Jugendamt

Sie wurde von der Behördenleitung vermutlich bevorzugt, weil sie innerhalb von zwei Monaten bis zum Dezember 2002 zu realisieren war. Ein Neubau hätte mit all den notwendigen Ausschreibungsverfahren und dem größeren baulichen Aufwand nicht vor dem Jahresende 2003 eröffnet werden können. Die dritte Variante, eine Dauerlösung Feuerbergstraße, hätte zehn Monate bis zur Fertigstellung gebraucht und 4,5 Millionen Euro gekostet.

Auch hier wäre das Ziel der Behördenleitung, noch im Jahr 2002 zu eröffnen, nicht erreicht worden. Tatsächlich waren bis zum Dezember 2003, auch nachdem Türen und Zäune nachgerüstet worden waren, rund 800.000 Euro in den Bau investiert worden. Diese Summe liegt deutlich unter der Investitionssummen von 4 bis 5 Millionen Euro, die für eine Einrichtung im Dauerbetrieb berechnet worden waren.

2. Kosten der Eile

Rechtsverstöße und Rechtsunsicherheiten

Die Einweisungsverfahren und die Behandlung der Minderjährigen in der Geschlossenen Unterbringung waren oftmals gekennzeichnet durch eine erhebliche Rechtsunsicherheit, in einigen Fällen sogar durch Rechtsverstöße der beteiligten Stellen, vom Jugendamt FIT, den Vormündern, den Gerichten, dem engagierten Sicherheitsdienst über die Heimleitung und Betreuer bis hin zu den behandelnden Ärzten.

Alle diese Fachleute bewegten sich auf neuem, für sie zunächst unbekanntem Terrain. Eine sorgfältige juristische Abklärung der Verfahren und eine ebenso sorgfältige Aufklärung aller Beteiligten wäre Aufgabe der Behörde für Soziales und Familie ­ bei Bedarf unter Mithilfe der Justizbehörde ­ gewesen. Mit den juristischen Vorerfahrungen aus dem offenen Jugendhilfebereich und juristischem Laienverständnis mussten die Mitarbeiter immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Bitten aus der Belegschaft der GUF um juristische Abklärung von Dienstanweisungen, Umgang mit den Rechtsbeiständen der Jugendlichen und vor allem in gewalttätig eskalierenden Situationen, ist die Behörde zum Teil gar nicht, zum Teil erst mit erheblicher Verspätung oder sogar erst als Reaktion auf Arbeitsergebnisse des PUAs nachgekommen.

Fehler im Einweisungsverfahren Unsicherheiten bei der Antragstellung

Es gab beim einweisenden Jugendamt FIT, vor allem in der Anfangszeit, Unsicherheiten bei der Frage, wer überhaupt eine Geschlossene Unterbringung beantragen kann.

Das Gesetz sieht vor, dass nur die Sorgeberechtigten, also die Eltern ­ sofern ihnen das Sorgerecht nicht entzogen wurde ­ diesen Antrag stellen dürfen. Weigern sich die Eltern, so bleibt dem Jugendamt die Möglichkeit, beim Gericht den Entzug des Sorgerechts zu beantragen.

Die stellvertretende Leiterin des FIT sagte dazu aus: "Am Anfang, in der ersten Zeit ­ ich wusste nicht, dass das so lange war ­ haben wir das 21 LEB 13, Herr Petersen Vermerk vom 6. August 2002. Zentrale Arbeitsvorhaben 04/2002: Geschlossene Unterbringung, Bauliche Umsetzung, in BSF A-5. Im von der BSF ausgearbeiteten Senatskonzept vom November 2002 war nur noch von Investitionsmitteln in Höhe von 290.000 Euro die Rede, Konzept des Senats, November 2002, Seite 10.

Die Interimslösung Feuerbergstraße, Fertigstellung in 2 Monaten Dezember 2002, geschätzte Kosten 290.000 Euro. Neubaulösung: Fertigstellung Jahresende 2003, geplant waren zunächst zwei Einrichtungen, eine für Kinder (2,75 Millionen Euro) und eine für Jugendliche (5,38 Millionen Euro). Bauträger und Baugrundstück standen am 6. August 2002 bereits zur Verfügung. Dauerlösung Feuerbergstraße Fertigstellung in 10 Monate, angeblich Dezember 2002, Kosten 4,5 Millionen LEB 13, Herr Petersen Vermerk vom 6. August 2002: Zentrale Arbeitsvorhaben 04/2002: Geschlossene Unterbringung, Bauliche Umsetzung, in BSF A-5.

Herr Petersen, Leiter der Bau und Grundstücksabteilung LEB, an Amt SF, SF 412, Frau Agbaglo am 12. Dezember 2003 Kosten für bauliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Geschlossenen Unterbringung, in BSF A-5.

