Versicherung

In den Städten fänden die wenigsten Flüchtlinge eine Arbeit, sodass die meisten Rückkehrer von einer geringen Sozialhilfe in Höhe von 64 Euro monatlich pro Familie lebten, Zahlungen an Rentner gebe es nicht mehr, da der Rentenfonds im Rahmen der Kriegshandlungen beschlagnahmt worden sei. Da die Sozialhilfe höchstens zur Deckung des Grundlebensbedarfs ausreiche, ginge er davon aus, dass überwiegend illegale Erwerbstätigkeit stattfände. Im Übrigen herrsche aber innerhalb der Familien große Solidarität. Mittlerweile würden auch viele Flüchtlinge wieder aufs Land zurückkehren, da es dort jedenfalls die Möglichkeit der landwirtschaftlichen Erwerbswirtschaft gebe.

Zudem sei die Unterstützung durch Internationale Hilfsorganisationen insbesondere für Angehörige der Minderheiten nach wie vor sehr groß. Der Bevölkerungsanteil der Minderheiten belaufe sich auf 8 % der Gesamtbevölkerung des Kosovo. Im Hinblick auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung führt er aus, dass es für Personen, die die Kosten für eine Behandlung selbst tragen könnten, eine gute Versorgung gäbe. Die öffentliche medizinische Versorgung sei hingegen eher schlecht. Um diesem Problem zu begegnen sei für das kommende Jahr die Einführung einer Krankenversicherung geplant.

Herr Burjani betonte den guten Kontakt zu Deutschland und sprach sich für eine engere Zusammenarbeit insbesondere im Bereich der Ausbildung aus. Mit Schweden und Spanien existierten bereits Abkommen über die Möglichkeit der Kosovaren als Saison-Arbeitskräfte dort tätig zu werden.

Die Zukunftsaussichten wurden von ihm als durchaus positiv bewertet. Allerdings werde es nach seiner Auffassung noch bis zu zehn Jahre dauern, bis im sozialen Bereich eine Stabilität erreicht sei, die eine wirtschaftliche Entwicklung zuließe. Die Unabhängigkeit von Serbien würde diese Entwicklung begünstigen, denn solange der Status ungeklärt sei, sei das Kosovo wenig interessant für ausländische Investoren.

Dies zeige sich auch daran, dass bislang beabsichtigte Privatisierungen nur sehr langsam voranschritten. Hinzukäme eine nach wie vor starke Korruption und das Fehlen einer ausreichenden Kontrolle durch die Polizei.

Im Anschluss fand im Hauptquartier des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ein Gespräch der Delegation mit Herrn Quang Bui, Senior Protection Officer und seinem Mitarbeiter, Herrn Martin Gottwald, statt.

Die Delegation erhielt zur Information zunächst die neuesten Veröffentlichungen des UNHCR zur Flüchtlingsproblematik. Aus Sicht der Vertreter des UNHCR könne (im Gegensatz zu den Ausführungen des vorherigen Gesprächspartners) einer Rückführung von Roma, Ashkali, Ägyptern oder Serben in das Kosovo derzeit nicht bzw. nur nach eingehender Prüfung des Einzelfalles zugestimmt werden. Dies folge zum einen aus den fehlenden Mitteln zur medizinischen Versorgung der Menschen. Zum anderen seien Minderheiten nach wie vor Repressalien ausgesetzt. Auch die Rückführung der Flüchtlinge an andere Orte innerhalb Serbien-Montenegros sei nach einer eingehenden Untersuchung zur Frage der inländischen Fluchtalternativen nicht zu empfehlen, da eine erneute Integration in fremder Umgebung schwierig sei.

Herr Bui erklärte, dass der UNHCR im Kosovo eine Kontrollfunktion inne habe und in Absprache mit der VN-Verwaltung des Kosovo über die Zustimmung zur Rückführung von Flüchtlingen entscheide. Das kosovarische Ministerium könne bezüglich der Rückkehr von Flüchtlingen abweichender Auffassung sein, habe aber letztlich keine Entscheidungsbefugnis über die Frage der Wiederaufnahme von Flüchtlingen. Weiterhin sei es Aufgabe des UNHCR, die allgemeinen Umstände für die Rückkehrer zu verbessern. Zu diesem Zweck richte der UNHCR Informationsveranstaltungen für die Rückkehrer aus. Über eine Zusammenarbeit mit einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die die Flüchtlinge am Flughafen in Empfang nähme, und eigene Mitarbeiter, die in so genannten field-offices die Rückkehrer bei ihrer Wiedereingliederung unterstützten, begleite der UNHCR die Re-Integration der Rückkehrer. Der Kontakt zu den Rückkehrern sei dabei allerdings schwierig, viele wollten keine Auskunft geben über ihre Probleme und litten unter nicht behandelten posttraumatischen Erlebnissen, die durch die Rückkehr verstärkt hervorgerufen würden. Bei diesen Personen sei infolgedessen eine hohe Suizidalität festzustellen. Ein weiteres Problem seien die fehlenden Unterkünfte. Da viele Rückkehrer keinen festen Wohnsitz hätten, sei die Aufrechterhaltung eines Kontakts zur weiteren Begleitung durch den UNHCR sehr problematisch.

