Erweiterung der sozialtherapeutischen Abteilung im Jugendstrafvollzug

Die Bürgerschaft hat mit Beschluss der Drs. 19/2595 vom 23. März 2009 folgendes Ersuchen an den Senat gerichtet: „Der Senat wird ersucht,

1. eine Erweiterung der Sozialtherapeutischen Anstalt im Jugendvollzug um 20 Plätze zu prüfen und dabei ein Konzept für die Sozialtherapie im offenen Vollzug zu entwickeln. Dabei ist insbesondere zu prüfen,

- ob und inwieweit es einen belastbaren Bedarf in einer sozialtherapeutischen Abteilung im offenen Vollzug für Insassen gibt, denen die Eignung für den offenen Vollzug in seiner jetzigen Form nicht zuerkannt werden kann, die aber bei entsprechenden Angeboten dafür infrage kämen,

- ob und inwieweit ein Konzept für drogengefährdete Insassen entwickelt werden kann, mit dem Ziel, einer Verfestigung der Sucht entgegenzuwirken und in Anschlussmaßnahmen überzuleiten,

- ob das frei stehende Haus I als sozialtherapeutische Abteilung genutzt werden kann, da eine räumliche Trennung vom übrigen Vollzug insbesondere bei den drogengefährdeten Insassen grundsätzlich geboten ist,

- ob Umbauten zur Einrichtung zusätzlicher Funktions- und Diensträume erforderlich sind und wenn ja, welche,

- ob ein erhöhter Personalbedarf besteht oder ob die Sozialtherapie in vorhandene Strukturen eingebunden werden kann. Im Einzelnen ist der Einsatz des Allgemeinen Vollzugsdienstes, der Vollzugsabteilungsleitung und des Psychologischen Dienstes zu prüfen.

2. der Bürgerschaft zu berichten."

Mit Schreiben vom 27. Juli 2009 hat mir die Staatsrätin der Justizbehörde, Frau Carola von Paczensky, Folgendes mitgeteilt: „Die Justizbehörde hat das Ersuchen geprüft und berichtet hierzu unter Bezugnahme auf die übersandten Unterpunkte wie folgt:

- Gibt es einen belastbaren Bedarf in einer sozialtherapeutischen Abteilung im offenen Vollzug für Insassen, denen die Eignung für den offenen Vollzug in seiner jetzigen Form nicht zuerkannt werden kann, die aber bei entsprechenden Angeboten dafür infrage kämen?

Zuständig für den Vollzug von Jugendstrafe ist in Hamburg die Justizvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand. Sie verfügt dafür über 128 Haftplätze, von denen 107 Plätze auf den geschlossenen und 21 Plätze auf den offenen Vollzug entfallen. Der geschlossene Jugendstrafvollzug war am 8. Juli 2009 mit 80 Gefangenen belegt. Von den 21 Plätzen im offenen Vollzug waren acht belegt.

Für eine stärkere Auslastung des offenen Vollzuges, der für eine weitergehende Erprobung der Insassen und ihre Vorbereitung auf die Entlassung in der Regel bessere Voraussetzungen bietet als der geschlossene Vollzug, liegen derzeit nicht die notwendigen Voraussetzungen vor. Die Mehrzahl der für den offenen Vollzug grundsätzlich in Betracht kommenden Jugendlichen und Heranwachsenden benötigt auch dort eine intensive Betreuung und Unterstützung, während der offene Vollzug, wie er gegenwärtig durchgeführt wird, ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit ohne entsprechende Angebote voraussetzt.

Die Sozialtherapeutische Abteilung des geschlossenen Vollzuges verfügt in zwei Wohngruppen zu jeweils 9 Haftplätzen über 18 Plätze. Zwei Hafträume können aufgrund von Sanierungsarbeiten derzeit nicht belegt werden. Von den 16 verfügbaren Plätzen sind 15 Plätze belegt. Der freie Haftraum ist für einen Gefangenen vorgesehen, der demnächst in die Abteilung verlegt werden wird.

Die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Sozialtherapie sind insbesondere für Verurteilte mit Sexual- und anderen Gewalttaten vorgesehen. Nach § 10 Abs. 1 Hamburgisches Strafvollzugsgesetz (HmbStVollzG) ist bei entsprechender Indikationsstellung die sozialtherapeutische Behandlung von Gefangenen, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden sind, obligatorisch.

