Nicht wegsehen bei Kindesmisshandlungen
In Hamburg ist ein siebenjähriges Mädchen gestorben. Offenbar haben die Eltern das Kind vernachlässigt, bis es schließlich verhungert ist. Neben der Schuld der Eltern stellt sich die Frage, ob durch mehr Aufmerksamkeit und konsequenteres Handeln der Behörden der Tod hätte verhindert werden können.
In § 42 (1) des Hamburgischen Schulgesetzes heißt es: „Grundschülerinnen und Grundschüler sind von den Erziehungsberechtigten nach öffentlicher Bekanntmachung zu Beginn des der Einschulung vorangehenden Jahres in der regional zuständigen Grundschule vorzustellen. Dabei ist der geistige, seelische, körperliche und sprachliche Entwicklungsstand zu überprüfen..."
In § 34 (1) heißt es: „Soweit zur Vorbereitung einer Entscheidung nach diesem Gesetz im Einzelfall schulärztliche, schulpsychologische und sonderpädagogische Untersuchungen erforderlich werden, sind schulpflichtig werdende Kinder sowie Schülerinnen und Schüler verpflichtet, sich untersuchen zu lassen."
Ich frage daher den Senat:
1. Hat es die Vorstellung nach § 42 (1) gegeben?
a) Wenn ja, wann?
b) Wenn ja, wie wurde der Entwicklungstand nach § 42 beurteilt?
c) Wenn ja, hat es folgend eine schulärztliche Betreuung oder die Veranlassung von Hilfestellung gegeben?
d) Vor der Einschulung muss das Vorsorgeheft mit den Ergebnissen der bisherigen Vorsorgeuntersuchungen vorgelegt werden. Wenn die letzte regelmäßige Vorsorgeuntersuchung nicht stattgefunden hat, wird das Kind dem Amtsarzt vorgestellt. Ist dies passiert?
e) Wenn es keine Vorstellung gegeben hat, wann hätte die Vorstellung erfolgen müssen?
f) Wenn es keine Vorstellung gegeben hat, was wurde im Einzelnen unternommen, um die Eltern zur Vorstellung zu bewegen?
g) Wenn Eltern dieser gesetzlich vorgeschriebenen Vorstellung nicht nachkommen, wie wird dann in der Regel verfahren?
h) Gibt es für diesen Fall Fachliche Weisungen, Globalrichtlinien oder Ähnliches? Wenn ja, was ist dort geregelt?
Das mit Wirkung zum 01.08.2003 neu eingeführte Vorstellungsverfahren für viereinhalbjährige Kinder nach § 42 Abs. 1 HmbSG greift erstmalig für Kinder, die zum 01.08.2005 eingeschult werden. Das siebenjährige Mädchen war zum 01.08. einzuschulen.
In § 42 (2) SchuIG heißt es: „Grundschülerinnen und Grundschüler sind von den Erziehungsberechtigten nach öffentlicher Bekanntmachung in der regional zuständigen Grundschule anzumelden."
2. Welche staatliche Stelle reagiert in welcher Form, wenn Eltern diese Anmeldung nicht vornehmen?
3. Welche Erfahrungen sind in den letzten Jahren mit Eltern, die ihr Kind nicht an einer Grundschule anmelden bzw. einschulen, gemacht worden?
Die zuständige Grundschule lädt in geeigneter Form - ggf. auch mehrfach - die Erziehungsberechtigten zur Vorstellung des Kindes ein. In der Mehrzahl der Fälle melden die Erziehungsberechtigten nach einer Aufforderung durch die zuständige Schule ihr Kind an, häufig auch verspätet. Die übrigen Fälle meldet die Schule an die örtlich zuständige Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle (REBUS). Durch die Intervention von REBUS gelingt es in der Regel, die Vorstellung in der Schule zu erwirken.
4. Welche internen Vorschriften regeln das Verfahren staatlicher Dienststellen, wenn Eltern ihr Kind nicht an der Grundschule anmelden?
Die „Richtlinie für den Umgang mit Schulpflichtverletzungen" (im Folgenden: Richtlinie) vom 06.12.2000.
5. Wie wird die Schulpflicht in Hamburg durchgesetzt, wenn Eltern den Schulbesuch ihrer Kinder verweigern?
Nach der Richtlinie ist regelmäßiger Schulbesuch zunächst durch eine Beratung und Ermahnung der Eltern sicherzustellen. Diese Beratung obliegt der zuständigen Schule, bleibt die Schule erfolglos, der zuständigen REBUS. Falls die Gespräche keinen Erfolg gehabt haben, muss in geeigneten Fällen auch versucht werden, den Schulbesuch mit den Mitteln des Verwaltungszwanges oder durch die Verhängung eines Bußgeldes oder die Einleitung eines Strafverfahrens durchzusetzen.
