Die unausgesetzte Absonderung Einzelhaft § 89 StVollzG ist nicht zulässig

So dürfen besondere Sicherungsmaßnahmen nur für eine befristete Zeit angeordnet werden. Ständige Betreuung der betroffenen Jugendgefangenen muss gewährleistet sein. Zusätzlich statuiert Absatz 2 Begründungs-, Dokumentations- und Mitteilungspflichten, um die Anordnung und Durchführung besonderer Sicherungsmaßnahmen für die Jugendgefangenen selbst, die Aufsichtsbehörde, die Personensorgeberechtigten und die Verteidigung transparent zu machen. Die besonders einschneidenden Maßnahmen nach Nummer 5 müssen entsprechend § 92 Absatz 1 StVollzG ärztlich überwacht werden.

Die unausgesetzte Absonderung (Einzelhaft, § 89 StVollzG) ist nicht zulässig. Dies folgt schon aus Nummer 66 der Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug, deren Beachtung das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Mai 2006 angemahnt hat.

Ein Ersatz von Aufwendungen für die Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen entsprechend § 93 StVollzG ist nicht vorgesehen. Besondere Sicherungsmaßnahmen sind als Notfallreaktionen im Rahmen eines erzieherisch ausgerichteten Vollzuges zu betrachten. Die Jugendgefangenen sind für ihre Anwendung ebenso wenig wirtschaftlich heranzuziehen wie für andere Vollzugsmaßnahmen. Diese Entscheidung steht im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Haftkostenfreiheit und dient auch dem Zweck, vorhandene wirtschaftliche Mittel der Jugendgefangenen in erster Linie zur Ordnung der eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse und zum Schadensausgleich zu verwenden.

Zu § 68 (Unmittelbarer Zwang)

Die Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Jugendstrafvollzug wurden enger gefasst als es nach der Regelung in § 178 Absatz 1 StVollzG der Fall ist. Damit wird den Anforderungen der Nummer 63 der VN-Regeln zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug entsprochen, die die Anwendung von Zwangsmitteln nur für Ausnahmesituationen, nur für gesetzlich vorgesehene Fälle und nur als letztes Mittel erlaubt. Dementsprechend ist unmittelbarer Zwang nach Absatz 1 nur zulässig, wenn er erforderlich ist, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten. Es gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip mit dem Grundsatz, dass das jeweils mildeste geeignete Mittel anzuwenden ist.

Absatz 1 Satz 2 untersagt gemäß Nummer 65 der VN-Regeln zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug den Gebrauch von Schusswaffen.

Absatz 2 regelt die Androhung von Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs und entspricht § 98 StVollzG. Absatz 3 ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und entspricht § 96 StVollzG.

Zu § 69 (Pflichtverstöße, Konfliktregelung)

Die alltägliche Lebensgestaltung im Jugendstrafvollzug ist von größter Bedeutung.

Hier wird den Jugendgefangenen ein Übungsfeld für die erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse im Sinne eines normorientierten förderlichen Milieus gegeben. Anstaltsordnung und Disziplin gehören zu den unabdingbaren Voraussetzungen des Jugendstrafvollzuges, um nicht nur einen weitgehend störungsfreien, sondern auch einen möglichst produktiven Ablauf des Vollzugsalltags zu gewährleisten und die Gefangenen vor sich selbst und ihren Mitgefangenen zu schützen. Ein auf dauerhafte Verhaltensänderung ausgerichteter Jugendstrafvollzug gebietet es, Konflikte und Probleme nicht durch einfache, auf die Einhaltung von Sicherheit und Ordnung gerichtete Disziplinierung ­ scheinbar ­ zu bewältigen. Im Sinne des Fördergedankens muss es vielmehr um Konfliktlösung durch Auseinandersetzung gehen sowie um die Befähigung der jungen Menschen zu Mündigkeit und freiwilliger Selbstdisziplin.

Fehlverhalten und Verstöße gegen geltende Normen sollen im Jugendstrafvollzug in erster Linie als Gelegenheit zum Lernen und als Möglichkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung verstanden werden. Dabei geht es vornehmlich darum, die Einsicht in die prinzipielle Notwendigkeit von Ordnung und Disziplin zu fördern sowie die Bereitschaft zur inhaltlichen Auseinandersetzung und Mitgestaltung solcher Ordnungen, um eine Erweiterung der Wahrnehmungs- und Verhaltensbereitschaften der Gefangenen zu erreichen. Der Sinn disziplinarischer Maßnahmen besteht nicht darin, über repressive Maßnahmen äußerlich scheinbar geordnete Verhältnisse aufrechtzuerhalten, in denen dennoch weiter Subkulturen bestehen. Sie sollen vielmehr dafür sorgen, dass die Jugendgefangenen für ihre Lebensgestaltung selbst die Verantwortung übernehmen.

