Nach ihrer Konstituierung begann die Kommission ihre Arbeit mit großem Elan und klarer Strukturierung

Die Hamburgische Bürgerschaft hat im Januar 2006 einstimmig die Enquete-Kommission „Konsequenzen der PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" eingesetzt.

Nach ihrer Konstituierung begann die Kommission ihre Arbeit mit großem Elan und klarer Strukturierung. Ich erlebte alle Kolleginnen und Kollegen der drei sehr unterschiedlichen Gruppen der Bürgerschaft und die Sachverständigen als engagierte Diskutanten. Mit den Obleuten der CDU, der SPD und der GAL entwickelte sich ein zunehmend enger werdendes, gutes Arbeitverhältnis. Der unter der Leitung von Kai-Olof Tiburtius eingerichtete Arbeitsstab bereitete unsere Sitzungen vor und erstellte Protokolle und diesen Bericht. Er leistete eine gute Arbeit. Dafür geht mein Dank an alle Genannten. Die Enquete-Kommission verfolgte die von der Bürgerschaft vorgegebenen Zielstellungen mit aller Konsequenz. In einer gemeinsamen Anstrengung will das Parlament der Freien und Hansestadt Hamburg

­ die PISA-Risikogruppen senken,

­ das Bildungsniveau heben,

­ die Qualität von Schule verbessern,

­ die Bildungsfinanzierung überprüfen und

­ die Vielgliedrigkeit des Hamburger Schulsystems reduzieren.

Dazu analysierten wir zunächst bei jedem Teilthema die Ausgangslage im Hamburger Schulwesen. Renommierte Referenten ­ darunter PISA-Forscher Prof. Manfred Prenzel, der bekannte Bildungsforscher Prof. Mats Ekholm aus Schweden, Prof. Olaf Köller vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der HumboldtUniversität, der Erziehungswissenschaftler Prof. Klaus Klemm aus Duisburg-Essen, der wissenschaftliche Leiter der Laborschule an der Universität Bielefeld Prof. KlausJürgen Tillman u. a. ­ lieferten uns hervorragende Vorträge und Analysen. Anschließend stellten Politiker und Sachverständige in manchmal heftigen Diskussionen ihre Positionen dar. Daraus wiederum wurden in zähem Ringen Handlungsempfehlungen für die Politik der Hamburgischen Bürgerschaft abgeleitet. Es ergaben sich dabei überraschend große Übereinstimmungen der Positionen der Gruppen der CDU, der SPD und der GAL. In den letzten zehn Jahren habe man noch nie so intensiv miteinander diskutiert, erklärte ein maßgebliches Mitglied einer Gruppe. Trotzdem stellt dieser Bericht auch die unterschiedlichen Positionen klar heraus.

Wir schauten also bewusst über den hanseatischen Tellerrand, indem wir Erkenntnisse der Wissenschaft, anderer Bundesländer und der europäischen Nachbarn einbezogen. Wir schufen uns ein komplexes Bild der Hamburgischen Schulrealität, ohne auf die üblichen Tabus der Bildungspolitik zu achten, und informierten die Öffentlichkeit jederzeit im Internet über den Stand unserer Arbeit. Bei unseren öffentlichen Sitzungen, die uns viele Wochenenden kosteten, hätten wir uns allerdings noch mehr Besucher und ein größeres Interesse der Öffentlichkeit gewünscht.

Als Dresdner fasziniert mich Hamburg, die Metropole mit internationaler Anziehungskraft. Seit Jahrhunderten treffen und beeinflussen sich hier über Handel und Seefahrt die Weltkulturen und Einwandererströme. Nicht zuletzt daraus entstehen auch Stärken und Schwächen des Hamburger Schulwesens, das eine unglaubliche Vielfalt von schulischen Angeboten aufweist. Aber vieles von dem, was einst die Bildung der Hamburger Schülerinnen und Schüler verbessern sollte, konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Durch das Fehlen von anerkannten Standards wurden Leistungsvergleiche in- und außerhalb Hamburgs unmöglich. Wie in anderen Bundesländern genügte man sich selbst und erlebte beim PISA-Leistungsvergleich ein böses Erwachen.

Inzwischen haben Politik und Öffentlichkeit in Hamburg und überall in Deutschland ihre Lehren aus PISA gezogen. Ein leistungsfähiges Schulsystem muss sich dem Wettbewerb zwischen den Schulen und mit anderen Schulsystemen stellen. Leistungen lassen sich an klar definierten Standards messen, die die Qualität von Schule sichern. Die Vielfalt der verschiedenen Wege zur Qualität und zum Erreichen dieser Standards sollte durchaus möglich bleiben. Eine unübersichtliche Zersplitterung der letztlich durch den Steuerzahler zur Verfügung gestellten personellen und finanziellen Ressourcen muss jedoch vermieden werden. Der endgültige Maßstab für den Erfolg von Schule ist für mich am Ende die aktive Teilnahme aller an unserer demokratischen Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten. Schulabgänger nur auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorzubereiten, ist zu wenig.

