Das CSC Book Saver-Verfahren

Die Aufmerksamkeit für die Gebäudesituation und der permanente Versuch der Abhilfe ist somit eine der Aufgaben für die Bestandserhaltung. Die Situation heute sieht für beide Gebäude besser aus: das Dach der Amerika-Gedenkbibliothek ist inzwischen komplett erneuert, die Abflussrohre zum Teil und für das kommende Jahr ist eine vollständige Trennung der Abwasserleitungen von der Ableitung des Regenwassers vorgesehen. Einige Probleme des Gebäudes Berliner Stadtbibliothek sind inzwischen auch beseitigt, die Lösung und Beseitigung anderer steht aus. Diese Gebäudesituation führt dazu, dass die Zentral- und Landesbibliothek Berlin in Sachen Notfallplanung gut gewappnet ist, gab es doch regelmäßig Gelegenheit ­ bisher erfreulicherweise im beherrschbaren Ausmaß ­ zur praktischen Erprobung des theoretischen Notfallplans. Doch die Gebäudesituation ist nur ein Aspekt der Bestandserhaltung.

Jenen Regenfällen des Jahres 2001 schlossen sich in den darauffolgenden Tagen schwül-feuchte klimatische Werte an, das Regenwasser war ungehindert und unerreichbar unter die Regale geflossen, sodass nach kürzester Zeit der Verdacht des besorgniserregenden erneuten aktiven Schimmelwachstums bestand. Unter Hinzuziehung einschlägiger Fachleute, in diesem Fall des „Instituts für Lufthygiene" aus Berlin, die national und international hohes Ansehen genießen, wurden fachgerechte Untersuchungen zunächst stichprobenartig an Beständen, danach auch systematisch in der Luft der Magazinräume durchgeführt. Danach stand wissenschaftlich untermauert fest, dass es Schimmelbefall an Büchern gab, dass dringender Handlungsbedarf bestand, dass vor allem das in Teilen stark befallene Gemäuer unbedingt renoviert werden musste, dass aber die Konzentration der Schimmelsporen in der Luft keine bedenklichen Werte überschritten. Es hätte also schlimmer kommen können, aber die Lage war ernst genug. Deutlich wurde vor allem, dass nicht der eine Regenguss die Schwierigkeiten verursacht hatte, sondern dass ein seit Jahren gewachsenes quantitativ großes Problem zu lösen war. Mit eigenen Mitteln diese Herausforderung zu bewältigen, schien ein Ding der Unmöglichkeit.

Dennoch wurde begonnen, mit Restauratoren die Möglichkeiten der umfassenden Abhilfe zu prüfen. Dabei machte vor allem Prof. Wolfgang Wächter (Leipzig) auf den Zusammenhang dieser Problematik mit der zweiten großen Problemsituation der ZLBBestände aufmerksam und zwar auf das Problem des übersäuerten Papiers. Zwar gibt es bei den historischen Beständen der Bibliothek auch solche aus früheren Jahrhunderten, die vor 1800 erschienen, aber der quantitative Schwerpunkt liegt eindeutig im 19. und 20. Jahrhundert. Prof. Wächter legte im Gespräch dar, dass Schimmelsporen sich gerade auf übersäuertem Papier besonders gern anlagern (können) und ein Wachstum besonders gut möglich ist (wenn die anderen bekannten klimatischen Parameter „stimmen"). Er schlug deshalb als Lösungsvorschlag eine Komplettbehandlung beider Problemfelder vor. Im Gespräch war damals eine weitgehend automatisierte Behandlung: maschinelle Feinreinigung mit anschließender Massenentsäuerung. Für dies sollte die erforderliche Technik entwickelt werden. Das Zentrum für Bestandserhaltung Leipzig legte ein ausführliches Expose (nicht veröffentlicht) vor, das in der folgenden Zeit Grundlage für das Antragsverfahren zur Erlangung von Drittmitteln wurde. Denn die Finanzierung durch Eigenmittel für ein Projekt dieser Größenordnung ­ Ausgangspunkt waren 1 Million zu behandelnde Bände (bezogen auf die gesamte Schadenssituation ohne inhaltliche Gewichtung) ­ war eine utopische Vorstellung. Daher schlug der damalige Kultursenator Christoph Stölz auf einer Sitzung des Stiftungsrates vor, einen Lotto-Antrag für eine große Bestandserhaltungsmaßnahme zu stellen.

