Strafvollzugsrecht

1. Anlass und Ziel der Verabschiedung eines Gesetzes zur Überarbeitung des Hamburgischen Strafvollzugsrechts und zum Erlass eines Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes

Zum 1. Januar 2008 hat das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Hamburgisches Strafvollzugsgesetz ­ HmbStVollzG) vom 14. Dezember 2007 (HmbGVBl. S. 471) auf der Grundlage der Föderalismusreform das bis dahin bestehende Bundesrecht in Gestalt des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 ­ StVollzG ­ (BGBl. 1976 I S. 581, 2088, 1977 I S. 436) in der geltenden Fassung mit Ausnahme der in § 131 HmbStVollzG genannten Vorschriften nach Maßgabe des Artikels 125a Absatz 1 GG ersetzt.

Inhaltlich hat das Hamburgische Strafvollzugsgesetz die Entwicklung des Strafvollzuges der vergangenen 30 Jahre berücksichtigt. Zugleich wurde die gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006 (BVerfG, 2 BvR 1673/04 u. 2 BvR 2402/04 ­ NJW 2006, S. 2093 ­ 2098) verfassungsrechtlich gebotene umfassende gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Jugendstrafe geschaffen.

Mit dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Hamburgischen Strafvollzugsrechts und zum Erlass eines Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes sollen die Bestimmungen unter Berücksichtung der aktuellen Diskussionen zu der Strafvollzugsgesetzgebung in Hamburg und in den anderen Bundesländern weiterentwickelt werden.

Der Gesetzentwurf trägt dabei den Vereinbarungen aus dem Vertrag über die Zusammenarbeit in der 19. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft zwischen der Christlich Demokratischen Union, Landesverband Hamburg, und Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Hamburg, GAL, vom 17. April 2008 (Koalitionsvertrag) Rechnung.

Kernpunkt des Entwurfs ist die Trennung des bisherigen Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes in ein Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung (Hamburgisches Strafvollzugsgesetz ­ HmbStVollzG) und ein Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe (Hamburgisches Jugendstrafvollzugsgesetz ­ HmbJStVollzG). Dies erfolgt vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Jugendstrafvollzuges, die das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) abgebildet hat. Die Gesetzestrennung stellt die besonderen Anforderungen des Vollzuges von Jugendstrafen an Jugendlichen und ihnen gleichstehenden Heranwachsenden deutlich heraus. Mit Ausnahme Bayerns und Niedersachsens gelten auch in den anderen 13 Bundesländern seit dem 1. Januar 2008 eigenständige Jugendstrafvollzugsgesetze.

Daneben werden die Bestimmungen des bisherigen Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes teilweise inhaltlich überarbeitet. Insbesondere die Bestimmungen zum Jugendstrafvollzug orientieren sich am Jugendstrafvollzugsgesetz Schleswig-Holsteins, das wiederum auf ein durch eine Länder-Arbeitsgruppe ­ bestehend aus Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und ThürinBÜRGERSCHAFT Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Hamburgischen Strafvollzugsrechts und zum Erlass eines Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes gen ­ erarbeitetes Muster-Jugendstrafvollzugsgesetz zurückgeht.

2. Schwerpunkte des Gesetzentwurfes

Die für den Jugendstrafvollzug geltenden Bestimmungen sollen in ein eigenständiges und in sich geschlossenes Jugendstrafvollzugsgesetz aufgenommen werden (Artikel 2). Daneben bleibt es bei einem für den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung geltenden Strafvollzugsgesetz (Artikel 1). Beide Gesetze entsprechen in Aufbau und Duktus dem derzeit geltenden Hamburgischen Strafvollzugsgesetz und sind somit untereinander gut vergleichbar. Hierdurch sind sie für die Praxis einfach handhabbar.

Teilweise sollen zudem die einzelnen Bestimmungen der beiden Bereiche neu gestaltet werden.

a) Die inhaltliche Überarbeitung der für den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung geltenden Vorschriften hat dabei die folgenden Schwerpunkte:

­ Stärkung der Resozialisierungsbemühungen

Der Entwurf unterscheidet zwischen einem Ziel und einer Aufgabe des Vollzuges. § 2 HmbStVollzG-E legt als alleiniges Vollzugsziel fest, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu befähigen. Die gesamte Vollzugsgestaltung hat sich an diesem Ziel der Resozialisierung auszurichten.

