Antischwule und antilesbische Gewalt in Hamburg

Antischwule, antilesbische Gewalt ist kein neues Phänomen, ebensowenig wie Übergriffe gegen Behinderte oder Migrant/innen. Für Hamburgs ca. 200 000 Lesben und Schwule gehört diese Gewalt in vielfältigen Formen psychischer und physischer Anwendung zu ihren Alltagserfahrungen. Begleitet wird diese Erfahrung davon, dass diese Gewalt in einer in Teilen immer noch von antihomosexuellen Ressentiments geprägten Gesellschaft häufig genug gleichgültig hingenommen oder sogar akzeptiert wird.

Ziel der Hamburger Politik soll es sein, dieser Gewalt entgegenzuwirken.

Der Senat hat sich seit Jahren verstärkt den Problemen von Lesben und Schwulen zugewandt und für eine bessere rechtliche Absicherung und gesellschaftliche Anerkennung von Lesben und Schwulen eingesetzt. Der Senat geht davon aus, dass eine breitere öffentliche Diskussion auch zum Abbau von Diskriminierung und Gewalterfahrungen beitragen wird.

Unter antischwul und antilesbisch motivierter Gewalt sind alle Gewaltakte, deren Motive in einer feindlichen Haltung gegenüber homosexuellen Veranlagungen begründet sind, zu subsumieren.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Das Ausmaß antischwuler Gewalt Gewalttaten gegen Schwule werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht gesondert erfaßt. Falls Gewaltdelikte zur Anzeige kommen, tauchen sie je nach Deliktart unter den zuständigen Rubriken auf, ohne dass zu erkennen ist, ob es sich bei den Opfern um Schwule handelt.

Wie beurteilt der Senat diese Problematik in bezug auf eine Einschätzung des Ausmaßes antischwuler Gewalt?

Gewalttaten mit antischwuler und antilesbischer Motivation könnten den besonderen Phänomenen unterliegen, dass das Anzeigeverhalten der Opfer gering ist bzw. bei Anzeigeerstattung der mögliche antischwul oder antilesbisch motivierte Hintergrund der Tat von den Opfern verschwiegen wird. In Kenntnis dieser möglichen Problematik nutzt die Polizei neben der Sachbearbeitung eine Reihe von Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten, um ein Lagebild zu gewinnen und daraus Strategien und Maßnahmen zu entwickeln.

So werden beispielsweise an den Polizeirevieren und -kommissariaten, in deren Zuständigkeitsbereichen sich Gebiete mit Schwerpunkten der Homosexuellenszene in Hamburg befinden, Polizeibeamte als spezielle Ansprechpartner für Opfer antischwul motivierter Gewalt eingesetzt (vgl. Antwort zu 3.1.). Diese werden auch von Opfern aufgesucht, wenn die Straftat nicht in die örtliche Zuständigkeit des Polizeireviers oder des Polizei-/Kriminalkommissariats fällt, so dass hierüber Erkenntnisse über antischwul motivierte Gewalt gesammelt werden und den Opfern die Möglichkeit einer kompetenten und sensiblen Behandlung des Vorfalles angeboten wird.

Daneben wurde zwischen dem Landeskriminalamt (LKA) und dem Schwulenverband in Deutschland (SVD) vereinbart, dass Brennpunkte antischwul motivierter Gewalt durch den SVD der Polizei mitgeteilt werden.

Das vom SVD eingerichtete und von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreute „Schwule Überfalltelefon" wurde nach Angaben des SVD in der Zeit der Bereithaltung durchschnittlich zwei- bis dreimal pro Woche genutzt.

Nach den bei der Polizei vorliegenden Erkenntnissen und den Informationen des SVD finden antischwul und antilesbisch motivierte Gewalttaten derzeit in einer geringen Größenordnung statt.

Welche Probleme sieht der Senat bei einer möglichen Erweiterung der PKS bzw. alternativen Schaffung eines Meldedienstes auf Landesebene?

Die bundeseinheitlich geführte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wird künftig auch Opferspezifika erfassen, wonach statistische Aussagen zu homosexuellen Opfern möglich sein werden. Die Schaffung eines alternativen Meldeweges auf Landesebene ­ mit den entsprechend erforderlichen Vorlaufzeiten

­ ist deshalb entbehrlich.

Gibt es ein täterbezogenes Register in bezug auf antischwule Gewalt? Wenn nein, warum nicht?

