Pflege

Verminderte Qualitätsstandards bei Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen vor Gericht?

Das „Gesetz über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung, von Dolmetschern und Übersetzern vom 23. September 1986 (HmbDolmG 1986)" ist im vergangenen Jahr novelliert worden und jetzt in der Fassung des „Gesetzes über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen sowie Dolmetschern und Übersetzern (HmbDolmG 2005)" in Kraft. Zur Begründung dieser Novellierung bemerkten die Senatsvertreter in der beratenden Sitzung des Rechtsausschusses am 9. Juni 2005, dass sich durch die Novellierung weder an der Vergütung der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen etwas ändere, noch der hohe Qualitätsstandard der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen aufgegeben werde. Es gehe vielmehr darum, den hamburgischen Gerichten und Behörden eine ausreichende Zahl leistungsfähiger Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen zur Verfügung zu stellen (Drs. 18/2421).

Der von den Senatsvertretern dargelegte hohe Qualitätsstandard sowie die persönliche Eignung der in der Freien und Hansestadt Hamburg für Behörden und Gerichte tätigen Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen wird mithilfe eines von der Behörde für Inneres durchgeführten Eignungsfeststellungsverfahrens nach der „Verordnung über die Bestellung vereidigter Dolmetscher und Übersetzer vom 30. September 1986 (HmbDolmVO)" sichergestellt.

Angesichts der Tatsache, dass im Zuge der Novellierung in Gestalt von § 10 HmbDolmG 2005 sogar ein Ordnungswidrigkeitstatbestand für den Fall der unberechtigten Führung der Bezeichnung „öffentlich bestellter und allgemein vereidigter Dolmetscher" eingefügt wurde, dürfte der hohe Anspruch an Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen auch heute noch ebenso aktuell sein wie 1986. Insbesondere im grundrechtssensiblen Bereich der Strafrechtspflege ist die Gewährleistung hoher fachlicher Qualifikation und persönlicher Integrität der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen unabdingbar.

Diese hervorgehobene Rolle der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen entspricht den Vorgaben des „Grünbuches der EU-Kommission ­ Verfahrensgarantien im Strafverfahren der Europäischen Union".

Die Justizbehörde erließ am 6. Dezember 2004 eine Allgemeine Verfügung Nr. 21/2004 (Az. 5672/2-3) „Anordnung über den Abschluss von Vereinbarungen mit Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern", wodurch sie die Präsidentinnen und Präsidenten der Hamburgischen Gerichte zum Abschluss von Vergütungsvereinbarungen im Sinne von § 14 JVEG „ermächtigte".

Mit Schreiben vom 19. August 2005 (Az. 316.2) versandte der Präsident des Amtsgerichts Hamburg Rahmenvereinbarungsangebote an zahlreiche Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen, wobei er darauf hinwies, dass eine Verständigung unter der Richter/-innen- und Rechtspfleger/-innenschaft stattgefunden habe, künftig diejenigen Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen vorrangig zu berücksichtigen, die die übersandte Rahmenvereinbarung mit dem Präsidenten des Amtsgerichts unterzeichnet haben, wobei die Umstellung auf das „neue Beauftragungssystem" zum 1. Januar 2006 angekündigt wurde.

Die vom Präsidenten des Amtsgerichts angebotene Rahmenvereinbarung sieht zahlreiche Vergütungs-, Kosten-, Entschädigungs- und Ersatzregelungen vor, die von den bundesgesetzlichen Vorgaben des JVEG zum Nachteil der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen abweichen. So wird nur noch ein Honorarsatz von 50 Euro pro Stunde gewährt. Entgegen § 8 II JVEG sollen An- und Abreisezeiten unberücksichtigt bleiben. Das Zeilenhonorar für schriftliche Übersetzungen wird auf 1,30 Euro (statt 1,85 Euro) festgesetzt.

Die Fahrtkostenersatzregelung des § 5 JVEG wird abgedungen. Entschädigungs- und Ersatzansprüche gemäß §§ 6, 7 und 12 JVEG werden ausgeschlossen.

Es ist also zu befürchten, dass die geeigneten Gerichtsdolmetscher/-innen und -übersetzer/-innen von Billigkräften verdrängt werden. Die nicht deutschsprachigen Angeklagten sind auf qualifizierte Übersetzer/-innen angewiesen.

Oftmals entscheidet ein kleines Detail darüber, ob ein Angeklagter als Straftäter verurteilt oder als unschuldig freigesprochen wird. Deshalb ist ein qualifizierter Dolmetscher unverzichtbar vor Gericht.

Dies vorausgeschickt, fragen wir den Senat:

1. Welche Rolle ordnet der Senat den öffentlich bestellten und allgemein vereidigten Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen innerhalb des Rechtsstaates und insbesondere der Rechtspflege zu?

Dolmetscher und Übersetzer sind erforderlich, um in einer gemeinsamen Sprache zu verhandeln.

