Reise nach Kaliningrad

Auf Einladung des Vorsitzenden der Kaliningrader Gebietsduma Sergey V. Bulychev besuchte eine Delegation der Hamburgischen Bürgerschaft vom 24. ­ 27. September 2008 das vom russischen Kernland abgetrennte Gebiet. Neben mir bestand die Delegation aus den Abgeordneten Wolfgang Beuß (CDU), Olaf Böttger (CDU), Dr. A. W. Heinrich Langhein (CDU), Dittmar Lemke (CDU), Ole Thorben Buschhüter (SPD), Gabi Dobusch (SPD), Rolf-Dieter Klooß (SPD), Linda Heitmann (GAL) und Norbert Hackbusch (DIE LINKE). Der Direktor bei der Bürgerschaft Reinhard Wagner begleitete die Delegation.

Die Reise diente dazu, die im Memorandum vom 18. August 2004 (Drs. 18/804) verankerte Zusammenarbeit beider Parlamente zu vertiefen. Die Gebietsduma besteht derzeit aus 40 Abgeordneten, von denen die Hälfte direkt und die andere Hälfte über Listen gewählt wird. Die stärkste Fraktion bilden die Mitglieder der Partei Einiges Russland, die zusammen mit drei Angehörigen der Pensionärspartei aus 25 Abgeordneten besteht. Die Reise stand vor dem Hintergrund der jüngsten militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und Georgien.

1. Gespräch mit den Abgeordneten der Gebietsduma

Der Erste stellvertretende Vorsitzende der Gebietsduma Konstantin I. Polyakov leitete seine Begrüßung der Delegation mit dem Hinweis auf die „komplizierte Weltlage" ein, die Gespräche zwischen den Parlamenten geradezu erforderlich mache.

Der Oblast sei das Schaufenster Russlands zu Europa. Das Gesetz über die Sonderwirtschaftszone locke zahlreiche Investoren aufgrund der attraktiven Zoll- und Steuervergünstigungen in das Gebiet. Die Ostseeküstenringstraße würde in absehbarer Zeit fertiggestellt werden und es sei ein neues Atomkraftwerk geplant. Ihnen seien die Bedenken in Deutschland gegen diese Art der Energieerzeugung durchaus bewusst, aber die Energie würde dringend benötigt werden.

Die Delegation besuchte kurz die erste Plenarsitzung der Duma nach der Sommerpause, in der unter anderem der Rechenschaftsbericht der Oblastregierung sowie wirtschaftliche und soziale Fragen auf der Tagesordnung standen. Außerdem sollten Probleme der Kommunalreform debattiert werden.

Eine Diskussion zwischen den Abgeordneten der Delegation und den insgesamt zwölf anwesenden Abgeordneten der Gebietsduma hatte als Schwerpunkt die Entwicklung einer Zivilgesellschaft in Russland sowie die Bereitschaft, in den Parteien mitzuarbeiten. Die russischen Abgeordneten räumten ein, dass eine demokratische Gesellschaft noch in den Anfängen stecke, dies regional aber sehr unterschiedlich sei. Im Vergleich zu Zentralrussland seien die Verhältnisse im Kaliningrader Gebiet weit entwickelt.

Darüber hinaus gab es eine angeregte Debatte über die Steigerung des Frauenanteils in den Parlamenten. Die russischen Abgeordneten äußerten den Wunsch, Vertreter des dortigen Jugendparlamentes nach Hamburg schicken zu können. Die Dumaabgeordneten beklagten, dass das Problem, von EU-Mitgliedstaaten umringt zu sein, noch nicht gelöst sei. Insbesondere sei die Visa-Frage bislang nicht befriedigend geklärt.

Die Vertreter der Gebietsduma erklärten, es sei das politische Ziel, Kaliningrad zu einem Logistikzentrum zu entwickeln, um hier die Waren zu verzollen und weiter nach Russland zu verschicken. Zwar wollten auch andere russische Häfen diese Funktion übernehmen, aber Kaliningrad habe hierfür eine sehr günstige geografische Lage. Bei aller Bedeutung der wirtschaftlichen Aspekte sollten aber nicht die sozialen Fragen vergessen werden und der Vorsitzende des dortigen Sozialausschusses äußerte den Wunsch, auf diesem Gebiet eng mit dem entsprechenden Ausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zusammenzuarbeiten.

