Staatsanwaltschaft

Aus welchen Gründen wurde von der Verfolgung abgesehen bzw. nach welchen Kriterien wird eine „Erforderlichkeit" im Sinne der Absätze 2 und 3 des § 45 JGG beurteilt? (Bitte differenziert nach Jugendlichen und Heranwachsenden, Geschlecht sowie deutschen (bitte diese nochmals differenziert nach Geburtsland) bzw. nicht deutschen Tatverdächtigen.) Grundlage der Entscheidungsbildung sind die Diversionsrichtlinien der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 2. Januar 2001.

Danach kann von der Verfolgung gemäß § 45 Absatz 1 JGG i. V. m. § 153 StPO abgesehen werden bei Ersttätern, ferner bei Zweittätern, wenn es sich jeweils um Einzeltaten handelte, sowie bei Mehrfachtätern, wenn die Taten jeweils unterschiedliche Rechtsgüter verletzt haben und in größerem zeitlichen Abstand begangen worden sind. Als Delikte für eine Einstellung nach § 45 Absatz 1 JGG kommen in Betracht: Diebstahl geringwertiger Sachen (§§ 242, 248 a Strafgesetzbuch ­ StGB) und alle Delikte, in denen auf § 248 a StGB verwiesen wird, Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248b StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB), wenn die Tat auf einer jugendtypischen Motivation beruht, Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) gegenüber Privatpersonen, soweit diese nicht grob ehrverletzend ist, Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB), soweit es sich um einen leichten Fall handelt, Erschleichung von Leistungen (§ 265 a StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), wenn die Tat auf einer jugendtypischen Motivation beruht, Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Straßenverkehrsgesetz), Vergehen nach §§ 1, 6 Pflichtversicherungsgesetz und/oder § 370 Abgabenordnung, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), wenn nur ein geringer Schaden und eine geringer Pflichtverstoß gegeben ist, Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) bei leichtem Verkehrsverstoß, Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz.

Eine Einstellung nach § 45 Absatz 2 JGG kommt dann in Betracht, wenn bei Eingang der Verfahrensakte bei der Staatsanwaltschaft bereits eine der erzieherischen Reaktionen erfolgt ist, die ansonsten im Jugendgerichtsverfahren als Weisung oder Auflage zu erteilen gewesen wäre. Hier sind insbesondere zu nennen Freizeitentzug („Hausarrest"), finanzielle Einbußen („Taschengeldkürzung"), Schadenswiedergutmachung oder ein sonstiger Ausgleich mit dem Opfer der Tat (z. B. „Entschuldigung"). Auch eine durch die Schule erfolgte disziplinarische Reaktion auf die Tat (z. B. Unterrichtsausschluss, pp.) kann ausreichen, um eine für den Jugendlichen nicht nachvollziehbare Doppelung von Maßnahmen zu vermeiden. Die Erhebung der Klage ist ferner nicht erforderlich, wenn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Tat durch ein normverdeutlichendes Gespräch der Polizei mit dem Beschuldigten und gegebenenfalls seinen Eltern herbeigeführt wurde. Der Jugendstaatsanwalt kann ausreichende erzieherische Reaktionen, die eine Beteiligung des Richters oder Erhebung der Anklage nicht mehr erforderlich machen, auch selbst herbeiführen, und zwar durch ein von ihm selbst durchgeführtes eindringliches sog. Ermahnungsgespräch, durch die Bitte an die Jugendgerichtshilfe, entweder norm- und hilfeorientierte Gespräche mit dem Jugendlichen zu führen oder einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) herbeizuführen, insbesondere zur Befriedung länger währender und immer wieder aufbrechender Konflikte zwischen Jugendlichen und künftig auch durch die Überweisung des Falles an einen der im Herbst 2006 ihre Arbeit aufnehmenden Teen-Courts, die eine geeignete erzieherische Reaktion festsetzen, der sich der Beschuldigte freiwillig unterwirft.

Eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 3 JGG erfolgt dann, wenn die Anwendung der §§ 45 Abs. 1 und 2 JGG nicht mehr in Betracht kommt, es einer der üblichen jugendrichterlichen Reaktionen wie der Erteilung von Arbeitsauflagen oder Geldbußen, nicht jedoch bereits einer förmlichen Hauptverhandlung bedarf, z. B. wegen des jugendlichen Alters und eines zu dem Gewicht der Tat außer Verhältnis stehenden Aufwandes.

Im Übrigen siehe Antwort zu 5., 7. und 9.

7. In wie vielen Verfahren hielt die Staatsanwaltschaft es im Sinne des Gesetzes für erforderlich, einen zur Untersuchung von Jugendlichen befähigten Sachverständigen gemäß § 43 Absatz 2 JGG einzuschalten, um gemäß § 43 Absatz 1 JGG die Lebens- und Familienverhältnisse, den Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände zu ermitteln, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können? (Bitte differenziert nach Jugendlichen und Heranwachsenden, Geschlecht sowie deutschen (bitte diese nochmals differenziert nach Geburtsland) bzw. nichtdeutschen Tatverdächtigen.)

Siehe Antwort zu 5.

8. Stammen diese gem. § 43 Absatz 2 JGG von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen immer aus dem Bereich der Jugendgerichtshilfe? Um wen und wie viele Personen handelt es sich hierbei genau?

Nein. Liegen bereits im Ermittlungsverfahren zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der bestehenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 3 JGG, §§ 20, 21 StGB) eines jugendlichen oder heranwachsenden Beschuldigten vor, werden auf die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen spezialisierte Sachverständige (Psychiater/Psychologen) beauftragt. Diese kommen nicht aus dem Bereich der Jugendgerichtshilfe, sondern überwiegend aus dem Bereich des forensisch-psychiatrischen Gutachterdienstes des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) oder sonstiger Institute.

Bei den Vertretern der Jugendgerichtshilfe handelt es sich nicht um Sachverständige im Sinne der Strafprozessordnung (StPO). Die Jugendgerichtshilfe bringt als Vertreterin des Jugendamtes (§ 52 SGB VIII) und nach § 39 Jugendgerichtsgerichtsgesetz (JGG) die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Verfahren zur Geltung.

Im Übrigen siehe Antwort zu 5., 7. und 9.

9. In wie vielen Fällen führte das Votum des Sachverständigen zum Absehen von der Verfolgung bzw. zur Anklage der Verfahren?

Siehe Antwort zu 5.

10. Welchen Einfluss hat das Einstellungsverhalten auf die Wertebildung bei den Jugendlichen?

Der zuständigen Behörde liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.

11. Gemäß § 45 Absatz 3 JGG hat der Staatsanwalt die Möglichkeit, in den dort benannten Fällen die Erteilung einer Ermahnung durch den Jugendrichter anzuregen. Wie wird gesichert, dass ein entsprechendes Ermahnungsgespräch stattfindet, wo wird es durchgeführt und wie lange dauern solche Gespräche?

Die Staatsanwaltschaft regt nach § 45 Abs. 3 JGG durch Übersendung der Akten an das Gericht ein Ermahnungsgespräch durch den Richter an, welches im Gerichtsgebäude stattfindet. Ob der Anregung gefolgt wurde, ergibt sich aus der Verfahrensakte.

Im Übrigen siehe Antwort zu 5., 7. und 9.

