Notwendigkeit, Umfang, Kosten und Verfahrensfragen für Anpassungsmaßnahmen beim privaten Hochwasserschutz

Der Senat berichtet über den Stand der Erkenntnisse zu „Notwendigkeit, Umfang, Kosten und Verfahrensfragen für Anpassungsmaßnahmen beim privaten Hochwasserschutz".

Aus den Ergebnissen des Untersuchungsprogramms geht hervor, dass Baumaßnahmen erforderlich werden. Als Konsequenz der Untersuchungen wird vorgeschlagen, ein Förderprogramm für Bau- und Anpassungsmaßnahmen vorzubereiten und durchzuführen.

1. Ausgangslage:

Sturmfluten und darauf folgende Bauprogramme:

Seit den Sturmflutereignissen, die 1962 die Stadt und den Hafen sowie 1976 den Hafen nochmals schwer getroffen haben, sind Sturmflutforschung und die Anpassung des Hochwasserschutzes an die Sturmflutentwicklung ein besonderes Anliegen hamburgischer Politik. Frühere Sturmflutereignisse sowie die Entwicklung und die Abfolge der bisherigen Bauprogramme werden in der Anlage 1 grafisch dargestellt:

In Hamburg wurden nach der Sturmflut von 1962 neue, leistungsfähigere Deiche und Hochwasserschutzwände gebaut und die Hauptdeichlinie für den öffentlichen Hochwasserschutz auf heute ca. 100 km verkürzt. Die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen bewährten sich bei der bislang höchsten Sturmflut mit einem Scheitelwasserstand am Pegel St. Pauli von Normalnull (NN) + 6,45 m am 3. Januar 1976. Im bis dahin ungeschützten Hafen traten damals jedoch schwere Schäden auf.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat zur Sicherung des Hafenstandortes Hamburg die Errichtung von privaten Hochwasserschutzanlagen im Hafen und am Nordufer der Elbe gefördert. Mit einer einmaligen staatlichen Unterstützung wurden von den Eigentümern Hochwasserschutzanlagen einschließlich des Schutzes einzelner Anlagen (Objektschutz) in der Regel mit einer Sollhöhe von NN + 7,50 m errichtet.

So waren durch ca. 118 km private Hochwasserschutzanlagen so genannte Polder entstanden, die in wesentlichen Teilen als Gesellschaften aus privaten Eigentümern und der Hamburg Port Authority (HPA) als fiskalischem Eigentümer organisiert sind. Sie schützen vor allem Güter und Anlagen auf etwa zwei Dritteln der Landflächen des Hafens sowie einige Büro- und Wohngrundstücke am Nordufer der Elbe (siehe Anlage 2).

Auf Grundlage der Erkenntnisse der Sturmflutforschung haben die Unterelbanlieger 1985 einvernehmlich eine neue Bemessungssturmflut festgelegt, welche die hydrologischen Verhältnisse mit stromauf steigenden Wasserständen berücksichtigt. Mit einem Zuschlag von 0,3 m für mögliche säkulare Wasserstandsanhebungen ergeben sich abgestufte Bemessungswasserstände, die im Hafengebiet von NN + 7,2 m am Köhlfleet bis NN +7,4 m am Ostrand der Peute ansteigen (siehe Anlage 2). Auf dieser Grundlage empfahl die vom Senat eingesetzte „Unabhängige Kommission Sturmfluten" (im Folgenden: Kommission) im Juni 1989, im ersten Schritt den öffentlichen Hochwasserschutz zu erhöhen und zu verstärken. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Förderprogramm Privater Hochwasserschutz Haushaltstitel: 7350.891.39 Förderprogramm Privater Hochwasserschutz hier: Unterrichtung über das Ergebnis des Untersuchungsprogramms und zur Vorbereitung eines Förderprogramms für Bau- und Anpassungsmaßnahmen des privaten Hochwasserschutzes im Hamburger Hafen und hamburgischen Tidegebiet.

Bei den bestehenden privaten Hochwasserschutzanlagen wurde damals von der Kommission zunächst noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf gesehen, weil die Polderwände und -deiche 0,1 bis 0.3 m über dem neuen Bemessungswasserstand (theoretischer Wasserspiegelstand ohne Wellen) lagen. Eine Dimensionierung der für diese Anlagen erforderlichen Bauhöhen wurde später planmäßig unter Berücksichtigung von Wellenhöhen je nach Lage einzeln durchgeführt.