Siehe dazu auch die Ausführungen des PUA-Abschlussberichts, V.3.1.2. noch gar nicht so genau gewusst. Es muss ja der Sorgeberechtigte machen, diese Anträge zu stellen. Aber das war am Anfang noch gar nicht so deutlich."

Bei dem Jugendlichen J 20 findet sich in den Akten kein von den sorgeberechtigten Eltern unterzeichneter Antrag, sondern nur ein Antrag, der von Mitarbeitern des FIT unterzeichnet war.

Auch bei weiteren Jugendlichen ließ die Aktenlage Fragen offen, ob es stets die sorgeberechtigte Person war, die den Antrag stellte. Bei dem Jugendlichen J 03 merkte der Arbeitsstab an, es sei unklar, "warum die Mutter des Minderjährigen vom FIT fälschlich als antragsberechtigt angesehen wurde" und "warum der Antrag nicht von der in der BSF gemäß § 55 Abs. 2. Satz 1 SGB VIII beauftragten Person (sogenannten Amtspflegerin) gestellt wurde."

Bei dem Minderjährigen J 04 sei offen, "warum das FIT sich für antragsberechtigt erachtete."

Diese Rechtsunsicherheiten waren in hohem Maße dazu geeignet, Elternrechte zu beschädigen, oder auch andersherum, die Rechte der Minderjährigen von Seiten der Amtspfleger nicht ausreichend zu vertreten. In einem Bereich, der so stark in die Rechte von Kindern und Eltern eingreift, sind solche Unklarheiten nicht vertretbar.

Späte oder fehlende gesetzlich vorgeschriebene psychiatrische Gutachten

Für die Einweisung in eine geschlossene Unterbringung ist ein psychiatrisches Gutachten einzuholen (Paragrafen 70 folgende FGG).

Eine einstweilige Unterbringung muss zumindest mit einer ärztlichen Stellungnahme versehen sein. Diese unabhängige Expertise soll die Objektivität für einen Beschluss des Gerichts sichern, der tief in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen eingreift.

Von siebzig Gerichtsverfahren im Untersuchungszeitraum, standen diese ärztlichen Empfehlungen nur sechs Mal vor der Beschlussfassung des Gerichts zur Verfügung.

Vierzehn Betreute lebten zwischen zwei Wochen und zehn Monaten in der Einrichtung, bevor das Gericht in einem erneuten Beschluss das Gutachten würdigte, durchschnittlich dauerte es ein Vierteljahr.

Für zwei Jugendliche lag das Gutachten erst nach der Entlassung vor.

Sechs Minderjährige lebten dort, ohne dass es je ein Gutachten oder eine Stellungnahme gab.

Die rechtzeitige Erstellung eines Gutachtens oder einer Stellungnahme war damit eine seltene Ausnahme. Fast ein Drittel der Minderjährigen lebten in der GUF, ohne dass bis zu ihrer Entlassung ein unabhängiger Gutachter ihre Unterbringung als notwendig und alternativlos erachtet hätte. Für die Mehrheit der Gutachten, die nach der Einweisung in die GUF erstellt wurden, bleibt festzuhalten, dass sie immer vor der Schwierigkeit standen, zu einer Frage Stellung nehmen zu müssen, die das Gericht bereits, wenn auch oft vorläufig, beantwortet hatte.

Insgesamt wird mit dieser Praxis ein zentrales Sicherungsinstrument ad absurdum geführt, das bei der schwer zu treffenden Feststellung helfen soll, ob die Maßnahme für das Kindeswohl angemessen und alternativlos ist.

Zwei der verspäteten Gutachten sprachen sich im Übrigen gegen die Unterbringung aus. Der eine Jugendliche war zu diesem Zeitpunkt bereits drei Wochen in der Feuerbergstraße und blieb auch nach Eingang des Gutachtens noch mehr als vier Wochen dort. Der andere Jugendliche lebte beinahe sieben Wochen in der Einrichtung bevor 25 Wortprotokoll 18/36 vom 16.02.2007, Seite 57.

Wortprotokoll 18/36 vom 16.02.2007, Anmerkung des stellvertretenden Arbeitsstableiters Herrn Uthmann, Seite 83.

Arbeitsstabvermerk Nr. 49, Seite 2 f.

Arbeitsstabvermerk Nr. 49, Seite 4.

Bernzen, Seite 115.

Zahlen nach dem Arbeitsstabvermerk Nr. 52, diese sechs Beschlüsse galten für die fünf Jugendlichen J 07, J 08, J 10, J 16 u. J 24.

Zahlen nach dem Arbeitsstabvermerk Nr. 52, J 03, J 04, J 05, J 06, J 09, J 13, J 14, J 16, J 17, J 18, J 19, J 21, J 22.

Zahlen nach dem Arbeitsstabvermerk Nr. 52, J 17, J 22.

