JVA

Todesfälle und Verletzungen in den Hamburger Strafvollzugsanstalten Ergänzend zu der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 19/2078 und vor dem Hintergrund der aktuellen Suizidfälle in der Untersuchungshaftanstalt, dem Tod eines 33-jährigen Häftlings in der JVA Billwerder im August 2007 sowie den nunmehr von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen gegen zwei Strafvollzugsbedienstete wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, frage ich den Senat:

I. Suizide und Suizidprophylaxe in den Hamburger Justizvollzugsanstalten

1. Waren bei Natascha W. und Oliver B. Anzeichen oder Hinweise vorhanden, die auf eine Suizidgefährdung hindeuteten? Auf welche Weise und von wem wurde die Suizidgefährdung in den beiden Fällen überprüft?

Nein. Die Überprüfung ist bei Frau W. durch Mitarbeiterinnen der Vorführungs- und der Frauenabteilung und bei Herrn B. durch Mitarbeiter der Vorführungs- und der Aufnahmeabteilung erfolgt. Die Einschätzungen erfolgten auf der Grundlage aller zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Daten im Haftbegleitzettel der Polizei und des Haftbefehls sowie aus den Gesprächen mit den Betroffenen.

2. Welche konkreten Maßnahmen zur Verhinderung von Suiziden werden in den Hamburger Vollzugsanstalten generell und insbesondere bei der Aufnahme der Häftlinge ergriffen?

In der Untersuchungshaftanstalt (UHA) wird Hinweisen auf eine mögliche Suizidgefährdung unmittelbar nach der Zuführung der Gefangenen in unverzüglichen persönlichen Gesprächen nachgegangen. Ergeben sich in den Gesprächen oder bei der Aufnahmeuntersuchung durch den Ärztlichen Dienst derartige Hinweise, werden die Gefangenen auf der Sicherungs- und Beobachtungsstation untergebracht und fachdienstlich betreut. Entsprechend wird bei einer später im Vollzugsverlauf auftretenden Suizidgefährdung verfahren.

Über Auffälligkeiten und eine mögliche Suizidgefährdung Gefangener, die anderen Justizvollzugsanstalten (JVA) aus der UHA zugeführt werden, wird die aufnehmende JVA vorab informiert.

In der JVA Fuhlsbüttel führt die Leitung der Aufnahmeabteilung am Tag der Aufnahme ein ausführliches Gespräch mit jedem neu zugeführten Insassen. Ergeben sich aus dem Gespräch, der Verhaltensbeobachtung im Gespräch oder aus der vor dem Gespräch ausgewerteten Akte des Gefangenen Anzeichen für eine Suizidgefährdung, wird der Psychologische Dienst der JVA hinzugezogen und über gegebenenfalls erforderliche weitergehende Maßnahmen entschieden.

In der JVA Billwerder werden Gefangene, die sich dort selbst zum Strafantritt stellen, grundsätzlich zeitnah dem Anstaltsarzt vorgestellt. Bei Auffälligkeiten werden diese Gefangenen sofort in das Zentralkrankenhaus der UHA (ZKH) überführt und dort dem Arzt vorgestellt. In den übrigen Fällen wird im Aufnahmeverfahren darauf geachtet, ob eine Suizidgefährdung vorliegt, um gegebenenfalls die entsprechenden psychologischen oder medizinischen Fachkräfte einzubeziehen.

Auch in der JVA Hahnöfersand wird im Aufnahmegespräch gezielt auf Anzeichen für eine mögliche Suizidgefährdung geachtet, die Gefangenen werden auch konkret befragt, um gegebenenfalls den psychologischen Dienst hinzuzuziehen.

Gefangene, die für den offenen Vollzug der JVA Glasmoor geeignet sind, unterliegen in der Regel keinem besonderen Suizidrisiko. Die Suizidgefährdung ist hier auch aufgrund der Rahmenbedingungen des offenen Vollzuges äußerst gering. Suizide oder ernsthafte Suizidversuche sind deshalb im offenen Vollzug seit Jahren nicht vorgekommen. Dennoch wird im Zuge der Zugangsgespräche auf eventuell bestehende Risiken geachtet.

Für alle Anstalten gilt, dass Insassen, die im Verlauf der Haft besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt sind (zum Beispiel Todesfälle von Angehörigen, Beendigung der Beziehung durch die Partnerin oder den Partner) und dadurch suizidgefährdet sein können, mit erhöhter Aufmerksamkeit beobachtet werden, um rechtzeitig reagieren zu können.

3. Anhand welcher konkreten Kriterien wird die Suizidgefährdung von Häftlingen in der Strafhaft und in der Untersuchungshaft beurteilt (generell und insbesondere im Rahmen des Aufnahmeverfahrens)? Welche Kriterien müssen Häftlinge erfüllen, um in Beobachtungsstationen beziehungsweise -zellen aufgenommen zu werden?

Soweit der oder die Gefangene nicht selbst Suizidabsichten äußert, können folgende Kriterien auf ein Suizidrisiko hinweisen:

- der oder die Gefangene steht bei der Aufnahme unter Einfluss von Drogen und/oder hat eine Vorgeschichte früheren Drogenmissbrauchs,

- der oder die Gefangene zeigt starke Gefühle von Scham, Schuld und Verzweiflung wegen der Inhaftierung,

- der oder die Gefangene wirkt hoffnungslos und zeigt Anzeichen einer Depression,

- der oder die Gefangene wurde wegen einer psychischen Erkrankung behandelt,

- der oder die Gefangene leidet derzeit unter einer psychischen Störung oder benimmt sich auf sonderbare Weise (auch Ankündigung von Selbstverletzungen),

- der oder die Gefangene hat bereits einen oder mehrere Suizidversuche unternommen,

- der oder die Gefangene bestätigt, dass er oder sie wenig inneren und/oder äußeren unterstützenden Rückhalt besitzt, oder wirkt so,

- nach Aktenlage wurde der oder die Gefangene während einer früheren Inhaftierung als suizidal eingeschätzt.