Ein spezielles täterbezogenes Register in bezug auf antischwul motivierte Gewalt existiert bei der Polizei Hamburg nicht.

Allerdings erfaßt der kriminalpolizeiliche Meldedienst zu bekanntgewordenen Tatverdächtigen über die bundeseinheitliche Grundeinteilung der Straftaten Merkmale, die der kriminalistischen Erkennung von Tätertypen und Tatbegehungsweisen dienen. In der Deliktsgruppe Raub, räuberische Erpressung, Autostraßenraub und räuberischer Diebstahl ermöglicht die Grundeinteilung zusätzlich die Erfassung des Opferkreises und hierin unter anderem auch Homosexuelle.

Dieses Merkmal wird dem Tatverdächtigen dann zugeordnet, wenn die Ermittlungen darauf hinweisen, daß der Raub im Bezug zu der Opfereigenschaft „homosexuell" steht.

Welche Erfahrungen können aus dem Ausland zu Rate gezogen werden, um dieser Problematik zu begegnen?

Erkenntnisse über entsprechende Erfahrungen aus dem Ausland liegen nicht vor.

2. Das Dunkelfeld und die Art der Delikte

Wie hoch schätzt der Senat die Dunkelziffer der Gewaltdelikte gegen Schwule in Hamburg ein? Und was sind die Ursachen dieser Dunkelziffer?

Verläßliche Aussagen über die Dunkelziffer sind nicht möglich. Dunkelfeldstudien über Gewaltdelikte gegen Schwule in Hamburg sind nicht bekannt; im übrigen siehe Antwort zu 1.1.

Welche Delikte subsumieren sich unter dem Begriff der antischwulen Gewalt laut vorliegender Forschungen (z.B. Antischwule Gewalt in Niedersachsen, 1993) aus anderen Bundesländern, und welche statistische Häufigkeit wird den einzelnen Delikten zugeordnet?

Die Polizei bemüht sich um die Unterlagen der Forschungen aus anderen Bundesländern und wird diese auswerten.

Aus anderen Bundesländern, z. B. NRW, ist bekannt, dass gefaßte Täter oftmals mehr Taten gestehen, als Delikte zur Anzeige gekommen sind. Wie stellt sich die Situation in Hamburg in den letzten zwei Jahren dar?

Derartige Erkenntnisse konnten für Hamburg nicht festgestellt werden.

Eine der Aufgaben der Schwulen Überfalltelefone in den anderen Bundesländern ist die Dokumentation antischwuler Gewaltdelikte. Teilt der Senat die Auffassung, daß diese Praxis auch in Hamburg hinsichtlich der Aufdeckung des Ausmaßes hilfreich wäre? Wenn ja, wie könnte aus Sicht des Senates mit Hilfe dieser Informationsbasis eine verbesserte Tätersuche zukünftige Delikte vermeiden helfen?

Eine Dokumentation aufgrund der Anrufe beim „Schwulen Überfalltelefon" könnte weitere Anhaltspunkte zur Aufhellung des Dunkelfeldes liefern. Diese Informationen könnten bei der Polizei zu einem verbesserten Lagebild bezüglich antischwul motivierter Gewalt führen und so mögliche Tat- und Täterzusammenhänge verdeutlichen. Eine verbesserte Tätersuche erfordert jedoch möglichst genaue Angaben über den bzw. die Täter, die nur durch eine Zeugen-/Opfervernehmung erlangt werden können. Die Weitergabe von Informationen durch Dritte, z.B.Telefonpartner am Überfalltelefon, an die Polizei kann die Informationsgewinnung durch eine Zeugen-/Opfervernehmung nicht ersetzen.

3. Die Tatorte

In Zusammenhang mit antischwuler Gewalt sind laut Erfahrungen in anderen Bundesländern die Tatorte von entscheidender Bedeutung für die Prävention, aber auch für die Aufklärung von Gewaltdelikten. An welchen Stellen ist aus Sicht des Senates in Hamburg die Gefährdung für Schwule am größten?

Welche Maßnahmen werden für diese Gegenden ergriffen, um die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten?

Die Bereiche St.Georg Polizeikommissariat (PK) 11, St.Pauli, Polizeirevier (PR) 15 und der Stadtpark PR 33 sind die Schwerpunkte der Homosexuellenszene in Hamburg. Deshalb werden neben den polizeilichen Maßnahmen, die im gesamten Hamburger Stadtgebiet zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung getroffen werden, an diesen Polizeirevieren/-kommissariaten spezielle Ansprechpartner für Opfer antischwul motivierter Gewalttaten eingesetzt.

