Erlass eines Gesetzes über die Regelung von Geräuschimmissionen aus Kinder- und Jugendeinrichtungen in Hamburg

Die Bürgerschaft möge beschließen: Aufgrund

1. der aus Artikel 70 Absatz 1 und Artikel 74 Nr. 24 des Grundgesetzes (vom 23. Mai 1949, BGBI. Seite 1, zuletzt geändert am 28.08.2006, BGBI. I 2034) folgenden Zuständigkeit der Bürgerschaft für die Regelung von verhaltensbezogenem Lärm sowie

2. von Artikel 80 Absatz 4 GG, §§ 23 Absatz 1 Satz 1, 23 Absatz 2 Satz 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002, BGBI. I Seite 3830, zuletzt geändert am 31.10.2006, BGBI. l 2407, Nr. 50) erlässt die Bürgerschaft das folgende Gesetz: Gesetz über die Regelung von Geräuschimmissionen aus Kinder- und Jugendeinrichtungen in Hamburg vom...

§ 1:

Anwendungsbereich

Das Gesetz gilt für die Errichtung und den Betrieb von Kindertagesstätten, Kinderspielplätzen und Schulen.

§ 2:

Ziel und Zweck

Das Gesetz regelt die Zulässigkeit von Geräuschimmissionen, die durch Einrichtungen nach § 1 verursacht werden.

§ 3:

Grundsätze:

(1) Kindertagesstätten, Kinderspielplätze und Schulen sind möglichst wohnortnah einzurichten.

(2) Die natürlichen Lebensäußerungen von Kindern innerhalb und außerhalb dieser Einrichtungen und die damit verbundenen Geräuschimmissionen sind grundsätzlich unvermeidbar und in der Regel als sozial adäquat und ortsüblich hinzunehmen, soweit die Einrichtung die Wohnnutzung in dem betroffenen Gebiet ergänzt.

(3) Anlagen nach § 1 sind so zu errichten und zu betreiben, dass nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

§ 4:

Maßnahmen zum Lärmschutz:

(1) Zur Beschränkung der Immissionen auf ein Mindestmaß sollen Spielplätze und Spielgeräte möglichst emissionsarm ausgerüstet werden, wenn anderenfalls erhebliche Konflikte mit benachbarter Wohnbevölkerung zu erwarten sind. Darüber hinaus kann der Betreiber Regelungen zur Lärmminderung treffen insbesondere

1. die Benutzung von Kinderspielplätzen durch Altersbeschränkung regeln,

2. Nutzungszeiten für Kinderspielplätze und Außenflächen von Kindergärten festsetzen,

3. An- und Abfahrtswege und Parkplätze durch Maßnahmen betrieblicher oder organisatorischer Art so gestalten, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

(2) Die zuständige Behörde kann entsprechende Maßnahmen anordnen.

Begründung:

I. Allgemeines:

In Hamburg haben in der Vergangenheit eine Reihe von Nachbarschaftsstreitigkeiten über die Zulässigkeit von Lärmemissionen von Kindertagesstätten, Schulen, Jugendheimen und anderen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche zu Gerichtsverfahren beziehungsweise Widerspruchsverfahren geführt (vergleiche Drs. 18/2808). Im August 2005 erregte das Urteil des Landgerichts Hamburg, das die von der Kita „Marienkäfer" in einem Wohngebiet ausgehenden Immissionen als unzulässig bewertete, öffentliches Aufsehen (Urteil vom 8. August 2005, Aktenzeichen 325 O 166/99, ZUR 2006, Seite 193 mit Anm. Maaß Seite 196); in der Berufung vor dem OLG kam es zu einem Vergleich, der die Schließung der Kindertagesstätte an ihrem bisherigen Standort zur Folge hatte.

Die GAL hatte das Marienkäfer-Urteil zum Anlass genommen, im Oktober 2005 einen Gesetzentwurf zur Privilegierung von Kinderlärm gegenüber Gewerbelärm in die Bürgerschaft einzubringen, der ursprünglich auch von den anderen Fraktionen mitgetragen wurde. Im Januar 2007 beschloss die Bürgerschaft jedoch einen kurzfristig eingebrachten Gesetzentwurf der CDU, der nicht Gegenstand der ausführlichen Ausschussberatungen und der Anhörung externer Sachverständiger gewesen war und der zur Regelung der Problematik lediglich eine Ergänzung des hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des SGB VIII vorsah.

Um an ihrem neuen Standort in einem Wohngebiet den Betrieb aufnehmen zu können musste die Kita Marienkäfer inzwischen den Beschwerden von Anwohnern Rechnung tragen und eine 60 Meter lange, zwei Meter hohe Lärmschutzwand errichten. Es ist damit deutlich geworden, dass die vom Senat favorisierte und von der Bürgerschaft verabschiedete Regelung im Ausführungsgesetz zum SGB VIII ihr Ziel verfehlt hat.

