Ein Internat gehört als integraler Teil des Rehabilitationsprogramms zum Zentrum

Vom 11. bis 16. November 1998 hat eine Delegation der Bürgerschaft unter meiner Leitung Israel und die palästinensischen Autonomiegebiete besucht. Anlaß des Besuchs war die Einweihung eines Zentrums für hörgeschädigte Jugendliche im Jugenddorf „Onim" in Kfar Saba, dessen Errichtung von der Bürgerschaft mit 325 000 DM gefördert worden war.

Der Besuch geht auf eine Einladung des israelischen Sozialwerks MISHAN zurück, das das Jugenddorf Onim betreibt.

Teilnehmer waren außer mir die Abgeordneten Petra Brinkmann, Dr. Barbara Brüning, Wolfgang Marx (SPD), Dr. Michael Freytag, Ulf Lafferenz, Heino Vahldieck (CDU), Sonja Deuter und Susanne Uhl (GAL).

Die Journalistin Dörte Kiehnlein (NDR) und die Kameraleute Fritz Peters und Tobias Rollenhagen sowie die Journalisten Veit Ruppersberg („Hamburger Abendblatt") und Günter Beling („Hamburger Morgenpost") sind auf eigene Kosten mitgereist. Der Leiter des Protokolls bei der Bürgerschaft, Frank Fechner, hat die Delegation begleitet.

Das Programm für den Besuch hatte vier Schwerpunkte:

1. a) die Einweihung der Hörgeschädigten-Einrichtung im Jugenddorf Onim bei Kfar Saba als neues Partnerprojekt der Bürgerschaft sowie

b) den Besuch der Feldschule und des Hamburg-Hauses der Ben-Gurion-Stiftung in Sde Boker, deren Errichtung 1992 von der Bürgerschaft mit 3 Millionen DM gefördert worden war;

2. Gespräche im israelischen Außenministerium zum gegenwärtigen Stand des Friedensprozesses in Nahost;

3. Gespräche mit führenden palästinensischen Offiziellen in den palästinensischen Autonomiegebieten (Ramallah und Nablus) sowie

4. eine Vertiefung der Kontakte zu ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Hamburgs.

Die Delegation wurde während der gesamten Reise durch die Geschäftsführerin der Israelisch-deutschen Gesellschaft, Leah Brakin, begleitet. Der Sozialattache der Deutschen Botschaft, Frank von Auer, hat die Programmpunkte in Tel Aviv und der stellvertretende Leiter der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in den autonomen Gebieten, Jens Lütkenherm, hat die Delegation in Ramallah und Nablus begleitet.

Nach der Ankunft in Tel Aviv wurde die Delegation durch den Deutschen Botschafter in Israel, Theodor Wallau, über die aktuellen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten sowie über den Friedensprozeß und die Sicherheitslage unterrichtet.

Am ersten Abend kam es zu einem Zusammentreffen der Delegation mit Vertretern der deutschen politischen Stiftungen: Dr. Winfried Veit (Friedrich-Ebert-Stiftung) und Claude Weinber (Heinrich-BöllStiftung). In Jerusalem ist die Delegation auch mit Dr. Johannes Gerster (Konrad-Adenauer-Stiftung) zusammengetroffen.

1. a) Einweihung der Spezialeinrichtung für Hörgeschädigte im Jugenddorf „Onim"

Die Bürgerschaft hatte mit den Haushaltsberatungen 1992 beschlossen, dem israelischen Sozialwerk MISHAN 325 000 DM für die Errichtung einer Altentagesstätte für nicht-jüdische Seniorinnen und Senioren zu bewilligen. Das damals geplante Projekt ist allerdings daran gescheitert, dass kein geeignetes Grundstück zu vernünftigen Kosten zu erwerben war. Statt dessen wurde von MISHAN vorgeschlagen, diese Mittel für die Erweiterung des bereits seit 1946 bestehenden Jugenddorfs Onim zu verwenden, das von MISHAN betrieben wird, und zwar für den Ausbau und die Einrichtung eines seit 1985 bestehenden Rehabilitations- und Ausbildungszentrums für hörgeschädigte Jugendliche aller ethnischen Bevölkerungsgruppen. Für diesen Vorschlag hatte ich 1996 das Einverständnis der Bürgerschaft signalisiert. Im Oktober 1998 ist das Zentrum fertiggestellt worden.

