Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung

Dabei ist zu beachten, dass entsprechend § 100c Absatz 4 Satz 2 StPO Gespräche in Betriebsund Geschäftsräumen in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Ist aufgrund dieser Prognose eine Anordnung zulässig, kann bei entsprechenden Erkenntnissen auch eine nur automatische Aufzeichnung zulässig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 11. Mai 2007 (2 BvR 543/06) ausgeführt, dass seinem Urteil vom 3. März 2004 nicht entnommen werden könne, dass eine automatische Aufzeichnung in jedem Fall von Verfassungs wegen unzulässig sei. Ein generelles Verbot automatischer Aufzeichnungen sei nicht ersichtlich, soweit keine Gefahr der Erfassung kernbereichsrelevanter Inhalte bestehe.

§ 10 Absatz 5a Satz 2 Das Abhören und Beobachten nach Satz 1 ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden.

Satz 2 enthält das Gebot der unverzüglichen Unterbrechung der Maßnahme und regelt, was zu unternehmen ist, wenn sich während der Überwachung unerwartet tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte aus dem Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung erfasst werden. In solchen Fällen ist nach Satz 2 das Abhören, Aufzeichnen und Beobachten unverzüglich zu unterbrechen.

§ 10 Absatz 5a Satz 3 Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden.

Satz 3 regelt die Zulässigkeit des sogenannten Richterbandes. Die Regelung dient dem Schutz des Kernbereichs, indem sie bestimmt, dass auch in solchen Fällen, in denen keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine Kernbereichsrelevanz sprechen, eine unmittelbare Überwachung durch die ermittelnden Stellen ausgeschlossen ist. In Zweifelsfällen darf der Kommunikationsinhalt vielmehr nur automatisch aufgezeichnet werden.

§ 10 Absatz 5a Satz 4 Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen.

Nach Satz 4 sind solche Aufzeichnungen unverzüglich dem anordnenden Gericht vorzulegen, welches dann die Feststellung zu treffen hat, ob eine Kernbereichsrelevanz vorliegt oder nicht. Eine solche Regelung für Zweifelsfälle trägt dem Umstand Rechnung, dass es häufig bei einmaligem Mithören und Beobachten nicht möglich ist, das Geschehen in der Wohnung vollständig zu erfassen. Es kann erforderlich werden, ein Gespräch mehrfach abzuhören, um Inhalt, Betonungen und Nuancen zu erkennen. Oftmals sind Dolmetscher erst nach mehrfachem Abhören in der Lage, den richtigen Aussagegehalt einer Äußerung zu bestimmen und damit überhaupt erst festzustellen, ob Anhaltspunkte für eine Kernbereichsrelevanz gegeben sind.

Ferner können bei zwei oder mehr Gesprächsteilnehmern die Aussagen vielfach nicht sofort zugeordnet werden. Zudem kann es vorkommen, dass Aufzeichnungen der technischen Aufbereitung wie der Ent7 Änderungsvorschlag Begründung fernung von Nebengeräuschen bedürfen.

In solchen Zweifelsfällen werden die Grundrechte der Betroffenen dadurch weiter geschützt, dass ein Richter die Auswertung einer automatischen Aufzeichnung übernimmt.

§ 10 Absatz 5a Satz 5 Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 2 unterbrochen worden, so darf es unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden.

Satz 5 regelt, dass die Maßnahme nach Absatz 1 unter den Voraussetzungen des Satzes 1 fortgeführt werden darf.

§ 10 Absatz 5a Satz 6 bis 9

Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt."

Da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass Daten erfasst werden, die den Kernbereich betreffen, werden die Regelungen durch verfahrensrechtliche Absicherungen durch das in den Sätzen 6 bis 9 enthaltene Verwertungsverbot und Löschungsgebot flankiert.

3. § 10c PoIDVG Telefonüberwachung ­ Kernbereich privater Lebensgestaltung schützen

a) § 10c Absatz 3 Satz 3 wird gestrichen. Der bisher hier vorgesehene Schutz des „Vertrauensverhältnisses zwischen engsten Familienangehörigen oder in gleicher Weise engsten Vertrauten" reicht verfassungsrechtlich nicht aus.

b) Hinter § 10c Absatz 3 wird folgender Absatz 3a eingefügt.

Mit diesem Vorschlag wird der bislang unzureichende Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, den das Bundesverfassungsgericht verlangt, auch bei der Telefonüberwachung nach Hamburgischen Polizeirecht sichergestellt. Übernommen werden damit die Maßgaben des BKA-Gesetzes (vergleiche insoweit BTDrs. 16/9588).

Im neu zusammenfassenden Absatz 3a wird der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei Maßnahmen nach § 10a und 10b näher ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach einen Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt, der dem staatlichen Zugriff schlechthin entzogen ist. In seinem Urteil vom 27. Juli 2005 ­ 1 BvR 668/04 ­ hat das Bundesverfassungsgericht auch einfachgesetzliche Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei Maßnahmen der gefahrenabwehrrechtlichen Telekommunikationsüberwachung gefordert, gleichzeitig aber anerkannt, dass hier andere Maßstäbe als beim Kernbereichsschutz bei Eingriffen in Artikel

Änderungsvorschlag Begründung 13 GG anzulegen sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung bei Eingriffen in Artikel 10 GG anders ausgestaltet ist als bei Eingriffen in Artikel 13 GG.

Bei Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung und ihrer späteren Durchführung ist regelmäßig nicht sicher vorhersehbar, welche Inhalte die abgehörten Gespräche haben werden. Eine Prognose, mit wem ein Telefongespräch zustande kommt und in welchem Verhältnis die beiden Gesprächspartner zueinander stehen, kann in der Regel angesichts der Vielgestaltigkeit von Telekommunikationsvorgängen gar nicht getroffen werden. Vielfach wird sich ohne weitere Auswertung gar nicht feststellen lassen, mit welcher Person gesprochen wird, etwa wenn keine Namensnennung erfolgt oder bei Gesprächen in fremder Sprache. Dies gilt umso mehr, als es Zielpersonen auch grundsätzlich möglich ist, Vertrauensverhältnisse vorzutäuschen.

§ 10c Absatz 3a Satz 1 und 2 „Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch Datenerhebungen nach § 10a und 10b allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Soweit im Rahmen von Datenerhebungen nach § 10a und 10b neben einer automatischen Aufzeichnung eine unmittelbare Kenntnisnahme erfolgt, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden.

Nach Satz 1 ist eine Telekommunikationsüberwachung unzulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus diesem Kernbereich erlangt würden. Bereits die Anordnung einer solchen Maßnahme, aber auch deren Durchführung ist unzulässig. Diese Prognose verlangt, anders als bei der akustischen Wohnraumüberwachung, keine besonderen vorausgehenden Ermittlungen. In Zweifelsfällen darf der Kommunikationsinhalt vielmehr nur automatisch aufgezeichnet werden.

§ 10c Absatz 3a Satz 4 Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen.

Nach Satz 4 sind solche Aufzeichnungen unverzüglich dem anordnenden Gericht vorzulegen, welches dann die Feststellung zu treffen hat, ob eine Kernbereichsrelevanz vorliegt oder nicht. Eine solche Regelung für Zweifelsfälle trägt dem Umstand Rechnung, dass es häufig bei einmaligem Überwachen und Aufzeichnen nicht möglich ist, das Geschehen vollständig zu erfassen. Es kann nämlich erforderlich werden, ein Gespräch mehrfach abzuhören.