Vorsorge

Er verzichtet auf eine Befugnis zur Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikationsinhalten. Dies wird damit begründet, dass hierdurch Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis auf das wirklich zwingend erforderliche Maß begrenzt würden.

Tatsächlich ist die Regelung einer Geräte- und Standortermittlung beispielsweise für Vermissten- oder Suizidfälle dringend erforderlich. Zur Gefahrenabwehr ist darüber hinaus eine polizeiliche Befugnis zur Unterbrechung von Telekommunikationseinrichtungen mit technischen Mitteln unverzichtbar (vgl. hier zu bereits Schmidbauer in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz [1999], Artikel 11, RdNrn. 177 ff). Als praktische Anwendungsbeispiele sind hier etwa die Verwendung von Mobiltelefonen in Zusammenhang mit Zündmechanismen für Sprengstoffe oder Geisellagen, bei denen der Geiselnehmer mit Komplizen außerhalb des Tatortes kommuniziert, zu nennen.

Dementsprechend sieht auch der Entwurf des Senats die Unterbrechung von Kommunikationsverbindungen in § 10 a Absatz 3 PolDVG-E und die Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes in Artikel 10 b Absatz 3 Nr. 2

PolDVG-E vor.

2. Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung (§§ 10 a ff. bzw. 10 b PolDVG)

Im Hinblick auf die gegenwärtige Sicherheitslage in Europa, die zunehmende „Globalisierung" des (internationalen) Terrorismus und Erscheinungsformen grenzüberschreitend organisierter Kriminalität erscheint es zur Bekämpfung dieser Bedrohungen zusätzlich erforderlich, der Polizei mit der Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, welches im Bereich der Strafverfolgung bereits erfolgreich praktiziert wird.

Daher ist es nachhaltig zu begrüßen, dass der Senatsentwurf die Datenerhebung durch die Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation einschließlich der innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte, d. h. die präventive Telekommunikationsüberwachung, dann zulässt, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist, Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person besonders schwerwiegende Straftaten begehen wird und die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, sowie die Datenerhebung über Kontaktund Begleitpersonen, wenn die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre, zulässt.

Nicht zutreffend ist die Feststellung in der Entwurfsbegründung der SPD-Fraktion, wonach die repressive Telefonüberwachung nach § 100 a StPO schon jetzt das Abhören bei schweren Straftaten im Vorbereitungs- und Versuchsstadium erlaubt und somit die präventive Telefonüberwachung im Verbrechensvorbereitungsstadium nicht erforderlich sei. Es sind vielmehr Gefahrensituationen denkbar, die nicht zugleich strafprozessuale Befugnisse eröffnen, z. B. die Planung einer schwerwiegenden Straftat durch einen Einzeltäter, ohne dass bereits das Versuchsstadium erreicht wurde.

Zwar ist einzuräumen, dass im Einzelfall Überschneidungen strafprozessualer und präventiver Befugnisnormen grundsätzlich möglich sind; der Anwendungsbereich des § 10 a PolDVG-E nach dem Senatsentwurf ist allerdings weiter, zumal beispielsweise die „Verabredung" im Sinne von § 30 StGB nicht den Einzeltäter erfasst und die „Verabredung nach Ort, Zeit und Inhalt" hinreichend konkretisiert sein müsste. Die Prävention, d. h. die Gefahrenabwehr greift jedoch früher ein, sodass durch die vorgeschlagene Regelung auch im Vorfeld einer Verbrechensverabredung Gefahrenabwehr durch Telekommunikationsüberwachung möglich ist, wofür auch aus polizeifachlicher Sicht ein dringendes Bedürfnis besteht.

a. Gesetzgebungskompetenz Unproblematisch sind kompetenzielle Fragen der Bestimmungen des § 10 a ff.

PolDVG-E. Die Gesetzgebungskompetenz liegt nicht beim Bund, da Artikel 73 Nr. 7 GG nach herrschender Auffassung und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur die technische Seite des Übermittlungsvorgangs erfasst (BVerfGE 12,

