Einfamilienhaus

Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 ­ Befreiungen von der Zweiwohnungsklausel

Durch ein Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1983 wurde die im Baustufenplan Rahlstedt (Verordnung über den Baustufenplan Rahlstedt in der Fassung seiner erneuten Feststellung vom 14. Januar 1955, Amtlicher Anzeiger Seite 61) enthaltene „Zweiwohnungsklausel" für von Anfang an als unwirksam erklärt und ihre Anwendung nur in den „besonders geschützten" Wohngebieten zugelassen. Unter dem Begriff der Klausel ist eine Nutzungseinschränkung zu verstehen, die aufgrund der Baupolizeiverordnung für die Freie und Hansestadt Hamburg vom 8. Juni 1938 (Sammlung des bereinigten hamburgischen Landesrechts I 21302-n) auch in anderen Baustufenplänen festgesetzt wurde. Damit sollten Struktur und Eigenart vorhandener Einfamilienhausgebiete bewahrt und gegen nachteilige Veränderungen wie zum Beispiel durch den Bau von milieufremden Mehrfamilienhäusern gesichert werden. Durch das erwähnte Urteil ging die Schutzwirkung der Zweiwohnungsklausel für die meisten Einfamilienhausgebiete verloren, sodass dort in verstärktem Maße Mehrfamilienhäuser genehmigt werden mussten, die in Art und Umfang keinen Bezug zur angrenzenden Bebauung erkennen ließen und das Stadt- und Landschaftsbild in erheblicher Weise beeinträchtigten (vergleiche Drs. 14/2574).

Diese Entwicklung konnte nach damaliger Auffassung nur durch Schaffung neuen Planrechts aufgehalten werden, indem durch einen Bebauungsplan nach dem Baugesetzbuch (BauGB) eine entsprechende Beschränkung festgesetzt wird. Mit den Bebauungsplänen Rahlstedt 92 bis 96 (festgestellt durch Gesetz der Bürgerschaft, HmbGVBl. 1993, Seite 7 fortfolgende) wurde laut deren Begründungen (Drs. 14/2574) deshalb das Ziel verfolgt, die in den Plangebieten liegenden, noch nahezu unversehrten Einfamilienhausgebiete in ihrer Eigenart zu erhalten und das Eindringen maßstabssprengender Bauten zukünftig abzuwehren. Die neue Zweiwohnungsklausel unterscheide sich von der bisherigen dadurch, dass die Bestimmung nicht mehr auf das Grundstück, sondern auf das Wohngebäude bezogen anzuwenden ist. Dies solle den Einfamilienhauscharakter der Gebiete auf Dauer sichern.

Es ist jedoch zu beobachten, dass im Geltungsbereich des Bebauungsplans Rahlstedt 94 in letzter Zeit wieder Mehrfamilienhäuser genehmigt werden. Als Beispiele hierfür sind zu nennen das Gebäude Alte Berner Straße 26 (Mehrfamilienhaus mit sechs Wohneinheiten) sowie die Bauvorhaben Alte Berner Straße 24 (Mehrfamilienhaus mit sechs Wohneinheiten) und Hermann-BalkStraße 92 (Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten). In allen Fällen sind laut Bebauungsplan nur Einzel- und Doppelhäuser mit höchstens zwei Wohnungen je Wohngebäude zulässig. Offenbar wurde in diesen Fällen von der Einhaltung der Zweiwohnungsklausel befreit. Auch wenn diese Abweichungen städtebaulich sicher vertretbar sind, ist erste Voraussetzung für die Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans jedoch, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden (§ 31 Absatz 2 BauGB). Wenn statt zwei fünf oder sechs Wohnungen pro Gebäude genehmigt werden, erscheint es jedoch mehr als fraglich, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt sein sollen. Dann jedoch wären die tatbestandlichen, objektiv-rechtlichen Voraussetzungen des § 31 Absatz 2 BauGB nicht erfüllt.

Angesichts der Tatsache, dass gerade im Bezirk Wandsbek in den letzten Jahren zahlreiche Bebauungspläne festgestellt wurden, die wie die Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 den Schutz von Einfamilienhausgebieten vor dem Eindringen maßstabssprengender Bauten bezwecken, und auch gegenwärtig an weiteren solchen „Strukturerhaltungsplänen" gearbeitet wird, stellt sich die Frage, ob diese Anstrengungen überflüssig sind, wenn die Festsetzungen anschließend durch eine großzügige Befreiungspraxis konterkariert und im Widerspruch zu den Grundzügen der Planung doch Mehrfamilienhäuser genehmigt werden. Es stellt sich auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Politik und Verwaltung, wenn Bebauungspläne gemacht werden, um der Zweiwohnungsklausel wieder Geltung zu verschaffen, von dieser Festsetzung jedoch anschließend großzügig befreit wird.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

1. Wie beurteilen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Praxis, von der Zweiwohnungsklausel selbst dann zu befreien, wenn der wesentliche Anlass für einen Bebauungsplan wie im Falle der Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 gerade war, die Zweiwohnungsklausel festzuschreiben?