Nicht ganz einfach war die Phase des Projektantrags und der Gespräche mit der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Nicht nur, dass Institutionen, die Fördermittel vergeben, ihre jeweils ureigenen Formalia haben. Diese kann man erfragen und befolgen und die notwendigen Nachweise beibringen. Aber bei Drittmittelgebern (nicht nur bei der Lotto-Stiftung) ist es notwendig, fachlichen Laien die Herausforderungen der Bestandserhaltung und die schwierigen und komplexen Lösungsmöglichkeiten zu vermitteln. Letztlich wurden insgesamt 2,6 Millionen Euro bewilligt und konkret als erste Rate für den Zeitraum 2002/2003 eine Summe von 600 000 Euro zugewiesen. Natürlich hatte die Lotto-Stiftung auch klare und richtige Forderungen. Sie wollte eine eindeutige Darlegung, welche Bestände unter inhaltlichen Gesichtspunkten einer Behandlung unterzogen werden sollten und den Beweis, dass diese es auch verdienen.

Hier kommt nun also die Aufgabe der ZLB als Landesbibliothek ins Spiel und eine unter inhaltlichen Gesichtspunkten gewichtete Auswahl und Ordnung der Bestände.

Irgendwo in einem Magazin „links oben" im Regal zu beginnen und automatisch der Aufstellung folgend vorzugehen, erscheint organisatorisch einfach, kann aber kaum zu einer verantwortbaren Art der Ausgabe der Bestandserhaltungsmittel führen. Als Landesbibliothek mussten und müssen die Bestände mit regionalem Bezug die oberste Priorität haben. Das ist keine prinzipielle Aussage gegen die übrigen Bestände und deren Ausschluss von jeglichen Behandlungsmaßnahmen, sondern eine klare Prioritätensetzung, zu der die Gesamtproblematik bzw. allein schon die Menge der zu behandelnden Bücher zwingt. Und unter dem Stichwort „Berlin" lassen sich drei Bestandsgruppen fassen: die Pflichtliteratur, auf deren Erhaltung andere Bibliotheken sich durch die Landesbibliotheken verlassen werden, die Literatur zu Berlin, die wie benannt im „Zentrum für Berlinstudien" zusammengeführt ist und die historischen Sammlungen, die mit dieser Stadt in einer besonderen inhaltlichen Beziehung stehen.

Aus pragmatischen und inhaltlichen Gesichtspunkten wurde für die erste Phase entschieden, die älteste Sondersammlung, die quasi die Keimzelle der Berliner Stadtbibliothek gewesen war ­ die historischen Bestände der 1806 gegründeten „Magistratsbibliothek" ­ auszuwählen. Dies ließ sich nicht nur inhaltlich gut begründen, sie war auch in einem besonders schlechten Zustand (besonders im Hinblick auf die Schimmelproblematik), bot ein sehr breites Spektrum von Büchern diverser Jahrhunderte, sodass schon klar war, dass nicht „blind" alles der Massenentsäuerung zugeführt werden konnte und musste. Die Sammlung war zudem vor Jahrzehnten durch Umzüge in Unordnung geraten, es gibt zwei Arten der Signaturenvergabe und der systematischen Aufstellung, d. h. der Aufstellungszustand erleichterte nicht gerade die Nutzungsmöglichkeiten. Dies war ein nicht unwillkommener Nebeneffekt, waren somit in der Durchführungsphase der Behandlung nicht verschiedene Abteilungen des Hauses in die Abstimmungsprozesse einzubeziehen und es stand nicht zu befürchten, dass für die Dauer der Behandlung eine größere Zahl von Benutzern ungeduldig auf das Ende der Maßnahme warteten.

