Bericht

Ereignisse, die möglicherweise die sofortige anderweitige Unterbringung aller in einer Einrichtung untergebrachten Minderjährigen oder größeren Gruppen von ihnen erforderlich machen,

· Tod, Freitod oder Freitodversuch eines Betreuten,

· besondere schwere Unfälle, die eine sofortige Benachrichtigung der Angehörigen angezeigt erscheinen lassen,

· gehäuft auftretende Erkrankungen, insbesondere, wenn sie Folgen für Besuche, Beurlaubungen, Entlassungen und Neuaufnahmen mit sich bringen,

· wenn Misshandlungen festgestellt oder vermutet werden,

· alle strafbaren Handlungen zum Nachteil betreuter Minderjähriger, insbesondere Sittlichkeitsdelikte und Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit,

· erhebliche Straftaten von betreuten Minderjährigen,

· Entführungen und Entführungsversuche.

Besondere Vorkommnisse sind auch solche, die zu einer für den Betrieb oder die Freie und Hansestadt Hamburg negativen Berichterstattung in den Medien führen kann oder wird bzw. geführt hat oder die von grundsätzlicher oder politischer Bedeutung sind oder sein können.

Neben die Kategorie der Besonderen Vorkommnisse stellte der LEB mit dieser Dienstanweisung vom 29. Januar 2004 als Neuerung die Kategorie der "Anderen Vorkommnisse". Für diese besteht eine andere Meldepflicht und der Vordruck "Besonderes Vorkommnis" findet keine Anwendung.

Andere Vorkommnisse sind hiernach solche, die eine Gefährdung des körperlichen, seelischen oder geistigen Wohls beinhalten und die Fürsorge- und Aufsichtspflicht gegenüber den Betreuten berühren, aber keine Besonderen Vorkommnisse im Sinne der Dienstanweisung sind, wie [....]

· Funde unerlaubter Gegenstände in Einrichtungen, deren Besitz mit Strafverfolgung verbunden ist, wie Drogen, Waffen, Diebesgut [...],

· Beschwerden der Betreuten oder der sie vertretenden Dritten über Beschäftigte des Landesbetriebes,

· Vandalismus und größere Zerstörungen durch Betreute oder andere Personen,

· Tätlichkeiten gegen das Personal des LEB durch Betreute [...],

· unerlaubte wiederholte oder dauerhafte Abwesenheit Minderjähriger aus Einrichtungen über Tag und Nacht [...], ohne dass dieses durch die verantwortlichen Betreuerinnen bzw. Betreuer abgewendet werden kann.

Da einerseits erhebliche Straftaten von Betreuten als BV zu melden, andererseits Drogenfunde, Vandalismus und größere Zerstörungen durch Betreute sowie Tätlichkeiten gegen das Personal des LEB "nur" als "Andere Vorkommnisse" zu behandeln waren, könnte hierin ein Wertungswiderspruch liegen. Bei juristisch einwandfreier Auslegung war dieser äußerliche Widerspruch allerdings in der Weise aufzulösen, dass Drogenfunde, Vandalismus, größere Zerstörungen durch Betreute und Tätlichkeiten gegen das Personal des LEB nur dann als weniger verwaltungsaufwendige "andere Vorkommnisse" behandelt werden durften, wenn es sich hierbei nicht gleichzeitig um erhebliche Straftaten von Betreuten handelte. Seiner Bedeutung entsprechend musste der Begriff des Besonderen Vorkommnisses den Maßstab bilden, von dem der nachrangige Begriff des Anderen Vorkommnisses abzugrenzen war.

Diese allgemeinen Regeln des LEB wurden für die GUF modifiziert durch eine Anweisung in der Sicherheitsmappe für Notfallsituationen, die in der Akte A-7 enthalten ist.