Diese Ansprechpartner führen in Zusammenarbeit mit dem SVD insbesondere in diesen Gebieten verstärkt Informationsveranstaltungen zum Abbau von Schwellenängsten bei den potentiellen Opfern durch. Andererseits klären sie aber auch die Bevölkerung in den angrenzenden Gebieten über die Zusammenhänge auf, um auch hier eine Akzeptanzveränderung zu erreichen.

Ihre Aufgabe ist es,

­ eine Vertrauensbasis bei den potentiellen Opfern durch Öffentlichkeitsarbeit, Informationsveranstaltungen usw. zu schaffen,

­ die Aufnahme von Strafanzeigen und die anschließende Sachbearbeitung mit der gebotenen Sensibilität durchzuführen,

­ Multiplikatorenfunktion im eigenen Revierbereich für die Problematik antischwul motivierter Gewalt auszuüben,

­ Beratung über Opferhilfeeinrichtungen oder außerpolizeiliche Hilfeeinrichtungen für Opfer antischwul motivierter Gewalt (SVD, Hein & Fiete, Magnus-Hirschfeld-Centrum [MHC]) durchzuführen.

Sind dem Senat die wiederholten Angriffe auf Schwule im Bereich Wandsbek (UBahnhof Wartenau, Jakobipark) bekannt?

Überfälle auf Schwule im Bereich des U-Bahnhofs Wartenau sind nicht bekannt geworden.

Von Angriffen im Jacobi-Park hat das zuständige Polizeirevier PR 32 im Jahr 1997 durch die Mitteilung eines Mitarbeiters des „Schwulen Überfalltelefons" erfahren. Es handelte sich um drei Fälle aus dem Jahr 1997, die jedoch zum Zeitpunkt der Mitteilung an das PR 32 bereits einige Zeit zurücklagen. Bei den Geschädigten soll es sich um sogenannte Cruiser gehandelt haben, die jeglichen Kontakt zur Polizei, aber auch zu allen Formen der Schwulenberatung vermeiden. Die Mitteilung des SVDMitgliedes enthielt so wenige Informationen und Ermittlungsansätze, dass polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen nicht mehr durchgeführt werden konnten.

Weitere Vorfälle sind nicht bekannt geworden.

Wenn ja, welche Präventionsmaßnahmen wurden unternommen?

Mit welchen Mitteln wurde versucht, die potentiellen Opfer trotz deren Berührungsangst gegenüber der Polizei zu erreichen?

Der Jacobi-Park wurde aufgrund der vom SVD mitgeteilten Ereignisse im Rahmen des täglichen Dienstes durch Revierkräfte und durch den Besonderen Fußstreifendienst (BFS) des zuständigen PR 32 verstärkt bestreift.

Am 9. September 1997 wurde dort durch den SVD ein Informationsstand eingerichtet, an dem neben drei Mitarbeitern des Verbandes vier Polizeibeamte als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Auf die Veranstaltung wurde zuvor in den Medien hingewiesen.

Wie bewertet der Senat vor diesem Hintergrund, dass bis 1997 wiederholt Razzien in der Toilette Wartenau stattfanden?

Die Polizei hat in der Toilette am U-Bahnhof Wartenau keine Razzien durchgeführt.

Aufgrund von Beschwerden von Bürgern, die sexuelle Handlungen in der Toilette beobachtet haben wollen, hat es Überprüfungen durch die Polizei gegeben, die jedoch nicht zu entsprechenden Feststellungen führten.

Inwieweit wurden andere Institutionen, wie z. B. der Schwulenverband Deutschland, in die Lösung der Frage einbezogen?

Siehe Antwort zu 3.3.1. und 3.3.2.

Welche Maßnahmen zur Schulung der Polizist/innen in bezug auf schwule Lebensstile wurden in den betroffenen Revieren in den letzten Jahren durchgeführt?

Wurde bei eventuellen Schulungsmaßnahmen der Schwulenverband beteiligt? Wenn nein, warum nicht?

Spezielle Schulungen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte an den für die Bereiche Wartenau und Jacobi-Park zuständigen Polizeirevieren wurden nicht durchgeführt.

Im übrigen siehe Antworten zu 8.6. bis 8.10.