Abschließend führte Herr Bui aus, dass man seit den März-Unruhen zu der Auffassung gelangt sei, dass der UNHCR in absehbarer Zeit das Land nicht verlassen werde. Die Unruhen würden als Beleg dafür angesehen, dass bislang keine nachhaltige Befriedung eingetreten sei, insbesondere befänden sich die Minderheiten nach wie vor in einer unsicheren Lage. Um diesbezüglich ein stärkeres Bewusstsein zu schaffen, wünsche er sich eine engere Zusammenarbeit und einen verbesserten Austausch mit den Aufnahmeländern.

Im direkten Anschluß fand ein Gespräch bei der United Nations Interims Administration Mission in Kosovo (UNMIK), d. h. der VN-Verwaltung des Kosovo, statt. Gesprächspartnerin war Frau Christina Meindersma, Stellvertretende Leiterin des Office of Returns and Communities (ORC), das zuständig ist für die Rückübernahme von Flüchtlingen in das Kosovo.

Frau Meindersma gab der Delegation zunächst Auskunft über die Probleme, die mit einer Rückführung von Flüchtlingen verbunden sind. Insbesondere die sozialen und medizinischen Probleme seien gravierend. Die UNMIK könne hier nur versuchen, den Rückkehrern bei der Wiedereingliederung durch allgemeine Beratung und Hilfestellung behilflich zu sein. Wünschenswert sei aber beispielsweise der Aufbau eines Zentrums zur Behandlung der traumatisierten Flüchtlinge. Dabei könne es jedoch nicht ausreichen, Ärzte aus dem europäischen Ausland für eine kurze Dauer anzustellen.

Vielmehr müsse daran gearbeitet werden, eigene Staatsangehörige zu Ärzten ausbilden, um so ein breites, öffentlich zugängliches medizinisches Angebot zu ermöglichen.

Frau Meindersma rügte, dass einige Staaten versucht hätten, Flüchtlinge unter Angabe unzutreffender Auskünfte bezüglicher der ethnischen Zugehörigkeit zurückzuführen. Mehrfach seien Personen als Albaner bezeichnet worden, die in Wahrheit aber Angehörige der Volksgruppe der Roma seien, deren Rückführung von der UNMIK nicht akzeptiert werde. Sie schilderte in diesem Zusammenhang den Fall eines Flüchtlings, der aus Hamburg abgeschoben worden war. Bei seiner Ankunft im Kosovo habe sich herausgestellt, dass er entgegen der aus Hamburg gemachten Angaben Angehöriger der Volksgruppe der Roma sei. Sie bat daraufhin die Abgeordneten, sich für eine Rückübernahme des Roma einzusetzen.

Zu dem allgemeinen Ablauf einer Rückführung führte sie aus, dass die Rückführungen aus Deutschland im Wesentlichen auf der Grundlage eines „memorandum of understanding" über die Durchführung von Abschiebungen, das mit der Bundesregierung in Vertretung für die Innenministerkonferenz geschlossen worden sei, erfolgten.

Danach hätten die deutschen Behörden vor der Abschiebung eines Flüchtlings die UNMIK über den Einzelfall zu informieren. Sie würden zu diesem Zwecke zwei Wochen vor einer geplanten Rückführung eine Liste mit Angaben zu betroffenen Personen vorlegen. Es sei Auskunft über die ethnische Zugehörigkeit ebenso wie über den Gesundheitszustand zu geben. Die UNMIK müsse dann der Rückführung der Personen zustimmen. Die Rückführung von Angehörigen einer Minderheit werde jedoch generell nicht akzeptiert. Nur in Einzelfällen sei es nach sorgfältiger Abwägung zur Zustimmung zur Rückführung von Angehörigen von Minderheiten gekommen. Eine Ablehnung werde dann dem Deutschen Verbindungsbüro in Prishtina oder direkt den abschiebenden Behörden mitgeteilt.

Auch die Fälle, in denen keine Angehörigen von Minderheiten betroffen seien, würden im Einzelfall auf die Vertretbarkeit der Wiederaufnahme geprüft. Abgelehnt würde hier beispielsweise die Aufnahme von Personen, die an schwerwiegenden Erkrankungen, wie einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einem schweren Diabetes, litten.

Bei Bekanntgabe einer Erkrankung werde in jedem Einzelfall geprüft, ob in den Krankenhäusern Kapazitäten für die Behandlung zur Verfügung stünden. Prinzipiell könne auch dann eine Übernahme von Personen abgelehnt werden, wenn unter anderen Gesichtspunkten eine Gefährdung ersichtlich sei. Eine Ablehnung aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage oder befürchteter sozialer Probleme von Rückkehrern werde aber nicht akzeptiert, sodass viele Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in soziale Notlagen gerieten.

