Gesetz

Jens Müller von der Firma Securitas kritisierte in dieser Runde, dass die derzeitige Aufgabenwahrnehmung seiner Mitarbeiter über das hinausgehe, was ursprünglich im Jahre 2003 vereinbart worden sei. Seine Mitarbeiter übernähmen in der GUF nicht nur klassische Objekt- und Personenschutzaufgaben, sondern würden vielmehr auch zu "Quasi-Betreuungs- oder Beschäftigungsaufgaben" eingesetzt. Sie seien beispielsweise einige Male tagsüber mit Jugendlichen allein gelassen worden.

Die Einrichtungsleitung räumte ein, dass es gelegentlich aufgrund von Personalmangel zu derartigen Situationen gekommen sei. Gleichzeitig wurde Abhilfe zugesichert.

Es wurde klargestellt, dass Securitas-Mitarbeiter keine eigenmächtigen Entscheidungen treffen dürften und GUF-Mitarbeiter die Verantwortung für die Sicherheit nicht an die Sicherheitskräfte abgeben könnten.

In seiner Zeugenvernehmung konnte Jens Müller sich an dieses Gespräch nicht mehr erinnern. Seiner Kenntnis nach sei es so gewesen, dass es ihm nicht bekannt sei, dass seine Mitarbeiter einen längeren Zeitraum mit den Jugendlichen allein waren.

Weiter wurde erörtert, dass es durch den engen Kontakt zu den einzelnen Jugendlichen zu einer fehlenden Distanz zwischen den Sicherheitskräften und Jugendlichen kommen könne, die ein hohes Sicherheitsrisiko in sich berge. Ab Februar 2005 solle ein regelmäßiges vierteljähriges Coaching der Securitas-Mitarbeiter durch Wolfgang Weylandt, Jörg Sonntag und die GUF-Psychologin zu den typischen Verhaltensweisen der GUF-Jugendlichen stattfinden. Zu den 12-Stunden-Schichten der SecuritasMitarbeiter bei Tageseinsätzen, die zu Unachtsamkeiten oder anderen Sicherheitsrisiken führen könnten, bot Jens Müller an, bei vertraglich vereinbarten regelmäßigen Tageseinsätzen zwei 6-Stunden-Schichten zu gewährleisten.

Ob das in dem Vermerk vom Ende Januar 2005 vereinbarte vierteljährliche Coaching der Securitas-Mitarbeiter stattgefunden hat, lässt sich aufgrund des Endes des Untersuchungszeitraums nicht feststellen. Die Dienstbücher ergeben Hinweise darauf, dass es Probleme bei der Abgrenzung der Aufgaben gab.

Beispielhaft notierte der Sicherheitsmitarbeiter Köpke am 25. Oktober 2004: "Ich war heute mal wieder ganz alleine für J 16 zuständig".

Der Sicherheitsmitarbeiter Peter Friedrich vermerkte am 5. November 2004: "War heute viel mit ihm allein (gemeint ist J 16). Kein Betreuer vor Ort". Derselbe Sicherheitsmitarbeiter hielt am 22. November 2004 schriftlich fest: "Friedrich bei J 16. Es ist ein Wunder geschehen!!! Es war ein Betreuer anwesend." Peter Friedrich meinte dazu in seiner Vernehmung vom 13. Juni 2007, dass es nur vereinzelt Situationen gegeben habe, in denen keine Pädagogen anwesend gewesen seinen.

Bestätigt wird diese Aussage durch den Securitas-Mitarbeiter Gregor Rohde, der ausführte, dass er allenfalls einen kurzen Zeitraum mit Jugendlichen in einer Gruppe gewesen sei. Dies sei der Fall gewesen, wenn der zuständige Pädagoge oder Betreuer in die Nebengruppe musste, um dort etwas zu holen oder abzuklären. Es sei auf jeden Fall eine Minutensache von fünf oder vielleicht zehn Minuten gewesen.

Mit Eintrag vom 5. Dezember 2004 heißt es: "J 17 hat J 05 Schläge und Beleidigungen angedroht. Ich 1038 (das ist die Nummer des Securitas-Mitarbeiters Peter Friedrich) habe ihm sämtliche Vergünstigungen gestrichen. Später hat er mit den Scherben der Glühbirne sich geritzt". Vergünstigungen werden den Jugendlichen als Belohnung immer für den Fall gewährt, dass diese in der Einrichtung nicht negativ auffallen. Dies ist Teil einer pädagogischen Maßnahme. Hierdurch sollen die Jugendlichen zu einem friedlichen Verhalten animiert werden, welches dann entsprechend durch die Gewährung der Vergünstigung honoriert wird.

