Grundrechtseingriff

Dieses hat Ziel und Aufgabe der öffentlichen Stelle zu bestimmen und muss den Grundrechtseingriff im Einzelfall durch ein höherwertiges Allgemeininteresse rechtfertigen. Das bedeutet auch, dass die Eingriffe so grundrechtsfreundlich wie möglich ausfallen müssen. Die Eingriffsregelung muss verhältnismäßig sein. Zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat das Bundesverfassungsgericht deswegen gefordert, dass die Eingriffe in „bereichsspezifischen" Regelungen genau umschrieben werden. Die Flut von spezialgesetzlichen Detailnormierungen ­ auch als „Verrechtlichungsfalle" kritisiert ­ hat hier ihren Ursprung.

Wenn aber Aufgabe und konkrete Maßnahmen der Eingriffsverwaltung von Verfassungs wegen gesetzlich fixiert werden müssen, dann fragt sich, wo noch Spielraum bleibt für eine rechtsgeschäftliche Erklärung wie die datenschutzrechtliche Einwilligung. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Verfassung einen inhaltlichen Widerspruch zulassen will zwischen allgemeingültigen Anforderungen an das Staatshandeln zum einen und der Ausübung des Grundrechts durch den einzelnen Betroffenen zum anderen: Eine individuelle Erweiterung der hoheitlichen Befugnisse über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus würde den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt aushebeln, die Gewaltenteilung und Kompetenzverteilung im Grundgesetz konterkarieren und möglicherweise auch das Gleichbehandlungsgebot verletzen.

Vermisst z. B. die Polizei in der Praxis bestimmte rechtliche Handlungsmöglichkeiten zur Erfüllung ihrer Sicherheitsaufgaben, so hat sie dies an den grundrechtsgebundenen Gesetzgeber heranzutragen. Eine Einwilligung der Betroffenen in eine neue belastende hoheitliche Maßnahme kann den Gesetzesvorbehalt weder verdrängen noch ersetzen. Unmittelbar einsichtig ist dies, wenn die Polizei gegen eine Mehrzahl von Personen vorgehen müsste und will, aber hierzu keine Rechtsgrundlage hat. Die Einwilligung Einzelner kann die Polizei nicht zum Handeln gegenüber allen Personen legitimieren. Die Polizei ist aus Art.3 GG an das Gleichbehandlungsgebot gebunden. Das gilt auch für Eingriffe, die letztlich auf einer Initiative der Betroffenen selbst beruhen.

Aus diesen Gründen ist das Verfahren der Zuverlässigkeitsüberprüfung im Rahmen der sogenannten Akkreditierung bei Großveranstaltungen ­ Fußballweltmeisterschaft, G8-Gipfel und ähnliches ­ nicht zulässig (unten 8.4): Dieses Verfahren sieht vor, dass Gewerbetreibende, Besucher, Aktive darin einwilligen, dass das Landeskriminalamt und der Verfassungsschutz ihre Zuverlässigkeit überprüfen und das Ergebnis dem Veranstalter mitteilen. Spezifische gesetzliche Aufgabenzuweisungen und Datenverarbeitungsermächtigungen hierzu fehlen. Eine Ablehnung der Einwilligung hat die Verweigerung des Zutritts zur Folge ­ mit möglicherweise existentiellen beruflichen Konsequenzen. Freiwillig ist eine solche Einwilligung daher nicht. Damit ist sie nach §4 a BDSG auch nicht wirksam. Die Verantwortung für staatliches Handeln auf den Betroffenen selbst zu übertragen, ist ein untauglicher Versuch.

Eine datenschutzrechtliche Einwilligung zur Ermächtigung öffentlicher Stellen der Eingriffsverwaltung ist letztlich nur denkbar, wenn sie nichts mit der hoheitlichen Aufgabe selbst zu tun hat. Insoweit handelt die Stelle dann nicht als Eingriffsbehörde. So ließe sich konstruieren, dass eine Polizeiwache sich für Namen und Adresse ihrer Besucher interessiert, um ihnen eine noch im Druck befindliche Aufklärungs- und Vorbeugungsbroschüre zukommen zu lassen.

Entscheidend wäre, dass dieser Zweck mitgeteilt wird und eine Ablehnung der gewünschten Angaben keinerlei negative Konsequenzen hat, also wirklich freiwillig erfolgen kann.

Eine Zwitterstellung nehmen gesetzliche Vorschriften ein, die selbst die Einholung einer Einwilligung vorschreiben und den staatlichen Eingriff ­ die Verarbeitung der Betroffenendaten ­ ausdrücklich von ihr abhängig machen. So verhält es sich etwa mit den namensbezogenen Meldungen zum Hamburger Krebsregister und der Datenverarbeitung dort: §2 des Hamburgischen Krebsregistergesetzes fordert hierzu die Einwilligung des Patienten, verlangt eine entsprechende Aufklärung und regelt Ausnahmen für einwilligungslose Meldungen. Die Ablehnung der Einwilligung hat keinerlei Konsequenzen für die medizinische Behandlung, der Patient kann über die Datenverwendung wirklich frei bestimmen.

