Gericht

November 2006 auf die Frage, auf welche Weise Einwilligungen der Sorgeberechtigten eingeholt wurden: "Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass es eine rechtsstaatliche Institution ist und dass im Vorfeld eigentlich von daher die Einwilligungserklärungen eingebracht wurden. Ich habe auch bei den neun Jugendlichen [...], sechsmal war dann die Versichertenkarte dabei, und ich bin einfach davon ausgegangen, dass die Einverständniserklärung da war."

Im Übrigen sei er weiter davon ausgegangen, dass die Jugendlichen selbst eine ausreichende Reife besessen hätten, die eine Zustimmung der Sorgeberechtigten entbehrlich machten. Sie hätten gewusst, was ihnen bei der Blutabnahme oder Untersuchung geschehe.

In seiner Vernehmung vom 20. Dezember 2006 erklärt Dr. Ralf Radizi vom Wilhelmstift, der teilweise über Jugendliche aus der GUF Gutachten erstellt hat und in einigen Fällen auch konsiliarisch tätig war, dass er sich nicht vorstellen könne, Medikamente ohne vorliegende Einwilligung verabreicht zu haben. Es sei Praxis gewesen, mit den Eltern zu sprechen. Entsprechende Einwilligungen befänden sich in den Krankenakten der Institutsambulanz des Wilhelmstifts.

Dr. Tobias Wiencke, der als Psychiater für die GUF tätig war, schilderte die Frage der Einwilligung in seiner Vernehmung wie folgt: "Ich bin anfangs davon ausgegangen, dass das von der Feuerbergstraße geregelt ist. In der Praxis bei mir sieht das so aus, dass ich grundsätzlich Kinder mit Eltern behandele und ich insofern da nie ein Einverständnis brauche, weil die Eltern anwesend sind. Und für mich hatte die Feuerbergstraße das Umgangsrecht und ich bin davon ausgegangen, dass die dafür gesorgt haben. Als ich bemerkt habe, dass es Unklarheiten gibt, habe ich dafür gesorgt, dass das sehr genau dokumentiert werden muss und ich das auch zur Vorlage bekomme."

Drogenkonsum

Die Jugendlichen wurden im Rahmen der Eingangsuntersuchung medizinisch auch auf Drogenkonsum untersucht. Nach dem LEB-Konzept waren Jugendliche mit Drogenkonsum kein Klientel der GUF. In seiner Vernehmung vom 20. Dezember 2006 zeigte sich Dr. Ralf Radizi vom Wilhelmstift, der im Rahmen gerichtlicher Beschlüsse Gutachten über einige Minderjährige in der GUF erstattete und auch in einigen wenigen Fällen konsiliarisch für die GUF tätig war, überrascht: "Also, dass Jugendliche mit Drogenkonsum keine Klientel der Feuerbergstraße sein sollen, das ist für mich echt [...] Das ist nur kurz vor Weihnachten aussprechbar. Ich meine, Drogenkonsum haben dort nach meiner Kenntnis beinahe alle. Also, im Vorweg hat der Cannabiskonsum eine massive Rolle gespielt bei beinahe allen Jugendlichen. Dass das ein Ausschlusskriterium gewesen sein soll, das ­ nun spreche ich wieder in meiner Funktion, aber das ist meine gutachterliche Erfahrung ­ ist nun wirklich nicht der Fall.

[...] Tatsache ist, dass praktisch im Rahmen der Jugendhilfe bestimmt ­ keine Ahnung, die Zahl werden Sie vielleicht besser kennen; ich würde jetzt mal auf 60 bis 70 % schätzen ­ einen wirklich schädigenden und riskanten Drogenkonsum haben und dass Sie diese Jugendlichen nicht aus der Jugendhilfe entfernen können, weil die auch nicht anders versorgt werden können."

Drogenkonsum war zwar nach dem LEB-Konzept ein Ausschlusskriterium, in der Praxis wurden jedoch Minderjährige ungeachtet ihres Drogenkonsums in der GUF aufge447 Protokoll 18/32, S. 75.

448 Ebenda, S. 76 f.

Protokoll 18/33, S. 63.