205 [226 f.], Gusy, Präventiv-polizeiliche Telekommunikationsüberwachung, Die Polizei 2004, 61 [62]). Da es bei der präventiv-polizeilichen Telefonüberwachung allerdings nicht um das „Wie" der Telekommunikation geht, verbleibt es bei der allgemeinen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder nach Artikel 30, 70 Absatz 1 GG. Materiell-rechtlich ist für die in Frage stehende Befugnisnorm Artikel 10 Absatz 1 GG maßstäblich. Artikel 10 Absatz 1 GG begründet unter anderem ein Abwehrrecht gegen das Abhören, die Kenntnisnahme und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation, aber auch gegen die Erfassung ihrer Umstände (einschließlich Verbindungsdaten und konkreten Standort eines Telefons bzw. Handys), die Auswertung des Inhalts und die Verwendung gewonnener Daten (vgl. BVerfGE 100, 313 [358 ff.]; 106, 28 [37]; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, Az: 1 BvF 3/92, NJW 2004, 2213 ff., zit. nach www.bverfg.de/entscheidungen/fs20040303_1bvf000392.html [AbsatzNr. 1­180], Absatz-Nr. 104; Gusy in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 1,

4. Aufl. [1999], Artikel 10 Rdnrn. 20 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 3. März 2004 ausgeführt, dass der Gesetzgeber je nach der zu erfüllenden Aufgabe zur Rechtfertigung der Eingriffsvoraussetzungen und zu ihrer Umsetzung unterschiedliche Möglichkeiten vorfindet. Bei der polizeilichen Gefahrenabwehr könne er an eine Gefahr, also an Tatsachen, aus denen das Bevorstehen eines schädigenden Ereignisses abzuleiten ist, anknüpfen. Soweit der Gesetzgeber die Aufgabe verfolge, Straftaten zu verhüten oder Vorsorge für die Verfolgung zukünftig eventuell begangener Straftaten zu treffen, verlange der Bestimmtheitsgrundsatz, dass die jeweilige Ermächtigung handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthält, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist (BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, Az: 1 BvF 3/92, Absatz-Nr. 113).

Mit anderen Worten gestattet das Grundgesetz Eingriffe in die Telekommunikation ­ nach Maßgabe jeweils spezifischer weiterer Anforderungen ­ sowohl zum Zwecke der Gefahrenabwehr als auch zum Zwecke der Straftatenverhütung.

b. Schwerwiegende Straftaten

Im Senatsentwurf wird mit der Bestimmung des § 10 a Absatz 2 PolDVG-E nunmehr eine Differenzierung zwischen schwerwiegenden Straftaten (§ 10 a Absatz 2 PolDVGE) und Straftaten von erheblicher Bedeutung (§ 1 Absatz 4 PolDVG-E) vorgenommen, wobei die schwerwiegenden Straftaten, zu deren Verhinderung Grundrechtseingriffe in Artikel 10 Absatz 1 GG zulässig sind, abschließend aufgezählt werden.

Wie in der Begründung des Senatsentwurfs zutreffend ausgeführt ist, trägt die enumerative und abschließende Aufzählung der Straftaten dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 Rechnung, zumal das Bundesverfassungsgericht dort den Anforderungen an die Normenbestimmtheit und Normenklarheit der Ermächtigungen zum Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 10 Absatz 1 GG besonders hohes Gewicht beigemessen hat. Der Straftatenkatalog ist im Wesentlichen an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zur repressiven Wohnraumüberwachung angelehnt, ohne jedoch ausschließlich auf das dort genannte Strafmaß abzustellen. Dies ist insofern richtig, als grundsätzlich darauf hinzuweisen ist, dass die vom Bundesverfassungsgericht für die repressive Wohnraumüberwachung aufgestellten Anforderungen hinsichtlich des Strafrahmens schon nicht auf eine präventive Wohnraumüberwachung übertragen werden könnten. Dies folgt ohne Weiteres und unmittelbar aus dem Verfassungstext, da Artikel 13 Absatz 3 GG den Verdacht voraussetzt, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, während der für die präventive Wohnraumüberwachung maßstäbliche Artikel 13 Absatz 4 GG lediglich auf das Vorliegen „dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit" abstellt. Umso weniger ist es zwingend, den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Straftatenkatalog auf Eingriffe in das Grundrecht des Artikel 10 Absatz 1 GG zu übertragen. Einerseits enthält Artikel 10 GG keine dem Artikel 13 Absatz 3 GG entsprechende einengende Eingriffsvoraussetzung; hinzu kommt, dass ein Eingriff in Artikel 10 Absatz 1 GG ­ trotz eines gegebenenfalls gewandelten Kommunikationsverhaltens überwiegender Teile der Bevölkerung ­ regelmäßig von seiner Wertigkeit her unterhalb eines Eingriffs in die Wohnungsfreiheit liegt und somit nicht denselben hohen Rechtfertigungsanforderungen ausgesetzt ist.