Die Sicherheitsmappe ist nicht datiert und lässt auch den Urheber nicht erkennen. Es wird jedoch auf die Dienstanweisung vom 29. Januar 2004 Bezug genommen. Folglich muss die Sicherheitsmappe zeitlich danach erstellt worden sein. Weiter lässt sich das Erstellungsdatum dadurch eingrenzen, dass die Anweisung auf die DA/2004-54 verweist, die am 1. Juni 2004 in Kraft trat und am 1. Januar 2005 aufgehoben wurde.

Damit müsste die Anweisung zwischen dem 1. Juni 2004 und dem 1. Januar 2005 entstanden sein. Nach dieser Anweisung in der Sicherheitsmappe zählen auch folgende Ereignisse zu den Besonderen Vorkommnissen:

1.) Alle Konflikte, bei denen mit körperlichem Einsatz interveniert werden musste,

2.) jegliche Verletzung von Jugendlichen oder Mitarbeitern,

3.) alle Straftaten, die von Jugendlichen verübt werden (siehe DA/2004-54),

4.) Entweichungen und Verspätungen bei Jugendlichen,

5.) Prügeleien zwischen den Jugendlichen,

6.) Suizidandrohungen.

Damit wurde die Liste der als Besonderes Vorkommnis einzustufenden Ereignisse erweitert. Die Erweiterung durch diese Dienstanweisung ist für den Untersuchungszeitraum aber, wie ausgeführt, frühestens seit dem 1. Juni 2004 in Kraft.

Meldeweg der Besonderen Vorkommnisse

Über Besondere Vorkommnisse ist ein Bericht zu fertigen und das Besondere Vorkommnis ist über einen Meldeweg bestimmten Personen oder Stellen mitzuteilen.

Zuständig für die Abgabe der mündlichen bzw. telefonischen Meldung und der Abfassung des schriftlichen Berichtes ist nach der Dienstanweisung vom 29. Januar 2004 die Person, die zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses anwesend ist, soweit die Leitung nicht etwas anderes anordnet. Im Bericht ist sein Verteiler festzulegen, das heißt, es gibt keinen für alle Besonderen Vorkommnisse gültigen Verteiler. Jedoch sind Besondere Vorkommnisse der Heimaufsicht durch die Abteilungs- oder Einrichtungsleitung stets sofort telefonisch zu melden und es ist ein schriftlicher Bericht zu übersenden, soweit nicht die Heimaufsicht ausdrücklich darauf verzichtet. Umgehend, spätestens am nächsten Werktag, ist darüber hinaus LEB 02 telefonisch zu informieren. Ist LEB 02 nicht erreichbar, ist die Meldung im Geschäftszimmer, im Verhinderungsfall bei LEB 01 abzugeben. LEB 02 soll sodann in Abstimmung mit der Geschäftsführung unter anderem entscheiden, ob eine Kommunikation mit der Behördenleitung, der Pressestelle, anderen Behörden oder Dritten erforderlich ist.

Diese allgemein üblichen Vorschriften zur Meldung von Besonderen Vorkommnissen wurden durch die Anweisungen in der Sicherheitsmappe geändert.

Bei Ereignissen mit möglicher hoher Öffentlichkeitswirksamkeit (Entweichung, Suizid, etc.) ist danach sofort die Leitung zu informieren.

Alle anderen schriftlichen Besonderen Vorkommnisse sind der Einrichtungsleitung bis spätestens 8.30 Uhr am folgenden Werktag persönlich vorzulegen. Die Leitung entscheidet über den Umfang der Verteilung.

Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter ist verantwortlich für die Umsetzung der angeordneten Verteilung. Die Verwaltungskraft kann hierfür zur Unterstützung hinzugezogen werden. Andreas Hofer erwähnte in diesem Zusammenhang in seiner Vernehmung vom 31. August 2007 zu der Frage, wem er einen bestimmten Bericht gegeben habe: "Der geht üblicherweise an den Einrichtungsleiter, Herrn Weylandt, an Herrn Sonntag und an, damals war das Frau Weber. Alle drei wurden darüber infor769 Diese Dienstanweisung wurde am 1. Januar 2005 durch die leicht modifizierte DA/2005-1 ersetzt. S. 13 des Vernehmungsprotokolls. miert. Wo ist eigentlich der Verteiler? Die Leitungsebene wird über alle Sachen [...] oder es geht an das Sekretariat, das dann diese Sachen verteilt, oder eben auch nicht verteilt. Das kann ich dann nicht mehr sagen, wer nun welches Schriftstück bekommt."