Absatz 1 bestimmt, dass Pflichtverstöße und Konflikte zunächst im Wege des erzieherischen Gesprächs zu lösen sind. Die Jugendgefangenen erhalten Gelegenheit, zu den Vorfällen Stellung zu nehmen und die Angelegenheit beizulegen.

Hierdurch sollen die Gefangenen auch im Hinblick auf ihr zukünftiges Leben lernen, dass bestimmte Normen und Ordnungen nicht gegen sie gerichtet sind, sondern sie und das Zusammenleben schützen und ihre persönliche Entwicklung fördern.

Ist ein Pflichtverstoß oder Konflikt auf diese Weise nicht zu lösen, tritt er wiederholt auf oder erweist sich als so schwerwiegend, dass ein erzieherisches Gespräch nicht ausreicht, soll nach Absatz 2 in der Regel zunächst eine ausgleichende Konfliktschlichtung versucht werden. Hinsichtlich des Verfahrens macht die Bestimmung keine konkreten Vorgaben, um den Jugendstrafanstalten einen Gestaltungsspielraum zu lassen. Die üblichen Regeln für Mediations- und andere Konfliktschlichtungsverfahren sollten aber eingehalten werden, das heißt, die konfliktschlichtende Person muss an dem Konflikt unbeteiligt sein (Satz 2; dies sollte der Praktikabilität wegen eine anstaltsinterne Person sein), jede Seite sollte ausreichend Gelegenheit erhalten, die Vorfälle aus ihrer Sicht zu schildern, und das Ergebnis sollte in einer konkreten Vereinbarung zum Beispiel über eine Entschuldigung, Schadensbeseitigung oder -wiedergutmachung oder Regeln für das zukünftige Verhalten in ähnlichen Situationen münden. Solche Maßnahmen können aber auch angeordnet werden.

Absatz 3 eröffnet die Möglichkeit, das Verfahren formaler zu gestalten, indem eine Ombudsstelle den Konflikt bearbeitet. Die Ombudsleute sind anstaltsextern. Die Gefangenen haben auf dieser Stufe also die Möglichkeit einer objektiven Beurteilung der strittigen Situation. Die Ombudsstelle kann jederzeit auf Antrag einer oder eines Beteiligten angerufen werden. Wenn sich die Gefangenen also von „der Anstalt" ungerecht behandelt fühlen und auch keine gerechte anstaltsinterne Konfliktbearbeitung erwarten, können sie diesen Weg auch direkt gehen. Die Ombudsstelle wird auch eingeschaltet, wenn die Konfliktregelung nach Absatz 2 gescheitert ist. Die Ombudsstelle wirkt auf eine Vereinbarung hin, kann aber auch Maßnahmen nach Absatz 4 anordnen.

Über dieses System der Konfliktregelung hinaus sind keine Disziplinarmaßnahmen zulässig. Zur Abwendung unmittelbarer Gefahren sind die besonderen Sicherungsmaßnahmen (§ 67) und die Regelungen über unmittelbaren Zwang (§ 68) anwendbar.

Wenn Gefangene strafbewehrtes Unrecht begehen, greift das Strafrecht ein. Für ausschließlich disziplinierende Maßnahmen besteht in einem auf Förderung ­ und damit Zusammenarbeit zwischen Bediensteten und Gefangenen ­ ausgelegten Strafvollzug daneben keine Notwendigkeit mehr.

Zu § 70 (Rechtsbehelfe)

Die Gefangenen müssen sich gegen Maßnahmen zur Wehr setzen können. Das Bundesverfassungsgericht (Rn. 58) fordert dafür ein Verfahren, welches den Möglichkeiten der Gefangenen entgegenkommt und so einen effektiven Rechtsschutz ermöglicht.

Die Gefangenen haben in der Regel Probleme, sich schriftlich auszudrücken und sich in komplexen Systemen zurechtzufinden. Um ihnen dennoch einen effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, muss also ein einfaches und formloses Verfahren bereitgestellt werden. Dies wird hier durch ein Schlichtungsverfahren bei einer Ombudsstelle ermöglicht. Die Gefangenen können sich mit ihren Beschwerden formlos an die Ombudsstelle wenden. Die Möglichkeit der Jugendgefangenen, Beschwerden nicht nur der Anstaltsleitung, sondern auch der Ombudsstelle vorzutragen, entspricht den Vorgaben der Nummer 70 der VN-Regeln zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug. Die Ombudsstelle soll die ­ ohnehin erfahrungsgemäß geringe Anzahl (siehe dazu DVJJ Dokumentation, ZfJ 2004, Seite 319) ­ von Beschwerden der Gefangenen größtenteils abschließend klären.

