Politik für Menschen mit Behinderung ­ Ambulantisierung der Eingliederungshilfe

Die Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) plant, ca. 1/3 der im Rahmen der Eingliederungshilfe nach Sozialgesetzbuch XII stationär vorgehaltenen Plätze für Menschen mit Behinderungen (ohne psychisch behinderte Menschen) in ambulante Betreuungsplätze umzuwandeln. Zu diesem Zwecke wurde die zwischen der BSG und den Verbänden der Eingliederungshilfeträger bis 31.12.2006 abgeschlossene Rahmenvereinbarung seitens der BSG einseitig gekündigt. Die Träger stehen nun vor der Aufgabe, kurzfristig 30 % ihrer stationären Plätze in ambulante Betreuungsformen umzuwandeln. Um dieses Ziel zu erreichen und um gleichzeitig ein auch im Einzelfall bedarfsgerechtes und zielführendes Betreuungssetting vorzuhalten, müssen seitens der Träger und der zuständigen Behörde enorme Anstrengungen unternommen werden.

I. Ambulantisierung der Hilfebedarfsgruppen 4 und 5

Wichtigstes Ziel der Ambulantisierung ist es, die Selbstbestimmung und Wahlfreiheit behinderter Menschen zu fördern und zwar unabhängig von ihrem konkreten Unterstützungsbedarf. Gleichzeitig wird schon seit vielen Jahren in der sozialpolitischen und der Fachöffentlichkeit auf die Bedeutung einer möglichst wirklichkeitsnahen Lebensgestaltung beim Wohnen, bei der Arbeit oder der Tagesstrukturierung hingewiesen.

Auch dafür steht die Ambulantisierung, die im Gegensatz zu stationären Wohn- und Betreuungsformen diese Lebenswirklichkeit eher herstellen kann.

Die BSG verfolgt mit der Umstellung auf mehr ambulante Leistungen aber in erster Linie das Ziel, Kosten in der Eingliederungshilfe einzusparen. Das gelingt in der Regel auch bei den Gruppen von behinderten Menschen, die einen geringen Hilfebedarf haben.

Für behinderte Menschen der Hilfebedarfsgruppen 4 und 5 mit hohem Hilfebedarf droht hier aber aus Kostengründen eine Verschlimmerung der gegenwärtigen Situation: Sie werden nicht nur daran gehindert, ihre individuellen Wünsche zu verwirklichen, es kommt darüber hinaus zu einer Konzentration von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf in stationären Einrichtungen, die dazu führt, dass das Ziel der wirklichkeitsnahen Lebensgestaltung für diese Personengruppe vollkommen aus dem Blick gerät.

Daher möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. bei der Ambulantisierung sicher zu stellen, dass auch behinderte Menschen der Hilfebedarfsgruppen 4 und 5 ambulante Betreuungsformen wählen können.

2. dabei sicher zu stellen, dass dem erhöhten Unterstützungsbedarf von Hilfeempfänger/-innen der Gruppen 4 und 5 entsprechende ambulante Betreuungsformen zur Verfügung stehen.

Zur Finanzierung der Ambulantisierungsmaßnahmen für oben genannte Hilfebedarfsgruppen werden die durch die Ambulantisierung frei werdenden Mittel in Kapitel 4650.671.12 „Vollstationäre Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (ohne psychisch Behinderte)" verwendet.

II. Ambulantisierung und Stadtteilentwicklung ­ neue Wohnmöglichkeiten und neue Unterstützungsstrukturen fördern Menschen mit Behinderungen, die in Zukunft gerne ambulant betreut und unterstützt werden möchten, sind auf ein ausreichendes Wohnungsangebot und auf vielfältige Teilhabemöglichkeiten im Stadtteil angewiesen. Da behinderte Menschen der höheren Hilfebedarfsgruppen nicht alleine in der eigenen Häuslichkeit leben können, sondern eher in ambulant betreuten Wohngemeinschaften, müssen deutlich mehr Wohnungen als bisher für diese Wohnform verfügbar gemacht werden, und zwar sowohl im Bestand als auch bei Neubauvorhaben.

Sozialpolitik ist hier Stadtentwicklungspolitik. Das bedeutet aber auch mehr barrierefreier öffentlicher Raum zur gesellschaftlichen Teilhabe, mehr Förderung von Unterstützungsstrukturen auf Stadtteilebene und Öffnung vorhandener Stadtteilangebote auch für behinderte Menschen.

Daher möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. zu prüfen, ob eine Vereinbarung mit der Wohnungswirtschaft unter Beteiligung der Baubehörde und den bezirklichen Wohnungsämtern zur Bereitstellung von ausreichenden Einzel- und Gemeinschaftswohnungen für behinderte Menschen ein geeignetes Instrument zur Verbesserung des Wohnangebots für im Rahmen der Eingliederungshilfe ambulant betreute Menschen mit Behinderung ist.

2. zu prüfen, ob bei der Liegenschaftsvergabe neben dem Kriterium „familienfreundlicher Wohnraum" das Kriterium „barrierefreier Wohnraum" eingeführt werden kann.

3. durch erleichterte Anerkennung der eigenen Häuslichkeit ambulant betreute Wohngemeinschaften behinderter Menschen zu fördern.