In dem Rehabilitations- und Ausbildungszentrum werden 50 behinderte Jugendliche von 14 bis 18 Jahren sowohl therapeutisch und pädagogisch betreut als auch schulisch und beruflich ausgebildet.

Ein Internat gehört als integraler Teil des Rehabilitationsprogramms zum Zentrum. Neben Therapieräumen stehen Werkstätten und ein gut ausgestatteter Computer-Schulungsraum zur Verfügung.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen die Jugendlichen und unterrichten sie unter anderem in Hebräisch, Geographie, Englisch, Computer usw. Es wird für folgende Berufsfelder ausgebildet: Schlosserei, Automechanik, Juwelierarbeiten, Buchführung, Kochen und Elektrotechnik. Das Curriculum ist auf drei Jahre aufgebaut. Die Jugendlichen erhalten zum Abschluß ein anerkanntes Fachzeugnis.

Die Delegation konnte sich während des Besuchs davon überzeugen, dass in dem Zentrum sehr qualifizierte Arbeit geleistet wird. Die Jugendlichen sind etwa zur Hälfte jüdischer Abstammung, zum Teil auch jüngst eingewanderte aus den ehemaligen GUS-Staaten und Äthiopien. Die andere Hälfte ist moslemisch-arabischer oder christlich-arabischer, beduinischer oder drusischer Abstammung.

1. b) Besuch der Feldschule und des Hamburg-Hauses der Ben-Gurion-Stiftung in Sde Boker

Die Delegation verbrachte einen Tag in der Negev-Wüste, unter anderem mit einem Besuch des Kibbuz-Hauses und am Grab von Ben Gurion, im Wüstenforschungsinstitut und im Hamburg-Haus. Dabei ist die Aufgabenstellung der Feldschule und des Hamburg-Hauses, deren Errichtung von der Bürgerschaft mit insgesamt 3 Millionen DM gefördert wurde, für die Delegationsmitglieder nachvollziehbar gemacht worden (siehe Drucksache 15/653). Nach Auskunft des Leiters des Hamburg-Hauses ist die Feldschule stets gut besucht und oft Wochen im voraus ausgebucht. Die Feldschule und das Hamburg-Haus stehen grundsätzlich allen an der Erforschung der Wüste und ihrer Lebensbedingungen Interessierten offen, allerdings bleibt kritisch anzumerken, dass bis zu 90 Prozent der Besucherinnen und Besucher aus Israel kommen. Die überregionale oder internationale Vermarktung dieser einmaligen Einrichtung könnte noch verstärkt werden.

2. Zum Nahost-Friedensprozeß: Gespräche im israelischen Außenministerium

In Jerusalem traf die Delegation im Außenministerium mit Levy Mordechai zusammen, dem früheren israelischen Generalkonsul in Berlin, jetzt stellvertretender Leiter des Planungsstabes im Außenministerium. Herr Mordechai referierte über die historische Entwicklung und geostrategische Bedeutung des Nahost-Konflikts und gab seiner Zuversicht Ausdruck, dass der mit den Verträgen von Oslo begonnene Friedensprozeß mit den Palästinensern nicht mehr rückgängig zu machen sei. Die Vereinbarungen mit den Palästinensern würden „nicht aus gegenseitiger Liebe getroffen, sondern aus gemeinsamer Erschöpfung".

Die im Abkommen von Wye Plantation mit den Palästinensern vereinbarten nächsten Schritte ­ Ausweitung der A-Zone (volle palästinensische Souveränität) auf 18 Prozent der von Israel besetzten Gebiete, Ausweitung der B-Zone (zivile palästinensische Verwaltung, aber Kontrolle der Israelis über Polizei, Militär und Infrastruktur) auf 22 Prozent ­ seien ein wichtiges Entgegenkommen der Israelis.

Der israelisch-palästinensische Konflikt sei 50 Jahre alt, man könne deshalb nicht erwarten, dass eine Lösung in sehr kurzer Zeit realistisch wäre.