Bei der differenzierteren Beurteilung einer Suizidgefährdung durch den jeweiligen Psychologischen Dienst der Anstalt werden insbesondere folgende Kriterien zugrunde gelegt:

- Fähigkeit der oder des Gefangenen zur emotionalen Kontaktaufnahme mit anderen,

- Einengung des Denkens und Aufmerksamkeitsfokussierung auf suizidale Thematik und/oder Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit,

- Vorhandensein stützender (protektiver) Faktoren,

- Bereitschaft und Fähigkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen,

- Bereitschaft, kurzfristige Absprachen einzuhalten (zum Beispiel Facharztvorstellung, Gesprächstermine).

Die vorliegenden Informationen können nach Lage des Einzelfalls Anlass für die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen gemäß § 75 Hamburgisches Strafvollzugsgesetz sein.

In der UHA werden Gefangene, denen ein Tötungs- oder Sexualdelikt oder Brandstiftung zur Last gelegt wird, unmittelbar nach der Zuführung regelmäßig auf der Sicherungs- und Beobachtungsstation untergebracht. Dies gilt auch für Strafgefangene, die der UHA zugeführt werden, weil bei ihnen der Verdacht besteht, dass sie im Rahmen von Vollzugslockerungen neue Straftaten begangen haben. Besondere Sicherungsmaßnahmen werden darüber hinaus bei Personen angeordnet, die sich im Alkoholoder Drogenentzug befinden oder an einer psychotischen Erkrankung leiden und deshalb besonders suizidgefährdet sind.

4. Wie werden die Bediensteten der Hamburger Justizvollzugsanstalten und der Untersuchungshaftanstalt geschult, fortgebildet und sensibilisiert für die Anzeichen einer Suizidgefährdung bei Insassen? Wie regelmäßig finden diese Schulungen beziehungsweise Fortbildungen der Vollzugsbediensteten statt?

Das Thema Suizid, Suizidprophylaxe und Umgang mit Suizidalen wird in der Ausbildung des mittleren allgemeinen Vollzugsdienstes regelmäßig in jedem Lehrgang als eigenständige Unterrichtseinheit im Fach Vollzugspsychologie unterrichtet. Daneben wird der Umgang mit kritischen Situationen beziehungsweise psychisch auffälligen Gefangenen im Rahmen des sogenannte Interdisziplinären Praxistrainings geübt. Im Rahmen der Fortbildung werden jährlich sowohl spezielle Seminare als auch Trainingseinheiten zum Thema Suizidale oder psychisch auffällige Gefangene angeboten.

Inhalte der Qualifizierungsmaßnahmen sind sowohl das Erkennen von aktuellen Suizidgefährdungen als auch der Umgang mit den suizidalen Gefangenen. Dazu gehören auch finale Rettungsmaßnahmen. Die Bediensteten werden darüber hinaus gegebenenfalls durch das Kriseninterventionsteam des Strafvollzuges betreut.

5. Was genau qualifiziert die in Drs. 19/2078 erwähnten „besonders erfahrenen Bediensteten" für die Betreuung der Gefangenen während der ersten 24 Stunden nach der Zuführung?

Die Bediensteten sind durch ihre Ausbildung, mehrjährige Berufserfahrung in diesem Arbeitsfeld und spezielle Fortbildungsangebote qualifiziert. Sie haben aufgrund ihrer Tätigkeit in der UHA umfassende Erfahrungen im Umgang mit Personen, die sich erst kurz in Haft befinden und dadurch einem erhöhten Suizidrisiko unterliegen.

6. Wurden nach den beiden aktuellen Suiziden in der Untersuchungshaftanstalt und gegebenenfalls auch in den anderen Justizvollzugsanstalten über die existierenden Vorkehrungen hinaus weitere Maßnahmen eingeleitet, um künftigen Suizidfällen vorzubeugen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

Bereits 2007 wurde für den Hamburger Justizvollzug ein Qualitätsmanagement eingeführt, mit dem alle aktuellen Suizide von Hamburger Gefangenen daraufhin ausgewertet werden, ob sich aus einem Suizid Hinweise ergeben, die eine Veränderung der Praxis der Suizidprophylaxe nahelegen. Dazu findet zunächst möglichst zeitnah zu dem Ereignis in der betroffenen Anstalt eine sogenannte Suizidkonferenz statt. Die Ergebnisse der Suizidkonferenz werden anschließend von einem Qualitätszirkel Suizidprävention unter Beteiligung aller Anstalten des geschlossenen Vollzuges und des Strafvollzugsamtes zusammengefasst und bewertet. Etwaige Veränderungsvorschläge werden anschließend mit den betroffenen Anstalten besprochen.

Die Suizidkonferenz aus Anlass des Todes von Frau W. hat am 9. Februar 2009 stattgefunden. Die Suizidkonferenz aus Anlass des Selbstmordes von Herrn B. findet am 16. Februar 2009 statt. Die Auswertung der beiden Suizide im Qualitätszirkel Suizidprävention ist für den 19. Februar 2009 vorgesehen.