Ein Securitas-Mitarbeiter hingegen besaß nicht die Befugnis, diese pädagogische Maßnahme anzuordnen.

Aus Akten und Vernehmungen haben sich weitere Hinweise auf Abweichungen zwischen den Vorgaben aus der Securitas-Dienstanweisung und dem tatsächlichen Handeln der Securitas-Mitarbeiter ergeben:

Aus einem Dienstbucheintrag des Mitarbeiters Herrn Pries vom 8. Februar 2004 geht hervor, dass das Sicherheitspersonal auch schon zu einem früheren Zeitpunkt pädagogische Maßnahmen ergriffen hat. Hierbei führt er aus: "Auf Wunsch des Pädagogen wurde von mir die Tagesreflexion und die Medikamentenausgabe durchgeführt". Der Mitarbeiter wurde zu diesem Eintrag in seiner Vernehmung befragt. Auf Vorhalt des von ihm vorgenommenen Eintrages konnte er sich nicht mehr an konkrete Tatsachen erinnern, ging aber gleichzeitig von der inhaltlichen Richtigkeit der Eintragung aus. Ferner gab er an, nie an einer Tagesreflexion teilgenommen zu haben, mithin den inhaltlichen Ablauf einer Tagesreflexion nicht zu kennen. Wenn es zu Tagesreflexionen mit den Jugendlichen durch die Pädagogen gekommen sei, habe er immer vor der Tür gestanden.

Auf eine Vermengung von pädagogischen Tätigkeiten und Aufgaben der SecuritasMitarbeiter verweist auch der Pädagoge Jens Koch. Dieser hat ausgeführt, dass Securitas-Mitarbeiter bei Mahlzeiten am Tisch gesessen hätten und auch an der Zubereitung derselben beteiligt gewesen seien. Dies habe er für pädagogische Tätigkeit gehalten.

Der Mitarbeiter Lenhart Freiesleben führte dagegen aus, dass es natürlich zu persönlichem Kontakt zwischen Securitas-Mitarbeitern und Jugendlichen gekommen sei. Er hätte hierin keine pädagogische Tätigkeit gesehen.

Bestätigt wird dies durch die Aussage Wolfgang Weylandts, der in diesen Tätigkeiten keine pädagogische Tätigkeit, sondern die Versorgung von Jugendlichen sieht.

Die Securitas-Dienstbücher geben Hinweise darauf, dass ein Securitas-Mitarbeiter einem Jugendlichen Medikamente ausgehändigt hat. So schreibt ein Mitarbeiter am 23. Juli 2004: "J 16 Risperdal verabreicht". Ein ähnlicher Eintrag findet sich am 27. April 2004, indem der gleiche Mitarbeiter anmerkt: "J 16 Risperdal gegeben und anschließend Nachtruhe".

Der Zeuge ist mit seiner Vernehmung mit dieser Eintragung konfrontiert worden und hat bestritten, Medikamente an Minderjährige verabreicht zu haben. Außerdem habe er keine Kenntnis, dass andere Securitas-Mitarbeiter Medikamente an Jugendliche verabreicht haben.

Gemäß Ziffer 7 der Securitas-Dienstanweisungen ist es den Sicherheitsmitarbeitern erlaubt, behördlich genehmigte Reizstoffsprühgeräte zum Eigenschutz bei Notwehr oder im Falle einer Nothilfe bei sich zu führen. Die Frage, ob in der GUF tatsächlich die vorgenannte Gerätschaft gelagert wurde, war mehrfach Gegenstand der Beweisaufnahme.

Der Geschäftführer des LEB Klaus-Dieter Müller teilte in seiner Vernehmung vom 4. November 2005 mit, dass der von ihm verfasste Text auf der Website des LEB vom Juli 2005 "Es hat sich nach Betriebsaufnahme gezeigt und bis heute bestätigt, dass ein Einsatz von Reizgas zum Selbstschutz der Beschäftigten des Sicherheitsunternehmens nicht mehr erforderlich ist und auch nicht mehr vom Sicherheitsdienst mitgeführt wird" auf eine Rücksprache mit der Einrichtungsleitung zurückzuführen sei.