Danben ist es schon allein aus kompetenzrechtlichen Gründen dem Landesgesetzgeber nicht verwehrt, im Rahmen der Beurteilung des Gefahrengrades für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ohne Zweifel einen Eingriff in Artikel 10 Absatz 1 GG grundsätzlich zu rechtfertigen vermag, andere Maßstäbe anzulegen als der Bundesgesetzgeber im Hinblick auf die Strafwürdigkeit. Damit ist es keinesfalls erforderlich, dass sich der Landesgesetzgeber an einem bestimmten Strafrahmen des Bundesgesetzgebers orientiert und somit Straftaten beispielsweise mit einem oberen Strafrahmen von fünf Jahren oder darunter aus dem Straftatenkatalog des § 10 a Absatz 2 PolDVG-E zu streichen wären.

Aus polizeifachlicher Sicht wäre es hingegen notwendig, noch weitere Straftatbestände in den Katalog aufzunehmen. Hier ist beispielsweise an die Verbreitung kinderpornografischer Schriften nach § 184 b StGB zu denken. Zur effektiven Bekämpfung dieses die Menschenwürde der Opfer negierenden Delikts ist es dringend erforderlich, das Instrument der Telekommunikationsüberwachung zuzulassen.

Daneben ist zu wünschen, dass der Tatbestand der Ausbeutung von Prostituierten gem. § 180 a StGB, alle Formen der Zuhälterei gem. § 181 a StGB sowie sämtliche Delikte im Bereich des Menschenhandels gem. §§ 232 bis 233 b StGB als schwerwiegende Straftaten qualifiziert werden. Zur effektiven Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Frauen, die auch und gerade nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes weiterhin ein ernstzunehmendes Problem darstellt, ist die Telekommunikationsüberwachung notwendig. Entscheidend ist hier die Situation und die Schutzbedürftigkeit der Opfer. Deren menschenwürdewidriger Zwangslage muss begegnet werden können, ohne dass es hierfür im einzelnen auf die den Strafrahmen bestimmende Begehungsweise des Delikts ankommt.

Der Polizei muss die Überwachung der Telekommunikation in Bereichen ermöglicht werden, in denen Tätergruppierungen unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln erfahrungsgemäß professionell arbeitsteilig und bzw. oder stark abgeschottet zusammenwirken.

c. Erhebungsverbot

In § 10 a Absatz 1 Satz 3 PolDVG-E (Senatsentwurf) ist geregelt, dass Datenerhebungen unzulässig sind, wenn in ein durch Berufsgeheimnis geschütztes Vertrauens-verhältnis im Sinne der §§ 53 und 53 StPO eingegriffen wird. Grundsätzlich ist der besondere Schutz dieser Personengruppe verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Schon gar nicht ist eine Erstreckung der Regelung nicht nur auf die Berufsgeheimnisträger gem. § 53 StPO sondern sogar auf die Berufshelfer gemäß § 53 a StPO notwendig.

Unter dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr ist auch hier nicht einzusehen, warum von vorneherein dem Bestehen des Vertrauensverhältnisses gegenüber der Abwehr konkreter Gefahren der Vorrang uneingeschränkt eingeräumt wird. Es wird vielmehr die Auffassung vertreten, dass beispielsweise einem Gespräch über die zukünftige Begehung von schwerwiegenden Straftaten keine die Wahrung der Menschenwürde sichernde Funktion zukommt.

d. Löschungsgebote Kritisch zu würdigen ist, dass § 10 c Absatz 5 PolDVG-E (Senatsentwurf) bestimmt, dass Daten, die einem Vertrauensverhältnis zwischen engsten Familienangehörigen oder in gleicher Weise engsten Vertrauten zuzuordnen sind oder keinen unmittelbaren Bezug zu den in § 10 a Absatz 1 PolDVG-E genannten Gefahren oder Straftaten haben, unverzüglich zu löschen sind, es sei denn, ihre Verwendung ist zur Verhütung einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich, sowie, dass Daten, bei denen sich nach der Auswertung herausstellt, dass sie einem Vertrauensverhältnis mit Berufsgeheimnisträgern zuzuordnen sind, unverzüglich zu löschen sind.

Diese Löschungsgebote sind sehr weitgehend. Die Zuordnung von Daten zum Kernbereich kann beispielsweise dann nicht sicher gelingen, wenn im Gespräch Chiffren verwendet werden (Gespräch über Kinder als Code für bestimmte Anschlagsziele).

Die Relevanz von Gesprächsinhalten kann sich unter Umständen erst nach längeren und umfassenden Aufklärungsmaßnahmen ergeben.