Nach wie vor besteht für den Betrieb von Kindertagesstätten, Kinderspielplätzen, Schulen, Jugendhäusern und ähnlichen Einrichtungen in Wohngebieten keine Rechtssicherheit. Nach wie vor müssen diese Einrichtungen in Hamburg damit rechnen, entweder in weniger lärmempfindiche Gebiete wie Gewerbegebiete verdrängt zu werden oder dies durch massive, die freie Entfaltung der Kinder erheblich einschrän2 kende Lärmschutzmaßnahmen vermeiden zu müssen. Die wohnortnahe Versorgung mit Kindertagesstätten, Schulen und Kinder-Freizeiteinrichtungen ist jedoch nicht nur im Interesse kleinerer Kinder und ihrer Familien, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse; sie ist im Übrigen auch vom Bundesgesetzgeber gewünscht, der entsprechende Jugend-Einrichtungen in der Baunutzungsverordnung auch in Wohngebieten zulässt.

Die GAL-Fraktion bringt daher ihren Gesetzentwurf für ein Kinderlärm-Gesetz erneut in die Bürgerschaft ein, in der Fassung, die den Ergebnissen der parlamentarischen Beratungen zwischen November 2005 und Januar 2007 sowie der Sachverständigenanhörung vom Januar 2006 Rechnung trägt (vergleiche Drs. 18/5618). Natürliche Lebensäußerungen von Kindern dürfen nicht an den gleichen Maßstäben gemessen werden wie Gewerbelärm. Die von Kindern ausgehenden ­ mitunter auch lauten ­ Lebensäußerungen sind für deren persönliche Entwicklung unabdingbare Voraussetzung und gehören zum Kernbereich des Rechts eines jeden Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Gleichzeitig sind die Belange der Nachbarschaft nicht über das unvermeidliche Maß hinaus zu belasten. Wo Lärmschutz ohne erhebliche Einschränkungen für die Entfaltung der Kinder und Jugendlichen möglich ist, sollten diese Möglichkeiten ergriffen werden.

Während der Beratung der Drs. 18/3033 ist klar geworden, dass die darin enthaltene ursprüngliche Fassung des Verordnungsentwurfs der Überarbeitung bedurfte. Insbesondere wurde deutlich, dass eine Festsetzung von Grenzwerten nicht sinnvoll ist, auch wenn diese gegenüber den Grenzwerten der TA Lärm um 5 db(A) erhöht sind.

Auch diese Werte werden oftmals in der Umgebung von Kinderspielplätzen und Ähnlichem überschritten. Außerdem würde die Vorgabe von Grenzwerten vermutlich zu einer schematischen Anwendung anstatt der erwünschten verständigen Würdigung des Einzelfalls durch die Gerichte führen.

Eine schematische Anwendung von Grenzwerten verbietet sich jedoch im Fall des Kinderlärms, da im besonderen Umfang auch wertbezogene Faktoren eine Rolle spielen müssen, die mit dem vorliegenden Gesetz eine gesetzliche Manifestierung erhalten. Mit den gewählten Regelungen sollen nicht nur Beurteilungsmaßstäbe für die Bewertung von Lärm als erheblich im Sinne des BlmSchG oder wesentlich im Sinne von § 906 Absatz 1 BGB an die Hand gegeben werden. Soweit die Regelungen zur Konkretisierung von §§ 22, 23 BlmSchG dienen, liegt ihr Schwerpunkt in der Festsetzung von Regelungen zur Zulässigkeit und zum Umgang mit Immissionen, die möglicherweise als schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BlmSchG zu werten sind.

Hierfür bietet das Mindestmaßgebot des § 22 Absatz 1 Nummer 2 BlmSchG Ansätze zur Konkretisierung, die möglicherweise auch als Ansatzpunkte für die Bestimmung der Ortsüblichkeit im Sinne des § 906 Absatz 2 BGB dienen können.

Daneben wurde während der Beratung der Drs. 18/3033 deutlich, dass konkretere Regelungen zum Schutz der Nachbarn Eingang in das Gesetz finden sollten. Dem soll ebenfalls Rechnung getragen werden.

II. Gesetzgebungskompetenz

Soweit der Bundesgesetzgeber durch die Änderung des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 24 GG den Ländern die Zuständigkeit für die Regelung des „verhaltensbezogenen Lärms" übertragen hat, stützt sich der vorliegende Gesetzentwurf hierauf. Dabei kann im Ergebnis dahin stehen, ob mit der Neufassung des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 24 GG eine umfassende Kompetenz der Länder zur Regelung auch des anlagenbezogenen Lärms sozialer Einrichtungen gemeint ist oder ob lediglich der nicht einer Anlage zuzuordnende Lärm von den Ländern geregelt werden darf. Denn in beiden Fällen hat die Bürgerschaft die Befugnis zum Erlass dieses Gesetzes.

Grundsätzlich beruft sich die Bürgerschaft auf eine umfassende Regelungskompetenz für Kinderlärm, die auch anlagenbezogenen Lärm einschließt.