2. Sind für den Senat auch heute noch die Grundsätze und Qualitätsstandards des HmbDolmG 1986/2005 und der HmbDolmVO 1986 gültig?

Siehe Hamburgisches Dolmetschergesetz (HmbDolmG) und Hamburgische Dolmetscherverordnung.

3. Wie viele Dolmetscher/-innen und/oder Übersetzer/-innen wurden in den letzten fünf Jahren von den Gerichten, der Staatsanwaltschaft oder der Justizbehörde für Dolmetscher/-innen- oder Übersetzer/-innentätigkeiten im gerichtlichen Kontext beauftragt? Bitte nach Jahren getrennt darstellen.

Wie viele davon waren/sind nicht nach dem HmbDolmG in Verbindung mit der HmbDolmVO öffentlich bestellt und allgemein vereidigt? Bitte nach Jahren getrennt darstellen.

Die Zahl der von den Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Justizbehörde „im gerichtlichen Kontext" beauftragten Dolmetscher und Übersetzer in Hamburg wird statistisch nicht erfasst. Nach Auswertung von Haushalts- und Kassendaten für Dolmetschervergütungen kann annäherungsweise festgestellt werden, dass für die Hamburger Gerichte

­ im Jahre 2004 insgesamt 495 Dolmetscher (bei 14 441 Einsätzen),

­ im Jahre 2005 insgesamt 455 Dolmetscher (bei 14 870 Einsätzen) und

­ im Zeitraum von Januar bis einschließlich April 2006 insgesamt 301 Dolmetscher (bei 5436 Einsätzen) tätig waren. Eine nachträgliche Erhebung der übrigen zur Beantwortung benötigten Daten ist in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten.

Rahmenvereinbarungen

4. Welches Eignungsfeststellungsverfahren wird/wurde bei der Auswahl der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen angewendet, denen der Abschluss der Rahmenvereinbarung angeboten wurde? Nach welchen Kriterien wurden fachliche Qualifikation und persönliche Eignung geprüft? Bitte detailliert erläutern.

Von wem/welcher Stelle werden/wurden diese Eignungsfeststellungsverfahren durchgeführt? Über welche hoheitlichen und/oder fachlichen Kompetenzen verfügt die Person und/oder das Gremium, welche(s) im Geschäftsbereich der Justizbehörde die persönliche Eignung und fachliche Qualifikation der Dolmetscher/-innen und Übersetzer/-innen prüft, denen der Abschluss der Rahmenvereinbarung angeboten wird bzw. mit denen bereits Rahmenvereinbarungen abgeschlossen wurden?

Das Rahmenvertragssystem des Amtsgerichts Hamburg enthält kein eigenständiges Eignungsfeststellungsverfahren. Es knüpft an bereits erfolgte gerichtliche Dolmetscherbestellungen an und regelt die Abrechnung künftiger weiterer Bestellungen. Die Rahmenverträge wurden dementsprechend Dolmetschern und Übersetzern angeboten, die zuvor von den Amtsgerichten häufiger bestellt worden waren. Über die Bestellung von Dolmetschern oder Übersetzern entscheidet im Rahmen eines Gerichtsverfahrens der jeweils verfahrensführende Richter bzw. Rechtspfleger frei von Weisungen (Art. 97 Grundgesetz, § 9 Rechtspflegergesetz). Das Gericht beurteilt dabei auch deren Qualifikation. Die bei allgemein vereidigten Dolmetschern und Übersetzern vorab erfolgte Eignungsfeststellung erleichtert die Feststellung ausreichender Qualifikation durch das Gericht, begrenzt jedoch nicht dessen Entscheidungskompetenz.

5. Wie werden durch die Justizbehörde bzw. den Präsidenten des Amtsgerichts vor Abschluss einer Rahmenvereinbarung die Voraussetzungen für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 14 JVEG geprüft?

Die Rahmenverträge werden nur Dolmetschern angeboten, von denen bekannt ist, dass sie mit einer gewissen Häufigkeit von den Gerichten bestellt werden.

Wie definiert der Senat das für den Abschluss der Rahmenvereinbarung erforderliche Kriterium der „Häufigkeit der Heranziehung" im Sinne von § 14 JVEG? Bitte detailliert darstellen.

Das Amtsgericht geht von einer "häufigeren" Heranziehung aus, wenn ein Dolmetscher oder Übersetzer von den Gerichten innerhalb eines Jahres mehrfach bestellt wird. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst.

6. Wird seitens der Justizbehörde bzw. des Präsidenten des Amtsgerichts vor Abschluss der Rahmenvereinbarung eine Sicherheitsüberprüfung der/s jeweiligen Dolmetscherin/Dolmetschers und/oder Übersetzerin/Übersetzers veranlasst?

Nein. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. und 4.1.

Wenn ja, was beinhaltet diese konkret?

Entfällt.

Wenn nein, aus welchem Grund kann darauf verzichtet werden?

Siehe Antwort zu 4. und 4.1.