Konzept für einen Time-Out-Raum

Letztes Dokument in der Akte "Konzept GUF" des LEB ist das "Konzept für einen Time-Out Raum" von K. Walther (Dipl.-Psych.) unter "GUF, 15. März 2005". Zum Verständnis bedarf es hier einer Darstellung bezüglich des sog. Deeskalationsraumes.

"Als Sofortmaßnahme wird ein [...] Deeskalationsraum eingerichtet" heißt es in einem umfänglichen Dokument "Weiterentwicklung der GUF, Konsequenzen aus Gewalttaten und Entweichungen von Jugendlichen" ohne Autor und ohne Datum, das in der Akte "LEB 20 LEB-Zentrale" zwischen Dokumenten vom 2. Dezember 2003 und 20. Februar 2003 eingeheftet ist. Die Unterlage lässt sich dadurch zeitlich näher einordnen, dass mehrfach auf die bevorstehende 18. Kalenderwoche hingewiesen wird.

Weiter wird in der Unterlage ausgeführt: "Befindet sich ein Jugendlicher in einer psychischen Ausnahmesituation, wird er in den Deeskalationsraum verbracht. Dort bleibt mindestens ein Mitarbeiter immer bei ihm. Der Jugendliche bleibt im Deeskalationsraum, bis er sich beruhigt hat. Wie in psychiatrischen Anstalten werden sich die Mitarbeiter in solchen Situationen in einem bestimmten Rhythmus ablösen. So soll psychischen Überlastungssituationen vorgebeugt werden."

Im Übergabebuch der Gruppe 2 findet sich unter dem 27. April 2003 die Eintragung: "Der Vormittag verging mit [...] kleinen Erledigungen wie Doppelzimmer ausräumen für ein Tobezimmer/Chill-Out-Area, Antiaggressionsraum (Wolfgang Lerches letzte Idee) Separationsraum etc." Dies bedeutet, dass Ende April 2003 zumindest schon räumliche Vorbereitungen für einen Deeskalationsraum getroffen wurden.

In der Akte "Optimierung des Einrichtungsbetriebs" des Geschäftsführers des LEB ist von einem Deeskalationsraum erstmals in einer Fax-Mitteilung vom 13. Mai 2003 mit Bezug auf eine Besprechung am 9. Mai 2003 die Rede.

Ergebnis der Erörterung im Team war demnach "Kein Iso-Raum, "Tobezimmer", in Begleitung und mit "Soft"Ausstattung". Auch in einer weiteren Fax-Mitteilung vom 15. Mai 2003 hieß es: "keine Isolationszelle, sondern Raum mit "soften" Gegenständen".

Letztmalig wird der Deeskalationsraum erwähnt in einer Unterlage "Optimierung der GU in der Feuerbergstraße ­ Fortsetzung, Stand: 28. August 2003" ohne Autor, und zwar mit den Aussagen "Klärung mit Fachbehörde erforderlich: Strategische Ausrichtung" und "der Raum kann erst nach Bezug des EG im Haus A/B eingerichtet werden". Das Erdgeschoss des Traktes B des Hauses A wurde bezogen; über die Klärung mit der Fachbehörde ist nichts ersichtlich, insbesondere auch nicht aus deren Akte "Konzept GUF".

In der Optimierungsliste von Dr. Dirk Bange vom 8. Oktober 2003 hieß es zur Umsetzung des Deeskalationsraums, dass zu jener Zeit kein Bedarf aus der Praxis bestünde und keine Raumreserve vorhanden sei.

Der am 27. April 2003 bereits eingerichtete Raum fand keine Erwähnung.

Laut Konzept vom 15. März 2005 geht es bei dem Time-Out-Raum darum, dass die Jugendlichen sowohl innere als auch äußere Distanz zu der krisenbelasteten Situation finden. Die Jugendlichen könnten zunächst einmal zur Ruhe kommen, um die Erreichbarkeit wieder herzustellen und um eine Auseinandersetzung mit der krisenbehafteten Situation überhaupt erst möglich zu machen; sie hätten die Möglichkeit, Aggressionen deeskalierend abzuführen, aggressive Impulsdurchbrüche kontrollieren zu lernen und sich zu beruhigen, bis sie zurück in die Gruppe gehen und konstruktive Lösungen in Betracht ziehen könnten.