Dieser Securitas-Mitarbeiter ist identisch mit dem vor dem PUA vernommenen Zeugen Kai Uwe Pries-Gretenkort. Hieraus geht indirekt hervor, dass diverse Reizgassprühgeräte zumindest zeitweise in der GUF vorzufinden waren. Während der Einrichtungsleiter, Wolfgang Weylandt, in seiner Vernehmung am 30. Juni 2005 die Existenz von Reizgas in der GUF grundsätzlich bestritt, führte der ehemalige Geschäftsführer des LEB, Dr. Dirk Bange, in seiner Befragung vom 27. September 2005 aus, dass es zeitweise zur Lagerung von Reizgas innerhalb der GUF durch die Sicherheitsmitarbeiter kam, die Mitarbeiter später darauf gänzlich verzichteten, da sie hierzu keine Notwendigkeit sahen.

Diese Erkenntnis habe Dr. Dirk Bange aus einem internen Vermerk gezogen.

In dem Übergabebuch der Gruppe 2 für das Jahr 2003 befindet sich folgender Eintrag vom 30. Dezember 2003: "Herr Pries und Herr Blohm haben entdeckt, dass das CSGAS im Nachtwachenraum fehlt. Möglicherweise hat es ein Securitas-Kollege mitgenommen, möglicherweise wurde es von Jugendlichen entwendet!!! Wir haben Herrn Blohm gebeten bei seinen Kollegen nachzufragen und Infos zu generieren! LF.

Diese Nachfrage hatte Erfolg: Entwarnung!!!

Dieser Eintrag steht im Widerspruch zu der Zeugenaussage des SecuritasMitarbeiters Kai Uwe Pries-Gretenkort vom 13. Juni 2007.

Dieser verneint die Frage, ob er während des Untersuchungszeitraums jemals Reizgas in der Einrichtung gehabt habe. Ferner verneint er ausdrücklich auf Nachfrage jemals Reizgas gesehen bzw. bei einem seiner Kollegen gesehen zu haben. Des Weiteren beantwortete er auch die weitere Nachfrage, jemals Reizgassprühgeräte irgendwo stehen gesehen zu haben, negativ.

Dass es in der GUF je zu einem Einsatz von Reizgas kam, kann nach der Aktenlage verneint werden. Demgegenüber ist die zumindest zeitweise Existenz von Reizgassprühgeräten naheliegend.

Das Thema der Überschreitung der Befugnisse der Securitas stellt sich auch im Zusammenhang mit der Entweichung von Jugendlichen aus der GUF. Gemäß Ziffer 6 des Sicherheitsdienstleistungsvertrags beschränken sich die zu ergreifenden Maßnahmen bei Fluchtversuchen auf die Nacheile. Wenn der Betreute gestellt werden kann, sind die Maßnahmen beschränkt auf das Festhalten, bis der Pädagoge eintrifft.

Auch in diesem Punkt sind demnach die Befugnisse der Sicherheitsmitarbeiter eindeutig geregelt und die Befugnisse klar festgesetzt. Aus den Aktenbeständen geht hervor, dass dieser Aufgabenzuweisung in einigen Fällen zuwider gehandelt wurde.

Ein besonders augenfälliges Beispiel stellt die Rückführung des entwichenen Jugendlichen J 17 vom 8. Dezember 2004 dar. Am 6. Dezember 2004 hatte der Sicherheitsmitarbeiter Falco Korthals in der Einrichtung die Frühschicht übernommen. Falco Korthals legte den Schlüssel auf einen Schreibtisch im Securitas-Büro. Der Schlüssel wurde nicht, wie vorgesehen, an den diensthabenden Sozialpädagogen übergeben, damit dieser ihn in den Schlüsselkasten einschließt.

Der Schlüssel wurde sodann von einem der Jugendlichen mitgenommen. Beide Jugendliche ergriffen schließlich die Flucht. In der Einrichtung wurden daraufhin sämtliche Schlösser der Außentüren gegen neue Schlösser ausgetauscht.

Die anschließende Rückführung des Jugendlichen erfolgte sodann durch zwei Securitas-Mitarbeiter. Der Ausschuss vernahm zu diesem Vorfall die Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter schilderte zunächst das Geschehen, machte dann jedoch von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Der andere Mitarbeiter verweigerte von Anfang an zu diesem Themenkomplex die Aussage. Die Schilderungen lassen einen Verstoß gegen Ziffer 6 der Securitas-Dienstanweisung nahe liegend erscheinen. Letztendlich lässt sich der tatsächliche Sachverhalt nicht aufklären.

Innerhalb der GUF scheint das Thema der Rückführung von entwichenen Jugendlichen durch die Securitas als zulässiges Mittel angesehen worden zu sein. Nachdem.