Die Sicherheitsmappe gab folgenden Verteiler vor: Dr. Dirk Bange Geschäftsführung: Klaus-Dieter Müller Amt für Jugend: Trägerberatung und Heimaufsicht Wolfgang Fischer Leitung FIT: Michael Thiem (mit Anschreiben) JGH Vormund Richter Jugendbewährungshilfe JBH.

Die Eltern waren telefonisch zu informieren.

Die Adressaten der Meldungen eines Besonderen Vorkommnisses sind nur sehr schwer zu ermitteln. Zwar wurde ein standardisierter Vordruck mit dem eben genannten Verteiler für die Meldung Besonderer Vorkommnisse geschaffen, an dessen Ende die Möglichkeit besteht, anzukreuzen, wer informiert werden soll (Der in der Meldung der jeweiligen Besonderen Vorkommnisse durch Ankreuzen vorgesehene Berichtsweg ist der Anlage "Meldeweg der Besonderen Vorkommnisse" zu entnehmen).

Bei der Erfassung der Besonderen Vorkommnisse hat sich herausgestellt, dass beinahe kein Berichtsweg dem anderen entsprach. So ändert sich der vorgeschriebene Verteiler immer wieder und es ist kein System erkennbar, nach dem der mögliche Verteiler angekreuzt wird. Es ist zum Beispiel nicht möglich, aufgrund der Art des Besonderen Vorkommnisses auf den Berichtsweg zu schließen. Zum Teil wird der Berichtsweg auch gar nicht dokumentiert, es werden also keine Kreuze gemacht.

Dass der tatsächliche Berichtsweg von dem vorgesehenen abweicht, ergibt sich zum Beispiel auch aus dem Bericht zum Besonderen Vorkommnis vom 13. Januar 2005 in der Akte LEB GF, B-2. Vorgesehen ist nach diesem Bericht lediglich die Information der Geschäftsführung. Ein Vermerk des Geschäftsführers auf dem Bericht zeigt, dass jedoch alle in dem Verteiler vorgesehenen Personen informiert wurden. Bei dem Besonderen Vorkommnis Nr. 79 vom 11. September 2004 erhielt der Staatsrat durch einen Vermerk von FS 7 Kenntnis. Dieses ist ebenso nicht auf dem Vordruck vermerkt.

Im Ergebnis kann daher gesagt werden, dass der auf dem Vordruck "Besonderes Vorkommnis" vermerkte Berichtsweg nicht immer umfassend den tatsächlichen Informationsweg wiedergibt. Zudem wurde an der Verteilerliste auch in den meisten Fällen nicht vermerkt (z. B. durch Handzeichen des Adressaten oder durch Erledigungsvermerk des Absenders), inwiefern die Information erfolgt war. Daher ist aus der reinen Tatsache, dass ein Kästchen im Verteiler angekreuzt wurde, ebenso wenig eine Schlussfolgerung zu ziehen wie aus einem fehlenden Kreuz.

Hinzu kommt, dass sich der Verteiler auch nicht vollständig erklärt. So ist zum Beispiel unter anderem als möglicher Adressat "Abteilungsleiter" vorgesehen, daneben auch noch als möglicher Adressat "Dr. B.". Zum Teil sind auch zu dem Zeitpunkt, als Herr Dr. B. bereits Abteilungsleiter war, beide Möglichkeiten angekreuzt. Unklar ist, worauf dieses zurückzuführen ist. siehe Anlage BV 1.