Mitwirkung der Jugendämter in strittigen Sorgerechtsfällen und anderen gesetzlich begründeten Aufgaben

In der überwiegenden Zahl der Scheidungsfälle einigen sich die Eltern darauf, das Sorgerecht gemeinsam ausüben zu wollen, entsprechend gibt das Jugendamt hier keine Stellungnahme an das Familiengericht ab. Wird von einer Seite das alleinige Sorgerecht beantragt, überweist das Familiengericht den Schriftsatz ­ der die Begründung enthält, warum das alleinige Sorgerecht beantragt wird, sowie die Position der Gegenseite ­ an das Jugendamt und bittet um Stellungnahme nach § 50 SGB VIII (bezogen auf § 49a FGG).

In der öffentlichen Anhörung im Sonderausschuss „Vernachlässigte Kinder" vom 19. August 2005 und in einer schriftlichen Stellungnahme an den Sonderausschuss wird der Vorwurf erhoben, dass Hamburger Jugendämter in solchen strittigen Fällen vorgefertigte Briefe versendet hätten, in denen das Jugendamt mitteilt, dass es aus einem Kapazitätsnotstand heraus nicht sagen kann, ob und wann es sich mit diesem Sorgerechtsproblem befassen kann, und deshalb darum bittet, von weiteren Nachfragen erst einmal abzusehen.

Auch würden gesetzliche Aufgaben der Beratung und Unterstützung der Eltern bei Sorgerechts- und Umgangsproblemen (§ 18 SGB VIII) zunehmend vom Jugendamt nicht mehr wahrgenommen; in der anwaltlichen Praxis würde die Empfehlung, vor der Anrufung des Familiengerichts Beratung und Vermittlung beim Jugendamt in Anspruch zu nehmen, regelmäßig scheitern.

Es gibt aus den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) selbst Hinweise, dass inzwischen wesentliche Arbeitsschwerpunkte wie Trennungs- und Scheidungsberatung, Beteiligung an Sorgerechtsverfahren, Pflegeelternüberprüfungen, Regelungen von Besuchskontakten und Elternarbeit, wegen Arbeitsüberlastung unbearbeitet bleiben müssen.

In der Schriftlichen Kleinen Anfrage der SPD-Abgeordneten Britta Ernst (Drs. 18/3138) schildert der Senat, dass die Stellungnahmen der Jugendämter in strittigen Sorgerechtsfällen nach Dringlichkeit bearbeitet würden. Das Ausmaß der nicht mehr zu leistenden Arbeit der Jugendämter in diesen Fällen könne wegen fehlender statistischer Daten nicht erfasst werden.

Um den gesetzlichen Auftrag der Allgemeinen Sozialen Dienste sicher zu stellen, ist es notwendig, genau zu wissen, welche Arbeiten in welchem Umfang von Jugendamt (ASD) wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr erledigt werden können, insbesondere, wenn es sich dabei um gesetzlich begründete Aufgaben handelt.

Aus diesem Anlass fragen wir den Senat:

Die zur Beantwortung der Fragen 1. und 2. erforderlichen Daten werden nur in den Bezirksämtern Altona und Bergedorf statistisch erfasst, die zur Beantwortung der Fragen 4.1 bis 6. erforderlichen Daten nur im Bezirksamt Altona. In den anderen Bezirksämtern können diese Angaben in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht ermittelt werden.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:

1. Wie oft wurden die bezirklichen Jugendämter/die bezirklichen Allgemeinen Sozialen Dienste in 2004 und 2005 in strittigen Scheidungsfällen vom Familiengericht nach § 50 SGB VIII um Stellungnahme gebeten? (Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

2. In wie vielen Fällen erfolgte eine Stellungnahme nach § 50 SGB VIII?

Wie lange sollte es dauern, bis die Jugendämter/der ASD antworten?

(Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

Hierzu gibt es weder eine generelle noch eine nach Jugendämtern differenzierte Vorgabe. Grundsätzlich ist es wünschenswert, Stellungnahmen gegenüber dem Familiengericht so zügig abzugeben, dass aus der Bearbeitungszeit beim Jugendamt keine Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens resultiert. Welche Bearbeitungszeit hierfür angemessen ist, beurteilt sich, bezogen auf die Stellungnahme selbst, nach der Komplexität des jeweiligen Falles und, bezogen auf die Arbeitssituation des ASD, nach einer Dringlichkeitsabwägung im Verhältnis zu anderen Aufgaben.

Im Übrigen werden die Vorgaben nach Ziffer 6.6 der Geschäftsordnung für die Bezirksämter beachtet, wonach ein Zwischenbescheid zu erteilen ist, wenn sich ersehen lässt, dass die abschließende Bearbeitung länger als vier Wochen nach Eingang dauern wird.

Setzen die Gerichte i. d. R. Fristen für diese Stellungnahmen? Wenn ja, welche?