Zahlen nach dem Arbeitsstabvermerk Nr. 52, J 01 für 2 Mal einen Monat, J 11 für 3 Wochen, J 23 für 10 Tage, J 25 für 3,5 Monate, J 02 für einen Monat, J 12 für 2 Wochen. ein Gutachter eingeschaltet wurde und sich gegen die Unterbringung aussprechen konnte. Dieser Jugendliche wurde erst drei Monate später entlassen.

Ein Problembewusstsein beim Jugendamt, der GUF, der Justizbehörde oder der BSF war nicht zu erkennen.

Späte gerichtliche Anhörungen

Um sich selbst ein Bild von dem Betroffenen und seiner Situation zu machen, hat das Gericht die Minderjährigen prinzipiell persönlich anzuhören. Diese gerichtlichen Anhörungen der Betreuten erfolgten regelhaft erst Tage und Wochen nach der Unterbringung. Nur jeder Vierte in der GUF betreute Jugendliche wurde vor seiner Einlieferung in die Feuerbergstraße vom Richter gehört. Alle anderen Minderjährigen verbrachten zwischen einem bis zu 50 Tagen (durchschnittlich 10 Tage) in der Einrichtung, ohne dass sie sich gegenüber dem Richter zu ihrer Einweisung äußern konnten.

Das liegt vor allem an der von Prof. Dr. Bernzen scharf kritisierten Praxis der Inobhutnahmen und der einstweiligen Anordnungen der Geschlossenen Unterbringung.

Geschlossene Inobhutnahmen Geschlossene Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII erlauben es, Kinder und Jugendliche für 24 Stunden ohne richterlichen Beschluss und Zustimmung der Eltern geschlossen unterzubringen. Der Freiheitsentzug ist nach einem Tag zu beenden, wenn kein gerichtlicher Beschluss dazu vorliegt.

Acht Minderjährige wurden zunächst über geschlossene Inobhutnahmen in die Feuerbergstraße eingewiesen. Nur einer wurde am selben Tag wieder entlassen.

Bei den anderen Jugendlichen schlossen sich vorläufige Beschlüsse des Familiengerichts an.

Damit war für rund ein Drittel der dort lebenden Jugendlichen das Verfahren von größter Eile geprägt, die Einweisungen erfolgten sozusagen auf den letzten Drücker. Große Eile birgt allerdings immer die Gefahr, dass in den Verfahren nicht alle Vorschriften beachtet und nicht alle vorgeschriebenen Schritte gemacht werden. Diese Gefahr hat sich, wie oben gezeigt, in vielen Verfahren realisiert. In München beispielsweise liegt die Häufigkeit von solchen Eilverfahren am Anfang einer geschlossenen Unterbringung bei 15 Prozent.

Die geschlossene Inobhutnahme ist überdies nur bei akuter Gefahr für Leib und Leben der Minderjährigen oder Dritter zulässig. In allen anderen Fällen können solche Eilmaßnahmen nicht auf den § 42 SGB VIII gestützt werden. Prof. Dr. Bernzen berichtet in seinem Gutachten, das FIT habe vor allem dann von der geschlossenen Inobhutnahme Gebrauch gemacht, "wenn der Minderjährige u.a. aus Polizeigewahrsam in die Einrichtung überführt werden soll. In zwei Fällen wurde aus der Jugendwohnung in Obhut genommen, bzw. nach jugendgerichtlicher Verhandlung, in der kein Haftbefehl ausgesprochen worden ist."

In zwei Fällen waren Jugendliche geschlossen in Obhut genommen worden, weil eine erneute Straftat vorlag oder vermutet wurde, dass wietere Straftaten verübt werden könnten. Bei beiden wurde in den Anträgen nicht von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen.

Damit waren die Einweisungen nicht rechtmäßig.

So wünschenswert es ist, die Jugendlichen von Straftaten abzuhalten oder für verübte Straftaten zur Verantwortung zu ziehen, sowenig ist die geschlossene Inobhutnahme 34 Drs. 18/3782, Antwort zu Frage 6.

Drs. 18/6222, Seite 1 und Anlage.

Bernzen, Seite 115, 204-206, 209.

Siehe dazu auch Bernzen, S. 65­67 und PUA-Abschlussbericht, V.3.2.

Drs. 18/1925, Anlage 4, Jugendliche Nr. 1, 10, 11, 12, 13, 14, 24, 25.

Silvia Fischer: Verfahrenswege und Verfahrensrealitäten freiheitsentziehender Maßnahmen bei Minderjährigen aus gerichtlicher Sicht. In: Rüth, Pankofer, Freisleder: Geschlossene Unterbringung im Spannungsfeld von Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe. S. 29­46, hier Seite 36.

Bernzen, Seite 89.

Bernzen, Seite 89 f.