2. Inwieweit teilen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Auffassung, dass eine derart großzügige Befreiungspraxis die mit der Aufstellung der Bebauungspläne verfolgte Zielsetzung konterkariert?

Befreiungen dürfen nur erteilt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 31 Absatz 2 des Baugesetzbuchs vorliegen. Liegen diese vor, sind die Befreiungen nicht zu beanstanden. Inwieweit eine Befreiungspraxis im Widerspruch zu der mit einem Bebauungsplan verfolgten Zielsetzung steht, kann nicht pauschal, sondern nur anhand eines konkreten Einzelfalles beurteilt werden.

3. Inwieweit haben der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Baugenehmigungsbehörden angehalten, vor dem Hintergrund des vormaligen Leitbilds „Wachsende Stadt" bei der Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen großzügiger als vorher zu verfahren beziehungsweise inwieweit durften die Baugenehmigungsbehörden konkludent davon ausgehen, dass eine solche Praxis erwünscht ist, ohne dass es einer gesonderten Aufforderung bedurfte?

4. Inwieweit ergeben sich diesbezüglich durch das neue Leitbild „Wachsen mit Weitsicht" Änderungen beziehungsweise inwieweit sind Änderungen zu erwarten, ohne dass es einer gesonderten Aufforderung bedarf?

Die Entscheidungen über Befreiungen fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Bezirksämter. Es gab und gibt weder Anweisungen noch Empfehlungen, Ausnahmen oder Befreiungen von den Festsetzungen der Bebauungspläne großzügiger zu handhaben.

5. Zum Grundstück Alte Berner Straße 26:

a) Warum waren die Grundzüge der Planung im Falle der Genehmigung eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten in einem Gebiet, in dem die sogenannte Zweiwohnungsklausel gilt, nicht berührt?

b) Die Erteilung einer Befreiung ist eine Ermessensentscheidung („kann"). Wie begründet die Baugenehmigungsbehörde im genannten Fall ihre Entscheidung, ihr Ermessen dahingehend auszuüben, die begehrte Befreiung zu erteilen?

Die bezirkliche Baukommission (BAUKO) hat in ihrer Sitzung am 14. März 2007 entschieden, dass die Befreiung für das Überschreiten der zulässigen Zahl der Wohnungen je Gebäude um vier auf sechs Wohneinheiten erteilt wird. Grundzüge der Planung werden nach Auffassung des Bezirksamtes durch die Erteilung der Befreiung nicht berührt, weil aus der Begründung zum Bebauungsplan zu entnehmen ist, dass durch die Festsetzung der „Zweiwohnungsklausel" das Eindringen maßstabssprengender Bebauung unterbunden werden soll. Die Erteilung der Befreiung sei städtebaulich vertretbar, weil auf den Nachbargrundstücken Alte Berner Straße 22 und 28 bereits Mehrfamilienhäuser vorhanden sind und sich die geplante Bebauung in das Straßenbild einfügt. Das Gebäude Berner Straße 22 ist 1994 genehmigt worden. Auch hier wurde eine Befreiung für vom Bebauungsplan Rahlstedt 94 für die Überschreitung der Anzahl der Wohneinheiten von zwei auf sechs erteilt.

c) Inwieweit wurden für dieses Bauvorhaben weitere Befreiungen erteilt?

Weitere Befreiungen sind erteilt worden für das

1. Unterschreiten der Mindestdachneigung von 30° auf 20°,

2. Überschreiten der Baugrenzen um 1,5 m durch untergeordnete Bauteile.

6. Zum Grundstück Alte Berner Straße 24:

a) Warum waren die Grundzüge der Planung im Falle der Genehmigung eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten in einem Gebiet, in dem die sogenannte Zweiwohnungsklausel gilt, nicht berührt?

b) Wie begründete die Baugenehmigungsbehörde im genannten Fall ihre Entscheidung, ihr Ermessen dahingehend auszuüben, die begehrte Befreiung zu erteilen?

Die BAUKO hat in ihrer Sitzung am 17. Dezember 2007 entschieden, dass die Befreiung für das Überschreiten der zulässigen Zahl der Wohnungen je Gebäude um vier auf sechs Wohneinheiten erteilt wird. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. a) und 5. b).

c) Inwieweit wurden für dieses Bauvorhaben weitere Befreiungen erteilt?