Gleichermaßen hat der Vollzug die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Dies folgt aus der Pflicht des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem gleichrangigen Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht kein Gegensatz (BVerfG, a.a.O., S. 2095).

Durch die Resozialisierung der Gefangenen wird zugleich auch der Schutz der Allgemeinheit gewährleistet. Beides dient letztlich der Sicherheit der Gemeinschaft, und zwar über die Zeit der Freiheitsentziehung hinaus. Der Staat kommt seiner Schutzpflicht gerade auch dadurch nach, dass er die Resozialisierung fördert. Die Gemeinschaft hat ein unmittelbar eigenes Interesse daran, dass die Gefangenen nicht wieder rückfällig werden und nicht erneut ihre Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigen.

Um die Erreichung des Vollzugsziels bei allen Gefangenen möglich zu machen, wird die durch das derzeit geltende Hamburgische Strafvollzugsgesetz erfolgte Umorientierung zum so genannten Chancenvollzug wieder eingeschränkt. Zwar bleibt es bei einer Pflicht der Gefangenen zur Mitwirkung (§ 5 Absatz 1 HmbStVollzG-E) als Teil des Resozialisierungskonzepts. Bei vielen Gefangenen kann nicht als selbstverständlich angenommen werden, dass sie willens und in der Lage sind, an der Erreichung des Vollzugsziels auf freiwilliger Basis mitzuwirken. Die Anstalt stellt eine Vielzahl von Angeboten bereit. Sie nimmt dadurch, dass sie von den Gefangenen Mitwirkung verlangt, diese zugleich als eigenverantwortliche Persönlichkeiten ernst. Sie hat deren Bereitschaft zur Mitwirkung zu entwickeln und zu unterstützen. Gleichzeitig verzichtet der Entwurf aber auf die im derzeit geltenden § 5 Absatz 3 HmbStVollzG erfolgte Festlegung, dass ganz oder teilweise nicht mitwirkenden Gefangenen nur Maßnahmen angeboten werden, die ihrer Mitwirkung ganz oder teilweise nicht bedürfen. Auch bei Behandlungsunwilligen ­ unter denen sich mitunter die gefährlichsten Wiederholungstäter befinden ­ muss immer wieder versucht werden, diese mit sinnvollen Maßnahmen zu erreichen. Stattdessen sieht § 5 Absatz 2 HmbStVollzG-E als Neuerung vor, Anreize zur Mitwirkung auch durch Maßnahmen der Anerkennung, die die Beteiligung an entsprechenden Maßnahmen, wie auch besonderes Engagement und erreichte Fortschritte angemessen berücksichtigen, zu schaffen. Solche positiven Anreizsysteme können als Teil der Gesamtkonzeption sinnvoll eingesetzt werden, um Anstöße zu Verhaltensänderungen zu geben und Umdenkprozesse einzuleiten.

­ Gewaltprophylaxe

Der Entwurf sieht nochmals verstärkte Bemühungen um ein gewaltfreies Klima im Strafvollzug vor.

In § 3 HmbStVollzG-E werden die Schaffung und Bewahrung eines gewaltfreien Klimas zum Gestaltungsgrundsatz des Vollzuges erklärt.

In § 20 HmbStVollzG-E wird die Möglichkeit einer gemeinsamen Unterbringung der Gefangenen während der Ruhezeit weiter eingeschränkt. Danach können Gefangene im geschlossenen Vollzug auch dann nicht gemeinsam untergebracht werden, wenn sie dies wünschen. Insofern wird dem Umstand, dass sich zwischenmenschliche Verhältnisse insbesondere in der beengten Umgebung eines Haftraums schnell ändern können, Rechnung getragen.

