In drei Fällen gab es Kombinationen von Suizidandrohungen und

Autoaggression Aggression ist ein gegen einen Organismus oder einem Organismussurrogat (Ersatzobjekt) gerichtetes Austeilen schädigender Reize. Dies schließt sowohl ein körperliches als auch verbales Vorgehen ein. Diese Definition schließt auch Autoaggression, d. h. gegen die eigene Person gerichtete Aggression mit ein. In der Autoaggression wird die Aggression gegen den eigenen Körper gewendet und damit körperliche oder psychische Schädigungen verursacht. Diese Form der Aggression kommt häufig bei autistischen, schizophrenen und geistig behinderten Menschen vor. Aber auch bei "Normalsinnigen" gibt es verschiedene Ursachen und Ausprägungen der Autoaggression. Selbstverletzung bei Jugendlichen tritt häufig bei vorausgegangener oder anhaltender emotionaler, körperlicher oder sexueller Misshandlung ein. Häufig tritt Autoaggression in Kombination mit der Entwicklung einer extremen Störung des Sozialverhaltens ein. Die Selbsttötung stellt dabei die ultimative Form der Autoaggression dar.

In der GUF sind aus den Meldungen Besonderer Vorkommnisse Fälle von Autoaggressionen unter den betreuten Minderjährigen mehrfach dokumentiert. 28 Vorfälle von autoaggressivem Verhalten unter den Jugendlichen sind innerhalb des Untersuchungszeitraums vermerkt. Hiervon allein neun Vorfälle im Monat November 2004. In der Liste mit autoaggressivem Bezug sind zumindest zwei Fälle bekannt, in denen es den äußeren Umständen nach zu ernsthaften Suizidversuchen gekommen ist (siehe hierzu sogleich). Im Übrigen verteilen sich die Vorfälle innerhalb des Untersuchungszeitraums wie folgt: In 20 Fällen kam es zu Selbstverletzungen, vorwiegend in Form von Schnittverletzungen. In zwei Fällen wurden Selbstverletzungen von den Jugendlichen angedroht, in einem weiteren Fall wurde eine Selbstverletzung versucht.

Sechsmal wurden Suizidversuche geäußert bzw. angedroht. In drei Fällen gab es Kombinationen von Suizidandrohungen und Selbstverletzungen. von 28 in den Besonderen Vorkommnissen geschilderten Fälle von Autoaggression sind vier Jugendlichen zuzurechnen: J 17 (neun Fälle), J 05 (acht Fälle), J 20 (fünf Fälle) und J 16 (drei Fälle).

Im Folgenden sollen die gravierendsten Vorfälle mit autoaggressivem Bezug beispielhaft dargestellt werden:

Zu nennen ist hier insbesondere ein Vorkommnis vom 22. Februar 2004. In diesem Fall ging es um einen besonders dramatischen Suizidversuch des Jugendliche J 20.

Es handelt sich hierbei um das Besondere Vorkommnis Nr. 33.

Aus dem Vermerk geht hervor, dass der betreffende Jugendliche zunächst Streitigkeiten mit einem anderen Betreuten hatte, in dessen Verlauf er von zwei Pädagogen gelegt werden musste. Gegen 19.30 Uhr begleitete die ebenfalls an diesem Abend diensthabende Pädagogin Karin Zumsande einen ihrer Kollegen zum Ausgang, während sie plötzlich bemerkte, wie J 20 das Oberlicht in seinem Zimmer auf Kipp stellte. Dieser war gerade dabei, ein Schlüsselband hieran zu befestigen. Hierauf eilte die Pädagogin in das Zimmer des Jugendlichen und sah, dass er bereits das Band um den Hals gelegt hatte, seine Füße aber noch auf dem Heizungsrohr Halt fanden. Die Pädagogin packte den Jugendlichen sodann an den Beinen und hob ihn hoch, während sie gleichzeitig um Hilfe rief. Hierauf kam ein Jugendlicher aus der Einrichtung zur Hilfe und befreite J 20 aus dem Band. Dieser wurde schließlich auf ein Bett gelegt. Die Pädagogin konnte schließlich den Puls des Jugendlichen fühlen. Dieser war nach einiger Zeit ansprechbar.

Zu diesem Suizidversuch wurde die Pädagogin Karin Zumsande auch als Zeugin vernommen.

Zum Hergang des Vorfalles befragt, schilderte sie, dass der Jugendliche mit Strümpfen an den Füssen bekleidet auf Zehenspitzen auf einem Heizungsrohr stand mit einem Strick um den Hals. Auf Nachfrage, ob es sich bei dem Suizidversuch um einen ernsthaften gehandelt habe, gab sie an, dieses mit Gewissheit nicht beurteilen zu können. Sie nahm aber an, dass der Jugendliche verzweifelt gewesen sei. In 772 So wörtlich Wolfgang Weylandt in seiner Vernehmung am 19. Januar 2007, S. 21 des Vernehmungsprotokolls.

Akte B 12.

