JVA

Weigerung der Hamburgischen Vollzugsbehörde, gerichtliche Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern zu befolgen.

In der Begründung seines Beschlusses vom 5. Februar 2007 (3Ws 134/06 2

Zs 609/06 7301 Js 12/04) zitiert der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg den seinerzeit als Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel tätigen Dr. Andreas Behm dahingehend, wie dieser am 31. Dezember 2003 der Justizbehörde, die die Aufgaben der Aufsichtsbehörde gemäß § 151 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) gegenüber der JVA wahrzunehmen hat, per E-Mail unter anderem wörtlich mitteilte: "Ich glaube, es versteht sich von selbst, dass wir den neuerlichen Beschluss auch nicht umsetzen werden." (SB JB I, BI. 114).

Bei dem in Rede stehenden Beschluss handelte es sich offenkundig um einen solchen der Strafvollstreckungskammer vom 30. Dezember 2003, der die Gegenvorstellung des Anstaltsleiters Dr. Behm gegen die Entscheidung vom 23. Dezember 2003 zurückwies, in der die Strafvollstreckungskammer antragsgemäß anordnete, dass die Unterverschlussnahme des Antragstellers Gunter S., seinerseits Strafgefangener der JVA Fuhlsbüttel zu dieser Zeit, bis zur Entscheidung der Hauptsache vorläufig aufzuheben sei. Nachdem die Justizbehörde am 13. Januar 2004 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003 Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgerichts erhoben hatte, wies der Vorsitzende des zuständigen Senats die Behörde am 21. Januar 2004 schriftlich darauf hin, dass deren Rechtsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 3 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat, und dass für den Fall, dass die JVA die im Beschluss vom 23. Dezember 2003 getroffene einstweilige Anordnung bisher nicht umgesetzt habe, dies rechtswidrig wäre. Die Unterverschlussnahme wurde gleichwohl bis zum 14. Januar 2004 täglich und im Anschluss daran bis zum 18. März 2004 alle zwei Tage vollstreckt. Des Weiteren wird in der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 5. Februar 2007 dokumentiert, dass der Prozessbeobachter der Justizbehörde im Hinblick auf die mittlerweile gegen diese wegen der Nichtbeachtung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003 erhobene Schadensersatzklage des Gunter S. festhielt, dass sich nicht wegdiskutieren lasse, dass der Vollzug einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht umgesetzt habe (SB JB IV, Abschnitt 3, BI. 50 ff).

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

1. Teilt Senat bzw. die Justizbehörde die Auffassung, dass die Nichtumsetzung von Beschlüssen einer Strafvollstreckungskammer durch die Leitung einer JVA gegen das geltende Recht, insbesondere gegen den in Art. 20 Absatz 3 Grundgesetz (GG) verankerten Grundsatz der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht verstößt?

Ja.

Wenn nein, auf welche Grundlage stützt der Senat bzw. die Justizbehörde seine bzw. ihre Ansicht, dass die Nichtumsetzung eines solchen Beschlusses durch die Leitung der JVAen mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem Art. 20 Absatz 3 GG, in Einklang steht?

Entfällt.

2. Teilt der Senat bzw. die Justizbehörde die Auffassung, dass der in Art. 19 Absatz 4 GG verankerte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes a) dem Bürger nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit gibt, die Gerichte anzurufen, sondern auch einen Anspruch auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle enthält der b) auch Strafgefangenen zusteht? (BVerfG, 2 BvR 1724/02 Abs. Ja.

Wenn nein, auf welche Grundlage stützt der Senat bzw. die Justizbehörde seine bzw. ihre Ansicht, dass der in Art. 19 Absatz 4 GG verankerte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht auch einen Anspruch auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle enthält?

Entfällt.

3. Sind der Justizbehörde Fälle bekannt, in denen die Leitung einer Hamburgischen JVA einen Beschluss einer Strafvollstreckungskammer nicht umgesetzt hat?

Wenn ja, wann und in welcher Anstalt lag ein derart gelagerter Fall vor?

In einem Fall in der damaligen Justizvollzugsanstalt (JVA) Am Hasenberge ­ jetzt Haus II der JVA Fuhlsbüttel ­ im Mai 2002.

