Kinder- und Jugendhilfe in der staatlichen Verantwortungsgemeinschaft

Dabei bleibt öffentliche Kinder- und Jugendhilfe in der staatlichen Verantwortungsgemeinschaft verankert, d. h., sie nimmt ihr Wächteramt weiterhin auch unter Einsetzung ihrer eigenen rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten nach dem SGB VIII wahr.

Ein so verstandener moderner Kinderschutz versteht sich systemisch als Teil einer untrennbaren Triade von Elternwohl, Kindeswohl und Gemeinwohl und wahrt dabei in transparenter, rechtsstaatlicher Form die Rechte und Pflichten der Verantwortungsgemeinschaft von Eltern, Kindern sowie Jugendamt und anderen Trägern gesellschaftlicher Verantwortung; siehe hierzu Ausführungen unter Kapitel II., Fachpolitische Leitorientierungen.

Unter dem hierzu im Rahmen einer interdisziplinären Qualitätswerkstatt Wir schützen Kinder gemeinsam und gern ist mit dem Bremer Qualitätsstandard (BQZ) Zusammenarbeit im Kinderschutz eine fachliche Handreichung entwickelt worden, die inzwischen auch bundesweit auf große fachliche Resonanz gestoßen und über das Bundesmodellprogramm Aus Fehlern lernen Eingang in die Kinderschutzausrichtung anderer Kommunen und die Diskussion um das weiterhin geplante Bundeskinderschutzgesetz gefunden hat.

I. Anlass und Zielsetzung der Berichterstattung

Auf Grundlage der Mitteilung des Senats vom 1. April 2008 hat sich die Stadtbürgerschaft zuletzt im Frühjahr 2008 mit einem umfassenden Bericht zum Bremischen Handlungskonzept Kindeswohlsicherung und Prävention befasst; vergleiche Drs. 17/147 S, Bericht: Kinder schützen ­ Eltern unterstützen, Stand und Perspektiven der bremischen Maßnahmen und Programme zur verlässlichen Kindeswohlsicherung und zur Verbesserung der Prävention im Bereich Kinderschutz, Bremisches Handlungskonzept Kindeswohlsicherung und Prävention vom 22. November 2007.

Weitere Befassungen der Stadtbürgerschaft zu Fragestellungen des Kinderschutzes und präventiver sowie erzieherischer Hilfen sind anlässlich

· der Kleinen Anfrage vom 9. Juni 2008 Fallsteuerung bei Leistungen von Hilfen zur Erziehung (Drs. 17/207 S),

· der Mitteilung des Senats vom 23. September 2008 zur Beantwortung der Großen Anfrage Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses Kindeswohl (Drs. 17/226 S zu Drs. 17/205 S),

· der Beantwortung der Kleinen Anfrage Finanzielle Situation der Kinder- und Jugendhilfe (Drs. 17/539)

· der Mitteilung des Senats vom 14. Oktober 2008 zur Großen Anfrage Situation und Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Bremen vom 14. Oktober 2008 (siehe Drs. 17/241 S zu Drs. 17/206 S vom 25. Juli 2008),

· der parlamentarischen Erörterung des Missbilligungsantrages Missbilligung der Wahrnehmung der Ressortverantwortung durch die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vom 1. Oktober 2008 (Drs. 17/561) in der Neufassung des Antrags vom 30. September 2008 (Drs. 17/554) in der 30. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) am 9. Oktober 2008

· sowie auf Grundlage weiterer parlamentarischer Anfragen, z. B. Fragestunde Landtag Kinder- und Jugendhilfe nach der Geburt, Drs. 17/1155, vom 25. August 2009 erfolgt.

· Die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales verweist darüber hinaus auf ihre Antwort vom 24. Februar 2010 zur Großen Anfrage Maßnahmen zur Verbesserung des Kinder- und Jugendhilfesystems in Bremen (Drs. 17/468 S vom 17. November 2009), die der Bürgerschaft nach Beschlussfassung durch den Senat zugeleitet wird.

Zur Umsetzung des Bremischen Handlungskonzeptes Kinderschutz und Prävention und der entsprechenden Vereinbarungen der Regierungskoalition für diese Legislaturperiode hat der Senat nach entsprechender Befassung und Beschlussfassung im städtischen Haushalts- und Finanzausschuss am 4. April 2008 durch die Entsperrung von Schwerpunktmitteln für die Umsetzung des Bremischen Handlungskonzeptes Kindeswohlsicherung und Prävention ­ Kinder schützen ­ Eltern unterstützen zu den Haushalten 2008/2009 in den Produktplänen 41 und 51 entsprechende Finanzmittel bereitgestellt, die im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens 2010/2011 fortgeschrieben und mit Beschlussfassung der Stadtbürgerschaft zum Haushalt 2010 verstetigt wurden.

Den zuständigen Fachdeputationen Soziales, Jugend, Senioren und Ausländerintegration sowie Arbeit und Gesundheit und dem städtischen Jugendhilfeausschuss wurden in den Jahren 2008/2009 fortlaufende Berichte und Beschlussvorlagen zu einzelnen Programmen und Maßnahmen des Handlungskonzeptes zugeleitet. Diese Berichte haben jedoch die gesamte Stadtbürgerschaft und die interessierte Fachöffentlichkeit nicht durchgängig erreicht. Der Senat folgt mit der Berichterstattung insoweit der Empfehlung der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, der Bremischen Bürgerschaft daher einen zusammenhängenden Gesamtbericht zuzuleiten, der den aktuellen Umsetzungsstand des Handlungskonzeptes abbildet.

