Einverständniserklärungen

Nach Aktenlage gab es für zwei Jugendliche gar keine schriftliche Einwilligung (J 20, J 07), für vier Jugendliche gab es nicht für jedes Medikament die notwendige Einwilligung (J 17, J 16, J 09, J 05). Für drei Jugendliche wurden die Psychopharmaka für einige Tage bis zu drei Monaten ohne vorliegende Einwilligung verabreicht (J 06, J 03, J 05), für einen weiteren Jugendlichen lag nur eine mündliche Einwilligungserklärung vor.

Drei behandelnde Ärzte wurden im Untersuchungsausschuss dazu befragt:

Der Hausarzt führte aus, er sei davon ausgegangen, dass die Einverständniserklärungen vorhanden waren, da es sich bei der Feuerbergstraße ja um eine rechtsstaatliche Institution handelte.

Er habe nicht die Sorgeberechtigten über die Medikamente aufgeklärt und sei von der ausreichenden Reife der Jugendlichen ausgegangen.

Ob er die Jugendlichen über die Wirkung der Medikamente aufklärte, wollte der Zeuge unter Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht nicht beantworten.

Von einer Einwilligung der Jugendlichen in die Behandlung mit Psychopharmaka berichtet der Hausarz 79

t nicht.

Der mit der GUF kooperierende niedergelassene Psychiater sagte aus: "Ich bin anfangs davon ausgegangen, dass das von der Feuerbergstraße geregelt ist. In der Praxis bei mir sieht das so aus, dass ich grundsätzlich Kinder mit Eltern behandele und ich insofern da nie ein Einverständnis brauche, weil die Eltern anwesend sind.

Und für mich hatte die Feuerbergstraße das Umgangsrecht und ich bin davon ausgegangen, dass die dafür gesorgt haben. Als ich bemerkt habe, dass es Unklarheiten gibt, habe ich dafür gesorgt, dass das sehr genau dokumentiert werden muss und ich das auch zur Vorlage bekomme."

Auf die Nachfrage des Vorsitzenden, wann denn dieser Zeitpunkt war, als er die Einrichtung auf dieses Problem aufmerksam machte, führte der Psychiater aus: "Ab dem Zeitpunkt. Das ist ja Thema im Untersuchungsausschuss gewesen, wo das an mich auch herangetragen wurde, und da habe ich dann dafür gesorgt, dass ich abgesichert bin, auch, dass ich genau weiß, ob ich die verordnen darf."

Diese Aussagen legen nahe, dass bis zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses in den Akten des Arztes keine Einwilligungserklärungen der Sorgeberechtigten vorlagen.

Der mit der GUF kooperierende Psychiater des Wilhelmstiftes führte aus, dass die Einholung von Einverständniserklärungen zum klinischen Alltagsgeschäft gehöre, und er sich nicht vorstellen könnte, es grundsätzlich versäumt zu haben, Sorgeberechtigte aufzuklären oder Einverständniserklärungen einzuholen.

Er lieferte fünf Einverständniserklärungen nach: davon waren zwei undatiert, eine um einen Monat verspätet und eine Einverständniserklärung stammte von der nicht sorgeberechtigten Mutter.

Die Beweisaufnahme hat damit keineswegs ergeben, dass sich die fehlenden Einverständniserklärungen in den Akten der Ärzte wiederfinden, wie es die CDU in ihrer Pressekonferenz vom 04.10.2007 behauptet hat. Tatsächlich wurde in der Befragung deutlich, dass zwei Ärzte von ihrer Pflicht, die Einverständniserklärung bei den Sorgeberechtigten einzuholen, (zunächst) nichts wussten und dass sie fälschlicherweise davon ausgegangen waren, dass das Erziehungsrecht der GUF auch die Gesundheitsfürsorge umfasste. Hier wäre ein Hinweis aus der Einrichtung über ihre tatsächlichen Rechte dringend erforderlich gewesen.

J 05: Einwilligung der Pflegerin für Risperdal am 26.10.2004. Hinweise für eine ärztliche Aufklärung sind in der Akte nicht enthalten. Vergabe von Risperdal bereits seit dem 24.09.2004. Ein Monat ohne Einwilligung. Vergabe von Truxal ohne Einwilligungserklärung vom 24.11.2004 bis 02.12.2004, Seite 12 und Arbeitsstabvermerk Nr. 51.