Was sah der jeweils in Frage stehende Beschluss im Einzelnen vor?

Die JVA hatte den Antragsgegner von der Arbeit abgelöst, weil an seinem Arbeitsplatz Alkohol gefunden worden war. Sie wurde „im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller ab sofort zu den vormals bestehenden Bedingungen in dem Arbeitsbetrieb Hansa Öl-Brennerbau weiter zu beschäftigen". Wie sich im späteren Hauptsacheverfahren, in welchem die FHH vollumfänglich obsiegte, herausstellte, beruhte diese einstweilige Anordnung auf falschen Angaben des Antragstellers.

Wie wurde die Justizbehörde auf den Fall aufmerksam?

Durch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen seitens des Gefangenen.

Was wurde von wem wann und wie unternommen, um den Beschluss der Strafvollstreckungskammer jeweils umzusetzen?

Die JVA hat den Gefangenen am 17. Juli 2002 wieder zur Arbeit eingesetzt.

Wer war für die Nichtumsetzung des gerichtlichen Beschlusses jeweils verantwortlich?

Die Anstaltsleitung.

Welche Folgen hatte die Nichtumsetzung des gerichtlichen Beschlusses für die sie verantwortende Person?

Dienstrechtliche Konsequenzen sind nicht gezogen worden. In dem anschließenden Hauptsacheverfahren stellte die Strafvollstreckungskammer fest, dass der betroffene Gefangene nicht das Recht hatte, die ihm im Eilverfahren vorläufig zugestandene Maßnahme zu beanspruchen.

Wenn nein, wie erklärt sich die Justizbehörde dann ihre fehlende Kenntnis über die Nichtumsetzung von Beschlüssen der Strafvollstreckungskammern durch die Leitung von Hamburgischen JVAen?

Entfällt.

4. Das StVollzG enthält keine Regelung über die Vollstreckung von Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern. Eine entsprechende Anwendung der §§ 170, 172 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und mithin die Möglichkeit einer gerichtlichen Zwangmittelfestsetzung gegen eine ihren Verpflichtungen (Art. 20 Absatz 3 GG) nicht nachkommende Vollzugsbehörde (sog. Renitenz) wird von der Rechtsprechung überwiegend verneint. Folglich bleibt der Betroffene auf weitere Rechtsbehelfe (Vornahmeantrag gemäß §§ 109 Absatz 1 Satz 2 2. Alternative, 113 Absatz 1 StVollzG, Dienstaufsichtsbeschwerde, Petition in engeren Sinne, Verfassungsbeschwerde, Individualbeschwerde gemäß Art. 25 EMRK) angewiesen, damit so das verfassungsmäßige Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Absatz 4 GG) erfüllt wird. Vor diesem Hintergrund frage ich:

Sind der Justizbehörde für den Zeitraum von 1998 bis 2007 Rechtsbehelfe der oben genannten Art gegen die Leitung von Hamburger JVAen bekannt, die von Strafgefangenen gestellt wurden und sich auf die Nichtumsetzung eines Beschlusses einer Strafvollstreckungskammer beziehen?

Bitte nach Rechtsbehelfen, Jahr und Anstalt aufgliedern.

Wenn ja, was waren die Ergebnisse der Beschwerden?

In dem in der Antwort zu 3. und 3.1 benannten Fall stellte der Gefangene einen Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die JVA, den das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 22. Mai 2002 zurückwies. Die vom Gefangenen hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) mit Beschluss vom 12. Juni 2002. Der Gefangene stellte daraufhin mit Datum vom 21. Juni 2006 einen Antrag an das Bundesverfassungsgericht. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

Im Übrigen werden die erfragten Daten seitens der Justizvollzugsanstalten statistisch nicht erfasst. Eine nachträgliche Erhebung ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten.

Führt die Justizbehörde in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde der JVAen regelmäßige Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammern von den JVAen umgesetzt werden?

Wenn ja, wie sehen die Kontrollmaßnahmen im Einzelnen aus und welche Konsequenzen ergeben sich aus einer Nichtumsetzung eines gerichtlichen Beschlusses durch die JVA für die sie verantwortende Person?

