Präventive Überwachung der Telekommunikation

Ich empfehle folgende Regelung:

In § 10 b PolDVG-E wird folgender Absatz 6 angefügt: „Die Absätze 1 bis 3 und 5 gelten entsprechend für den Fall, dass die Polizei Verkehrsdaten auf anderem Wege als der Einholung von Auskünften, insbesondere durch Sicherstellung und Auswertung von Datenträgern, erhebt."

Der Begriff „Datenträger" ist gemäß der Legaldefinition in § 4 Absatz 8 HmbDSG weit auszulegen (vgl. auch Simitis/Dammann, BDSG, 5. Aufl. 2003, § 3 Rdnr. 124). Elektronische Speichermedien fallen ebenso darunter wie Terminkalender, Kundenverzeichnisse, Rechnungen, Listen mit Telefon- bzw. Telefaxnummern, E-Mail-Ausdrucke in Papierform usw. Das Wort „insbesondere" verdeutlicht den nicht abschließenden Charakter der Fallgestaltungen in dem von mir vorgeschlagenen Absatz 6. Erfasst wird z. B. auch der Fall, dass die Polizei den Datenträger nicht sicherstellt, sondern die Verkehrsdaten durch Kopien oder Niederschriften festhält.

Eine entsprechende Anwendbarkeit des Absatzes 4 in § 10 b PolDVG-E ist ausgeschlossen, da diese Regelung speziell den Inhalt der Auskunftspflicht von Diensteanbietern sowie die Art und Weise der Erfüllung dieser Auskunftspflicht festlegt.

Ferner rege ich an, in § 10 c Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 PolDVG-E hinter der Angabe „§ 10 b Absatz 2" jeweils die Angabe „auch in Verbindung mit Absatz 6", einzufügen. Dies begründe ich wie folgt:

Der Zielsuchlauf, für den der Gesetzentwurf des Senats verschärfte materielle und verfahrensmäßige Schranken errichtet, zeichnet sich durch eine erhöhte Eingriffsintensität und Breitenwirkung aus. Er setzt nämlich nicht beim Anschluss des für eine Gefahr oder geplante Straftat polizeirechtlich Verantwortlichen an, sondern bei beliebigen anderen Teilnehmern der Telekommunikation, die eine Verbindung zu der Zielperson hergestellt haben könnten (vgl. zu § 100 g Absatz 2 StPO Welp, GA 2002, 535, 542 ff.). und bei denen es sich nach dem Wortlaut des § 10 b Absatz 2 PolDVGE keineswegs stets um Kontakt ­ oder Begleitpersonen (§ 1 Absatz 6 PolDVG) im Sinne der restriktiven, auf die kriminelle Verstrickung abhebenden Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht (NVwZ 2001, 1261, 1262) handeln muss. Eine vergleichbare Breitenwirkung tritt ein, wenn an die Stelle des maschinellen Abgleichs von Datensätzen mit der fraglichen Anschlussnummer (Zielwahlnummer) bei Diensteanbietern die Sicherstellung und Auswertung von Telefonlisten, Rechnungen, E-Mails usw. bei Dritten (z. B. Banken, Reisebüros, Kurierdiensten, Fluggesellschaften) tritt, von denen die Polizei annimmt, dass sie möglicherweise eine Verbindung zu einer Person hergestellt haben, die die Voraussetzungen des § 10 a Absatz 1 Satz 1 i. V. m. § 10 b Absatz 1 PolDVG-E erfüllt.

1. Die in den Gesetzentwürfen des Senats und der SPD-Fraktion vorgesehenen Eingriffe in das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses sind nicht neu.

Das Gesetz erlaubt sie bereits unter anderen Voraussetzungen und mit einem anderen Zweck. Die Überwachung der Telekommunikation, die Erhebung von Verbindungsdaten und der Einsatz des IMSI-Catchers werden bereits für die Aufklärung schwerer Straftaten und die Bestrafung gefährlicher Straftäter eingesetzt, unter strengen Voraussetzungen und mit mehrfachen Kontrollen im Strafverfahren (§§ 100 a, 100g, h, i StPO). Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation sind nur zulässig, wenn bestimmte Tatsachen bereits den Verdacht einer bestimmten, in einem Katalog aufgeführten Straftat begründen. Die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise muss aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder solche Personen richten, die für ihn als Nachrichtenmittler fungieren. Die Anordnung darf nur der Richter treffen, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft, deren Anordnung aber nach drei Tagen außer Kraft tritt, wenn sie nicht richterlich bestätigt wird. Wenn bestimmte Tatsachen den Tatverdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat oder dass er eine Straftat mittels einer telekommunikativen Endeinrichtung begangen hat, dürfen Verbindungsdaten erhoben werden. Eine Zielwahlsuche ist zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Anordnung steht grundsätzlich nur dem Richter zu, lediglich bei Gefahr im Verzug darf sie von der Staatsanwaltschaft, nicht aber von der Polizei, getroffen werden. Schließlich ist auch der Einsatz des IMSI-Catchers zulässig, um zur Vorbereitung einer Überwachung der Telekommunikation die Geräte- und Kartennummer festzustellen oder zur Ergreifung des Täters den Standort eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes zu ermitteln (§ 100 i StPO). Die Maßnahme darf nur ergriffen werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht einer im Katalog des § 100 a StPO aufgeführten Straftat begründen und die Durchführung der Überwachungsmaßnahme andernfalls nicht möglich oder wesentlich erschwert wäre. Die Standortbestimmung ist nur im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung und nur dann zulässig, wenn die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. Zuständig für die Anordnung ist grundsätzlich der Richter, nur bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft, nicht aber die Polizei.

