Verbindliche Standards (Pflichtenheft) zur Installation und zum Einsatz von Videoüberwachung an öffentlichen Orten in Hamburg

Im Rahmen der Novellierung des Hamburgischen Polizeirechtes hat die Hamburger Polizei in § 8 PolDVG eine allgemein gefasste Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte erhalten, deren Anwendung nicht transparent ist und keinerlei Einschränkungen unterliegt. Sowohl die Debatte um das neue Hamburger Polizeirecht als auch die öffentliche und die wissenschaftliche Debatte um Videoüberwachung sind geprägt von dem Spannungsfeld zwischen dem Eingriff in die Grundrechte der Privatheit und der damit verbundenen Einschränkung persönlicher Freiheiten einerseits und den gesellschaftlichen Sicherheitsinteressen andererseits.

Die Wirkungen der Videoüberwachung sind in dieser Debatte strittig. Eine praktische Annäherung liegt aber darin, die Einschränkungen für die Betroffenen Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich zu halten.

Die Einhaltung und Kontrolle dieser Zielsetzung wird jedoch vor den bereits jetzt zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten der Überwachungssysteme zunehmend schwieriger. Dazu gehören ­die Übermittlung von Videobildern in zentrale Kontrollzentren,

­ die immer höhere Auflösung des Videomaterials und leistungsfähige Zoomfunktionen,

­ die Verbindung von Bild und Ton, ­die Vergrößerung des Blickfeldes auf 360°, ­die Verbindung von Videobildern mit Datenbanken zur automatischen Identifizierung von gefilmten Personen,

­ die automatische Erkennbarkeit von „abweichenden Verhalten".

Die Bürgerschaft hat deshalb die Aufgabe, der mehrheitlich beschlossenen Einführung und dem Einsatz von Videoüberwachung an öffentlichen und allgemein zugänglichen Orten feste Regeln und Auflagen aufzugeben, die einen verbindlichen Standard bilden. Dieses Pflichtenheft soll den Verantwortlichen wie den Bürgerinnen und Bürgern zur Sicherheit des Umgangs mit der Technologie dienen, die Transparenz des Verfahrens herstellen und die Durchführung der einzelnen Schritte zur Installation von Videoüberwachungsanlagen regeln.

Die Bürgerschaft fordert deshalb den Senat auf, Regeln und Auflagen für Installation, Betrieb und Evaluation von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum (sog. Pflichtenheft) zu erstellen und diese öffentlich zu machen.

Die folgenden Kriterien sind dabei mindestens zu beachten:

Zur Begründung einer VÜ:

· VÜ dürfen nur zur Sicherung von Beweisen zur Überführung der Täterschaft bei Straftaten eingesetzt werden.

· Problemlage, Ziele und Zweck von VÜ müssen für jeden potentiellen Aufstellungsort genau und empirisch nachmessbar definiert werden. Sie sind schriftlich festzulegen.

· Die empirischen Grundlagen, mit denen ein Bedarf an VÜ geltend gemacht wird, werden offen gelegt werden und müssen objektiv überprüfbar sein.

· Alle Alternativen die an den Orten definierten Probleme zu lösen, sollten bei den Überlegungen VÜ zu installieren gleichrangig mit einbezogen werden. Dabei sind Kosten-Nutzen-Analyse für jeden einzelnen Standort zu machen.

· Videoüberwachung ist nur dann zulässig, wenn andere Methoden mit ähnlichem Aufwand, aber mit weniger Eingriffen in die persönliche Freiheit, nicht zum Erfolg führten. Das heißt, dass VÜ immer als nachrangige Methode angesehen wird.

· VÜ-Maßnahmen sind zeitlich beschränkt auf in der Regel zwei Jahre. Der weitere Betrieb der VÜ ist von einer erneuten Prüfung abhängig.

· Die ursprünglichen Gründe müssen anhand einer Überprüfung nach Ablauf der Frist evaluiert werden. VÜ-Projekte sollen umfassend Auskunft geben über die Auswirkung und Effizienz der Videoüberwachung unter den unterschiedlichen Bedingungen im öffentlichen Raum.

· Zu den unterschiedlichen Bedingungen gehören: ­Wirkung in verschiedenen Stadtteilen (Innenstadt, nachtaktive Viertel, vornehmlich Wohngebiete).

­ Wirkung auf die Einschränkung der unbeobachteten Bewegungsfreiheit von Anwohnern und sonstigen Bürgern.

­ Erreichen der vorher schriftlich festgelegten Ziele.

­ Bei Abweichung oder Nicht-Erreichen der Ziele sind die Maßnahmen anzupassen oder abzuschaffen und Alternativen erneut zu prüfen.