Nein, Jugendämter sind Verfahrensbeteiligte aus eigenem Recht und unterliegen nicht der Verfügungsgewalt des Gerichts. Die Gerichte können allerdings die Jugendämter bitten, ihre Stellungnahme innerhalb einer definierten Frist abzugeben. Diese richtet sich nach dem jeweiligen Verfahrensstand des Gerichtsprozesses und bezieht sich auf Fragestellungen zu bestimmten Aspekten bzw. Ereignissen im laufenden Verfahren.

Wie lange dauert es faktisch, bis die Jugendämter/der ASD in den Bezirken den Familiengerichten antworten ­

a) durchschnittlich?

b) minimal?

c) maximal?

(Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

Handelt es sich dabei um qualifizierte Stellungnahmen oder um die Mitteilung, dass die Bearbeitung nicht zeitnah erfolgen kann?

Die Bearbeitungszeit im Bezirksamt Altona beträgt zwischen einer und zehn Wochen.

Im Durchschnitt liegt sie bei etwa zwei Wochen. Diese Zeitangaben beziehen sich grundsätzlich auf qualifizierte Stellungnahmen.

5. In wie vielen Fällen wurde das Jugendamt/der ASD um Beratung und Unterstützung der Eltern bei Sorgerechts- und Umgangsproblemen nach § 18 SGB VIII in 2004 und in 2005 bisher ersucht? (Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

6. In wie vielen Fällen konnte es diesem Wunsch nicht nachkommen? (Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

Das Bezirksamt Altona wurde im Jahr 2004 in 180 Fällen und im Jahr 2005 in 232

Fällen um derartige Beratung und Unterstützung ersucht. Es konnte in 2004 in 112

Fällen und in 2005 in 185 Fällen diesem Wunsch nicht nachkommen.

Gibt es in den bezirklichen Jugendämtern/den Allgemeinen Sozialen Diensten Wartelisten für

a) Trennungs- und Scheidungsberatung?

b) Beteiligung an Sorgerechtsverfahren?

c) Pflegeelternüberprüfungen?

d) Regelungen von Besuchskontakten und

e) Elternarbeit, um den Kindern eine Möglichkeit der Rückkehr in die Familie zu geben?

Wenn ja, wie viele unbearbeitete Fälle gibt es je bezirkliches Jugendamt/ASD? (Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.)

Welche Wartezeiten ergeben sich daraus in den verschiedenen bezirklichen Jugendämtern/ASD? (Bitte nach einzelnen Jugendämtern und Bezirk aufschlüsseln.) Standardisierte, nach den unter a) bis e) der Fragestellung genannten Aufgaben differenzierte, „Wartelisten" werden in keinem Bezirk geführt. Auf Basis der in der Drs. 18/2837 beschriebenen unterschiedlichen Statistiken sind folgende Informationen möglich: Bezirksamt Altona

Im Bereich der Trennungs- und Scheidungsberatung waren 38 Fälle noch nicht bearbeitet. Die Wartezeit beträgt ca. 20 Wochen.

Bei der Beteiligung an Sorgerechtsverfahren waren zwei Fälle noch nicht bearbeitet.

Die Wartezeit beträgt ca. 13 Wochen.

Zur Regelung von Besuchskontakten waren zwei Fälle noch nicht bearbeitet. Die Wartezeit beträgt ca. 20 Wochen.

Bezirksamt Hamburg-Nord

In den Jugendamtsregionen II und III sind insgesamt 100 Fälle der erfragten Kategorien erfasst, die jedoch nicht näher ausdifferenziert sind.

Die Dauer der Beantwortung ist abhängig von der Menge der Eilfälle und der personellen Situation. Alle Fälle werden regelhaft überprüft und ggf. in ihrer Dringlichkeit neu eingestuft. Durch diesen Wechsel ist eine Aussage zu Wartezeiten nicht möglich.

Bezirksamt Wandsbek

In den Jugendamtsregionen I und III gibt es interne und individuell auf die spezifischen Bedingungen ausgerichtete Instrumente zur Steuerung der Arbeitsverteilung, auch unter Berücksichtigung temporärer Besetzungsschwankungen.

Danach sind in den Bereichen §§ 16, 17, und 18 SGB VIII 45 und im Aufgabenbereich nach § 50 SGB VIII 26 Fälle noch nicht in der Fallbearbeitung.

Überwiegend handelt es sich um Fälle geringer Priorität aus dem Zeitraum der letzten zwei Monate des vergangenen Jahres. Alle Fälle werden regelhaft überprüft und ggf. neu eingestuft. Generalisierende Aussagen zu Wartezeiten sind daher nicht möglich.

Bezirksamt Harburg

In den Bereichen der §§ 16, 17 und 18 SGB VIII sind 42 Fälle und im Aufgabenbereich nach § 50 SGB VIII 84 Fälle erfasst. Die sich ergebenden Wartezeiten sind nicht bestimmbar.