Unsicherheiten bei der Vergabe von Psychopharmaka

Ein weiteres rechtliches Problem erwuchs der Einrichtung bei Kindern und Jugendlichen, die sich weigerten, die ihnen verschriebenen Psychopharmaka einzunehmen.

Immerhin sieben der zehn Medikamentierten verweigerten die Einnahme ­ manche nur in ein bis zwei Situationen, andere wiederholt, ja bis zu 62 Mal.

Fast bis zum Ende des Untersuchungszeitraums bestand keine Klarheit darüber, wie mit diesen Weigerungen umzugehen sei. Erst im November 2004, nach Drängen vonseiten eines Mitarbeiters,85 wurde auf einer Dienstbesprechung klargestellt, dass eine Zwangsmedikation nicht von Mitarbeitern durchgeführt werden dürfe. Es solle mit pädagogischen Mitteln darauf reagiert werden und wenn trotzdem die Einnahme verweigert würde, solle der Amtsarzt oder das Wilhelmstift benachrichtigt werden. Der Heimleiter wolle sich beim FIT weiter kundig machen, welche Möglichkeiten noch bestehen.

Tatsächlich muss eine Zwangsmedikation immer gerichtlich genehmigt werden ­ also auch Amtsarzt und Wilhelmstift können solche Maßnahmen nicht ohne weiteres durchführen.

Hintergrund dieser Dienstanweisung war die massive Weigerung eines Jugendlichen, Risperdal zu nehmen. Die Einrichtung reagierte darauf mit Zigarettenentzug, Streichung von Freizeitspaß und der Androhung einer Depotspritze.

Wenig sorgsamer Umgang mit Psychopharmaka in der Einrichtung Kritisch zu beurteilen, ist der wenig sorgsame Umgang der Einrichtung mit der Vergabe von Psychopharmaka. Die beim Untersuchungsausschuss geladene Sachverständige Frau Dr. Köttgen hielt es für wünschenswert, wenn die Erstvergabe der Neuroleptika Truxal und Risperdal unter enger ärztlicher Begleitung mit medizinischem Personal stattfindet, da die Nebenwirkungen sehr erheblich sein können. So seien neben einer möglichen Schädigung von Leber und Nieren auch eventuelle parkinsonähnliche Symptome im Blick zu behalten, die schon in geringen Dosierungen bleibend sein könnten.

In der GUF wurden die Psychopharmaka in der Regel von den Betreuern verabreicht, die über keine medizinischen oder pflegerischen Vorkenntnisse verfügten. Sie waren nicht ausreichend im Bilde über Wirkungen und Risiken der Vergabe dieser Medikamente. So schrieb ein Mitarbeiter im Juli 2003 in das Übergabebuch an seine Kollegen, Truxalsaft sei ein Beruhigungsmittel und könne "bei Bedarf" bei J 09 eingesetzt werden.

Zwei Tage später wundert sich seine Kollegin, dass Truxal "ein ziemlicher Hammer" zu sein scheint und Magenschmerzen verursache.

Im Sommer 2004 gab der Heimleiter Anweisung, dass J 16, ein Junge, der einzeln in der GUF betreut wurde, sein Risperdal von Sicherheitsdienst-Mitarbeitern erhalten sollte und diese die Vergabe auch zu dokumentieren hatten.

Diese Anweisung wurde im September 2004 wieder aufgehoben.

Das erreichte aber offenbar nicht alle Sicherheitsdienst-Mitarbeiter, so dass im Oktober dieser Junge eine doppelte Portion durch Sicherheitsdienst und Betreuer verabreicht bekam.

"J 16: wohnt in Gruppe C [Einzelunterbringung]. Nach Auskunft von Herrn Weylandt ist J 16 organisatorisch und administrativ mit angebunden. Das Risperdal ist gestellt worden und für J 16 mit nach drüben gegeben worden. Fa. Securitas vergibt und dokumentiert diesbezüglich. Weiterhin soll die Dokumentation drüben erst mal auch dort stattfinden.