774 Vernehmungsprotokoll v. 24. November 2006, S. 33. den Übergabebüchern ist darüber hinaus zu diesem Vorgang nichts Wesentliches geschildert. Hier findet sich ein Eintrag vom 22. Februar 2004 mit der Bemerkung, dass J 20 am Abend versucht habe, sich zu erhängen. Aus einem Eintrag am Folgetag geht hervor, dass J 20 den ganzen Tag bedrückt gewesen sei und nicht ausgeschlossen werden könne, dass er einen weiteren Suizidversuch unternehme. Auch bei den Dienstbesprechungen scheint dieses Vorkommnis nicht erörtert worden zu sein.

Jedenfalls findet sich im Protokoll vom 24. Februar 2004 kein Eintrag, der hierauf hindeuten könnte.

Von nicht minder geringer Dramatik ist ein Suizidversuch desselben Jugendlichen vom 5. Juli 2004. Im Vorfeld hat sich hierzu Folgendes ereignet:

Die Betreuten sollten an jenem Tag Sperrmüll auf einen bereitgestellten Anhänger laden. J 20 kam zu Ohren, dass ein anderer Jugendlicher damit prahlte, ihn zu Boden geboxt zu haben, woraufhin es zu Handgreiflichkeiten zwischen diesen beiden Jugendlichen kam. Ein Mitarbeiter der Securitas und der Pädagoge Kay Sellmer versuchten die Jugendlichen zu trennen. J 20 gelang es aber weiterhin auf den anderen Jugendlichen einzutreten.

Kay Sellmer packte J 20 beim nächsten Angriff am Arm und befahl ihm, sich mit ihm in die Gruppe zu begeben. Darauf hin stürzten weitere Jugendliche auf Kay Sellmer zu.

Es kam zu einem Tumult am Eingang vom Außenbereich. J 20 wurde schließlich in das Gebäude gebracht. Dieser griff sodann Kay Sellmer mit einem 30 cm langen Stahlstab an. Es handelte sich um eine Andruckrolle aus einem Faxgerät, das entsorgt werden sollte. Kay Sellmer gelang es, dem Jugendlichen den Stahlstab aus der Hand zu reißen und den Jugendlichen in einem Fesselgriff zu nehmen. Der Jugendliche wurde in die Gruppenräume verbracht. Während des Hindurchtretens durch die Tür stieß der Jugendliche mit seinem Kopf aufgrund des Gerangels an den Türrahmen. Hierbei zog er sich eine Beule an der Augenbraue zu. Der Jugendliche wurde schließlich in sein Zimmer verbracht und auf sein Bett gelegt. Hierbei wehrte er sich nicht mehr. Der Jugendliche wurde unter direkter Beobachtung eines Mitarbeiters gelassen.

Als er nach einer Viertelstunde die Toilette aufsuchen wollte, wartete der Mitarbeiter vor der Tür. Durch Geräusche alarmiert ging er nachsehen und sah, wie J 20 versuchte, sich mit einer Kordel an der Toilettenkabine zu erhängen. Der Jugendliche wurde schließlich von dem Mitarbeiter festgehalten, ein hinzugerufener Kollege durchschnitt die Kordel.

In seiner Vernehmung macht der Zeuge Kay Sellmer wenn auch nur leicht modifizierte Angaben zu dem im Vermerk festgehaltenen Bericht.

Aufgrund von Äußerungen des J 20 sei es zu einem Angriff eines anderen Betreuten auf diesen gekommen, da er sich durch die Äußerungen beleidigt gefühlt habe. Dabei wurden J 20 mehrere Faustschläge versetzt, sodass er aus der Nase geblutet habe. Kay Sellmer habe dann die Jugendlichen voneinander getrennt. Der Angriff des anderen Jugendlichen sei sehr brutal gewesen. Bei der später versuchten Strangulation sei Kay Sellmer selbst nicht Augenzeuge des Geschehens, sondern vielmehr hinzugerufen worden. Er habe aber noch mitbekommen, wie der Jugendliche auf einem Fensterbrett stand und etwas um den Hals gelegt hatte und sich damit am Fenster festband. Der Jugendliche sei im Begriff gewesen herunterzuspringen, um sich zu strangulieren. Auf Nachfrage, ob es sich um einen ernsthaften Suizidversuch gehandelt habe, konnte der Zeuge Kay Sellmer dies nicht beantworten.

Über den mentalen Zustand des Jugendlichen ist am Tag nach der versuchten Strangulation am 6. Juli 2004 im Übergabebuch vermerkt: J 20: "hilflos, verängstigt, immer kurz vorm Durchdrehen".

Ob die von J 20 vorgenommenen versuchten Strangulationen als ernsthafter Suizidversuch zu qualifizieren ist, kann mit einer hinreichenden Sicherheit an dieser Stelle 775 Übergabebuch Gruppe 2, Akte C7.

776 Akte A 11 und 15-17, B 8.

777 siehe hierzu BV Nr. 58 Akte B 12.