3. Besuch in den autonomen palästinensischen Gebieten: Gespräche mit Vertretern des Palestinian Legislative Council (PLC), mit Präsident Yassir Arafat und mit Vertretern der palästinensischen Gewerkschaften in Ramallah und Nablus

In Ramallah ist die Delegation mit zwei Mitgliedern des Palestinian Legislative Council (Palästinensischer Legislativrat) zusammengetroffen: Dr. Ghazi Hanania, stellvertretender Vorsitzender des Legislativrats, und Dr. Azmi Shuaibi, Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Dies war der erste offizielle Besuch einer deutschen Parlamentsdelegation beim PLC, der auf palästinensischer Seite großes Interesse fand. Während des Meinungsaustausches über den aktuellen Stand des Friedensprozesses wurde von den Gastgebern sehr offen die „Verzögerungstaktik der Regierung Netanyahu" beklagt, „die Geduld auch der besonnenen Palästinenser sei nicht endlos strapazierbar".

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde auch das schwierige Verhältnis der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zum PLC thematisiert. Der PLC leide unter einer gewissen exekutiven Dominanz, solange der Parlamentarismus in den palästinensischen Gebieten sowohl strukturell wie institutionell im Aufbau begriffen sei. Hier wurde konkret der Wunsch an mich herangetragen, mit der Bürgerschaft eine Art Aufbau-Partnerschaft zu vereinbaren, um dem PLC zu tragfähigen parlamentarischen Strukturen und zu einer arbeitsfähigen Parlamentsverwaltung zu verhelfen. Dieser Vorschlag ist in der Delegation auf Wohlwollen gestoßen.

In Nablus kam es zu einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Dachverbandes der palästinensischen Gewerkschaften (Palestinian General Federation of Trade Unions ­ PGFTU), Shaer Saad. Er informierte die Delegation über die Arbeitsmarktsituation in den palästinensischen Gebieten: Arbeitslosenquote ca. 18 bis 20 Prozent, bei Schließung der Grenzen durch Israel steigt diese Quote sprunghaft auf 45 Prozent, weil die palästinensischen Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze in Israel nicht mehr erreichen könnten. Den israelischen Mindestlohn von ca. 700 US-$ erhielte fast keiner der palästinensischen Arbeitnehmer, viele seien zudem nur 15 Tage monatlich beschäftigt, weil sie dann nicht die vollen Arbeitnehmerrechte hätten. Auch die Berufsbildungssituation in den palästinensischen Gebieten sei außerordentlich schlecht. Zudem gäbe es keine palästinensische Arbeitsgerichtsbarkeit, Streitfälle müßten nach israelischem oder jordanischem Recht geregelt werden. Auch hier wurde der Wunsch nach Hilfe aus Deutschland deutlich.

Als ein Höhepunkt der Reise muss das im Anschluß an dieses Gespräch von Herrn Saad für die Delegation arrangierte Zusammentreffen mit dem palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat angesehen werden, der am selben Tage in Nablus eine Rede zum Jahrestag der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung gehalten und angekündigt hatte, am 4. Mai 1999 einen unabhängigen palästinensischen Staat auszurufen.

Während des Treffens machte Präsident Arafat nochmals seine Position zum Friedensprozeß mit Israel deutlich und bekräftigte seine Absicht, einen unabhängigen Staat zu schaffen. Das palästinensische Volk sei das am besten ausgebildete in der arabischen Welt, jetzt sei es endlich an der Zeit, selbstbestimmt zu leben. Die Europäer, vor allem die Deutschen, hätten viel Verständnis für die Anliegen der Palästinenser gezeigt und dies auch durch Hilfestellung z. B. beim Bau des Flughafens in Gaza-Stadt unterstrichen, wofür er sehr dankbar sei.

4. Die Vertiefung der Kontakte zu ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Hamburgs

Ein weiterer Höhepunkt des Besuchs war das gemeinsame Abendessen mit ehemaligen Hamburger Juden in Jerusalem, zu dem ich im Namen der Bürgerschaft 30 Personen eingeladen hatte. Insgesamt ca. 100 ehemalige Mitbürgerinnen und Mitbürger sind im „Verein ehemaliger Hamburger, Lübecker und Bremer in Israel" organisiert, der von Abraham Seligmann geleitet wird. Bei diesem Treffen wurde die große Verbundenheit dieser in Hamburg geborenen Juden mit ihrer Heimatstadt deutlich. Viele nehmen trotz ihres inzwischen fortgeschrittenen Alters durch Zeitungslektüre und persönlichen Austausch immer noch regen Anteil an den Hamburger Entwicklungen. Das Treffen mit dem „Verein ehemaliger Hamburger in Israel" ist in den vergangenen Jahren zu einer wertvollen Tradition geworden, die weiterhin mit Engagement gepflegt werden sollte.

