Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht türkischer Schüler in Hamburg

Ich frage den Senat:

1. Besteht für alle türkischen Schüler in Hamburg die Möglichkeit zur Teilnahme am muttersprachlichen Ergänzungsunterricht? Wenn ja: Wie viele türkische Staatsangehörige und wie viele eingebürgerte Türken nehmen daran teil? Wenn nein:Warum nicht und welche Maßnahmen sind in diesem Bereich geplant?

Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht wird außerhalb der gesetzlichen Schulpflicht in eigener Zuständigkeit von den Konsulaten der ehemaligen Anwerbeländer durchgeführt. Der für das Schulwesen in Hamburg zuständigen Behörde steht hinsichtlich dieses Unterrichts kein Aufsichts- und Weisungsrecht zu. Deshalb können Fragen zur Ausgestaltung dieses Unterrichts nicht beantwortet werden.

Daneben bietet die zuständige Behörde im Rahmen des Regelunterrichts an einigen Schulen Muttersprachlichen Unterricht mit von der Stadt angestellten Lehrkräften an, die ihre Lehrbefähigung im Herkunftsland erworben haben.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

Ja. Im Schuljahr 1997/98 nahmen insgesamt 2189 Schülerinnen und Schüler, deren Staatsangehörigkeit statistisch nicht erfasst wird, am Muttersprachlichen Ergänzungsunterricht des Konsulats teil. Beim Muttersprachlichen Unterricht an den staatlichen Schulen waren es im Schuljahr 1996/97 2448. Für das Schuljahr 1997/98 liegt noch keine Auswertung vor.

2. Wie viele Wochenstunden wird der muttersprachliche Unterricht insgesamt und in welchen Fächern mit welcher Stundenzahl erteilt?

Der Muttersprachliche Unterricht umfasst an den staatlichen Schulen in den Grundschulen fünf Wochenstunden, davon zwei Religion, an den staatlichen Schulen mit Sekundarstufe I zwei bis vier Stunden. In der Sekundarstufe I kann der Muttersprachliche Unterricht den Unterricht in der zweiten Fremdsprache ersetzen.

3. Welche Rolle spielt das türkische Konsulat bei der Durchführung des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts?

Zum Muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in der Zuständigkeit der Konsulate siehe Vorbemerkung. Beim Muttersprachlichen Unterricht an den staatlichen Schulen der Freien und Hansestadt hat das türkische Generalkonsulat kein Mitspracherecht.

4. Wer ist für die Auswahl und Kontrolle der eingesetzten Lehrer verantwortlich? Wer nimmt in welchem Umfang die Dienstaufsicht wahr und welche Rolle spielt das Konsulat in diesem Zusammenhang?

Für die Auswahl des Lehrpersonals für den Muttersprachlichen Ergänzungsunterricht ist das Erziehungsministerium der Türkei in Ankara, für die Kontrolle die Erziehungsabteilung des Generalkonsulats in Hamburg zuständig. Für die Auswahl der Lehrkräfte und die Dienstaufsicht an den staatlichen Schulen ist die zuständige Behörde verantwortlich.

5. Wer bezahlt die Lehrkräfte, die muttersprachlichen Ergänzungsunterricht erteilen? Welche Kosten entstehen der Stadt insgesamt durch den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht?

Für die Kosten des Konsulatsunterrichts kommt der türkische Staat auf. Die Freie und Hansestadt Hamburg gewährt einen Zuschuss; er betrug im Schuljahr 1997/98 rund 263 TDM.

Die Personalkosten für den Muttersprachlichen Unterricht an den staatlichen Schulen belaufen sich im Schuljahr 1998/99 auf insgesamt rund 4,123 Millionen DM. Hinzu kommen 30 TDM für Lehr- und Lernmittel. Welcher Anteil davon auf den Muttersprachlichen Unterricht in Türkisch entfällt, kann in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht ermittelt werden.

6. Haben diese Lehrer einen Eid auf

a) die Hamburgische Verfassung,

b) das Grundgesetz und/oder auf welche andere Verfassung geleistet?

Hinsichtlich des Konsulatsunterrichts siehe Vorbemerkung. Die von Hamburg angestellten Lehrkräfte leisten einen Eid auf das Grundgesetz.

7. Wie werden diese Lehrer und ihr Unterricht auf entsprechende Einflussnahme durch

a) außenstehende Einzelpersonen,

b) politische Gruppen/Organisationen,

c) religiöse Gruppen/Organisationen überprüft?

Hinsichtlich des Konsulatsunterrichts siehe Vorbemerkung. Die von Hamburg angestellten Lehrkräfte unterstehen der Rechts-, Dienst- und Fachaufsicht der zuständigen Behörde.