450 Vernehmung v. 1. September 2006, Protokoll 18/28, S. 80.

451 Vernehmung v. 20. Dezember 2006, Protokoll 18/33, S. 81. nommen. Da nicht anzunehmen ist, dass der LEB einen Großteil möglicher Klienten

­ nach Aussage Dr. Ralf Radizi bis zu 70 Prozent ­ im Vorwege ausschließen wollte, scheint hier als Ausschlussgrund lediglich solch umfangreicher Drogenkonsum, der einen pädagogischen Zugang zum Jugendlichen nicht mehr ermöglicht, in Betracht zu kommen.

Psychopharmaka

Zum Thema Psychopharmaka existiert im GUF-Ordner der Dienstanweisungen eine solche zur "Medikamentenverweigerung", die zum 1. März 2005 in Kraft getreten ist.

Diese lautet: "Die Absetzung der Psychopharmaka darf nur auf ärztliche Entscheidung erfolgen. Darüber hinaus dürfen Psychopharmaka nicht abrupt abgesetzt werden, es sei denn, dies ist aus ärztlicher Sicht notwendig. Üblicherweise wird das Medikament ausgeschlichen. Eine abrupte Absetzung bedeutet, dass dem menschlichen Organismus Substanzen plötzlich entzogen werden, auf die er physiologisch eingestellt war. Damit wird ebenfalls die ausgleichende und dämpfende Wirkung des Psychopharmakons sofort aufgehoben. Auf der Erlebens- und Verhaltensebene kann für den Betroffenen demzufolge eine Überforderungssituation entstehen, da die ausgleichende Wirkungsweise des Medikamentes zu Lasten innerpsychischer Spannungszustände abrupt wegfällt.

Sollten die Jugendlichen ihre vom Kinder- und Jugendpsychiater verschriebenen Medikamente nicht einnehmen können oder wollen, so ist diese Information sowie die Gründe für die Einnahmeverweigerung (z. B. medikamentöse Begleiterscheinungen, die als unangenehm empfunden werden) unverzüglich schriftlich an die Psychologin weiterzuleiten.

Diese Informationen sind zum einen notwendig, damit die Ablehnung der Medikamenteneinnahme mit dem Jugendlichen besprochen und Einfluss genommen werden kann, zum anderen benötigt der Kinder- und Jugendpsychiater diese Informationen.

In dem Gespräch mit dem Jugendlichen muss erklärt werden, welche Probleme auftreten können, wenn Medikamente abrupt abgesetzt werden. Ziel ist es, den Jugendlichen zu motivieren, die Medikamente weiter zu nehmen und ihm zu sagen, dass sein Problem mit dem Arzt besprochen werden muss, der über Veränderungen mit ihm gemeinsam sprechen und entscheiden wird."

Ob es zuvor eine ähnlich lautende Dienstanweisung gab, ist nicht bekannt. Die Psychologin Karin Weber hatte keine Kenntnis vom Vorhandensein einer solchen.

Schon zuvor wurden Psychopharmaka an die Jugendlichen verabreicht. Nach Aktenlage gab es hierzu jedoch keine schriftlichen Vorgaben. Ab Mitte Januar 2005 wurden diese Medikamente in einem abschließbaren Medikamentenschrank gelagert. Die Heimaufsicht stellte zuvor bei einer örtlichen Prüfung am 13. Januar 2005 fest: "Die für die Betreuten verordneten und vorgehaltenen Medikamente sind in einem offenen Bord innerhalb eines Mitarbeiterbüros gelagert. Dies ist zu verändern. Sie gehören in einen verschließbaren Medikamentenschrank."

Für die Zeit davor ist daher davon auszugehen, dass die Psychopharmaka offen auf einem offenen Bord in einem Mitarbeiterbüro gelagert wurden. Auf Nachfrage räumte der Einrichtungsleiter Wolfgang Weylandt dies ein: "Es gab eine Situation oder Situationen, wo dieses geschehen ist. Das war aus Unachtsamkeit der Mitarbeiter heraus geschehen. Normal sollten sie in einem Schrank sein. Es gab ein Gespräch in diesem Bezug mit der Heimaufsicht ­ ich 452 Dienstanweisung zur "Medikamentenverweigerung", zum 1. März 2005 in Kraft getreten.

Vernehmung v. 1. September 2006, Protokoll 18/28, S. 76.

454 Protokoll der Heimaufsicht, Akte B 7. weiß jetzt nicht mehr, wann das war ­, wo wir dann gesagt haben: Gut, das ist richtig, wir bauen hier Schränke rein, die abschließbar sind."