Der Aufenthalt sei freiwillig. Zum einen könnten die Jugendlichen den Raum auf eigenen Wunsch nutzen, zum anderen hätten die Betreuer die Möglichkeit, das Angebot an die Jugendlichen zu formulieren. Die Nutzung dürfe nicht mit Vergünstigung oder mit Sanktion auf Fehlverhalten verbunden werden.

Die Dauer der Nutzung solle individuell und flexibel gehandhabt sowie mit dem jeweiligen Jugendlichen vereinbart werden. Sie solle drei Stunden nicht überschreiten, es sei denn, dass die Überschreitung aus Sicht der Betreuer sinnvoll und notwendig sei.

Ein Verbleib über Nacht sei nicht vorgesehen.

Eine (prä)suizidale Krise sei Ausschlusskriterium, es sei denn, ein Betreuer bleibe in unmittelbarer Nähe.

Aus dem Protokoll der Dienstbesprechung in der GUF am 5. April 2005 ergibt sich, dass ein Time-Out-Raum ausgestattet werden sollte (Entfernung des Waschbeckens, Verlegen von Laminat).

Die Psychologin könne über die Nutzung des Raumes auch im Nachhinein informiert werden.

In der Sitzung des vom 26. August 2005 erklärte Wolfgang Weylandt in Bezug auf "einen Deeskalationsraum" in der GUF: "Wir haben jetzt eingerichtet einen Ruheraum in der Einrichtung, um ganz einfach Jugendlichen eine Auszeit zu geben".

Andere geschlossene Einrichtungen hätten einen Isolationsraum, sie aber hätten es immer abgelehnt.

In der Sitzung am 2. September 2005 erklärte Wolfgang Weylandt auf die Frage, ob es in der GUF einen Deeskalationszaum oder einen Time-Out-Raum gäbe, dass sie keinen Isolationsraum hätten. Sie hätten einen Raum, den sie nunmehr Ruheraum nennen.

Der Ruheraum in der GUF sei ein Raum, der "gemütlich eingerichtet sei und den Jugendlichen eine Auszeit aus der Gruppe geben soll". Er sei "sehr wohnlich ausgestattet". In diesen Raum ginge jeder freiwillig.

In einer späteren Vernehmung gab er an, dass der Raum "irrtümlicherweise" TimeOut-Raum benannt worden sei.

Dr. Dirk Bange erklärte in seiner Vernehmung, dass viele geschossene Einrichtungen in Deutschland einen Deeskalationsraum hätten, der auch Time-Out-Raum genannt werde.

Er und Wolfgang Lerche hätten aus "konzeptionellen Gründen" und "Kindeswohlgründen" davon abgesehen. Da sie aber "diese schwierigen Entwicklungen" gehabt hätten, habe "man" geprüft, "ob man jetzt doch einen Deeskalationsraum einrichtet, um Gewalteskalation [...] zu begegnen". Die Frage, die sich gestellt habe, sei "aus der Situation entstanden". Sie hätten in Einzelfällen, wenn die Jugendlichen mit Aggression gedroht oder sich auch verletzt hätten, die Zimmer ausgeräumt. Die Jugendlichen hätten gegen den Lichtschalter getreten und diesen genutzt, um sich "ein bisschen zu ritzen oder ein bisschen mehr zu ritzen". Solche Vorfälle würfen natürlich die Frage auf, ob es richtig sei, so einen Raum vorzuhalten oder nicht. Man habe jedoch daran festgehalten, keinen Deeskalationsraum einzurichten. Auf den Vorhalt des Vorsitzenden, Wolfgang Weylandt habe das ­ in Zusammenhang mit einem Ruheraum ­ "anders geschildert", erklärte Dr. Dirk Bange, er wisse nicht, ob es einen Ruheraum gäbe.

Auch Klaus-Dieter Müller gab in seiner Vernehmung an, dass der Time-Out-Raum bei einer "eskalierenden Situation" eingesetzt wurde.