778 Vernehmungsprotokoll v. 18. Juni 2007, S. 36, 37.

779 Akte C 7. nicht beurteilt werden. Berücksichtigt man allerdings den äußeren Ablauf der beiden hier beschriebenen Handlungen, so geht hervor, dass der betreffende Jugendliche diese stets alleine und in einem geschlossenen Raum ausführte, er also auf eine rettende Intervention von Dritten nicht unbedingt vertrauen konnte. Hinzu kommt, dass der Jugendliche jeweils am Tag danach mental in einem depressiven Zustand gewesen zu sein schien, und die Sorge der diensthabenden Mitarbeiter vor einem weiteren Suizidversuch groß war. Außerdem drohte er die Suizidversuche weder an, noch kündigte er sie an, setzte sie also nicht gezielt als Druckmittel ein.

Die Frage, ob der Jugendliche sich in beiden Fällen tatsächlich umbringen wollte, muss offen bleiben. Sie entzieht sich im Nachhinein einer Bewertung durch den Ausschuss.

Der Ausbruch von autoaggressivem Verhalten war unter anderem auch mit der Begehung von Straftaten verbunden.

So in dem Besonderen Vorkommnis in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2004. In diesem Fall versuchten drei Jugendliche (J 03, J 17 und J 08), ihre Freilassung mit der Zufügung von Schnittwunden zu erzwingen.

Zunächst fiel der Nachtwache bei ihrem Rundgang gegen 23.30 Uhr auf, dass in Gruppe A Geräusche zu vernehmen waren. Dieser informierte daraufhin einen Pädagogen. Als sich beide in die Räumlichkeiten der Gruppe A begaben, kam ihnen J 03 mit einem Gegenstand in der Hand aus dem Bad entgegen und hielt diesen an seinen Hals. Er hatte sich Verletzungen am Hals zugefügt. J 03 drohte, dass er sich umbringen werde, wenn er nicht augenblicklich aus der Einrichtung rausgelassen werde.

Dann kam auch J 17 aus dem Bad. Auch dieser hatte einen Gegenstand in der Hand und blutete bereits am Hals. Beide Jugendlichen standen auf dem Flur und bedrohten den Pädagogen und die Nachtwache, es würde etwas Schreckliches passieren, wenn nicht sofort die Außentür geöffnet werde. Währenddessen kam auch J 08 hinzu. Auch dieser mit einem Gegenstand in der Hand und am Hals blutend. Zusammen brüllten die Jugendlichen die Forderung, sie herauszulassen. Daraufhin wurde die Polizei verständigt. Zwischenzeitlich öffnete Kirsten Lankuttis die Magnettür zum Ausgangsflur.

Als die Jugendlichen im Ausgangsflur waren, wurde die Tür wieder verschlossen. Die Jugendlichen waren auf diese Weise separiert. Die Jugendlichen traten gegen die Türen und riefen sie herauszulassen oder in die Gruppen zu lassen. Die eintreffenden Polizeibeamten sammelten sich im Eingangsbereich. Der Einsatzleiter nahm sodann Kontakt zu den Jugendlichen auf. Nach ca. einer halben Stunde ließen sich die Jugendlichen überreden, die Gegenstände abzulegen. Ein Sanitäter des angeforderten Rettungswagens untersuchte die Jugendlichen, stellte dabei fest, dass keiner von ihnen ernsthafte Verletzungen aufwies.

Dem zu diesem Vorkommnis gefertigten Polizeibericht des Polizeibeamten und späteren Zeugen Ralf Klahn lässt sich außerdem entnehmen, dass es sich bei den Gegenständen, mit denen sich die Jugendlichen Schnittwunden zufügten, um die Glassplitter einer Glühbirne handelte. Während sich die Jugendlichen in der Sicherheitsschleuse befanden, hätten sie die anwesenden Betreuer über die geschlossene Scheibe aufgefordert, sie nun sofort aus der geschlossenen Unterbringung freizulassen. Sie würden sich sonst tatsächlich das Leben nehmen und sich im Beisein der Betreuer an der Halsschlagader verletzen. Die Jugendlichen äußerten, nachdem es Ralf Klahn nach einiger Zeit gelungen war Zugang zu diesen zu finden, dass es sich bei der von ihnen durchgeführten Aktion um einen "Hilferuf" gehandelt habe, bei den sie versucht hätten, eine Person zu erreichen, die nicht in der GUF arbeite. Ferner gaben die Jugendlichen in dem Gespräch an, dass sie permanent von fast allen Betreuern schikaniert würden. Sie könnten sich kein Fehlverhalten oder Widerworte gegenüber den Betreuern leisten, da sie dann sofort bestraft würden. Außerdem sei ihnen jeder Außenkontakt je nach Stimmungsschwankungen und Laune der einzelnen Betreuer gestattet bzw. verboten. Sie fühlten sich völlig isoliert und könnten unter den physischen und psychischen Foltermethoden dort nicht mehr weiterleben. Schließlich 780 Akte B 12.

781 Polizeiakte Nr. 51.