6. Was muss eine Schulleitung tun, wenn ein Kind, das schulpflichtig ist, nicht eingeschult wird? Wie schnell muss die Schule reagieren?
7. Welche Behörde/Institution muss die Schule als nächsten Schritt einschalten?
Die Grundschulen sind verpflichtet, bereits vor dem Einschulungsdatum zu handeln.
Sie erhalten Datensätze schulpflichtig werdender Kinder von den Meldedienststellen zur Verfügung gestellt und laden die Erziehungsberechtigten zur Anmeldung ein. Erfolgt von diesen keine Rückmeldung, werden sie angemahnt. Bleibt dies ohne Erfolg, ergeht eine Meldung an die zuständige REBUS.
8. Wer muss wann das Jugendamt informieren?
Nach Ziffer 7 der Richtlinie haben die Schule, REBUS oder die Schulverwaltung, soweit sich in der Betreuung eines die Schulpflicht verletzenden Schulkindes oder Jugendlichen der Eindruck aufdrängt, es müsse aus Gründen des Kindeswohls in das Erziehungsrecht der Eltern eingegriffen werden, das örtliche Jugendamt einzuschalten, das nach § 50 KJHG zur Zusammenarbeit mit den Familiengerichten berufen ist.
9. Wie schnell handelt das Jugendamt, wenn es eine solche Information erhält? Gibt es Fristen, innerhalb derer gehandelt werden muss?
Eine Meldung nach der Richtlinie ist durch das zuständige Jugendamt regelmäßig als Hinweis auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls zu begreifen. Es hat unverzüglich zu handeln.
Bestimmte Fristen für einzelne Maßnahmen sind nicht vorgegeben. Sofern die vorliegenden Erkenntnisse dies erfordern, werden die nötigen Schritte noch am selben Tag unternommen.
10. Wie oft klingelt das Jugendamt an der Tür der Eltern, wenn diese nicht öffnen? Was wird dann als nächstes unternommen, was war in diesem Fall geplant?
Mit welchen Mitteln das Jugendamt Hinweisen auf eine Gefährdung des Kindeswohls nachgeht, ist abhängig von der Lage des Einzelfalls. Dazu gehörte neben Hausbesuchen auch das Einholen von Informationen bzw. der Versuch der Kontaktaufnahme über Nachbarn, Verwandte, Einrichtungen der Kindertagesbetreuung oder Schulen.
Gelingt es dem Jugendamt nicht, während der regulären Dienstzeiten Kontakt aufzunehmen, wird in den Abendstunden, nachts und an Wochenenden zusätzlich der Kinder- und Jugendnotdienst eingeschaltet.
Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Wohnung zur Beseitigung einer unmittelbaren Gefahr für das Kindeswohl gegen den Willen des Wohnungsinhabers betreten werden muss und Zwangsmittel einzusetzen sind oder das Betreten einer Wohnung ohne Eigengefährdung der Fachkräfte des Jugendamtes nicht möglich erscheint, wird die Polizei hinzugezogen.
In diesem Fall hat das zuständige Jugendamt mangels Information weder die Gefährdungssituation einschätzen noch Handlungsschritte planen können.
11. Wie wird regelhaft durch die Schulen auf Schulschwänzer reagiert, die längere Zeit nicht in der Schule gesehen wurden? Wann wird in diesen Fällen REBUS, das Jugendamt oder die Polizei eingesetzt?
Im Falle völligen Fortbleibens oder nur sporadischen Schulbesuchs soll ein Fall regelhaft nicht vor vier Wochen nach erster Beobachtung, muss aber spätestens sieben Wochen danach an REBUS abgegeben werden. In besonders schwierigen Einzelfällen sind die Jugendämter einzubeziehen. Die Verantwortung für einzuleitende Maßnahmen der Jugendhilfe obliegt den Jugendämtern. Eine Beteiligung der Polizei erfolgt im Rahmen der Amtshilfe in konkreten Einzelfällen.
12. Wird bei Kindern, die gar nicht erst zur Schule kommen, anders verfahren als bei Kindern, die länger in der Schule nicht gesehen wurden?
13. Wenn ja, was sind die Gründe?
14. Wenn ja, sieht der Senat hier Handlungsbedarf?
Nein. Die Bearbeitung dieser Fälle ist jedoch dadurch erschwert, dass nach dem Melderegister in Hamburg schulpflichtig werdende Kinder tatsächlich nicht in Hamburg wohnen und dass über die familiären Verhältnisse der schulpflichtig werdenden Kinder noch keine Erkenntnisse in den Schulen vorliegen.