­ Gleichrangigkeit von geschlossenem und offenem Vollzug

In § 11 HmbStVollzG-E soll bewusst darauf verzichtet werden, zwischen dem geschlossenen und dem offenen Vollzug abstrakt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis festzulegen. Allein die Eignung der Gefangenen entscheidet. Sind Gefangene für den offenen Vollzug geeignet, „sollen" sie dort untergebracht werden. Diese Regelung berücksichtigt die besonderen Möglichkeiten des offenen Vollzuges für die Erreichung des Vollzugsziels.

­ Reform der Lockerungsregelungen

Der Entwurf sieht im Bereich der Lockerungsregelungen insbesondere folgende Umstellungen vor:

· Auf eine Aufzählung von Fallgruppen zur Konkretisierung der Eignung bzw. Nichteignung für Lockerungen wird in § 12 HmbStVollzG-E verzichtet.

Diese werden auf der Grundlage der Regelung des derzeit geltenden § 12 Absatz 2 HmbStVollzG in einer allgemeinen Verfügung von der Aufsichtsbehörde festgesetzt werden.

· Die in den derzeit geltenden §§ 40, 41 HmbStVollzG vorgesehene Verknüpfung zwischen einer Freistellung von der Haft und der Erfüllung der Arbeitspflicht wird aufgehoben. Dafür wird in § 12 Absatz 2 HmbStVollzG-E allgemein festgelegt, dass Lockerungen versagt werden können, wenn die Gefangenen ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen.

· Geeigneten Gefangenen „soll" die Ausübung eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt gestattet werden (§ 36 HmbStVollzG-E).

· Der früher in § 15 Absatz 4 StVollzG geregelte „Freigängerurlaub" wird in § 15 Absatz 3 HmbStVollzG-E als besondere Entlassungshaftfreistellung für Freigänger wieder eingeführt.

· Für den Fall, dass bei Gefangenen wegen einer schweren Krankheit in Kürze mit dem Tod gerech net werden muss, soll zur Absicherung der Wirksamkeit vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen die Möglichkeit einer Freistellung von der Haft unter besonderen Bedingungen festgeschrieben werden (§ 64 HmbStVollzG-E).

­ Reform der Regelungen zur Videoüberwachung Angesichts der Eingriffsschwere sollen Art und Umfang der Videoüberwachung beschränkt werden.

Hafträume sollen zur Wahrung der Intimsphäre der Gefangenen grundsätzlich nicht videoüberwacht werden können (§ 119 Absatz 3 HmbStVollzG-E). Eine Ausnahme sieht der Entwurf nur für die Beobachtung von Gefangenen als besondere Sicherungsmaßnahme vor (§ 74 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 HmbStVollzG-E).

Bei der Videoüberwachung von Besuchen und Hafträumen soll auf Aufzeichnungen verzichtet werden (§ 27 Absatz 1 und § 74 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 HmbStVollzG-E).

b) Diese Änderungen sollen auch in die Bestimmungen zum Vollzug der Jugendstrafe aufgenommen werden. Der Entwurf eines Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes beinhaltet darüber hinaus folgende SchwerpunktÄnderungen:

­ Dualismus von Erziehung und Förderung

Der Entwurf sieht in § 4 HmbJStVollzG-E einen Dualismus von Erziehung und Förderung vor. Der im derzeit geltenden Hamburgischen Strafvollzugsgesetz nicht enthaltene Förderbegriff legt den Schwerpunkt auf die Unterstützung von klar definierten Lernprozessen. Er unterstreicht die Notwendigkeit, individuell zugeschnittene Reintegrationskonzepte zu entwickeln. Er präzisiert erzieherisches Handeln in seinen zielgruppenspezifischen Abläufen und berücksichtigt dadurch auch die altersspezifischen Bedarfe einer mehrheitlich volljährigen Klientel.

­ Öffnung des Vollzuges

Im Rahmen eines Jugendstrafvollzuges, der an dem Ziel der sozialen Integration ausgerichtet ist, kommen dem offenen Vollzug und den Lockerungen des Vollzuges besondere Bedeutung zu. Der spezifischen Empfindlichkeit von jungen Gefangenen für mögliche schädliche Auswirkungen des Strafvollzugs ist Rechnung zu tragen.