II. Aktuelle fachpolitische Leitorientierungen des bremischen Kinderschutzkonzeptes

Im Bremer Qualitätssicherungs- und Risikomanagementkonzept in der Kinderschutzarbeit steht das Kindeswohl als Leitidee im Mittelpunkt. Da das Wohl der Kinder, das Wohl der Eltern und das Gemeinwohl aber einander bedingen und fortwährend miteinander austariert werden müssen, ist die Kinderschutzarbeit nicht nur als Aufgabe einzelner Beauftragter, sondern als Aufgabe aller Personen und Institutionen des Landes Bremen, die mit der Erziehung und Bildung, der Gesundheitsförderung und der Kinder- und Jugendhilfe befasst sind, zu verstehen. Die ganzheitliche Orientierung des Kinderschutzes am Kindeswohl, Elternwohl und Gemeinwohl wird als tripolarer Kinderschutz bezeichnet.

Wirksamer Kinderschutz ist nur dann möglich, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte sich gleichermaßen engagieren und die Verantwortung dafür übernehmen, dass in den Organisationen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Risiken in der Kinderschutzarbeit zu minimieren. Dies bedeutet insbesondere die Entwicklung und Umsetzung von organisatorischen Verfahrensweisen und professionellen Standards, die ein systematisches und sozialökologisches Risikomanagement sicherstellen, d. h., eine umfassende Analyse, Bewertung, Verbesserung und Steuerung risikorelevanter Faktoren und Prozesse.

Neben den Eltern, die an erster Stelle gefordert sind, müssen sich Großeltern und andere Verwandte, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen und Schulen, Mitarbeiter/-innen anderer Institutionen und Organisationen, des Jugendamtes und der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie Bürgerinnen und Bürger in der Verantwortung für den Schutz von Kindern sehen und alle in ihrer Rolle und/oder Funktion als Teil zum Ganzen der Kinderschutzarbeit beitragen. Freie Bürgerinnen und Bürger in ihrer Rolle als Teil der staatlichen Gemeinschaft (§ 1 SGB VIII) und andere, wie z. B. die öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfeträger und andere Berufssysteme, haben darüber hinaus die Aufgabe, Eltern und deren Kinder davor zu schützen, in und an Gewalt zu scheitern. Sie tragen auf diese Weise dazu bei, das Wohl und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern.

Deshalb müssen Kinderschutzorganisationen, als ein Teil des Ganzen, ihre nach innen und außen gerichteten Abläufe auf Qualität hin ausrichten und durch die Einführung von Qualitätssicherung und Risikomanagement kontinuierlich bewerten und verbessern. Wir wollen uns im Dialog zwischen den Familien, dem öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeträger und den anderen jeweils Beteiligten fortlaufend für eine Verbesserung des Kinderschutzes einsetzen, indem wir praktische Erfahrungen auswerten, gemeinsame professionelle Standards weiterentwickeln und frühzeitig aus unseren Hilfeprozessfehlern lernen.

Damit dies gelingt, braucht es ein grundsätzliches, klares Bekenntnis zu einer Kultur der Fehleroffenheit, der Achtsamkeit und des demokratischen Zusammenwirkens im öffentlichen und fachlichen Dialog.

III. Kinderschutz auf gutem Weg: Bremen fördert und schützt seine Kinder Wirksamer Kinderschutz beschränkt sich nicht auf Intervention und Schutzmaßnahmen im Krisen- und Notfall, sondern setzt primär auf Prävention und Förderung von Familien.

Grafik 1: Struktur und Aufbau einer systematischen Förderkette gesundheitlicher, allgemeinfamilienbezogener und erzieherischer Hilfen folgen dabei sogenannten horizontalen und vertikalen Schnittstellen. Unter horizontalen Schnittstellen sind sogenannte altersspezifische/biografische Entwicklungslinien und Knotenpunkte wie Geburt/Elternschaft, Kindergarteneintritt oder der Übergang Kindergarten ­ Schule zu verstehen. von Schulvermeidung, Sucht-/Drogengefährdung, Kinder- und Jugenddelinquenz, Jugendgewalt etc. zum Ausdruck kommen. Demgegenüber erfordern altersübergreifende Lebenslagen wie Armut, Trennung/Scheidung, häusliche Gewalt oder kulturelle Integrationsproblem zielgruppenspezifische Handlungsansätze und Zugangsweisen.

Das Handlungskonzeptdes Ressorts richtet sich daher nicht ausschließlich auf frühe Hilfen für Säuglinge und Kleinstkinder ­ auch wenn diese altersbedingt ganz besonders im Blickpunkt stehen müssen ­, sondern richtet sich auch an ältere Kinder und Jugendliche. Der Senat verweist insoweit auf die sich daraus ergebenden Schnittstellen und Ausführungen zu anderen Schwerpunktprogrammen des Senats; Handlungskonzept Stopp der Jugendgewalt, Integrationsbericht. Der nachstehenden Grafik 2 sind die unterschiedlichen Teilprogramme des Handlungskonzeptes zu entnehmen. Die universelle Prävention zielt auf entwicklungsrelevante Verbesserungen der allgemeinen Lebensgrundlagen und Entwicklungsperspektiven von Kindern, Jugendlichen und Familien. Sie fokussiert auf notwendige allgemeine Unterstützungsmaßnahmen, die der Basisaneignung von Verhaltens- und Wertorientierungen, Normen, Kenntnissen sowie Handlungskompetenz für soziale Situationen dienen.

² In der selektiven Prävention handelt es sich um Maßnahmen, die auf bereits vorhandene Gefährdungsmomente und auf bestimmte Risikogruppen fokussieren und dabei auf Vorbeugung durch Hilfe, Beratung und Unterstützung in besonderen Lebenslagen setzen.