Es gibt in der ZLB keine Abteilung für Bestandserhaltung. Diese Aufgabe liegt verantwortlich in der Hände der Autorin dieses Beitrags, gleichzeitig Leiterin der „Historischen Sammlungen". Zusammen mit dem Mitarbeiter, der die praktischen Dinge der Bestandserhaltung im Haus koordiniert, und zusammen mit der Buchbinderei, waren so rasche und auf fachlich gute Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse möglich.

Die Buchbinderei hat hoch engagierte und qualifizierte Mitarbeiter, die zu gewinnen waren, auch in diesem im engsten Sinne des Berufsverständnisses fremden Aufgabenbereich einer Massenbehandlung der Bestandserhaltung mitzumachen. Somit war ein Personenkreis hochmotiviert und kompetent gefunden, aber besonders in der Buchbinderei führte der für das Projekt verwendete Zeitaufwand zu Rückstände der Bearbeitung von Reparaturfällen, somit war indirekt doch das gesamte Haus betroffen. Denn es gab keinerlei zusätzliche personelle Kapazitäten für das Projekt trotz der Unterstützung des Projektes durch die Leitung der Bibliothek. Das führte angesichts der personellen Situation dazu, dass die Notwendigkeit bestand, die Aufgaben so weit es eben möglich war nach außen zu vergeben.

Bei der Schimmelsanierung wurde nur in schwereren Fällen die Gamma-Bestrahlung gewählt, weil ihre inzwischen unbestrittene Nebenwirkung der Herabsetzung der Festigkeit des Papiers möglichst nur in Ausnahmefällen in Kauf genommen werden sollte.

Die Feinreinigung dagegen war und ist das bisher beste Mittel der Beseitigung bzw. Vorsorge bei der Schimmelfrage (vgl. z. B. Empfehlungen von Bansa).

Dies war recht klar und einfach beschreibbar, mehr Probleme machte die Vorbereitung der Ausschreibung der Massenentsäuerung und hier vor allem der Frage nach den Qualitätsrichtlinien. Eigene Erfahrungen mit der Massenentsäuerung lagen nur begrenzt durch ein vor drei Jahren durchgeführtes kleineres Projekt vor, bei dem mit dem PapersaveVerfahren der Firma Zentrum für Bestandserhaltung einige hundert Bücher einer historischen Sammlung aus dem 19. Jahrhundert behandelt worden waren. In der Vorbereitungsphase wurde nicht nur die Fachliteratur ausführlich studiert, sondern es gab zahlreiche hilfreiche Gespräche mit Fachkollegen, die mehr Erfahrungen auf diesem Gebiet hatten.

Gerade bei einem Besuch in. Der Deutschen Bibliothek wurde sichtbar, wie personalintensiv solche Projekte sind, dies war für die ZLB eine reine Illusion. In den auch mit anderen Institutionen geführten Gesprächen wurde deutlich, dass im Hinblick auf die Fragen der Qualität die Schweizer Landesbibliothek am besten entsprechend zum neusten Stand der Technik die Anforderungen formulierten. Wer die Ausschreibungsunterlagen der ZLB studierte und die im Internet veröffentlichten Qualitätsrichtlinien der Schweiz verglich, konnte sehen, dass wesentliche Passagen übernommen worden waren.

Folgende Leistungen wurden ausgeschrieben:

­ die Schimmelsanierung mittels Gamma-Bestrahlung bei schwer schimmelgeschädigten Bänden

­ die Trockenreinigung (außen und innen) bei allen zu behandelnden Büchern

­ die Massenentsäuerung von geschätzten 75 % der Bestände

­ dazu die Logistik des Gesamtprojektes, incl. Forderung nach einer edvgestützten Dokumentation, die dazu führt, dass zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar ist, was mit den Büchern gemacht wird und gemacht worden ist.