Der Entwurf sieht daher für die Prüfung der Unterbringung im offenen Vollzug bzw. für die Prüfung der Gewährung von Vollzugslockerungen einen Eignungsbegriff vor, der ein etwas weiteres Ermessen einräumt als im Vollzug der Freiheitsstrafe (§ 11 Absatz 2 Satz 2 und § 12 Absatz 1 Satz 2 HmbJStVollzG-E).

Weiter beinhaltet § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 HmbJStVollzG-E die Möglichkeit einer Unterbringung in besonderen Erziehungseinrichtungen oder in Übergangseinrichtungen freier Träger.

­ Erweiterter Verkehr mit der Außenwelt

Der Entwurf enthält angesichts ihrer Bedeutung für den Vollzug der Jugendstrafe erweiterte Möglichkeiten einer Kommunikation der Gefangenen mit der Außenwelt.

Nach § 26 Absatz 2 HmbJStVollzG-E werden Besuche von Kindern der Gefangenen nicht auf die RegelBesuchszeiten nach § 26 Absatz 1 HmbJStVollzG-E angerechnet. Hierdurch sollen die emotionale Bindung der Gefangenen zu ihren ­ in der Regel noch sehr jungen ­ Kindern besonders gefördert und das Verantwortungsgefühl der Gefangenen gestärkt werden.

§ 33 Absatz 1 HmbJStVollzG-E ermöglicht wegen deren emotionaler Bedeutung für die Gefangenen im Jugendstrafvollzug wieder die Gestattung von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln durch die Anstalt.

­ Recht auf Bildung und Arbeit § 34 Absatz 1 HmbJStVollzG-E eröffnet den Gefangenen ein Recht auf schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung und auf Arbeit. Hierdurch macht der Entwurf deutlich, dass die Erziehung der Gefangenen im Bereich der Aus- und Weiterbildung und der Arbeit für die Erfüllung des Vollzugsziels und die Wiedereingliederung insgesamt überragende Bedeutung hat.

­ Subsidiarität von Disziplinarmaßnahmen

Der Entwurf gestaltet die Reaktionsmöglichkeiten der Bediensteten auf Pflichtverstöße der Gefangenen neu.

§ 86 Absatz 1 HmbJStVollzG-E betont die Subsidiarität des Disziplinarrechts. Damit ist klargestellt, dass nach Möglichkeit eine positiv motivierende Einwirkung auf die Gefangenen im Vordergrund steht, dass aber die für einen geordneten Betrieb notwendigen Verhaltensregeln auch der Flankierung durch Sanktionen bedürfen, welche die Anstalt selbst verhängen kann. Disziplinarmaßnahmen sind dabei ultima ratio vollzuglicher Sanktionen.

­ Eignung des Personals

Nach § 101 Absatz 2 HmbJStVollzG-E muss das Personal für den Jugendstrafvollzug geeignet und qualifiziert sein. Fortbildungsmaßnahmen sichern einen angemessen Qualitätsstandard und gewährleisten einen professionellen Umgang mit den Gefangenen.

3. Verbandsbeteiligung

Die Arbeit des Strafvollzuges ist auf vielfältige Weise mit außerhalb der Verwaltung stehenden Verbänden und Einrichtungen verbunden, zu einem großen Teil wird sie von ihnen konstruktiv unterstützt. Der Gesetzentwurf wurde daher den folgenden Verbänden und Institutionen mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt:

­ Spitzenorganisationen der Gewerkschaften (DGB und DBB),

­ Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Hamburg,

­ Landesverband Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter,

­ Berufsverbände der Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte,

­ Kirchen,

­ Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe e. V. Regionalgruppe Nord (DVJJ),

­ Freie Wohlfahrtsverbände (ASB, AWO, Caritas, DRK, Diakonisches Werk),

­ Weißer Ring e. V.,

­ Forum Hamburger Straffälligenhilfe e.V.,

­ Agentur für Arbeit.

Der Gesetzentwurf ist von den oben genannten Verbänden und Institutionen unterschiedlich ­ in Abhängigkeit von den eigenen Interessensphären und Standpunkten ­ kommentiert worden. Als Folge wurden an verschiedenen Stellen des Gesetzentwurfes Änderungen vorgenommen.