Bremen auf dem Weg zur Bürgerstadt

Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt:

1. Wie bewertet der Senat die Aussagen des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagements (BBE) in dessen Diskussionspapier Zukunftstrends der Bürgergesellschaft von Oktober 2007 hinsichtlich

- der Auswirkungen von Zukunftstrends unserer Gesellschaft auf Arbeitsmarkt- und Kommunalentwicklung, den demografischen Wandel, das soziale Miteinander sowie die Veränderung individueller Lebensstile,

- der Voraussetzungen für gemeinwohlorientierte, freiwillige Tätigkeiten, damit Menschen ermutigt werden, sich für das Gemeinwesen zu engagieren,

- des Gewinns, den die Kommune durch Investitionen in die Zukunft des Gemeinwesens hat,

- des Vorschlags des BBE Formen zur Kooperation von Bürgergesellschaft, politischen Mandatsträgern und Verwaltung im Sinne einer Kompetenzpartnerschaft zu entwickeln und zu fördern?

Der Senat bewertet die Aussagen des Diskussionspapiers Zukunftstrends der Bürgergesellschaft des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement (BBE) vom Oktober 2007 grundsätzlich positiv.

Das BBE ist als logische Konsequenz der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements entstanden.

In Anknüpfung an die Ergebnisse der Enquetekommission konnte die Randstellung, die die Ehrenamtsförderung innehatte, auch durch die Aktivitäten des BBE deutlich verändert und positiv korrigiert werden.

Das Bundesnetzwerk beschreibt in seinem Thesenpapier vom Oktober 2007 zutreffend auf Basis der Erkenntnisse der Enquetekommission die Möglichkeiten und Chancen der Bürgergesellschaft.

Bürgerschaftliches Engagement ist zwar eine freiwillige, gemeinwohlorientierte Tätigkeit, aber für die Kommunen nicht gratis. Sie bedarf vielmehr einer angemessenen Infrastruktur und einer Anerkennungskultur, die das Engagement und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Gemeinwesen ermutigt und bestärkt. Der Gewinn, den die öffentliche Hand mit einer solchen Investition in die Zukunft des Gemeinwesens erzielt, wird den getätigten Kapitaleinsatz allerdings um ein Vielfaches überschreiten. So lautet das Fazit des Diskussionspapiers des Bundesnetzwerkes BBE zu den Zukunftstrends der Bürgergesellschaft (siehe auch unter www.b-b-e.de).

Zu den Kernbegriffen des Papiers und zum Diskussionsstand in Bremen:

· Zukunftstrends der Gesellschaft

Auch in Zukunft werden immer mehr kommunale Handlungsfelder auf die Unterstützung der Stadtgesellschaft angewiesen sein. Der demografische Wandel stellt die Kommunen vor die Aufgabe, attraktiv für junge Familien und Jüngere zu werden. Bürgerschaftliches Engagement in einer lebendigen Stadtgemeinschaft ist ein Standortfaktor.

· Voraussetzungen für gemeinwohlorientierte Tätigkeiten Bürgerschaftliches Engagement ist nicht der Ausfallbürge des Sozialstaates, es ist nicht zum Nulltarif zu haben. Investitionen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement sind sinnvoll, um die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger sich zu beteiligen und einzubringen zu wecken und zu unterstützen.

· Gewinn

Die finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen werden immer enger. An dieser Stelle wird in Zukunft dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger eine besondere Rolle zukommen. Der Betrieb von Bibliotheken, Kultur- und Bürgerhäusern wird auch heute schon in Bremen auch durch engagierte Bremerinnen und Bremer aufrechterhalten.

· Kompetenzpartnerschaft

Nur im Zusammenspiel mit Politik und Administration können die strukturellen Säulen zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements gefördert werden. Vielfalt, Kontinuität und Kooperation sind die Schlüsselbegriffe der Vernetzung vor Ort.

Bremen gehörte zu den ersten Mitgliedern des bundesweiten Netzwerkes Bürgerschaftliches Engagement (BBE). Seit Anbeginn arbeitet Bremen in der AG 4

Perspektiven der Bürger(innen)gesellschaft mit und organisierte und gestaltete in diesem Frühjahr in Hannover die Fachtagung Mitmachen ­ Mitgestalten

­ Mitentscheiden verantwortlich mit.

Seit der Preisverleihung im Wettbewerb Civitas ­ bürgerorientierte Kommunen durch die Bertelsmann Stiftung im Oktober 1999 hat Bremen die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements weiter vorangetrieben. Die Gründung der Bürgerstiftung Bremen, die Förderung der Freiwilligenagentur Bremen, die Etablierung von Freiwilligentagen, der Day of Caring bis hin zu der Einrichtung des Ausschusses Bürgerbeteiligung und Beiratsangelegenheiten der Bremischen Bürgerschaft sind nur einige Bausteine hin zu einer gelebten Bürgerbeteiligung in der bremischen Stadtgesellschaft.

Bürgerengagement in der Kommune ist mehr als das alte Ehrenamt, es ist mehr als Freiwilligenarbeit oder Engagement als allgemeiner Begriff. Es ein Synonym für eine neue Form des Gemeinsam für unsere Stadt, für eine neue Kultur des Miteinanderumgehens und -arbeitens. Es geht auch um Selbstverwirklichung und soziales Lernen aller Akteure voneinander und eine Kooperation auf Augenhöhe zwischen Staat, zivilgesellschaftlichen Akteuren und engagementfördernden Unternehmen.