Weitere Befreiungen sind erteilt worden für das

1. Unterschreiten der Mindestdachneigung von 30° auf 7°,

2. Überschreiten der vorderen Baugrenzen um bis zu 0,3 m an der östlichen Gebäudeecke und um 0,5 m durch den Treppenraum,

3. Überschreiten der rückwärtigen Baugrenzen um bis zu 1,5 m durch Balkone mit einer Gesamtlänge von insgesamt 10 m.

7. Zum Grundstück Hermann-Balk-Straße 92:

a) Warum waren die Grundzüge der Planung im Falle der Genehmigung eines Mehrfamilienhauses mit fünf Wohneinheiten in einem Gebiet, in dem die sogenannte Zweiwohnungsklausel gilt, nicht berührt?

b) Wie begründete die Baugenehmigungsbehörde im genannten Fall ihre Entscheidung, ihr Ermessen dahingehend auszuüben, die begehrte Befreiung zu erteilen?

Die BAUKO hat in ihrer Sitzung am 16. Juli 2007 entschieden, dass die Befreiung für das Überschreiten der zulässigen Zahl der Wohnungen je Gebäude um zwei auf vier Wohneinheiten erteilt wird. Die Erteilung der Befreiung sei städtebaulich vertretbar, weil auf dem Nachbargrundstück Hermann-Balk-Straße 94 bereits ein Mehrfamilienhaus vorhanden ist. Dieses Vorhaben wurde dem örtlichen Bauprüfausschuss am 17. Oktober 2007 vorgestellt. Der Ausschuss ist dieser Einschätzung nicht gefolgt und hat das Bezirksamt um Überprüfung hinsichtlich Überschreitung der Anzahl der Wohnungen gebeten. Nach Ansicht des Ausschusses wäre hier auch ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohnungen möglich, weil auf dem Nachbargrundstück ein Mehrfamilienhaus vorhanden ist. Der Vorgang wurde daraufhin erneut der BAUKO vorgelegt, die am 22. Oktober 2007 die Befreiung für das Überschreiten der zulässigen Anzahl der Wohnungen je Gebäude um drei auf fünf erteilte.

c) Laut Schreiben des Bezirksamtes Wandsbek an das Verwaltungsgericht vom 5. Januar 2009 wurde die Befreiung auch deshalb erteilt, weil bei einer alternativen Planung auch ein sogenanntes Reihenhaus mit mindestens drei eigenständigen Gebäuden und daher sechs kleineren Wohnungen durchaus denkbar gewesen wäre. Im Bebauungsplan wurde für diesen Bereich jedoch festgesetzt, dass nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind.

- Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

- Sind Reihenhäuser auch in Gebieten, in denen nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind, zulässig?

- Welche Bedeutung hat dann noch die mögliche Festsetzung, dass nur Reihenhäuser zulässig sein sollen?

Das Planungsrecht kennt den Begriff des Reihenhauses nicht. Für Reihenhauszeilen erfolgt die planerische Festsetzung in der Regel durch Baugrenzen sowie durch die Anordnung der geschlossenen Bauweise.

Ein Einzelhaus kann aus mehreren aneinandergebauten Gebäuden bestehen, wenn diese auf einem Grundstück errichtet werden. Jedes Gebäude wiederum kann zwei Wohneinheiten enthalten.

8. Das Verwaltungsgericht Hamburg betrachtet im Falle der Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 die Zweiwohnungsklausel nicht als nachbarschützend (Beschlüsse vom 8. Oktober 2008, 9 E 2149/08 und vom 16. Januar 2009, 7 E 3423/08).

a) Ist es zutreffend, dass der Plangeber der Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 der Zweiwohnungsklausel keine nachbarschützende Wirkung zukommen lassen wollte?

b) Inwieweit halten der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde dies angesichts der aktuellen Entwicklung im Nachhinein für richtig?

Nach Ansicht der zuständigen Behörde: Ja.

c) In welchen Fällen kommt der Festsetzung einer höchstzulässigen Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden gemäß § 9 Absatz 1 Nummer 6 BauGB in Strukturerhaltungsplänen neueren Datums nachbarschützende Wirkung zu?

d) Inwieweit enthalten die Festsetzungen oder Begründungen dieser Bebauungspläne konkrete Anhaltspunkte, die eine Auslegung in diesem Sinne ermöglichen?

Auch in den neueren Strukturerhaltungsplänen (Volksdorf 40 bis 43 und WohldorfOhlstedt 17und 18) haben die Wohnungsklauseln keine nachbarschützende Wirkung.

Die Festsetzung einer Zweiwohnungsklausel erfolgt aus städtebaulichen Gründen, um bestimmte städtebauliche Strukturen zu erhalten oder zu erreichen.