Dabei darf der Sicherheitsgewinn von Fußgängerüberwegen nicht falsch eingeschätzt werden

I. Bürgerschaftliches Ersuchen

Die Bürgerschaft hat in ihrer Sitzung am 31. Mai 2006 folgendes Ersuchen an den Senat beschlossen: „Der Senat wird ersucht, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit in Ausnahmefällen auch in Tempo-30-Zonen Fußgängerüberwege eingerichtet bzw. beibehalten werden können." II. Stellungnahme des Senats Allgemeines zu Fußgängerüberwegen Fußgängerüberwege sind typische Planungselemente zur Sicherung querender Fußgängerverkehre im übergeordneten Straßennetz über „Tempo-50-Straßen". Ihre Anlage kommt dort in Betracht, wo die Verkehrsstärke dies erfordert, eine Bündelung des Fußgängerverkehrs gegeben ist und die Notwendigkeitskriterien für den Bau einer Lichtzeichenanlage (noch) nicht erfüllt sind.

Dabei darf der Sicherheitsgewinn von Fußgängerüberwegen nicht falsch eingeschätzt werden. Fußgängerüberwege sind ebenso wenig wie Fußgängerampeln gefahrlose Verkehrssicherheitsschneisen für Fußgänger. Sie bewirken zunächst nur eine rechtliche Umkehr des Vorrangs auf der Straße beim Überqueren durch Fußgänger. Sie privilegieren den Fußgänger an der Stelle rechtlich gegenüber dem Kraftfahrzeugverkehr. Dieses so genannte „Dauergrün" für Fußgänger begründet ebenso wie das „Ampelgrün" einer Lichtsignalanlage lediglich eine bessere Rechtsposition und bietet nicht schon allein deshalb automatisch auch mehr Verkehrssicherheit.

Einen Verkehrssicherheitsnutzen entfalten Fußgängerüberwege wie auch Ampeln nur dann, wenn sie ihrer besonderen verkehrlichen Funktion entsprechend, also bedarfsgerecht eingerichtet sind. Nur dann werden derartige Verkehrseinrichtungen von den Verkehrsteilnehmern als notwendiger Eingriff in den fließenden Verkehr wahrgenommen und als sinnvolle Regelung verstanden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Einhaltung der jeweiligen besonderen Verhaltenspflichten.

Je weniger einsichtig Verkehrsbeschränkungen sind, desto größer ist die Neigung einzelner Verkehrsteilnehmer, sich über die Verhaltenspflichten hinwegzusetzen oder die jeweiligen Verkehrsregelungen nicht zu beachten.

Verkehrlich nicht bedarfsgerechte Fußgängerüberwege können die Verkehrssicherheit infolgedessen sogar eher verschlechtern. Sie werden u. U. weniger ernst genommen und weniger respektiert, weil die Einsicht in die sachliche Notwendigkeit der mit einem Fußgängerüberweg für den motorisierten Verkehrsteilnehmer einhergehenden Verkehrsbeschränkungen hinsichtlich der Verhaltensregelungen für den fließenden Verkehr (Überholverbot, Beschränkung auf „mäßige Geschwindigkeit") und den ruhenden Verkehr (Haltverbot) fehlt und selbst dem verständigen und einsichtsbereiten Verkehrsteilnehmer auch nicht vermittelt werden kann. Dies geht zu Lasten derjenigen, die eigentlich durch einen Fußgängerüberweg besser geschützt werden sollen. Auch das Fußgängerverhalten wird negativ beeinflusst. Gerade an Fußgängerüberwegen, wo kaum Verkehr herrscht, ist immer wieder zu beobachten, dass die Straße von vielen Fußgängern gleich welchen Alters auch neben dem Fußgängerüberweg und davon abgesetzt überquert wird, so dass die eigentlich angestrebte Bündelung der Fußgängerströme ausbleibt oder stark eingeschränkt ist. Dies gilt ggf. auch für Fußgängerüberwege vor Schulen.