Wenn der Jugendliche sich im Kontakt mit anderen Jugendlichen aufrege oder sich in einer Konfrontation mit einem Betreuer befinde, solle er die Möglichkeit haben, in den Time-Out-Raum zu gehen und "die Situation für sich selbst deeskalieren zu lassen". Auf die Frage nach der Ausstattung des Time-Out-Raumes gab Klaus-Dieter Müller an, es gebe dort eine Sofaecke aus Schaumstoff. Es befänden sich dort nur weiche Gegenstände, die Wände seien weiß gestrichen. Der Raum sei nicht weiter möbliert.

Die Schilderungen des Wolfgang Weylandt, es handele sich hierbei um einen Ruheraum, decken sich nicht mit denen des Dr. Dirk Bange und Klaus-Dieter Müller. Denn nach den Angaben des Dr. Dirk Bange hat sich das "Konzept für einen Time-OutRaum" auf einen Deeskalationsraum bezogen, der bei Gewalteskalationen und drohenden Selbstverletzungen der Jugendlichen eingesetzt werden sollte. Die Bezeichnung "Ruheraum" kannte Dr. Dirk Bange nicht. Auch nach den Angaben der KlausDieter Müller, war der Raum für "eskalierende Situationen" konzipiert worden. Die Schilderung des Wolfgang Weylandt, sie hätten einen Raum, den sie nunmehr Ruheraum nennen, wirft auch die Frage auf, weshalb sie diesen Raum nicht von Anfang an so genannt haben.

An der Beschreibung des Wolfgang Weylandt, der Raum sei "sehr wohnlich ausgestattet", bestehen Zweifel, wenn man diese Aussage mit der Beschreibung der KlausDieter Müller vergleicht. Dieser gab an, dass die Wände weiß gestrichen seien und der Raum, bis auf eine Sofaecke, nicht weiter möbliert sei.

Schließlich hat Wolfgang Weylandt, abweichend zu den Angaben des Dr. Dirk Bange und Klaus-Dieter Müller, nicht angegeben, dass der Raum bei eskalierenden Situationen eingesetzt werden sollte.

Wolfgang Weylandt hat damit abweichend von den Angaben des Dr. Dirk Bange, Klaus-Dieter Müller und dem Inhalt des Konzeptes zum Time-Out-Raum, den Sinn und Zweck des Raumes anders dargestellt.

Übereinstimmend haben alle angegeben, dass es sich bei diesem Raum nicht um einen Isolationsraum handeln sollte. Dies deckt sich auch mit den Fax-Mitteilungen vom 13. Mai 2003 und 15. Mai 2003 "keine Isolationszelle" zu wollen.

Nach alldem ergibt sich, dass der Raum konzipiert wurde, um eskalierende Situationen abzufangen. Wichtiger Faktor war auch die Minimierung von Selbstverletzungen, was den Schilderungen des Dr. Dirk Bange zu entnehmen ist. Wie der Raum tatsächlich genutzt wurde, bleibt offen.

Insbesondere bleibt offen, ob ein Jugendlicher, der sich in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, auch gegen seinen Willen in den Raum verbracht wurde.

Anlass zu dieser Hinterfragung gibt das oben dargestellte Dokument "Weiterentwicklung der GUF, Konsequenzen aus Gewalttaten und Entweichungen von Jugendlichen, in dem ausgeführt wird: "Befindet sich ein Jugendlicher in einer psychischen Ausnahmesituation, wird er in den Deeskalationsraum verbracht."

Auf die Frage, ob ein Betreuer gegen den Willen eines Jugendlichen verfüge, dass der Jugendliche in den Raum gehen soll oder dort länger verbleiben soll, entgegnete Klaus-Dieter Müller, nach seinem Wissen sei das konzeptionell nicht vorgesehen. Es gäbe kein Abschieben "in so einen Raum gegen den Willen des Jugendlichen [...].

Seine Angaben diesbezüglich betreffen lediglich das Konzept zum Time-Out-Raum.

Auch die Angaben des Dr. Dirk Bange beziehen sich ausschließlich auf die Konzeption.