2. Das ist aber nur ein kleiner Ausschnitt der möglichen Grundrechtseingriffe.

Daneben regeln das Bundesrecht und in immer mehr Bundesländern auch das Landesrecht die Überwachung der Telekommunikation, die Erhebung von Verbindungsdaten sowie den Einsatz des IMSI-Catchers unter unterschiedlichen Voraussetzungen zu unterschiedlichen Zwecken durch unterschiedliche Behörden. So erlaubt das G 10-Gesetz den Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendiensten die Überwachung der Telekommunikation, wenn tatsächliche

Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand bestimmte staatsgefährdende Straftaten plant, begeht oder begangen hat, sofern die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (§ 3 G 10-Gesetz). Der Bundesnachrichtendienst darf zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs, der Begehung internationaler terroristischer Anschläge, der internationalen Verbreitung von Kriegswaffen, der unbefugten Verbringung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der Beeinträchtigung der Geldwertstabilität im Euro-Währungsraum oder der international organisierten Geldwäsche rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen, internationale Telekommunikationsbeziehungen mit bestimmten Suchbegriffen auswerten (§ 5 G 10-Gesetz). Die gesammelten Daten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen an andere Dienste oder zur Verhinderung von Straftaten an die mit polizeilichen Aufgaben betrauten Behörden übermittelt werden. Sie dürfen auch zur Verfolgung von Straftaten an die zuständigen Behörden übermittelt werden (§ 7 G 10-Gesetz). Berechtigt zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes, die Verfassungsschutzbehörden der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst. Die Anordnung trifft nicht ein Gericht, sondern in der Regel das zuständige Ministerium. Die Ministerien sind verpflichtet, dem jeweiligen parlamentarischen Kontrollgremium über die Maßnahmen zu berichten. Die Befugnisse des Zollkriminalamtes mussten durch das Gesetz zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt vom 21.12.2004 (BGBl. I S. 3603) neu geregelt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes zur Überwachung des Postverkehrs und der Telekommunikation für mit Artikel 10 des Grundgesetzes unvereinbar erklärt hatte (Beschluss vom 03.03.2004 ­ 1 BvF 3/92 ­). Nunmehr darf das Zollkriminalamt nach richterlicher Anordnung durch das Landgericht die Telekommunikation überwachen und aufzeichnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen bestimmte Straftaten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder die Ausfuhr bestimmter gefährlicher Waffentechnologie vorbereiten. Die Daten dürfen zum Zwecke der Verhütung von Straftaten und zur Verfolgung von Straftaten verwendet werden, für die sie erhoben worden sind. Sie dürfen aber an die mit polizeilichen Aufgaben betrauten Behörden auch übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand bestimmte schwere Straftaten sonstiger Art begehen will oder begeht. Zur Verfolgung von Straftaten darf das Zollkriminalamt Daten übermitteln, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine der in dem Katalog des § 100 a StPO genannten Straftaten begangen hat. Außerdem ist dem Zollkriminalamt unter bestimmten Voraussetzungen die Weitergabe der erhobenen Daten an die Verfassungsschutzbehörden und den Militärischen Abschirmdienst erlaubt. Daneben gibt es in immer mehr Bundesländern die Befugnis der Polizei nach den Gefahrenabwehrgesetzen, entweder zur Abwehr von Gefahren oder zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, Verbindungsdaten zu erheben oder den IMSI-Catcher einzusetzen (vgl. §§ 33 bis 33 c Nds. SOG).

3. Die Erkenntnisse über Anzahl, Intensität und Wirkung derartiger Grundrechtseingriffe durch die Dienste, das Zollkriminalamt und die Polizeibehörden nach Landesrecht sind gering. Im krassen Unterschied dazu stehen im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung, der öffentlichen Diskussion, der Forschung und der politischen Bewertung die Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation im Strafverfahren nach den §§ 100 a, 100 b StPO. Das am 13.08.2003 vorgestellte Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg zeigt, dass die Telekommunikationsüberwachung ein unverzichtbares und effizientes Mittel zur Strafverfolgung ist, das von den Ermittlungsbehörden sensibel und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingesetzt wird. Die Anklagequote bei Verfahren, in denen die Telekommunikationsüberwachung eingesetzt wurde, liegt mit 58 % etwa doppelt so hoch wie im sonstigen Durchschnitt. Die Verurteilungsquote liegt sogar bei 94 %. Das Risiko, wegen einer falschen Prognose Unschuldige zu überwachen, ist also infolge der engen gesetzlichen Regelungen und ihrer Anwendung denkbar gering.