Ein ähnliches Verhalten ist häufig auch an Lichtsignalanlagen zu beobachten, wenn Fußgänger die Straße auch bei „Rot" überqueren, weil der Kfz-Verkehr gering ist. Zwar lässt sich durch Fußgängerüberwege wie auch Lichtsignalanlagen u. U. das Sicherheitsgefühl der Fußgänger verbessern; grundsätzlich muss aber die objektive Verkehrssicherheit Vorrang vor der subjektiven Verkehrssicherheit haben. DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache18/6572 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 31. Mai 2006 „Fußgängerüberwege in Tempo-30-Zonen" (Drucksache 18/4342)

Planungsgrundsätze für Fußgängerüberwege

Diesen Erkenntnissen entsprechend sollen nach der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zur StVO Fußgängerüberwege nach § 26 StVO „in der Regel nur angelegt werden, wenn es erforderlich ist, dem Fußgänger Vorrang zu geben, weil er sonst nicht sicher über die Straße kommt. Dies ist nur dann der Fall, wenn es die Fahrzeugstärke zulässt und es das Fußgängeraufkommen nötig macht." Ergänzend enthalten die mit allen Ländern abgestimmten Planungsrichtlinien für Fußgängerüberwege, die so genannten „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ 2001)", im Interesse bundesweit einheitlicher Maßstäbe bei der Verkehrsplanung und Einrichtung von Fußgängerüberwegen folgende Kennzahlen zur Verkehrsstärke und zum Fußgängeraufkommen:

Die Anordnung eines Fußgängerüberweges (FGÜ) kommt danach grundsätzlich dann in Betracht, wenn die aus dieser Tabelle ersichtlichen Verkehrsstärken vorliegen. Die Fußgängerverkehrsstärken beziehen sich auf die Spitzenstunden des Fußgänger-Querverkehrs an einem Werktag mit durchschnittlichem Verkehr. Die Kraftfahrzeugverkehrsstärke bezieht sich auf die gleiche Stunde und gilt für den in einem Zug zu überquerenden Fahrbahnteil, d. h. bei Mittelinseln für die jeweils stärker belastete Fahrtrichtung.

Fußgängerüberwege in Tempo-30-Zonen

Zwar bestimmen diese Richtlinien auch, dass Fußgängerüberwege in Tempo-30-Zonen i.d.R. „entbehrlich" und damit ggf. nach § 39 StVO unzulässig sind, wonach örtliche Verkehrsregelungen nur erfolgen dürfen, „wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist". Eine Ausnahmesituation, die die Einrichtung von Fußgängerüberwegen auch in Tempo-30-Zonen durchaus rechtfertigen kann, liegt aber dann vor, wenn die auch sonst herangezogenen Kennzahlen dort erreicht werden, also starker Verkehr und eine hohe Fußgängerdichte herrschen. Danach verfahren die Hamburger Straßenverkehrsbehörden schon bisher, so dass es insofern keiner Änderung der rechtlichen Voraussetzungen bedarf.

Herrscht in Tempo-30-Zonen dagegen nur geringer Verkehr, sind Fußgängerüberwege dort auch dann nicht sinnvoll, wenn durchgehend oder zeitweise eine hohe Fußgängerdichte besteht. Denn in dem Fall können Fußgänger gleich welchen Alters die Straße sicher überqueren, auch ohne dass ihnen rechtlich Vorrang vor dem Fahrzeugverkehr eingeräumt wird.

In aller Regel werden die erforderlichen Verkehrsstärken zur Anordnung bzw. zum Betrieb eines Fußgängerüberwegs in Tempo-30-Zonen jedoch nicht erreicht. In diesen Zonen treten zudem häufig Lücken im Fahrverkehr auf, die groß genug sind, um die Straßen an beliebiger Stelle gefahrlos zu überqueren. In Tempo-30-Zonen dürfen sich Kraftfahrer nur mit geringer Geschwindigkeit bewegen. Sie müssen immer und überall auch mit unachtsam die Fahrbahn querenden Fußgängern (insbesondere Kindern) rechnen. Die Einrichtung von Fußgängerüberwegen in Tempo-30-Zonen kann insofern kontraproduktiv sein, weil sie die stets erforderliche erhöhte Aufmerksamkeit der Kraftfahrer auf einen begrenzten Bereich am Fußgängerüberweg reduzieren kann.