Im Zusammenhang mit dem Beschluss zum Ausbau des öffentlichen Hochwasserschutzes hat der Senat klar gestellt1), dass für den privaten Hochwasserschutz langfristig im Hafen eine vergleichbare Sicherheit zum öffentlichen Hochwasserschutz erforderlich ist und hat 1992 ein Untersuchungsprojekt veranlasst.

Privatrechtliche Organisation und hoheitlicher Einfluss

Der private Hochwasserschutz im Hafen umschließt einzelne Objekte, Grundstücke oder Flächen mehrerer Hafenfirmen. Er wurde nicht wie der öffentliche Hochwasserschutz von der Stadt im Rahmen der Daseinsvorsorge gebaut, sondern mit einer bis zu 75 %igen staatlichen Förderung von den Privaten als Suprastruktur geplant und errichtet. Er ist von ihnen als Eigentümer zu eigenen Lasten instand zu halten und im Sturmflutfall zu verteidigen. Zu diesem Zweck wurden Gesellschaften mit unterschiedlichen Rechtsformen als Poldergemeinschaften gegründet. In den einzelnen Gesellschaftsverträgen sind insbesondere Aufgaben, Rechte, Pflichten und Kostenregelungen verankert. Es gibt zurzeit im Hafen 48 private Polder und am Nordufer der Elbe vier. In 13 Poldergemeinschaften ist die HPA in Rechtsnachfolge für die Freie und Hansestadt Hamburg privatrechtlich Gesellschafterin, bei weiteren zwei Poldern ist sie zu 100 % Eigentümerin. Die privatrechtliche Beteiligung der HPA bzw. vor deren Gründung der Freien und Hansestadt Hamburg erfolgte nach Prüfung der Interessenlage bei zu schützenden Anlagen, wie z. B. öffentlichen Straßen, Gleisanlagen und unvermieteten Liegenschaften.

Sowohl die staatliche Aufsicht über die Polderanlagen als auch die Rechte und Pflichten der Eigentümer sind im Hamburgischen Wassergesetz und in der Polderordnung geregelt.

Die wesentliche Begründung, neben dem öffentlichen einen privaten Hochwasserschutz zu entwickeln, ist in den speziellen Anforderungen und Randbedingungen des Hafens und seiner Betriebe zu sehen. So ist die Zugänglichkeit zum Wasser für die Firmen im Hafen unentbehrlich, wenn ihre Betriebsabläufe nicht nachhaltig beeinträchtigt werden sollen. Daraus resultieren eine Vielzahl von Toren und ein entsprechend hoher Verteidigungsaufwand im Sturmflutfall.

Die privatrechtliche Organisation vermeidet Eingriffe in die Betriebsabläufe durch staatliche Einsatzkräfte. Sie erlaubt einerseits eine Minimierung des hoheitlichen Einflusses, anderseits wird die HPA für Instandhaltungen und Betrieb dieser Anlagen nicht über ihren fiskalischen Anteil hinaus mit Aufwendungen und Kosten belastet.

Das Konzept des privaten Hochwasserschutzes hat sich bewährt. Sehr schwere Sturmfluten mit Wasserständen bis NN + 6,00 m konnten ohne schwerwiegende Folgen abgewehrt werden. Der private Hochwasserschutz ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Güter und Anlagen im Hafen versichert werden können und vielfältige Aktivitäten im Hafen möglich sind. Er ist damit ein wichtiger Standortfaktor, den es zu erhalten gilt. Die Konkurrenzhäfen der sog. „Nordrange" im nordwestlichen Europa haben ihre Hafenanlagen ­ anders als Hamburg ­ entsprechend der räumlichen Anordnung der Hafenbecken und -anlagen im wesentlichen durch öffentlichen Hochwasserschutz bzw. überflutungssichere Standorte bei voller Finanzierung aus öffentlichen Haushalten geschützt. Dieses ist im Hamburger Hafen u. a. wegen der räumlichen Anordnung vieler Hafenbecken unter Beachtung des Bestandes nicht oder nur sehr aufwändig umsetzbar.

