Hintergründe des Tötungsdelikts eines mutmaßlichen Stalkers in Hamburg

Laut Pressemitteilung der Polizei Hamburg hat ein 36-Jähriger seine ehemalige Lebensgefährtin am Abend des 26.3.2008 durch mehrere Schüsse in den Oberkörper tödlich verletzt. Das gemeinsame Kind, für das die Mutter nach der Trennung des Paares im Oktober 2007 das Sorgerecht erhalten hatte, soll sich zur Tatzeit in der Wohnung aufgehalten haben.

Dem Tötungsdelikt sollen mehrere Bedrohungen und Angriffe des Mannes vorangegangen sein, der offenbar in Hamburg als Türsteher tätig ist. Laut Polizei war dem Beschuldigten im Februar 2008 nach einer Bedrohung aufgrund einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz durch das Amtsgericht Hamburg untersagt worden, sich seiner Ex-Lebenspartnerin und dem Kind zu nähern.

Die Familie des Opfers hat den Behörden vorgeworfen, im Vorfeld der Tat nicht ausreichend gegen den Tatverdächtigen eingeschritten zu sein, der polizeibekannt gewesen sein soll.

Wir fragen den Senat:

1. Wie stellt sich der Sachverhalt nach dem aktuellen Kenntnisstand der Behörden im Einzelnen dar?

Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, am 26.3.2008 gegen 19 Uhr seiner ehemaligen Lebensgefährtin in deren Wohnung mittels einer Pistole mutmaßlich fünf Schüsse in den Oberkörper versetzt zu haben, wodurch sie derart schwer verletzt wurde, dass sie noch am Tatort verstarb. Die Getötete hatte sich im September 2007 von dem Beschuldigten getrennt. Ihr gemeinsamer siebenjähriger Sohn befand sich während der Tat in der Wohnung. Nach der Tat rief der Beschuldigte den Polizeinotruf an und teilte die Tat mit. Der Beschuldigte wurde noch am Tatort vorläufig festgenommen und am 27.3.2008 dem Untersuchungsrichter vorgeführt, der antragsgemäß Haftbefehl erließ. Seitdem befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Wann hat der Mann begonnen, seine frühere Lebensgefährtin zu belästigen, und wann hat es jeweils welche weiteren Vorfälle gegeben? Wurden auch Kinder angegriffen oder bedroht?

Welche Bedrohungen, Angriffe und anderweitigen Belästigungen sind welchen Behörden wann bekannt geworden?

Am 23.11.2007 zeigte die ehemalige Lebensgefährtin des Beschuldigten erstmals bei der Polizei an, dass der Beschuldigte sie und ihren Sohn seit etwa drei Wochen persönlich, telefonisch und per SMS sowie gegenüber Familienangehörigen mit dem Tode bedrohe. Die Anzeige wurde von Beamten der Landesbereitschaftspolizei aufgenommen. Die weitere polizeiliche Sachbearbeitung erfolgte durch einen Beamten der Zentraldirektion (ZD) 64. Dieses Verfahren ging am 21.1.2008 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg ein.

Am 3.12.2007 teilte das spätere Opfer der Polizei mit, dass sie ein klärendes Gespräch mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten geführt, dieser sich entschuldigt habe und sie diese Entschuldigung für aufrichtig halte. Hinsichtlich des Besuchsrechts des gemeinsamen Sohnes sei eine Einigung erzielt worden. Sie wollte daher keine weitere Strafverfolgung.

Am 5.2.2008 zeigte das spätere Opfer den Beschuldigten bei der Polizei an, er habe ihr wenige Stunden zuvor unter Vorhalt eines Messers mit dem Tode gedroht, habe ihr vier bis sechs Kopfstöße versetzt, sie als „Schlampe" und „Hure" beschimpft und gesagt, dass er, wenn er ins Gefängnis gehe, sie anschließend töten und ihren Sohn entführen würde. Der Sachverhalt wurde durch Beamte des Polizeikommissariats (PK) 16 aufgenommen. Der polizeiliche Sachbearbeiter der ZD 64 setzte den für das vorbezeichnete Verfahren zuständigen Staatsanwalt am 6.2.2008 fernmündlich von diesem Sachverhalt in Kenntnis.