Dies wird von Fa. Securitas vor Ort geleistet" (Eintrag vom 09.07.2004, Übergabebuch Gruppe 1, 2004, in BSF C-7). 93 "Risperdalausgabe nur durch Betreuer" (Eintrag vom 18.09.2004, Übergabebuch Gruppe 1, 2004, in BSF C-7). 94 "J 16: Heute habe ich die Securitas darüber informiert, dass sie keine Medikamente an die Jugendlichen ausgeben dürfen. J 16 hatte die doppelte Portion Risperdal am Morgen, da

Januar 2005 an einem abschließbaren Medizinschrank. Dies monierte die Heimaufsicht, die die Psychopharmaka offen auf einem Sideboard hatte stehen sehen.

So ist denn auch zu erklären, warum zwei Kinder und ein Jugendlicher in der Einrichtung sich im Juni 2004 mit 7 bis 20ml Risperdal selbst "versorgen" konnten und auch, warum das Medikament am 22.10.2004 einfach verschwand.

Die Praxis der Einrichtung im Umgang mit den Psychopharmaka macht sehr deutlich, dass es hier an ärztlicher und rechtlicher Beratung fehlte. Heimleitung, Betreuer und auch die Psychologin waren nicht ausreichend darauf vorbereitet, ein Heim zu betreiben, in dem 40 Prozent der Minderjährigen Psychopharmaka verschrieben bekamen.

Ihre Mittlerrolle zwischen den Ärzten und den Vormündern, beziehungsweise Eltern bei der Einwilligung, ihre Rolle als Beobachter von möglichen Nebenwirkungen und bei Medikamentenverweigerung war bis zum Ende des Untersuchungszeitraums unklar. Damit waren die Mitarbeiter nicht nur des Sicherheitsdienstes, sondern auch der Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße zwangsläufig überfordert.

Rechtsgutachten der Behörde zu diesem Thema wurden erst im Juni und September 2005 erstellt, als dieses Thema durch die Beratung im PUA und parlamentarische Anfragen nicht mehr zu übersehen war.

HIV-Tests ohne Einwilligung

Bei einigen Jugendlichen in der Einrichtung wurden HIV-Tests durchgeführt. Dies geschah vorrangig, um die Mitarbeiter vor möglichen Infektionen zu schützen ­ ein nachvollziehbarer Wunsch.

Dennoch ist für eine so weitreichende Untersuchung eine Einwilligung der Betroffenen oder der Sorgeberechtigten notwendig. Der von dem Untersuchungsausschuss befragte Hausarzt sagte aus, er habe fünf HIV-Tests bei Jugendlichen gemacht. Die Frage, ob er vor der Blutabnahme für die HIV-Tests eine Einwilligung eingeholt habe, verneinte er.

Weniger Ausgänge vor den Wahlen "Für die nächsten sechs Wochen, also bis zu den Wahlen, steht der Sicherheitsaspekt bei Ausgängen im Vordergrund."

Gemeint waren die Bürgerschaftswahlen im Februar 2004. Auf Vorhalt dieser Passage aus einer Dienstbesprechung erinnerte sich ein damaliger Mitarbeiter der GUF, dass diese Anweisung von der Leitung kam. Diese habe eine derartige Weisung damit begründet, "dass es politisch sehr unklug wäre, wenn in dieser Zeit etwas passieren sollte, da es möglicherweise unser aller Arbeitsplätze gefährden könnte."

Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter erinnerte sich, dass diese Anweisung nicht aus dem Kernteam kam und verwies bei der Motivation auf höhere Hierarchieebenen: "(...) wenn es wieder zu einer Entweichung kommt, das würde ja unmittelbar auch von der Presse wieder aufgegriffen werden und das wäre dann für die politischen Akteure unangenehm." Auf die Nachfrage, welche politischen Akteure konkret gemeint seien: "Schnieber-Jastram, Herr Meister. (...) Für uns Mitarbeiter natürlich auch und für die Leitung auch, alle, die in dieser Einrichtung arbeiteten (...)."

Herr Staatsrat Meister gab in seiner Vernehmung an, er habe diese Weisung nicht veranlasst.

Frau Senatorin Schnieber-Jastram, erklärte, dass ihr eine solche Anweiich nicht wusste, dass er schon bekommen hatte.