Die gerade neu gegründete Firma „Preservation Academy Leipzig" (im Folgenden kurz PAL) gewann die Ausschreibung, ein Vertrag wurde abgeschlossen und so konnte die eigentliche Arbeit beginnen.

Das CSC Book Saver-Verfahren

Einige technische Hinweise zum Entsäuerungsverfahren sind notwendig und interessant, um vor allem im Hinblick auf die weiter unten folgenden Ausführungen zu den Ergebnissen, den Hintergrund zu erfahren. Die anfangs beschriebene Schwierigkeit der fehlenden Normierung auf dem Gebiet der Massenentsäuerung resultiert u. a. daraus, dass es zwar einige Anbieter auf dem Markt gibt, die aber sehr unterschiedliche Flüssig- oder Trockenverfahren anwenden.

Generell gilt, dass die verfügbaren Entsäuerungsmethoden entweder wässrig, gasförmig, flüssig/nicht-wässrig oder trocken sind. Auch das CSC Book Saver-Verfahren (entwickelt von dem spanischen Solvay-Tochterunternehmen CSC Conservación de Sustratos Celulósicos, S.L.) verspricht eine Neutralisierung der Säuren, eine Erhöhung des Extrakt-pH-Wertes des Papiers auf einen Wert größer 7,5 sowie das Einbringen einer dauerhaften alkalischen Reserve ­ dies alles ohne wesentliche Nebenwirkungen (kein Ausbluten von Farbstoffen und Pigmenten, keine mechanische Beschädigung, geruchlos, umweltverträglich). Bei dem Verfahren handelt es sich um eine nichtwässrige Entsäuerung in flüssiger Phase. Der Entsäuerungswirkstoff ist carbonisiertes Magnesiumpropylat, gelöst in Solkane (Heptafluorpropan HFC 227).

Eine Vortrocknung ist nicht notwendig, dies reduziert vor allem die sonst bekannten Nebenwirkungen. Der Behandlungsprozess dauert nur drei Stunden. Der Ablauf sieht folgendermaßen aus:

­ Zusammenstellung der Behandlungschargen mit ca. 40 bis 60 Kg ­Überwachung der Qualität durch Testpapiere je Objekt

­ Kühlung der Objekte

­ Füllen der Kammer

­ Erzeugen eines Vakuum, Tränkung in Reagenzlösung unter Druck

­ Trocknung durch Vakuum ­Entnahme der Objekte

­ Rekonditionierung ­Qualitätskontrolle

Als weiterer Vorteil des in Spanien entwickelten und zunächst dort und auch bereits in Italien eingesetzten Verfahrens wird auch die Größe der Maschine benannt, die einen Transport erlaubt, somit ein Arbeiten vor Ort in einer Bibliothek bzw. einem Archiv. Ziel der Anbieter ist zudem eine weitere Optimierung des Verfahrens im Hinblick auf die Verbesserung Stabilitätsverhalten.

Bei der von der DFG finanzierten Evaluierung, das Prof. Banik (Stuttgart) vor zwei Jahren durchführte, wurde das CSC Book Saver-Verfahren in einem zweiten Projektschritt im vergangenen Jahr ebenfalls untersucht, das Ergebnis ist bisher unveröffentlicht (Stand: Oktober 2004). Die Evaluierung sollte die Wirksamkeit der Verfahren prüfen. Dazu wurde ein spezieller Alterungstest verwendet. Außerdem entstand eine Risiko-Analyse. Der dynamische Alterungstest erfolgte durch einen Wechsel von Temperaturen in einem geschlossenen System zwischen 25 und 80 Grad bei einer relativen Feuchte von 80 % (dies zur Vorkonditionierung) mit einem DreiStundenzyklus und der Alterung im Stapel.