Verantwortung für die Flucht eines Strafgefangenen

Am 5. April 2007 ist es einem Strafgefangenen der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel gelungen, bei einer Ausführung zum Krankenhaus St. Georg zu entfliehen. Er konnte nach einigen Stunden wieder gefasst werden. Das Landgericht Hamburg hatte nach Angaben der Justizbehörde zuvor mit Beschluss vom 3. April 2007 angenommen, dass eine „erhöhte Fluchtgefahr" nicht vorläge und eine Fesselung des Strafgefangenen abgelehnt. In einer Pressemitteilung kritisierte Justizsenator Carsten Lüdemann diese Entscheidung am Tag der Flucht mit den Worten: „Hätten wir den Gefangenen fesseln dürfen, wäre er nicht weggelaufen. Der Fall zeigt deutlich, warum wir im neuen Strafvollzugsgesetz die einfache Fluchtgefahr ausreichen lassen, um Strafgefangene bei Ausführungen fesseln zu dürfen."

Ich frage den Senat:

1. Wie kam es zu dem Beschluss des Landgerichts vom 3. April 2007, welcher Sachverhalt lag ihm zu Grunde?

a) Welche Umstände hatten die zuständige Behörde wann bewogen, die Fesselung des Strafgefangenen anzuordnen? Wer hat diese konkret angeordnet?

b) Hat der Gefangene gegen diese Anordnung eine gerichtliche Entscheidung beantragt oder kam es auf eine andere Weise zu einer Beteiligung des Landgerichts?

Auf Antrag eines in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel inhaftierten Strafgefangenen untersagte die Große Strafkammer 5 des Landgerichts Hamburg mit Beschluss vom 3. April 2007 der JVA, den Gefangenen während seiner für den 4. und 5. April 2007 vorgesehenen Ausführungen in das Krankenhaus St. Georg zu fesseln. Zur Begründung führte die Kammer u. a. aus, dass die nach § 88 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) für die Fesselung erforderliche erhöhte Fluchtgefahr entgegen der Auffassung der JVA nicht ersichtlich und auch nicht ausreichend dargelegt worden sei. Der Einschätzung der JVA, aus früheren Entweichungen des Gefangenen während seiner Unterbringung in Krankenhäusern in den Jahren 1999 und 2006 ergebe sich eine erhöhte Fluchtgefahr, denn auch von diesen Entweichungen habe der Gefangene sich trotz schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht abhalten lassen, folgte das Gericht nicht, weil der Gefangene seinerzeit gänzlich unbewacht gewesen sei. Das Gericht wies im Gegenteil daraufhin hin, dass angesichts der "offensichtlichen und erheblichen Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Gefangenen" und der ärztlich geäußerten Zweifel an seiner Haftfähigkeit "wahrscheinlich sogar die Be wachung durch nur einen Bediensteten ohne Fesselung ausreichen (werde), um eine Flucht wirksam zu verhindern".

Vor diesem Hintergrund wurde der Gefangene am 4. April 2007 ungefesselt, jedoch in Begleitung von zwei Bediensteten ausgeführt. Die Ausführung verlief beanstandungsfrei. Deshalb wurde der Gefangene am 5. April 2007 erneut ungefesselt ausgeführt, nunmehr dem Hinweis des Gerichts entsprechend in Begleitung nur eines Bediensteten. Dies war Gegenstand der Pressemitteilung.

2. Was war Inhalt der gerichtlichen Entscheidung?

a) Wurde der zuständigen Behörde durch den Beschluss des Landgerichts vorgeschrieben, bei der Ausführung nur einen Beamten einzusetzen? Wenn nein, weshalb hat die Pressestelle des Senats am 5. April 2007 mitgeteilt, der Gefangene sei von der JVA „dem Beschluss des Landgerichts entsprechend" nur mit einem Beamten ausgeführt worden?

b) Gab es über die Versagung der Fesselung hinaus weitere Vorgaben durch den Beschluss des Gerichts? Welche?

3. Weshalb ist der Gefangene bei seiner Ausführung nicht durch mehr als einen Beamten begleitet worden?

a) Auf welcher Grundlage hat die zuständige Behörde die Entscheidung getroffen, dass die Begleitung durch einen Beamten ausreichend sei?

b) War es zu einer Veränderung der Einschätzung der Lage gekommen, sodass aus Sicht der Behörde anfangs eine erhöhte Fluchtgefahr anzunehmen, dann aber die Begleitung durch lediglich einen Beamten als ausreichend anzusehen war?

Siehe Antwort zu 1. bis 1. b).

c) Standen im konkreten Fall noch weitere Bedienstete für die Begleitung des Strafgefangenen bei der Ausführung zur Verfügung? Wenn nein, woran lag dies?

Ja. Im Übrigen entfällt.

4. Wie sieht die übliche Vorgehensweise bei der Ausführung Strafgefangener aus?

Das Vorgehen bei Ausführungen Strafgefangener hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles ab, insbesondere von der individuell zu beurteilenden Fluchtgefahr und der Gefährlichkeit des Strafgefangenen.

a) Mit welchen Mitteln wird insbesondere verhindert, dass ein Strafgefangener bei einer Ausführung flieht, wenn die Fesselung nicht angeordnet wird?