Gerade in Hinblick auf die demografische Entwicklung gilt es, alle Begabungsreserven auszuschöpfen. Bei der Integration von Migrantinnen und Migranten, sowohl der Kinder als auch ihrer Eltern, kommt der Schule eine Vorreiterrolle in unserer Gesellschaft zu. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat bei dieser politischen Kernaufgabe im Einwanderungsland Deutschland eine Pilotfunktion.

Als Vorsitzender einer Enquete-Kommission bestand meine Hauptaufgabe in der Moderation und der ergebnisorientierten, straffen Leitung der Diskussion. Dabei unterstützte mich mein Stellvertreter Dr. Dieter Wunder in seiner unnachahmlichen freundlichen und ausgleichenden Art.

Trotzdem sei mir abschließend eine sehr persönliche Bemerkung erlaubt: Natürlich war die Auseinandersetzung um die zukünftige Struktur der Hamburger Schullandschaft der Höhepunkt unserer Kommissionsarbeit. Als Kultusminister in Sachsen gestaltete ich über acht Jahre ein erfolgreiches zweigliedriges Schulsystem aus Mittelschule und Gymnasium mit, das den zweiten Platz im PISA-Vergleich der Bundesländer mit der höchsten Unabhängigkeit des Bildungserfolges von sozialer Herkunft verbindet. Wenn am Ende der Arbeit unserer Enquete-Kommission ein „historischer Kompromiss" der Schulpolitik in Hamburg zur Schaffung eines zweigliedrigen Systems aus Stadtteilschulen und Gymnasien stünde, wäre das ein Signal für die föderale Bildungspolitik in ganz Deutschland.

Dr. Matthias Rößler

1. Einleitung

Seit der Veröffentlichung der internationalen PISA Studie 2000 befindet sich das deutsche Bildungswesen verstärkt im Zentrum des öffentlichen Interesses. In kaum einer anderen europäischen Nation erzeugten die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Vergleichsstudie mehr Aufmerksamkeit als in Deutschland. Der Nachweis, dass das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich nur auf einem Platz im Mittelfeld landete und die soziale Herkunft stärker als in jedem anderen OECD-Land über Bildungschancen entscheidet, beunruhigte die Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen. In einer ersten Reaktion führte die allgemeine Ernüchterung zu einer verstärkten Beachtung der empirischen und vergleichenden Schulforschung. Im Jahr 2003 verständigten sich alle Bundesländer über politische Differenzen hinweg im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) auf gemeinsame Handlungsfelder, um die dringend gebotenen Verbesserungen des deutschen Bildungswesens einzuleiten.

Trotz aller politischen und pädagogischen Bemühungen wurde für Deutschland in der Folgestudie PISA 2003 sowie in anderen landesspezifischen Schulstudien weiterhin ein dringender Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen des Schulwesens festgestellt. Den meisten Bundesländern und insbesondere den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen werden ein zu geringes Bildungsniveau und ein zu hoher Anteil der Risikoschülerinnen und -schüler an der Gesamtschülerschaft attestiert. Außerdem sind die Leistungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu gering, und es gibt eine zu starke Koppelung von Kompetenzerwerb und sozialer Herkunft.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und der aktuellen politischen Diskussion beschloss die Hamburgische Bürgerschaft am 18. Januar 2006 einstimmig die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Untersuchung weiterer notwendiger Konsequenzen für Hamburgs Schulentwicklung. Die Einsetzung der Enquete-Kommission war von der SPD-Fraktion und der GAL-Fraktion beantragt worden und richtete sich nach Art. 27 der Hamburgischen Verfassung in Verbindung mit § 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft.

Der Auftrag der Enquete-Kommission wird in der Drs. 18/3535 formuliert und umfasst fünf Untersuchungsfelder:

1. PISA-Risikogruppe senken ­ Bildungserfolg von sozialer Herkunft entkoppeln, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besser fördern ­ Anschlussförderung für Risikoschüler nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht sicherstellen.

2. Hebung des Bildungsniveaus in Hamburg.

3. Qualität von Schule verbessern ­ individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern als Standard durchsetzen ­ alle Schülerinnen und Schüler intensiv fördern, leistungsstarke ebenso wie leistungsschwache.

4. Bildungsfinanzierung überprüfen.

5. Vielgliedrigkeit des Hamburger Schulsystems reduzieren.

Obwohl dieser Auftrag alle Bereiche des Schulsystems betrifft, konnte es nicht Aufgabe der Enquete-Kommission sein, ihren Auftrag so auszuweiten, dass ein schulpolitisch-pädagogisches Gesamtprogramm entwickelt wird. Es versteht sich von selbst, dass diese Empfehlungen bestimmte Aufgaben, u. a. die erzieherischen Aspekte der pädagogischen Arbeit oder Aspekte der Lehrerausbildung, nicht vertiefen konnten.

Die Enquete-Kommission bestand aus neun Sachverständigen (fünf der CDU-Fraktion, drei der SPD-Fraktion und einem der GAL-Fraktion) sowie acht Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft (4 : 3 : 1). Zur Unterstützung wurde der Kommission ein einvernehmlich besetzter Arbeitsstab zur Verfügung gestellt.