8. Unterscheidet sich der Hamburger muttersprachliche Ergänzungsunterricht von dem anderer Bundesländer in Organisation und Durchführung? Wenn ja: Warum und in welcher Hinsicht?

Ja. In Hamburg, Baden-Württemberg, Bremen, Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und Sachsen steht der Muttersprachliche Ergänzungsunterricht in der Zuständigkeit der Konsulate; in Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird der Muttersprachliche Unterricht in Verantwortung des Staates durchgeführt. In den übrigen Bundesländern gibt es ein entsprechendes Angebot bisher nicht.

9. Ist es zutreffend, dass die Lehrkörper vor die Klasse treten und mit den Schülern die Formel „Ich bin Türke, ich bin fleißig, mein Ziel ist, meinen Leib meinem Land zum Geschenk zu machen" oder vergleichbare Formeln sprechen?

Für den Muttersprachlichen Unterricht an den staatlichen Schulen trifft dies nicht zu. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

10.

Der Muttersprachliche Unterricht an den staatlichen Schulen ist in erster Linie Sprachunterricht, in dessen Rahmen auch landeskundliche Themen aufgegriffen werden können. Fragen nach dem Verhältnis der Religionen zueinander, den Lehren des Korans, den Glaubensgrundsätzen anderer Religionen sowie nach dem Zusammenleben von Muslimen und Andersgläubigen sind Gegenstand des islamischen Religionsunterrichts, der für muslimische türkische Schülerinnen und Schüler angeboten wird (vgl. auch Antwort zu 2.).

Welchen Stellenwert misst der allgemeine Unterricht den unter 10. angeführten Unterpunkten bei?

Der Stellenwert ist durch den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule und in den Grundsätzen für dessen Verwirklichung (§§ 2 und 3 HmbSG) festgelegt und wird durch die Richtlinien und Lehrpläne für die verschiedenen Fächer, Schulformen und Schulstufen konkretisiert. Eine Analyse der Richtlinien und Lehrpläne für alle Fächer in allen Schulformen und Schulstufen ist in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich.

12. Wodurch erklären sich ggf. Abweichungen im Stellenwert und in den Kernaussagen? Wie beurteilt der Senat mögliche Chancen und Risiken in diesen Abweichungen?

Abweichungen ergeben sich aus den unterschiedlichen kulturellen Traditionen und der Staatsbürgerschaft. Das Verständnis der Kultur und Geschichte des jeweiligen Herkunftslandes ist für die Schülerinnen und Schüler im Muttersprachlichen Unterricht ein wichtiger Bestandteil ihres Identitätsfindungsprozesses, dessen Gelingen wiederum Voraussetzung für die interkulturelle Verständigung ist.

13. Welche generelle Haltung nimmt der Senat zur Frage der Erziehung ausländischer Jugendlicher zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen ein?

Die Grundlagen für Fragen der Erziehung ausländischer Jugendlicher im Hamburger Schulwesen sind im Hamburgischen Schulgesetz vom 16. April 1997 (HmbSG) festgelegt. Neben dem uneingeschränkten Recht auf Bildung sind im gefragten Zusammenhang vor allem der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule (§ 2 HmbSG) und die Grundsätze für dessen Verwirklichung (§ 3 HmbSG) zu nennen. Danach haben Schulen den Auftrag, Kinder und Jugendliche ausländischer Herkunft in das hamburgische Schulsystem und in unsere Gesellschaft zu integrieren und ihnen gleichzeitig den Raum zur Bewahrung und Entfaltung der eigenen ethnischen und kulturellen Identität zu geben (vgl. auch Antwort zu 12.). Besondere Betonung erfahren diese Zielsetzungen durch die Einrichtung des Aufgabengebietes „interkulturelle Erziehung" (§ 5 Absatz 3 HmbSG), dessen curriculare Ausgestaltung im Rahmen der gegenwärtigen Bildungsplanarbeit erfolgt.

14. Haben in jüngster Zeit ergangene Gerichtsurteile in Berlin zum Thema muttersprachlicher Ergänzungsunterricht im Fach Religion Auswirkungen auf Hamburg? Sind Änderungen der derzeit gängigen Praxis geplant?

Im Rahmen der Bildungsplanarbeit für die Sekundarstufe I wird zurzeit ein Entwurf für den Rahmenplan Religion erstellt, der sich an dem Ersuchen der Bürgerschaft orientiert, die curriculare Entwicklung des Fachs Religion in Richtung auf einen interreligiösen Dialog weiter zu verfolgen (siehe Drucksache 15/7809, Seite 5).

Die schriftliche Begründung des Urteils aus Berlin liegt der zuständigen Behörde bisher nicht vor. Deshalb lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen, ob dieses Auswirkungen auf Hamburg haben wird.