Ein anderes Beispiel ist der 2005 neu eingeführte §81 h Strafprozessordnung: Reihengentests z. B. zur Ermittlung eines Sexualstraftäters aus einer größeren Bevölkerungsgruppe (z.B. Nachbarschaft) wurden zuvor ausschließlich aufgrund von Einwilligungen vorgenommen. §81 h StPO stellt dies nun auf eine gesetzliche Grundlage: Sie schreibt nicht nur die Einholung der Einwilligung vor, sondern legt auch formale Verfahren, Aufklärungserfordernisse und Zweckbindungen zum Schutze der Betroffenen fest. Problematisch bleibt hier jedoch die Freiwilligkeit der Einwilligung: Wer Speichelentnahme und DNATest verweigert, macht sich verdächtig und setzt sich weiteren Ermittlungen aus. Es wäre besser (und ehrlicher) gewesen, die nach festen Kriterien zu bestimmende Personengruppe zur Duldung von Speichelentnahme und DNATest zu verpflichten. Wie §81 c StPO zeigt, sind dem Strafverfahrensrecht körperliche Untersuchungen ohne Einwilligung an „anderen Personen als Beschuldigten" keineswegs fremd.

3. Einwilligungen in der Leistungsverwaltung

Trotz einer anderen Grundkonstellation gelten die vorstehenden Prinzipien auch für die Leistungsverwaltung: Zwar hat der Gesetzgeber hier im Rahmen des Sozialstaatsprinzips ein weites Gestaltungsermessen. Hat er sich aber zu einer staatlichen Leistungsgewährung für bestimmte Lebenssituationen entschlossen, hat er die materiellen Voraussetzungen und die dafür erforderlichen Angaben der Antragsteller/Begünstigten eindeutig zu umschreiben. Die Angaben der betroffenen Person sind also streng gebunden an den Zweck festzustellen, ob und ggf. in welcher Höhe ein Anspruch auf die staatliche Leistung besteht. Über das Gleichbehandlungsgebot gilt dies grundsätzlich auch für Leistungen, die das Gesetz in das Ermessen der Verwaltung stellt oder die ohne eine spezielle Gesetzesgrundlage nur auf einer Haushaltsentscheidung beruhen. Die Datenoffenbarung der Betroffenen ist hier weniger eine freiwillige rechtsgeschäftliche Einwilligungserklärung als vielmehr die Wahrnehmung einer Obliegenheit oder Mitwirkungs"pflicht", um die Antragsvoraussetzungen zu erfüllen (vgl. §60 Sozialgesetzbuch ­ SGB ­ I). Die Selbstbestimmung liegt in der Entscheidung, einen Leistungsantrag zu stellen; die Datenoffenbarung ist die logische Folge.

Auch hier bilden die gesetzlichen Vorgaben und Förderungsbedingungen einschließlich der erforderlichen Datenverarbeitung abschließende Regelungen, die nicht über individuelle Einwilligungen ausgeweitet werden dürfen. Im Bereich der massenweisen, allgemeinverbindlichen und auf Gleichbehandlung ausgerichteten Leistungsverwaltung ist ­ jedenfalls im Regelfall ­ kein Platz für individuelle Lösungen. Die Grundrechtsausübung (Einwilligung) eines Einzelnen kann die Grundrechtsausübung anderer jedenfalls nicht präjudizieren. Einzelentscheidungen der am Gleichbehandlungsgebot orientierten Leistungsverwaltung sind nicht sinnvoll und würden die Leistungsaufgabe verfehlen. So wäre eine Frage an die Leistungsempfänger, wozu sie den „zum Lebensunterhalt" erhaltenen Geldbetrag ganz konkret verwenden werden, auch dann zu kritisieren, wenn die Freiwilligkeit der Antwort außer Frage steht. Sie würde die gesetzliche Aufgabe überschreiten und wäre auch nicht repräsentativ.

Die enge Zweckbindung gilt streng genommen auch für Einwilligungserklärungen in Form von Schweigepflichtentbindungen, wie sie etwa das Versorgungsamt, das Sozialamt, das Gesundheitsamt von den Antragstellern abfordern: Es geht um die Obliegenheit des Antragstellers, die zur Antragsbegründung erforderlichen Informationen beizubringen. Die Einwilligung in die direkte Kontaktaufnahme zwischen Amt und Arzt dient lediglich der Abkürzung des Kommunikationsvorgangs. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, an das die Leistungsverwaltung gebunden ist, gibt dem Antragsteller das Recht, die Unterlagen auch selbst bei seinen Ärzten zu beschaffen, ohne dem Amt gegenüber eine Schweigepflichtentbindung für den Arzt zu erklären. Ein unverhältnismäßiger Mehraufwand dürfte dem Amt nicht entstehen: In beiden Varianten muss es festlegen, welche medizinischen Informationen es von den Ärzten benötigt. Der Betroffene kann nicht über den erforderlichen Umfang, wohl aber über den Weg der Information frei entscheiden. Holt er die Unterlagen selbst beim Arzt ab, bleibt er auch „Herr" der Datenoffenbarung gegenüber dem Amt.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hat das Bundessozialgericht den Vorrang der gesetzlichen Regelungen vor einer Einwilligung höchstrichterlich bestätigt (19.TB 6.1).