2. Untersuchungsprojekt (Projekt privater Hochwasserschutz):

Im Rahmen des „Projektes Privater Hochwasserschutz" wurden ab 1992 Grundlagen für die neuen Bemessungsansätze ermittelt und in neuen technischen Rahmenbedingungen festgelegt. Diese folgen dem Prinzip „Gleiche Sicherheit anstelle gleicher Höhe" und berücksichtigen eine vergleichbare Sicherheit zum öffentlichen Hochwasserschutz. Bereiche, die hohen Wellen ausgesetzt sind, müssen höher und stärker dimensioniert sein als solche, die vor ruhigem Wasser schützen sollen. Hierzu wurden grundsätzliche Untersuchungen durchgeführt, bevor die Überprüfung einzelner Anlagen ab 1997 schrittweise begann. Mit technischen Untersuchungen wurden bzw. werden Bedarf, Umfang und Kostenrahmen von Anpassungen beim privaten Hochwasserschutz an veränderte Bemessungsgrundsätze ermittelt.

Die Eigentümer der Anlagen führen die Untersuchungen durch. Die Stadt fördert diese Aufwendungen mit 75 %.

Eine Projektgruppe bei der HPA begleitet die Untersuchungen fachtechnisch und prüft sowohl Ergebnisse als auch Förderungsfähigkeit dieser Planungen.

Die Untersuchungen sind auf das bewährte Hochwasserschutzkonzept im Hafen mit Poldern und Objektschutz fokussiert und beziehen sich zurzeit grundsätzlich auf bestehende Schutzanlagen. Bereits im Zusammenhang mit dem Bauprogramm für den öffentlichen Hochwasserschutz ist 1995 alternativ zu einer Anpassung der bestehenden Hochwasserschutzanlagen ein Schutz durch Sperrwerke intensiv betrachtet und verworfen worden. Die damals maßgebenden Kriterien gelten noch heute. Dabei sind mögliche Behinderungen der Schifffahrt und damit die Gewährleistung der Hafenfunktion maßgebende Kriterien.

3. Ergebnisse:

Gefährdungslage:

Aus den 1985 ermittelten und 1990 offiziell eingeführten Bemessungswasserständen wurde ein unmittelbarer Handlungsbedarf für den öffentlichen Hochwasserschutz abgeleitet. Mit der Umsetzung des 1989 begonnenen und später fortgeschriebenen, laufenden Bauprogramms wird den erhöhten Anforderungen für den Schutz des Stadtgebietes Rechnung getragen.

Da die Ergebnisse im laufenden Untersuchungsprogramm für die privaten Hochwasserschutzanlagen aufzeigen, dass sie in großen Bereichen an die aktuellen Anforderungen

1) Drucksachen 13/2224 „Verbesserung des Hochwasserschutzes für Hamburg - Stellungnahme der Unabhängigen Kommission Sturmfluten und Folgerungen" vom 16. September 1988 und 13/6854 "Hochwasserschutz ­ Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission Sturmfluten ­ Bewertungen und Folgerungen" vom 9. Oktober 1990 angepasst werden müssen, besteht jetzt auch hier Handlungsbedarf.

Ohne solche Anpassungsmaßnahmen ist für die Firmen mit Problemen beim Versicherungsschutz ­ wie Änderungen bestehender Verträge auf Grund neuer Risikoeinschätzungen ­ zu rechnen. Neben Versicherungsfragen steht bei den Betrieben jedoch insbesondere die Betriebsund Produktionssicherheit im Vordergrund. Hieraus ergibt sich Handlungsdruck bei den Hafenbetrieben.

Nach vorliegenden Ergebnissen des Untersuchungsprogramms für den privaten Hochwasserschutz und vor dem Hintergrund des aufgezeigten Gefährdungspotenzials im Hafen und am Nordufer der Elbe ist es erforderlich, für entsprechende Anpassungsmaßnahmen ein staatliches Förderprogramm für den privaten Hochwasserschutz vorzubereiten.

Die Vorbereitung eines Förderprogramms, das die privaten Poldergesellschaften bei der Durchführung ihrer Schutzmaßnahmen unterstützt, ist deshalb für die Standortsicherung des Hafens von hohem Interesse. Im Einzelfall beteiligt sich die HPA deshalb bereits im Vorwege einer Senats- und Bürgerschaftsentscheidung über das Förderprogramm als Mitglied in Poldergemeinschaften privatrechtlich anteilig entsprechend bestehender Polderverträge an der Durchführung von Maßnahmen.

Kosten-Nutzen-Darstellung

Allein der Wert der durch die bestehenden privaten Hochwasserschutzbauwerke zu schützenden Anlagen, Gebäude und Güter übersteigt deutlich die für eine Anpassung an die Bemessungswasserstände erforderlichen Aufwendungen.