Bei diesem Zusammentreffen wurde von Herrn Seligmann die Kürzung der Mittel des Senats für Einladungen ehemaliger jüdischer Mitbürger nach Hamburg kritisiert und angeregt, das Programm für ehemalige jüdische Mitbürger auch auf die nachfolgende Generation auszuweiten.

Außerdem hat Herr Seligmann den Zustand des jüdischen Friedhofs in der Königstraße kritisiert, der weder regelmäßig gepflegt noch bewacht würde. Nachfragen bei der Kulturbehörde haben ergeben, daß beim Amt für Denkmalschutz ein Pflegekonzept bereits erarbeitet worden ist, allerdings die Finanzierung noch offen sei.

Weitere Programmpunkte

Im Namen der Bürgerschaft habe ich an der zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust in Yad Vashem einen Kranz niedergelegt. Im Anschluß hat die Delegation die verschiedenen Einrichtungen in Yad Vashem (Holocaust-Museum, Tal der verlorenen Gemeinden, Halle der Kinder) besucht und ein Gespräch mit der stellvertretenden Leiterin der Yad-Vashem-Stiftung, Simcha Salach, und der Leiterin der pädagogischen Abteilung, Irena Steinfeldt, über die neueren didaktischen Ansätze für den künftigen Umgang mit dem Holocaust geführt. Die Yad-Vashem-Stiftung hat dafür CD-Roms entwickelt, die in Schulen eingesetzt werden können und demnächst auch auf deutsch erscheinen sollen. Die Stiftung arbeitet eng mit der Shoah-Foundation von Steven Spielberg zusammen. Die Delegation ist auch darüber informiert worden, dass die Yad-Vashem-Stiftung der Bundesregierung Hilfe für den Aufbau einer Gedenk- und Erinnerungsstätte in Berlin angeboten hat.

In Beer Sheva ist die Delegation mit dem in Deutschland geborenen Professor Frank Stern zusammengetroffen, der an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva ein Zentrum für deutsche Studien aufbaut und dafür Kooperations- (und Finanzierungs-)Partner in Deutschland sucht. Ziel des Zentrums soll die Vermittlung zeitgenössischer deutscher Kultur und Literatur sein, die in Israel kaum noch rezipiert würde. Das Zentrum wurde zwei Tage nach unserem Besuch von Präsident Weizmann und Bundespräsident Herzog eingeweiht.

In Tel Aviv-Herzlia hat die Delegation ein Gespräch mit zwei Vertreterinnen von WIZO (Womens International Zionist Organization), Judith Moshevitz und Nelly Jonas, geführt und das Heuss-Haus besichtigt, eine karitative Sozialeinrichtung für alleinstehende Mütter und problematische Familien, das 1963 als eine der ersten Einrichtungen aus Deutschland gefördert wurde und von WIZO-Hamburg unterstützt wird.

Fazit:

Die Reise hat allen Teilnehmenden eine differenzierte Sicht der Nahost-Problematik ermöglicht und wertvolle neue Erkenntnisse durch persönliche Begegnungen gebracht.

Die Delegation ist bei allen Gesprächspartnern in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten auf freundliches Interesse gestoßen. Der persönliche Austausch zwischen den Abgeordneten und den Vertreterinnen und Vertretern aller besuchten Institutionen und Organisationen hat deutlich gemacht, wie wichtig diese Begegnungen für das gegenseitige Verständnis sind. Unter dem Aspekt, daß laut Umfragen das Ansehen Deutschlands und der Deutschen insbesondere unter jungen Israelis überwiegend negativ ist, kommt den persönlichen Begegnungen besondere Bedeutung für die Zukunft zu.

Das Engagement der Bürgerschaft für das Jugenddorf Onim und die Feldschule in Sde Boker wird in Israel dankbar gewürdigt. Eine weitere, dauerhafte Vertiefung der Kontakte zu israelischen Organisationen ist wünschenswert.

In den palästinensischen Gebieten ist das Ansehen Deutschlands wie der Europäischen Union insgesamt sehr positiv. Beim weiteren Demokratisierungsprozeß, z. B. beim Aufbau demokratischer Institutionen, wird von seiten der Europäer Unterstützung erwartet. Hier sind während des Besuchs konkrete Anknüpfungspunkte für ein partnerschaftliches Projekt der Bürgerschaft mit dem Palestinian Legislative Council (PLC) deutlich geworden.