Außerdem erhält der Kraftfahrer in einer Tempo 30-Zone widersprüchliche und damit unter Verkehrssicherheitsaspekten kontraproduktive Signale, wenn ihm dort für Tempo-30 Zonen atypische Verkehrseinrichtungen begegnen, die eher den Eindruck erwecken, sich auf einer Straße des übergeordneten Netzes mit Tempo 50 zu befinden, wo er üblicherweise mit Fußgängerüberwegen als typische Verkehrseinrichtungen rechnet. So gesehen können Fußgängerüberwege in Tempo-30 Zonen einzelne Verkehrsteilnehmer im ungünstigsten Fall sogar eher zu einer schnelleren statt zu einer langsameren Fahrweise verleiten, so dass es auch insoweit den Interessen der Verkehrssicherheit widerspricht, Fußgängerüberwege in Tempo30-Zonen auch bei allgemein schwachem Verkehr einzurichten oder beizubehalten.

Im Übrigen würde die Errichtung und Beibehaltung verkehrlich überflüssiger Fußgängerüberwege in Tempo 30 Zonen auch die allgemein beklagte beständige Verdichtung der Regelungen im Straßenverkehr verfestigen und die damit einhergehende ebenfalls beklagte Aufforstung des Hamburger Schilderwaldes weiter fördern. Bei der Lichtung des Schilderwaldes dürfen Tempo-30-Zonen nicht ausgespart werden, auch wenn es um Fußgängerüberwege geht, die einer aufwändigen Beschilderung bedürfen. Auch insoweit gilt, dass ein konsequenter Verzicht auf überflüssige und entbehrliche Verkehrszeichen und eine effektive Verkehrszeichenreduzierung der Verkehrssicherheit dienen, so dass die Einrichtung weiterer entbehrlicher Fußgängerüberwege und ein allgemeiner Bestandsschutz für solche Fußgängerüberwege in Tempo-30 Zonen auch unter diesem Aspekt der Verkehrssicherheit schaden würden.

Auch die „Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA 2002)" der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) greifen die Regelungen der StVO und der R-FGÜ dahingehend auf, dass in Tempo-30-Zonen in der Regel anderen Querungsanlagen der Vorzug gegeben werden sollte (bauliche Maßnahmen, z. B. Fahrbahneinengungen). Zusammenfassung

Eine Änderung der rechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung von Fußgängerüberwegen in Tempo-30-Zonen ist nicht erforderlich, da bereits nach den bestehenden rechtlichen Grundlagen in Ausnahmefällen auch in Tempo-30-Zonen Fußgängerüberwege eingerichtet bzw. beibehalten werden können, wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit sinnvoll ist. Der Senat wird entsprechend den Vorgaben des Regierungsprogramms zur nachhaltigen Verkehrssicherheit weiter dafür Sorge tragen, dass auf Grundlage der dargestellten Rechtslage die Möglichkeit der Einrichtung von Fußgängerüberwegen auch in Tempo-30-Zonen besonders vor Schulen und Kindergärten und auf Grund von Hinweisen aus der Bevölkerung sorgfältig geprüft wird. Dabei können für die Sicherheit der Kinder auch andere Hinweise für Autofahrer in Form von Piktogrammen (Sinnbilder und Verkehrszeichen) genutzt werden.

III. Petitum:

Der Senat beantragt, die Bürgerschaft wolle von dem vorstehenden Bericht Kenntnis nehmen.

Kfz/h Fg/h 0-200 200-300 300-450 450-600 600-750 über

0-50

50-100

FGÜ möglich FGÜ möglich FGÜ empfohlen FGÜ möglich 100-150

FGÜ möglich FGÜ empfohlen FGÜ empfohlen FGÜ möglich über

FGÜ möglich