Am 7.2.2008 erschien der Beschuldigte auf der Arbeitsstelle des späteren Opfers. Er erklärte seiner ehemaligen Lebensgefährtin, dass er mit ihr die Sache jetzt endlich klären wolle und es für alle Beteiligten das Beste sei, wenn sie jetzt die Polizei rufen würde. Daraufhin verständigte das spätere Opfer den Sachbearbeiter der ZD 64.

Die Sachverhalte vom 5. und 7.2.2008 sind Gegenstand des am 3.3.2008 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eingegangenen Ermittlungsverfahrens.

Körperliche Angriffe des Beschuldigten gegen Kinder sind der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht bekannt.

Was wurde im Einzelnen von Seiten der Behörden und der Justiz wann unternommen, um das spätere Opfer zu unterstützen und zu schützen?

Wer hat sich wann an welche Polizeidienststellen, die Staatsanwaltschaft oder andere Einrichtungen gewandt mit dem Ziel, die Behörden mögen einschreiten, um die Frau zu schützen? Was wurde daraufhin unternommen? Welche Überlegungen für weitere Maßnahmen wurden verworfen und weshalb?

Was hat das Opfer selbst unternommen, um sich gegen Belästigungen und Angriffe ihres Ex-Lebensgefährten zu wehren?

Den Ermittlungsakten lassen sich folgende, die ehemalige Lebensgefährtin des Beschuldigten schützende beziehungsweise unterstützende Maßnahmen entnehmen:

Am 28.11.2007 sowie am 6. und 7.2.2008 wurden polizeiliche Gefährderansprachen mit dem Beschuldigten geführt. Am 11.12.2007 wurde dem Beschuldigten rechtliches Gehör durch Sachbearbeiter des ZD 64 angeboten. Am 6.2.2008 wurde dem Beschuldigten eine zunächst für zwei Wochen ab Bekanntgabe geltende Aufenthaltsverbotsverfügung nach § 12 b Absatz 2 Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung übergeben, die es ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und der Androhung von Zwangsmitteln für den Fall der Zuwiderhandlung untersagte, sich in einem näher bezeichneten Gebiet rund um die Wohnung des späteren Opfers und der Schule ihres Sohnes aufzuhalten. Am 7.2.2008 wurde dem Beschuldigten ein Platzverweis erteilt und er in Gewahrsam genommen.

Am 23.11.2007 wurde dem späteren Opfer, nachdem sie eine Anzeige beim PK 34 erstattet hatte, der Kontakt zu einem Frauenhaus vermittelt sowie die Telefonnummer einer Beratungsstelle ausgehändigt. Am 26.11.2007 wurde sie durch Beamte des PK 34 hinsichtlich einer sicheren Unterbringung beraten. Eine Unterbringung in einem Frauenhaus wurde jedoch verworfen, da sie nach dem 23.11.2007 zunächst außerhalb Hamburgs bei Bekannten und anschließend vorübergehend bei ihrer Mutter untergebracht war. Einen Wohnungswechsel lehnte sie ab, ferner sollte auch kein Schulwechsel des Sohnes erfolgen.

Am 26.11.2007 und 5.12.2007 hielten sich Polizeibeamte im Bereich der Schule des Sohnes des Opfers auf, um dort präventiv bei Erscheinen des Beschuldigten tätig zu werden. Am 29.11.2007 und 6.12.2007 wurde die Schule durch Sachbearbeiter der ZD 64 erneut aufgesucht, um mit der Klassenlehrerin sowie dem Schulleiter die Gefährdungssituation zu erörtern sowie Verhaltensregeln abzusprechen.

