, dass der AdR vor zehn Jahren im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht gegründet worden sei. Seine Funktion sei es, regionale Interessen in den europäischen Gesetzgebungsprozess zu integrieren. Mit dem Vertrag von Nizza sei manifestiert worden, dass alle Mitglieder ein Mandat auf regionaler oder kommunaler Ebene im eigenen Land haben müssten. Der AdR sei mittlerweile auf 317 Vollmitgliedern und ebenso viele Stellvertreter angewachsen, wobei Deutschland seiner Größe entsprechend 24 Mitglieder stelle. Es gebe sechs Fachkommissionen, wobei die Fachkommission für Außenbeziehungen insbesondere politische Entscheidungsträger in den neuen Ländern auf regionaler Ebene für Europa gewinnen müsse, weil der Skeptizismus gegenüber der EU noch sehr groß sei.