Wenn nein, warum nicht?

Die zuständige Behörde führt keine regelmäßigen Kontrollen über die Umsetzung derartiger Entscheidungen durch, sondern geht davon aus, dass die Justizvollzugsanstalten gerichtliche Entscheidungen vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Verpflichtung umsetzen.

5. Teilt die Leitung der Justizbehörde die u. a. von ihrem oben zitierten Prozessbeobachter vertretene Ansicht, dass es sich bei dem eingangs geschilderten Sachverhalt, namentlich der bis zum 14. Januar 2004 täglich und der im Anschluss daran bis zum 18. März 2004 alle zwei Tage vollstreckten Unterverschlussnahme des Antragstellers im Ergebnis um eine rechtswidrige Nichtumsetzung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003 durch die Leitung der JVA Fuhlsbüttel handelt?

Wenn ja, wusste die Justizbehörde, insbesondere die Leitung des Strafvollzugsamtes und/oder die Behördenleitung, bereits vor dem 18. März 2004, dass es sich bei den geschilderten Vorgängen in der JVA Fuhlsbüttel um eine Nichtumsetzung eines gerichtlichen Beschlusses handelt?

Wenn ja, was wurde wann und wie seitens der Justizbehörde, insbesondere der Leitung des Strafvollzugsamtes und/oder der Behördenleitung unternommen, um den Beschluss der Strafvollstreckungskammer umzusetzen?

Wenn nein, wie, wenn nicht als Zeichen behördlicher Renitenz, wurde die bereits am 31. Dezember 2003 vom damaligen Anstaltsleiters Dr. Behm an die Justizbehörde gesendete, oben genannte Mitteilung aufgefasst?

Was wurde wann und wie seitens der Justizbehörde bis zum heutigen Zeitpunkt sonst im Zuge der Nichtbeachtung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003 durch die damalige Leitung der JVA Fuhlsbüttel unternommen?

Wenn nein, wie wurden die eingangs beschriebenen Stellungnahmen der für die Justizbehörde tätigen Personen, insbesondere die des damaligen Anstaltsleiters Dr. Behm vom 31. Dezember 2003 von der Justizbehörde eingeordnet, wenn nicht als Beleg für die fehlende Umsetzung der Anordnung der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003?

Wenn nein, worauf stützt die Justizbehörde ihre Ansicht, insbesondere vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen Stellungnahmen des seinerzeit für die Justizbehörde tätigen Anstaltsleiters Dr. Behm vom 31. Dezember 2003 und des Prozessbeobachters der Justizbehörde?

Die zuständige Behörde hat die einstweilige Anordnung der Strafvollstreckungskammer vom 23. Dezember 2003 im rechtlichen Sinne umgesetzt, indem sie dem Gefangenen Gunter S. am 26. Dezember 2003 aufgrund einer handschriftlichen Verfügung des Anstaltsleiters eine Verlegung in das Hafthaus I mit dem ausdrücklichen Hinweis anbot, der Gefangene werde dort die im Gerichtsbeschluss angeordneten Freiheiten haben. Der Anstaltsleiter hatte dazu in seiner Verfügung wörtlich angemerkt: „Dies ist auch mit dem Beschlusstenor vereinbar".

Vor diesem Hintergrund ist der zitierte Satz aus der E-Mail des Anstaltsleiters vom 31. Dezember 2003 dahin zu verstehen, dass der Gerichtsbeschluss weder für den Gefangenen Gunter S. noch für andere Gefangene nicht im Hafthaus II umgesetzt werden sollte.

Auch die zitierte Äußerung des Prozessbeobachters der Justizbehörde bezieht sich auf die rein tatsächliche Umsetzung der Anordnung in Hafthaus II und erklärt sich zudem durch die von der Zivilkammer in der mündlichen Verhandlung sehr klar zu erkennen gegebene Meinung.

Das ­ von dem Gefangenen abgelehnte ­ Angebot einer Verlegung in das Hafthaus I war dem HansOLG bei Abfassung seines Hinweises vom 21. Januar 2004 noch nicht bekannt.