Bürgerinnen und Bürger müssen nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch konsequent im Montags-Alltagshandeln ernst genommen werden (Prof. Klaus Selle). Hier sind alle Ressourcen des Engagements bei allen Beteiligten zu wecken, zu fördern und zu unterstützen. Von der Ausnahme zur Regel, so lautet der Untertitel der Arbeitsgruppe Bürgerorientierte Kommunikation, die der VHW (Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung e. V., Berlin) gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen ins Leben gerufen hat. Seit ihrer Gründung arbeitet das Ressort Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in dieser bundesweiten Arbeitsgruppe mit. Viele der Erkenntnisse wurden in Bremen im Rahmen der Vortragsreihe bürgerschaftliches Engagement bzw. in Fachtagen in Bremen vorgestellt.

Auf dem langen Weg vom Einzelfall zum normalen Alltagshandeln sind auch weiterhin Positivbeispiele von großer Bedeutung. Die große Herausforderung besteht weiterhin darin, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie das Handeln einer ganzen Kommune bürgerorientiert umgestaltet werden kann. Ist doch das Interesse an offenen, dialogorientierten Prozessen (auch bundesweit) zu wenig ausgeprägt. Vorbehalte, Vorurteile und Widerstände erweisen sich häufig als sehr zäh. Teile der Verwaltungen werden von den positiven Erfahrungen, die mit und in Teilhabeprozessen gewonnen werden, nicht erreicht.

Bürgerschaftliches Engagement entwickelt sich dann am besten, wenn die individuelle Absicherung der Menschen, die sich beteiligen wollen, gewährleistet ist. Angesichts anhaltender Langzeitarbeitslosigkeit muss insbesondere auf kommunaler Ebene jede Chance genutzt werden, einfache Zugänge zu bürgerschaftlichem Engagement zu schaffen. Bereits jetzt beruhen viele lokale Netzwerke und Projekte zur Beschäftigungsförderung wesentlich auf bürgerschaftlichem Engagement.

2. Welche Sachverhalte oder Planungsgegenstände, die sich für gezielte Anregungen bürgerschaftlichen Engagements eignen könnten, sind bisher von der 2005 gebildeten ressortübergreifenden Arbeitsgruppe identifiziert worden?

Das Interesse der Arbeitsgruppe galt insbesondere den Gestaltungsfeldern im Bereich der Bildung und Erziehung hin zum Engagement. Je früher Kinder und Jugendliche an Engagement herangeführt werden, desto größer ist die Chance, dass diese sich Zeit ihres Lebens engagieren und aktiv das Stadtleben in ihrem direkten Umfeld mitgestalten werden.

Vor diesem Hintergrund ist das vom Bundesfamilienministerium geförderte Modellprojekt Große für Kleine ­ Bürgerengagement in Kindertagesstätten einzuordnen, das 2005 und 2006 in Bremen, Halle und Nürnberg durchgeführt wurde. Am Beispiel der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung wurde in dem Projekt Große für Kleine verdeutlicht, wie neue, gemischte Arrangements von Teams und Aufgabenstrukturen aussehen können, wenn Ehrenamtliche/Freiwillige bewusst in das professionelle Handeln im Alltagsbetrieb der Einrichtungen einbezogen werden. Als nächster Schritt wäre eine notwendige Konsequenz auch hier in Bremen die Übertragung der Erkenntnisse dieses Modellprojektes in die Fläche.

Das Projekt Szenewechsel als gemeinsames Projekt des Runden Tisches Ehrenamt im Sozialbereich (Wohlfahrtsverbände und andere engagementfördernde Institutionen) und der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales sowie der Senatorin für Bildung und Wissenschaft hat zum Ziel, gesellschaftliches Engagement von Jugendlichen fest im Schulalltag zu verankern und mit dem Unterricht zu verbinden. Die Erfahrungen, die die Schülerinnen und Schüler beim Engagement für Andere machen, können dann im Unterricht aufgegriffen, reflektiert und mit Unterrichtsthemen verknüpft werden.

In Politik und Öffentlichkeit wird bürgerschaftliches Engagement von Migrantinnen und Migranten heute verstärkt wahrgenommen und gefördert. Denn Kompetenzen und Potenziale von Engagierten können sich nur entfalten und weiterentwickeln, wenn sie auch unterstützt und gefördert werden.

Migrantinnen und Migranten sind in Bremen seit langem und in vielfältiger Weise engagiert: in Kultur- und Sportvereinen, in Integrations- und Ausländerbeiräten, in sozialen Initiativen und Selbsthilfegruppen, in Nachbarschaften und Communities. Sie organisieren Kultur- und Informationsveranstaltungen, bieten Hausaufgabenhilfe und Sprachkurse, beraten Migrantinnen und Migranten und engagieren sich in Gesellschaft und Politik.

Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten sind ein bedeutender zivilgesellschaftlicher Faktor. Gemeinsam ist vielen der in Bremen geförderten Aktivitäten die Zielsetzung, das Miteinander von einheimischer und zugewanderter Bevölkerung zu fördern.

Die im Rahmen der Selbsthilfeförderung aus Mitteln der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales unterstützten Projekte finden in der Regel vor Ort im Wohnumfeld der Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt und sind nationalitätenübergreifend und interkulturell. Daneben gibt es herkunftshomogene Aktivitäten (z. B. im Bereich muttersprachlicher oder folkloristischer Angebote). Themenorientierte oder beratende Inhalte werden angeboten in den Bereichen Sozial- und Ausländerrecht, Arbeit und Bildung, Kultur, Religion, Sport, Familie und Gesundheit. Zielgruppenorientierte Angebote richten sich z. B. an Seniorinnen und Senioren, Frauen, Mädchen, Jugendliche oder an Flüchtlinge.

Die Bandbreite der Aktivitäten ist vielfältig, sie verändert sich ständig und reagiert auf jeweilige Bedarfslagen. So sind z. B. Projekte im Bereich der Sprachförderung seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes mit seinem Angebot an Sprach- und Integrationskursen weitgehend entfallen.