Durch möglichst erfahrene Ausführungsbeamte, die den auszuführenden Strafgefangenen ständig und unmittelbar zu beaufsichtigen haben. Die Bediensteten führen außerdem stets eine Handfessel mit sich, um den Gefangenen in unvorhersehbaren Situationen zusätzlich sichern zu können.

b) Wer trifft die Entscheidung, wie die einzelne Ausführung konkret durchgeführt werden soll?

Die Anstaltsleitung oder die entsprechend befugte Vollzugsleitung.

c) Wie viele Beamte begleiten einen gefesselten, wie viele begleiten einen ungefesselten Strafgefangenen im Regelfall?

In der Regel ein bis zwei Beamte.

5. Wie sollte die Ausführung des Gefangenen am 5. April 2007 nach den ursprünglichen Planungen erfolgen?

a) Wie lange sollte sie andauern, welche Zeiträume waren für die Transporte und die Behandlung vorgesehen?

b) Erfolgte die Ausführung des Gefangenen allein oder wurden mehrere Personen gemeinsam ausgeführt?

Der Gefangene sollte allein, gefesselt und in Begleitung zweier Beamter ausgeführt werden. Für den Transport waren bis zu 30 Minuten und für die Dauer der Krankenhausbehandlung voraussichtlich drei bis vier Tage vorgesehen. Es erfolgte eine alleinige Ausführung. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. bis 1. b), 2. bis 2. b), 3. bis 3. b).

6. Wie kam es zu der Flucht des Gefangenen am 5. April 2007?

a) Wann genau erfolgte die Flucht? (Bitte Uhrzeit angeben.)

b) In welcher konkreten Situation gelang es dem Gefangenen zu fliehen? War die ärztliche Behandlung bereits beendet?

c) Welche Hindernisse musste der Gefangene bei seiner Flucht überwinden?

d) War der Beamte, der den Gefangenen bei seiner Ausführung begleitet hat, im Moment der Flucht bei ihm? Wenn nein, weshalb nicht und womit war der Beamte beschäftigt?

e) War jemand anderes beauftragt, den Gefangenen zu beaufsichtigen und eventuelle Fluchtversuche zu unterbinden?

Gegen 7.45 Uhr verweigerte der Gefangene im Krankenhaus die vorgesehene Behandlung. Er sollte deshalb in die JVA zurückgebracht werden und packte in seinem bereits bezogenen Patientenzimmer seine persönlichen Gegenstände zusammen, während der ebenfalls in dem Zimmer anwesende Ausführungsbeamte Krankenhausunterlagen ausfüllte. Hierbei hatte er den Gefangenen kurzfristig nicht im Blick. Diese Gelegenheit nutzte der Gefangene, um gegen 9.05 Uhr das Zimmer zu verlassen. Es waren keine Hindernisse zu überwinden. Die unverzügliche Nacheile des Bediensteten verlief erfolglos.

7. War der Gefangene während der Ausführung zeitweilig unbeaufsichtigt bzw. nicht in Begleitung des Aufsicht führenden Beamten?

a) Wie oft, wann genau und wie lange war der Gefangene jeweils unbeaufsichtigt?

b) Aus welchen Gründen war der Gefangene jeweils in den einzelnen Fällen unbeaufsichtigt?

Der Gefangene war unmittelbar vor Beginn seiner Behandlung in einem gesonderten Bereich des Krankenhauses, der nur medizinischem Personal zugänglich ist, in der Zeit von ca. 7.00 Uhr bis ca. 7.45 Uhr nicht in Begleitung des Beamten, der in dieser Zeit jedoch die entsprechende Zugangstür bewachte.

8. In zwei Mitteilungen der Pressestelle des Senats vom 5. April 2007 wurde der Vorwurf erhoben, die Flucht des Gefangenen sei auf die Entscheidung des Gerichts, die Fesselung zu untersagen, zurückzuführen.

a) Hat sich die zuständige Behörde vor Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 5. April 2007 (10.55 Uhr) über die genauen Ereignisse um die Flucht informiert?

Ja.

b) Welche Informationen lagen der zuständigen Behörde im Einzelnen über den Sachverhalt vor, bevor die Öffentlichkeit über die Flucht und die möglichen (Hinter-)Gründe des Geschehens informiert wurde?

Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 3. April 2007, die vorherige Stellungnahme der JVA Fuhlsbüttel vom 3. April 2007, eine Kurzdarstellung des Sachverhalts durch die Anstalt sowie das Vollstreckungsblatt des Gefangenen. Die Informationen wurden ergänzt durch telefonische Kontakte des Pressesprechers der Justizbehörde mit dem Pressesprecher der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH und dem Anstaltsleiter der JVA Fuhlsbüttel.

c) Welche Informationen über den Hergang haben die Behörde ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erreicht und wann jeweils?

Mittags erhielt der Pressesprecher der Justizbehörde einen weitergehenden Hintergrundvermerk des Anstaltsleiters sowie die Vollzugsmeldung der Festnahme. Ebenfalls mittags erfolgte ein Telefonat des Pressesprechers mit der Pressestelle der Polizei Hamburg zu den näheren Umständen der Festnahme.

d) Bleibt der Senat bei seinem in den Pressemitteilungen vom 5. April 2007 geäußertem Vorwurf?

Aus Sicht der zuständigen Behörde ja. Der Senat hat sich hiermit nicht befasst.