Am 27.11.2007 führte ein Sachbearbeiter der ZD 64 Telefonate mit dem späteren Opfer und deren Mutter hinsichtlich der Gefährdungssituation. Ihr wurden hierbei die telefonischen Büroerreichbarkeiten der ermittelnden Polizeibeamten mitgeteilt sowie zusätzlich eine Handynummer, worüber eine 24-Stunden Erreichbarkeit sichergestellt wurde. Am 29.11.2007 erfolgte eine ausführliche Anhörung und Beratung des späteren Opfers im Beisein ihrer Schwester und des Sohnes sowie die Aushändigung von Merkblättern und Broschüren der Opferhilfe. Zudem nahm der polizeiliche Sachbearbeiter Kontakt mit dem Rechtsanwalt des späteren Opfers auf, um die Sachlage zu erörtern, nachdem sie der Polizei mitgeteilt hatte, dass sie über diesen Rechtsanwalt Maßnahmen hinsichtlich einer familiengerichtlichen Verfügung zum Schutze ihres Sohnes einleiten lassen wolle.

Am 5.12.2007 teilte das spätere Opfers der Schule mit, dass der Beschuldigte den Sohn mit ihrem Einverständnis abholen würde. Ein Polizeibeamter des PK 14 war bei der Abholung zugegen und führte ein eindringliches Gespräch mit dem Beschuldigten, der sich kooperativ verhielt.

Am 5.2.2008 erstattete das spätere Opfer erneut Anzeige beim PK 24. Am 5. und 6.2.2008 wurde sie dahingehend beraten, umgehend den gerichtlichen Weg zu beschreiten. Entsprechende Merkblätter und Broschüren wurden ihr am 6.2.2008 ausgehändigt. Am 7.2.2008 wurde veranlasst, dass auf die Person und Anschriften des späteren Opfers ein Gefährdungsmarker bei der Polizeieinsatzzentrale gesetzt wird.

Mit Schreiben vom 13.2.2008 stellte das spätere Opfer über ihren Rechtsbeistand beim Amtsgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten. Am 14.2.2008 erließ das Amtsgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung, die es dem Beschuldigten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro untersagte, sich der Wohnung oder Arbeitsstelle des späteren Opfers auf mehr als 200 m zu nähern oder mit ihr Kontakt aufzunehmen, die Schule des gemeinsamen Sohnes zu betreten oder sich dieser auf mehr als 200 m zu nähern sowie mit dem Kind Kontakt aufzunehmen.

Nach derzeitiger Aktenlage wurde darüber hinaus am 26.3.2008 eine zeugenschaftliche Vernehmung eines Bruders des späteren Opfers durchgeführt. Aus der Vernehmungsniederschrift ergibt sich nicht, dass der Bruder eine akute erneute Bedrohungslage geschildert hätte. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.7.b).

Am 28.2.2008 erfolgte durch einen Sachbearbeiter der ZD 64 die Information über die familiäre Situation sowie einen Vorfall von häuslicher Gewalt am 5.2.2008 gegen die ehemalige Lebensgefährtin des Beschuldigten an das zuständige Jugendamt. Am 29.2.2008 wurden aus der Abteilung Allgemeine Soziale Dienste (ASD) weitere Informationen hierüber vom ZD 64 eingeholt. Das spätere Opfer nahm daraufhin eine Einladung des ASD zu einem Gesprächstermin am 17.3.2008 wahr. Sie erklärte, dass sie keine Unterstützung durch das Jugendamt benötige. Es wurde vereinbart, den ASD erneut aufzusuchen, wenn Gesprächsbedarf besteht oder Unterstützung durch das zuständige Jugendamt benötigt würde. Dem zuständigen Jugendamt sind zuvor keine Vorfälle gemeldet beziehungsweise bekannt geworden.

a) Trifft es zu, dass eine Strafanzeige der Frau gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten wieder zurückgenommen wurde?

Wann und wie stellt sich der Sachverhalt dar?

Am 3.12.2007 teilte das spätere Opfer der Polizei mit, dass sie in Bezug auf ihre Strafanzeige vom 23.11.2007 kein Interesse mehr an der Strafverfolgung des Beschuldigten habe.