Deutschland hat nach den Angaben von Frau Meindersma die meisten Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgenommen, sodass die Einführung eines verbindlichen Verfahrens für die Rückführung aus Deutschland frühzeitig notwendig geworden sei. Mittlerweile sei beabsichtigt, auch mit weiteren Aufnahmeländern, insbesondere den skandinavischen Staaten, ähnliche Vereinbarungen über die Modalitäten der Rückführung zu schließen.

Nach einem abschließenden gemeinsamen Mittagessen mit Herrn Wellna brach die Delegation zur Rückreise nach Belgrad auf. Nach der Ankunft in Belgrad folgte die Delegation einer Einladung des Botschaftsrats Dr. Hauer zu einem gemeinsamen Abendessen mit dem Menschenrechts-/Minderheitenrechtsreferenten der Mission der OSZE in Serbien, Herrn Oliver Schmidt-Gutzat.

Herr Schmidt-Gutzat führte über seine Tätigkeit in Belgrad aus, dass die Mission der OSZE in Serbien-Montenegro vorwiegend eine beratende Funktion für staatliche Organe auf dem Gebiet der Demokratisierung und dem Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Minderheitenrechte, ausübe. Die OSZE werde so in Gesetzgebungsverfahren auf diesen Gebieten unterstützend tätig und beobachte die Umsetzung und Einhaltung der neuen gesetzlichen Standards, ebenso wie das Funktionieren der staatlichen Institutionen. Zu diesem Zwecke biete die OSZE u. a. Hilfe beim Wiederaufbau des Rechtswesens an. Als Mitglied des Rates zur Justizreform gäbe die OSZE Rechtsberatung zur Etablierung einer unabhängigen Justiz. Die Menschenrechts-Abteilung unterstütze die Reformbemühungen durch das Angebot von Trainings für Personen, die in der Justiz tätig sind. Insbesondere werde die Reform des Strafprozesses und Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption gefördert. Gleichzeitig werde die Einrichtung von Kriegsgerichten und deren Arbeit unterstützt. Die OSZE sei allerdings nicht Ansprechpartner im Falle konkreter Menschenrechtsverletzungen.

Die Mission biete daneben in enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR Unterstützung bei der Wiederaufnahme von Flüchtlingen, ebenso wie die Rückkehr von Binnenvertriebenen durch die OSZE begleitet würde. Insbesondere sei in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und dem Europarat die Einsetzung eines Ombudsmanns zum Schutze der Menschenrechte gefördert worden. Seine zukünftige Tätigkeit werde ebenfalls durch die OSZE überwacht, um so die Einhaltung der Menschenrechte in SerbienMontenegro nachhaltig zu sichern.

In Einzelgesprächen konnten Herr Dr. Hauer und Herr Schmidt-Gutzat darüber hinaus von ihren persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen in Serbien-Montenegro berichten.

05.10.2004: Belgrad

Der erste Termin des Tages fand mit Vertretern des Nationalrats der Roma und seinem Vorsitzenden, Herrn Vitomir Mihajolovic, der gleichzeitig Berater des Ministers für Menschen- und Minderheitenrechte ist, statt. Ein aus dem Kosovo vertriebener Angehöriger des Nationalrats der Roma und ein Mitarbeiter des Roma-Sekretariats im Ministerium für Menschen- und Minderheitsrechte nahmen ebenfalls an dem Gespräch teil. Der Nationalrat wurde gegründet, um den vielen Rückkehrern eine Vertretung zu bieten. Er steht unter der Aufsicht des Staates und mehrerer Internationaler Organisationen. Der Nationalrat der Roma ist der Vertreter der Roma bei Verhandlungen über die Rechte und Interessen der Roma sowohl im Ausland als auch innerhalb Serbiens.

Herr Mihajolovic begann das Gespräch mit einigen Hintergrundinformationen zur Geschichte und Kultur der Roma. Offiziell lebten zur Zeit 108 000 Roma in Serbien, wissenschaftliche Studien gingen jedoch von einer weit höheren Zahl von bis zu 700 000 aus. Vor den Nato-Angriffen hätten im Kosovo weitere 150 000 Roma gelebt. Nachdem die meisten nach Westeuropa und bis zu 50 000 Roma nach Serbien geflohen seien, lebten nun nur noch bis zu 10 000 Roma in kleineren Enklaven im Kosovo.

Die Roma-Flüchtlinge in Serbien hätten keine Unterkünfte gefunden, sodass die überwiegende Anzahl auch Jahre nach der Flucht noch in Notunterkünften bzw. in „wilden" Camps lebe. In Belgrad existierten bis zu 130 solcher Siedlungen mit bis zu 2000 Bewohnern.