Das im Rahmen einer Risikoanalyse 1986 ermittelte und mit dem aktuellen Preisindex fortgeschriebene materielle Schadenspotenzial beträgt bei einer vollständigen Überflutung des Hafens ca. 3 bis 4 Mrd. Euro. Gegenüber den bisher abgeschätzten zukünftigen Herstellungskosten von ca. 188 Mio. Euro beträgt dieses Schadenspotenzial demnach etwa das 20-fache der erforderlichen Investitionen.

Ein Versagen von privaten Hochwasserschutzanlagen würde neben diesen unmittelbaren Sachschäden der Betroffenen zu betrieblichen Ausfällen sowie zu einem Imageverlust für einzelne Firmen, den Hafen und damit den Standort Hamburg in seiner Gesamtheit führen. Dies kann auch eine Zurückhaltung bei Unternehmensentscheidungen zugunsten von Standorten im Hamburger Hafen zur Folge haben.

Daneben ist zu berücksichtigen, dass es im neuen Bemessungslastfall zu Schäden an betrieblichen Einrichtungen kommen kann, die Verunreinigungen durch Wasser gefährdende Stoffe zur Folge haben. Dies kann hohe finanzielle und ökologische Schäden verursachen und ebenfalls der Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Standortes Hamburg schaden.

Anpassungsbedarf

Auf Grundlage der neuen Bemessungskriterien ergeben sich bei nahezu allen Poldern Anpassungsbedarfe. Sie betreffen die Standsicherheit der Hochwasserschutzanlagen, den Wassereintrag durch Wellenüberlauf sowie die Entwässerung. Ebenso sind Uferbauwerke betroffen, die den Hochwasserschutzanlagen vorgelagert sind und als Stützkörper wirken.

Bei einer Gewährleistung eines Hochwasserschutzes gemäß den neuen Bemessungskriterien ergeben sich auf Basis der vorliegenden Kostenschätzungen voraussichtlich Herstellungskosten mit einem Gesamtvolumen in der Größenordnung von 188 Mio. Euro (siehe Anlage 3). Hierin sind alle gewerkmäßigen Titel (ca. 150 Mio. Euro), Baustelleneinrichtung (ca. 15 Mio. Euro) und Baunebenkosten (ca. 23 Mio. Euro), wie Ingenieurleistungen, Baugrunderkundungen und -gutachten sowie Vermessung berücksichtigt.

4. Rahmenbedingungen eines Förderprogramms

Beihilferecht Grundsätzlich unterliegen Fördermaßnahmen den beihilferechtlichen Anforderungen des europäischen Gemeinschaftsrechts. Nach Auswertung der vorliegenden Rechtsgrundlagen ist eine finanzielle Beteiligung der Freien und Hansestadt Hamburg an Anpassungsmaßnahmen bei privaten Hochwasserschutzanlagen der Polder mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar. Daher ist eine Notifizierung bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nicht erforderlich.

Staatliche Unterstützung zur Anpassung des privaten Hochwasserschutzes

Eine finanzielle Beteiligung des Bundes und der Europäischen Union wurde mit nachstehendem Ergebnis überprüft:

­ Eine Förderung des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) lassen die bestehenden Förderbedingungen nicht zu, diese schließen Zuwendungen an Private aus. Eine Änderung dieser bestehenden Förderbedingung wurde bereits auf Fachebene von allen anderen Küstenländern und dem Bund prinzipiell abgelehnt, weil daraus folgend dann auch Mittelbedarfe zu privaten Anlagen in der Zuständigkeit anderer Küstenländer zu erwarten wären. Die formelle Änderung der Förderbedingungen, dass im Rahmen der GAK künftig auch Zuwendungen an Private möglich sind, bedürfte der Zustimmung der anderen Länder und des Bundes im Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz (PLANAK). Diese Zustimmung ist nicht zu erwarten, da die entsprechenden Förderbeträge zu Lasten der anderen Länder gingen.

­ Finanzhilfen auf Grundlage des Artikel 104 a Absatz 4 des Grundgesetzes „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" kommen vor dem Hintergrund eines boomenden, von aktuellen Sonderereignissen der Natur nicht betroffenen Hafens zurzeit nicht in Betracht.

­ Eine Förderung durch derzeit laufende Programme der Europäischen Union, wie der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) und das Aktionsprogramm der Gemeinschaft für den Küstenschutz, ist ebenfalls nicht möglich. Die Förderbedingungen der vorgenannten Programme schließen eine Förderung von Anpassungsmaßnahmen für den privaten Hochwasserschutz und Objektschutz in Hamburg aus.