12. Wie sind die Zuständigkeiten innerhalb des Jugenddezernats geregelt?

Die Bearbeitung von Jugendstrafsachen ist in einer aus drei Abteilungen bestehenden Hauptabteilung der Staatsanwaltschaft konzentriert. Nach dem aktuellen Jahresgeschäftsverteilungsplan ist diese Hauptabteilung (HA IV) für folgende Verfahren zuständig:

1. Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende; ausgenommen sind hiervon lediglich Verfahren, für die eine Spezialzuständigkeit geschaffen worden ist. Die ist der Fall bei Steuer-, Wirtschafts- und Korruptionsstrafsachen, Rauschgiftsachen, Verstöße gegen Strafvorschriften auf dem Gebiet des Heilwesens und Heilmittelwesens, Straftaten der Organisierten Kriminalität, Staatsschutzstrafsachen, sonstige Strafsachen mit politischem Einschlag sowie Pressestrafsachen, Medizinschadensfälle, Sexualdelikte, Verfahren gegen Polizei- und Strafvollzugsbedienstete, Bundeswehrsachen, Umweltschutz-, Brand-, Explosions- und Schifffahrtssachen, Computerstrafsachen;

2. Jugendschutzsachen; ausgenommen sind Verfahren wegen Sexualdelikten, die in der für Sexualdelikte zuständigen Spezialabteilung bearbeitet werden.

Im Rahmen der vorgenannten generellen Zuständigkeit bearbeiten die in der Hauptabteilung eingesetzten Dezernenten die dort eingehenden Verfahren nach alphabetischer Zuordnung. Soweit mehrere Personen in einem Ermittlungsverfahren Beschuldigte sind, bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem Namen des ältesten Beschuldigten.

Abweichend von der alphabetischen Zuweisung werden in zwei Sonderdezernaten durch vom Hauptabteilungsleiter zugeschriebene Verfahren bearbeitet. Hierzu gehören zum einen Verfahren gegen jugendliche und heranwachsende Beschuldigte, die wiederholt durch Raub- oder andere Gewalttaten innerhalb eines Jahres in Erscheinung getreten sind und bei denen besonderer Handlungsbedarf besteht. Diese Verfahren werden täterorientiert und vorrangig bearbeitet. Zum anderen sind dies Ermittlungsverfahren wegen besonders schwerwiegender Raub- oder anderer Gewalttaten sowie wegen besonders umfänglicher Tatvorwürfe.

13. Wie sind die Zuständigkeiten in den Dezernaten geregelt, die auch Jugendverfahren bearbeiten? Gibt es dort mit diesen Verfahren speziell betraute Staatsanwälte oder bearbeiten alle Staatsanwälte eines Dezernats zusätzlich zu den Verfahren gegen Erwachsene auch Jugendverfahren?

Außerhalb der für Jugendstrafverfahren schwerpunktmäßig zuständigen Hauptabteilung gibt es keine spezielle Zuständigkeit einzelner Dezernenten für die Bearbeitung von Jugendsachen. Vorrangig ist insoweit jeweils die bestehende Spezialzuständigkeit (im Übrigen vgl. Antwort zu 12.).

14. Um wie viele Staatsanwälte, die speziell mit Jugendverfahren oder zusätzlich mit Jugendverfahren betraut wurden, handelt es sich jeweils und wie viele sind hiervon auf Lebenszeit ernannt? (Bitte jährlich seit dem Jahr 2000 bis zum 30.04.2006 und differenziert nach Dezernaten. März 2000 als Stichtag zugrunde gelegt worden.

AL = Abteilungsleiter

Im Interesse einer Vergleichbarkeit erfolgt für das Geschäftsjahr 2006 ebenfalls eine Darstellung zum Stichtag 1. Januar 2006.

Im Übrigen siehe Antwort zu 5., 7. und 9.

15. Wer nimmt in Jugendverfahren den Sitzungsdienst wahr? Aus welchem Grund?

Aufgrund der Vielzahl wahrzunehmender Sitzungen in Jugendstrafsachen sowie der sonstigen dienstlichen Verpflichtungen (z. B. Wahrnehmung des Zuführdienstes in Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsende, Durchführung von Ermahnungsgesprächen), werden neben den regelhaft eingesetzten Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälten auch nicht mit der Bearbeitung von Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende befasste Dezernenten mit der Sitzungswahrnehmung in Jugendsachen betraut.