· Eine Verlängerung im Erfolgsfall erfolgt nicht automatisch, sondern muss nach dem gleichen Kriterienkatalog beantragt und bewilligt werden.

· Für jede im Betrieb befindliche Anlage muss ein jährlicher, öffentlicher Bericht seitens der Betreiber angefertigt werden, der Auskunft über die Wirksamkeit der Anlage gibt.

Zur demokratischen Kontrolle:

· Die parlamentarische Kontrolle der tatsächlichen Videoüberwachungsmaßnahmen obliegt dem Innenausschuss der Bürgerschaft.

· Es wird ein unabhängiger Beirat Videoüberwachung eingesetzt, der jederzeit die Einhaltung der definierten Pflichten abfragen kann und die Entscheidung über Erstinstallation und Fortführung der VÜ mit Stellungnahmen an den Innenausschuss der Bürgerschaft begleitet. Dem Beirat VÜ sind alle einschlägigen Unterlagen und Materialien zugänglich zu machen.

· Der Beirat Videoüberwachung arbeitet ehrenamtlich.

· Der Datenschutzbeauftragte ist zu beteiligen.

· Obligatorisch werden Bürger/-innen (Anwohner/-innen/Besucher/-innen) an den Orten, wo Videoüberwachung vorgesehen ist, beteiligt

· Die Ziele und Auswahlkriterien jedes VÜ-Projektes müssen öffentlich zugänglich gemacht werden und jederzeit einsehbar sein (z. B. Internet).

Zur Evaluation:

· Eine Evaluation kann nur erfolgreich sein, wenn ihre Ziele klar und transparent formuliert sind und Einverständnis darüber hergestellt wird, was untersucht werden soll.

Die Evaluationsziele leiten sich aus der beantragten Zielsetzung der VÜ ab.

· Evaluation muss durch kompetente, unabhängige Personen oder Einrichtungen erfolgen.

· Eine Überprüfung der Maßnahmen darf sich nicht nur auf einen Abgleich der Lagebilder und auf Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) beschränken. Sie sollte durch Befragungen der Betroffenen (Anwohner/-innen/Besucher/-innen) regelmäßig ergänzt werden.

· Die Konsequenzen einer Evaluation sollten bereits im Vorweg formuliert werden.

Sollte eine Evaluierung einen Erfolg der VÜ ergeben, dann hieße das auch, über die Art und Weise der Fortführung nachzudenken. Gleichzeitig sind weitere Erfolgsfaktoren zu prüfen. Alternativen zur Videoüberwachung dürfen nicht durch einen vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolg außer Acht gelassen werden.

Das gleiche gilt für einen Misserfolg.

Zur Bewilligung:

· Die Begründung (wie oben formuliert)

· Die Art der Aufzeichnung/Verbindungen zu Personal bzw. Zentralen

· Die notwendige Speicherfrist der erhobenen Daten

· Die Anzahl der Kameras und Bildschirme

· Die technischen Details (Hersteller, Lebensdauer, Betriebskosten etc.)

· Die verantwortliche(n) Person(en)/Ansprechperson(en)

· Bei Verlängerung der Bewilligung: bisherige Sicherheitserfolge gemäß den gesetzten Zielen, insbesondere die Anzahl der einem Strafverfahren zugeführten Täterschaft

· Allen Überlegungen für eine Videoüberwachung muss eine Kosten-NutzenRechnung voraus gehen. Das bedeutet, den sachlichen und personellen Aufwand des Systems ins Verhältnis zu den Zielen zu setzen, um zu überprüfen, ob VÜ tatsächlich das richtige Mittel für die anvisierten Ziele ist.

Zum Betrieb (Code of Practice):

· Die Dauer der Bildspeicherung darf 24 Stunden nicht übersteigen. Zur Verwendung gespeicherter Daten im Rahmen von Straf- und Ermittlungsverfahren sind konkrete Verfahren zu beschreiben.

· Die Aufzeichnungen dürfen keinesfalls zur Kontrolle von Arbeitstätigkeit, Arbeitszeit oder Arbeitsleistung verwendet werden.

· Die berechtigten Personen müssen schriftlich festgelegt, ihre Verantwortlichkeiten klar geregelt und allen Mitarbeiter/-innen bekannt sein. Das gilt ­für die Anlage,

­ für die Auswertung der Daten, ­für die Weitergabe von Daten/Bildern,

­ für die Einhaltung dieser Richtlinie.

· Auf Existenz und Umfang der Überwachung durch VÜ-Anlagen muss die Bevölkerung in gut sichtbarer Form und mit einheitlichen Hinweisen/Symbolen aufmerksam gemacht werden.