[...] "Zum einen können wir nicht arbeiten nach der ärztlichen Kunst. Wir sind keine Ärzte. Es hat keine abschließbaren Medizinschränke gegeben, sondern nur offene, die ohne Schloss waren, wo die Medikamente drin gelagert werden, gelagert werden sollten. Daraufhin haben wir das mit der Heimaufsicht besprochen und dann hat die Heimaufsicht gesagt, es wäre besser, wenn der abschließbar wäre und daraufhin haben wir nachgerüstet."

Die Verabreichung der Psychopharmaka wurde weit überwiegend vom pädagogischen Personal übernommen. So erinnert sich beispielsweise der Betreuer Jens Koch, selbst das Psychopharmakon Risperdal an Jugendliche verabreicht zu haben.

Siehe dazu auch oben zur Frage, wie eine Medikation in der GUF erfolgte.

Aus Eintragungen im Securitas-Dienstbuch geht jedoch hervor, dass auch die Sicherheitsdienstmitarbeiter den Betreuten Psychopharmaka ausgehändigt haben. So schreibt der Mitarbeiter Gregor Rohde am 23. Juli 2004: "J 16 Risperdal verabreicht".

Ein ähnlicher Eintrag findet sich am 27. April 2004, in dem der gleiche Mitarbeiter anmerkt: "J 16 Risperdal gegeben und anschließend Nachtruhe". Bei seiner Vernehmung hat der Zeuge jedoch bestritten, Medikamente an Minderjährige verabreicht zu haben. Ebenfalls habe er keine Kenntnis, dass andere Securitas-Mitarbeiter Medikamente an Minderjährige verabreicht haben.

Auch aus dem Übergabebuch lässt sich nicht eindeutig schließen, dass SecuritasMitarbeiter Medikamente verabreicht hätten, sondern lediglich, dass Medikamente doppelt verabreicht wurden.

Der Betreuer Jens Koch erinnerte sich in seiner Vernehmung vom 13. April 2007 daran, dass die Dosierung und die Tatsache, welcher Jugendliche ein Psychopharmakon einzunehmen habe, teilweise von der Einrichtungsleitung und der Hauspsychologin Karin Weber mitgeteilt worden sei. Er könne sich zumindest daran erinnern, dass der stellvertretende Leiter genaue Dosierungsanweisungen gegeben habe.

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die Vergabe von Psychopharmaka an die Jugendlichen von Betreuern, aber auch von Securitas-Mitarbeitern durchgeführt wurde. Es gab zwar Verschreibungen durch Ärzte, inwieweit diese jedoch in der Praxis umgesetzt wurden, kann nicht restlos geklärt werden. Das Bild, das die Übergabebücher der GUF und Dienstbücher der Securitas sowie die Aussagen der aufgeführten Zeugen vermitteln, legt jedoch den Schluss nahe, dass Verschreibungen dem Umfang und der Dosierung nach nicht eingehalten, bzw. innerhalb der GUF abgeändert wurden.

Dr. Charlotte Köttgen, Psychiaterin am UKE, informierte in ihrer Vernehmung als Sachverständige am 20. Dezember 2006 über die Anwendung und Wirkweisen der in der GUF verabreichten Psychopharmaka. Auf die Frage, ob eine medikamentöse Therapie in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung stattfinden könne und wie eine solche Therapie gegebenenfalls ablaufen müsse, führte sie aus: "Ich finde, dass, wenn denn plötzlich unter den geschlossenen Bedingungen sich herausstellt, dass dort viele dieser Jugendlichen doch krank sind und behandlungsbedürftig sind, dann frage ich mich, ob das der richtige Ort ist, um zum Beispiel die Neuroleptikagaben ­ und Neuroleptika sind hochpotente Medikamente, bei denen mit lang wirkenden Folgen zu rechnen ist ­, dann sollten die unter der Aufsicht von geschultem klinischen Personal verabreicht werden und nicht in so 455 Vernehmung v. 30. Juni 2005, Protokoll 18/4, S. 93.

456 Vernehmung v. 30. Juni 2005, Protokoll 18/4, S. 94.

457 Vernehmung v. 13. April 2007, Protokoll 18/38, S. 94.

458 Wortprotokoll v. 25. Mai 2007, Zeile 8,9.