Wenn innerhalb von zwei Wochen eine Schlichtung nicht zustande kommt, kann formlos ein Antrag auf Entscheidung der Sache an die Vollstreckungsleiterin oder den Vollstreckungsleiter gestellt werden. Die Vollstreckungsleiter setzen einen Termin für eine mündliche Verhandlung an, an dem sie selbst, der oder die Gefangene und der oder die betreffende Bedienstete sowie weitere Beteiligte und Verteidiger anwesend sind. Noch am Tag der mündlichen Verhandlung trifft die Vollstreckungsleiterin oder der Vollstreckungsleiter ihre oder seine Entscheidung. Gegen die so getroffene Entscheidung kann binnen zweier Wochen ein Rechtsmittel eingelegt werden, über welches die Jugendkammer entscheidet. Die Vollstreckungsleiter das Verfahren nach Absatz 2 durchführen zu lassen, hat den Vorteil, dass bei diesen dann die Zuständigkeit für Entscheidungen über Strafaussetzungen oder -unterbrechungen (§§ 88, 89 a JGG) und das Verfahren nach Absatz 2 gebündelt sind. Die Jugendstrafkammer hat die Rolle des Rechtsmittelgerichts.

Die Fristen in Absatz 2 und 3 dienen dazu, dass die Sachen schnell entschieden werden, damit für alle Beteiligten Klarheit besteht. Dies ist im Jugendstrafvollzug wegen der regelhaft kurzen Haftzeiten von besonderer Bedeutung. Die Kostenregelung entspricht § 74 JGG.

Zu Paragrafen 71 bis 78

In den §§ 71 bis 78 finden sich die Bestimmungen über den Datenschutz. Diese orientieren sich an den §§ 179 bis 187 StVollzG, nehmen aber in einer Reihe von Details Verstärkungen des Datenschutzes vor. Damit wird der aktuelle Stand der Entwicklung des Datenschutzrechts aufgenommen.

Zu § 79 (Beiräte der Jugendstrafanstalten)

In dem überwiegend geschlossenen System des Jugendstrafvollzuges ist die institutionalisierte Beteiligung interessierter und engagierter Bürgerinnen und Bürger von herausragender rechtsstaatlicher Bedeutung. Die Beiräte dienen der Herstellung von Öffentlichkeit und Transparenz. Sie haben eine Kontroll-, aber auch eine Vermittlungsfunktion. Zum einen wird sichergestellt, dass die Gesellschaft die Konsequenzen der Strafe des Freiheitsentzuges wahrnimmt, sich mit ihren Folgen auseinandersetzt und sich aktiv an ihrer Ausgestaltung beteiligt. Zum anderen wird gewährleistet, dass diese schärfste Form staatlicher Machtausübung ständiger kritischer Überprüfung und Beobachtung unterliegt. Die Beiräte sollen mit ehrenamtlichen Mitgliedern besetzt werden (Absatz 3). Im Übrigen entsprechen die Bestimmungen im Wesentlichen den Regelungen der §§ 162 bis 165 StVollzG.

Zu § 80 (Wissenschaftliche Begleitung und unabhängige Kontrolle)

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 verpflichtet, den Jugendstrafvollzug nach den jeweils aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaften auszugestalten (Rn. 64). Hierfür ist eine wissenschaftliche Begleitforschung im Jugendstrafvollzug notwendig, deren Voraussetzungen in dieser Vorschrift geregelt sind. Zuständig für die wissenschaftliche Begleitforschung ist danach der kriminologische Dienst (vgl. § 166 StVollzG), der jedoch externe Fachleute an der Forschung beteiligen muss (Absatz 1 Satz 1). Die Begleitforschung muss umfassend angelegt werden, das heißt, sie muss sowohl die Gestaltung des Jugendstrafvollzugs, als auch die Umsetzung seiner Leitlinien und Fördermaßnahmen, als auch die Wirkungen dieser Maßnahmen im Hinblick auf das Erziehungsziel des Vollzuges in den Blick nehmen.

Erhebliche Defizite gibt es derzeit noch bei der Evaluation der auf die Förderung der Gefangenen ausgerichteten vollzuglichen Aktivitäten. Dies erschwert es, die Wirkung und den Nutzen der verschiedenen Fördermaßnahmen zu beurteilen. Die Folge ist, dass einerseits erfolgreiche Maßnahmen nicht bekannt werden und deswegen nicht nachgeahmt werden können, dass aber andererseits auch Fehler bei der Programmumsetzung und vollzuglicher Gestaltung nicht festgehalten und deshalb wiederholt werden. Verstärkte Bemühungen bei der Evaluation sind daher unerlässlich.