2. Gespräch mit dem deutschen stellvertretenden Generalkonsul

Beim Besuch des deutschen Generalkonsulates in Kaliningrad berichtete der Konsul Rudolf Mey, dass sich Dank erheblicher Investitionen das Stadtbild Kaliningrads in den letzten Jahren positiv verändert habe. Es würden sogar dringend Fachkräfte gesucht und in diesem Zusammenhang speziell Russlanddeutsche auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion aber auch in Deutschland angesprochen. So lebten derzeit circa 8.000 Russlanddeutsche im Kaliningrader Oblast. Er beklagte, dass es für die vielen Bauvorhaben kein Gesamtkonzept in der Stadt gebe. Das geplante Atomkraftwerk solle im Jahr 2014 ans Netz gehen. Der erzeugte Strom solle für den europäischen Markt kompatibel sein. Daraus sei zu folgern, dass das Kraftwerk insbesondere für den Export von Strom gebaut werde. Der Konsul wies auf die Schwierigkeit für die Menschen im Oblast hin, dass sie ein Visum benötigten, wenn sie auf dem Landwege in das Kernland Russlands fahren wollten. Lediglich bei Fahrten mit der Eisenbahn sei eine vorherige Anmeldung per Internet ausreichend. Die Visa-Gebühren würden allerdings von der Europäischen Union übernommen werden. Es gebe zwar zwischen dem Kaliningrader Gebiet und Polen einen „kleinen Grenzverkehr", aber aufgrund des ausgeprägten Schmuggels von Dieselkraftstoff, Zigaretten und Alkohol sei dies nicht unproblematisch.

3. Gespräch mit Regierungsvertretern des Oblast

Beim Besuch der Regierung des Oblast erklärte der Minister für die Entwicklung und Zusammenarbeit der Region Mikhail Plyukhin, im Wesentlichen sollten vier Zweige der Wirtschaft gefördert werden, nämlich Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Tourismus. Dies seien keine Gegensätze, da in Industrie und Landwirtschaft modernste Technologien eingesetzt werden sollten. Die Art des Tourismus habe sich seit der Öffnung 1991 gewandelt. Seien es zunächst sogenannte Nostalgietouristen gewesen, kämen seit etwa dem Jahr 2000 mehr „normale" Touristen. Um den Tourismus, der etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmache, weiter zu stärken, müssten die Grenzübergänge verbessert und weitere Unterkünfte geschaffen werden. Die Delegation hatte die Möglichkeit, durch einen Besuch der einmaligen Landschaft der Kurischen Nehrung die Potenziale für einen Ausbau des Tourismus in Augenschein zu nehmen. Die dortige Vogelwarte Rossitten, die eng mit internationalen, insbesondere auch deutschen Vogelwarten zusammenarbeitet, leistet mit einfachen Mitteln ­ vom Fang über die Vermessung, Datenregistrierung und Beringung von Vögeln ­ einen wesentlichen Beitrag zur Gewinnung von Erkenntnissen über die Flugrouten der Vögel.

Schließlich sei es notwendig, ein bestimmtes Image für das Gebiet zu entwickeln. In erster Linie kämen die Touristen aus Russland und danach aus Deutschland.

Geschäftsleute die in dem Gebiet übernachteten, kämen auch aus Polen und Litauen sowie Schweden und Finnland, in letzter Zeit auch aus Frankreich.

Der Minister berichtete über das Programm „Nachbarschaft", in dem Polen, Litauen und der Kaliningrader Oblast zusammenarbeiteten. In den Jahren 2007 bis 2012 habe es ein Finanzvolumen von 132 Millionen Euro. Es diene dazu, um beispielsweise die Zollinfrastruktur zu verbessern, Umweltschutzprojekte zu fördern und kleine und mittelständige Unternehmen zu unterstützen. Um den Wassertourismus anzuregen, gebe es ein Vorhaben, den Wasserweg von Polen über das Kaliningrader Gebiet nach Litauen auszubauen.

Schließlich sprach die Delegation mit dem stellvertretenden Wirtschaftsminister Andrey Gudzarik und drei seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Er informierte über drei wichtige große Vorhaben, nämlich die Förderung aus- und inländischer Investoren, die Entwicklung der Sonderzone Kurische Nehrung durch die Verbesserung von Infrastruktur, die Errichtung von Hotels und Yachthäfen, aber auch die Bewahrung der Nehrung als Naturdenkmal sowie schließlich den Bau einer Spielzone. In Russland seien insgesamt vier Spielzonen vorgesehen und in dem Oblast solle eine davon auf einer Fläche von 1.100 ha gebaut werden. Er unterstrich die engen Beziehungen zu Hamburg und nannte dabei die Zusammenarbeit bei Umweltschutzprojekten, zum Beispiel die Bekämpfung von Ölverschmutzungen auf dem Wasser. Es gebe aber auch eine jahrelange gute Zusammenarbeit mit den Bundesländern Brandenburg und Schleswig-Holstein. Er würde es sehr begrüßen, wenn es eine weitere Zusammenarbeit zwischen der Hamburger Universität und der Immanuel-Kant-Universität in Kaliningrad geben würde. Die positive wirtschaftliche Entwicklung des Gebietes erläuterte er, indem er verschiedene Unternehmen vorstellte, die im Oblast produzierten. So erwähnte er eine Werft, in der Yachten gebaut, ein BMW-Werk, in dem Autos für ganz Russland zusammengebaut würden, sowie ein Werk, das Soja verarbeite.

Fazit:

Die Delegation wurde wie bereits bei den Reisen zuvor überall herzlich aufgenommen und die Gastgeber wünschen die Beziehung zu Hamburg zu intensivieren. So solle es aus russischer Sicht auch eine engere Zusammenarbeit auf Ausschussebene geben, aber auch eine Förderung des Jugendaustausches sowie eine engere Zusammenarbeit der Universitäten.

Ich habe die Kaliningrader Gebietsduma zu einem Gegenbesuch eingeladen.