Aktenvorlageersuchen nach Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung zum „Fall Morsal O."

Das 16-jährige Mädchen Morsal O. wurde in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 2008 von ihrem Bruder mit mehreren Messerstichen getötet. Das Mädchen befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Obhut des Kinder- und Jugendnotdienstes (KJND), einer Einrichtung des „Landesbetriebs Erziehung und Berufsbildung" (LEB). Der LEB ist kein freier Träger der Jugendhilfe, sondern untersteht unmittelbar der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG).

Seit November 2006 war staatlichen Stellen bekannt, dass Morsal Opfer häuslicher Gewalt war. Sie wurde von mehreren Familienmitgliedern wiederholt schwer geschlagen. Ihre Eltern haben sie von der Schule abgemeldet und für mehrere Monate nach Afghanistan geschickt, wo sie offenbar zwangsweise verheiratet werden sollte. Ihr Bruder, der sie getötet hat, war wegen wiederholter Gewaltdelikte vorbestraft und stand zur Tatzeit vor einem Haftantritt. Staatliche Stellen waren seit Längerem mit Morsal O. und Mitgliedern ihrer Familie befasst. Die parlamentarischen Anfragen der SPD-Fraktion und die Beratungen im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss der Bürgerschaft haben gezeigt, dass das vorhandene Instrumentarium der Kinder- und Jugendhilfe beziehungsweise des Rechtsstaats offenbar nicht in ausreichender Konsequenz zum Wohle Morsals genutzt wurde.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der fehlenden Bereitschaft des Senats und der ihn tragenden Fraktionen, von sich aus für eine lückenlose Aufklärung des Sachverhalts zu sorgen, das Behördenhandeln rückhaltlos zu überprüfen und etwaige Versäumnisse zu benennen und für die Zukunft auszuräumen, ist es angezeigt, das staatliche Agieren gegenüber Morsal und ihren engsten Familienangehörigen, das heißt ihren Eltern und Geschwistern, im Wege der Akteneinsicht zu prüfen.

Gemäß Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung wird beantragt, „der Senat möge der Bürgerschaft bis zum 30. September 2008 sämtliche Akten, Vorgänge und sonstige Unterlagen einschließlich E-Mail-Verkehre übermitteln, welche in sozialen Diensten und Einrichtungen, Behörden und Gremien einschließlich des LEB und der Bezirke, der Polizei und der Justiz zu dem Mädchen Morsal O., ihren Eltern und Geschwistern ab dem Jahr 2005, hinsichtlich des älteren Bruders Ahmad ab dem Jahr 2001, vorhanden sind.

Vorgelegt werden sollen insbesondere diejenigen Unterlagen, aus denen hervorgeht,

1. inwieweit Leistungen öffentlicher Jugendhilfe, anderweitige soziale und erzieherische Hilfen oder vergleichbare Leistungen veranlasst, gewährt und in Anspruch genommen wurden.

2. welche von Ämtern oder Einrichtungen vorgeschlagenen Hilfe-Maßnahmen für Morsal O. von ihren Sorgeberechtigten abgelehnt wurden.

3. ob der Informationsaustausch der mit den Mitgliedern der Familie O. befassten staatlichen Stellen untereinander und die Kommunikation mit Dritten (etwa beteiligter Einrichtungen und deren Träger) den rechtlichen Bestimmungen entsprach und den Bedürfnissen des Mädchens und ihrer Familie gerecht wurde.

4. ob die Führung der die oben genannten Aspekte betreffenden Akten und die Papierlage Recht und Gesetz sowie Globalrichtlinien, Fachanweisungen, Handlungsempfehlungen und Leitfäden entsprechen.

5. welche Unterlagen die Behörden zur Auswertung des Falles Morsal O. herangezogen haben, welchen Informationsaustausch zwischen den Behörden einschließlich der Senatskanzlei es hierzu gab und wie das staatliche Handeln im Ergebnis beurteilt wurde.

6. welche Schlussfolgerungen genereller Natur im Zuge der Auswertung beziehungsweise anlässlich der Überprüfung des staatlichen Handelns für eine Optimierung desselben gezogen wurden."