Zwölf Gefangene stehen aktuell auf der Warteliste für eine Verlegung in die Sozialtherapeutische Abteilung. Durch eine Erweiterung der Sozialtherapie auf den offenen Vollzug könnten mehr Insassen mit sozialtherapeutischen Angeboten erreicht, Wartezeiten abgebaut und die Erprobungsmöglichkeiten des offenen Vollzuges besser genutzt werden.

Insassen mit einer langen Haftstrafe könnten eine im geschlossenen Vollzug begonnene sozialtherapeutische Behandlung im offenen Vollzug fortsetzen. Sie würden über den offenen Vollzug entlassen werden und im geschlossenen Vollzug Plätze für nachrückende Gefangene frei machen. Derzeit verbleiben diese Gefangenen im geschlossenen Vollzug, weil sie ohne entsprechende Betreuung nicht über die Eignung für den offenen Vollzug verfügen.

In der Regel sind im Jugendvollzug eher kürze Freiheitsstrafen zu verbüßen ­ die mittlere Vollzugsdauer liegt bei ca. zwölf Monaten ­, was dazu führt, dass die zur Verfügung stehende Zeit für die Behandlung im geschlossenen Vollzug genutzt wird und die Verlegung in einen offenen Vollzug ohne Behandlungsangebote trotz vorhandener Eignung unterbleibt. Diese Gefangenen könnten ohne längeren therapeutischen Vorlauf im geschlossenen Vollzug in eine sozialtherapeutische Wohngruppe des offenen Vollzuges verlegt werden, um dort an ihren Problemlagen zu arbeiten und intensiv auf ihre Entlassung vorbereitet zu werden. Sie würden Plätze im geschlossenen Vollzug für Gefangene frei machen, deren Aufnahme in die Sozialtherapie derzeit häufig zurückgestellt wird, um Gefangene mit kürzeren Strafen nicht für eine sozialtherapeutische Behandlung „zu verlieren".

So sind im Jahr 2008 sieben und im ersten Halbjahr 2009 bereits sechs Gefangene aus der Sozialtherapie des geschlossenen Vollzuges entlassen worden, die aufgrund ihres Vollzugsverhaltens für den offenen Vollzug geeignet gewesen wären, bei denen aber die Bearbeitung noch vorhandener Defizite im Vordergrund stand.

Zu den Eckpfeilern einer sozialtherapeutischen Wohngruppe im offenen Vollzug sollten verlässlich erreichbare, mit dem Gefangenen vertraute Ansprechpartner, „Transfergruppen" zur Erprobung neuer Fertigkeiten und „Nachbereitungsgruppen" zur Verarbeitung von Belastungssituationen im Alltag gehören.

Nach Einschätzung der JVA Hahnöfersand befinden sich unter den derzeit 80 Strafgefangenen des geschlossenen Vollzuges ca. 25 Insassen, die einer sozialtherapeutischen Behandlung bedürfen und über einen sozialtherapeutisch gestalteten offenen Vollzug entlassen werden könnten. Dazu kämen Gefangene ohne besonderen Behandlungsbedarf, bei denen die Erprobung im offenen Vollzug unter sozialtherapeutischen Bedingungen eher verantwortet werden könnte.

Als Erweiterung der im geschlossenen Vollzug bestehenden Sozialtherapeutischen Abteilung wird ein Bedarf für eine sozialtherapeutische Wohngruppe im offenen Vollzug mit acht Plätzen gesehen. Darüber hinaus wird durch die Erweiterung der Sozialtherapie auf den offenen Vollzug mit einem Anstieg der insgesamt im offenen Vollzug untergebrachten Insassen gerechnet.

- Kann ein Konzept für drogengefährdete Insassen entwickelt werden mit dem Ziel, einer Verfestigung der Sucht entgegenzuwirken und in Anschlussmaßnahmen überzuleiten?

Der Jugendvollzug verfügt noch nicht über ein schriftlich fixiertes Konzept, wie suchtgefährdete und suchtmittelabhängige Gefangene in der Haft auf therapeutische Anschlussmaßnahmen vorbereitet werden sollen. Gleichzeitig haben nach einer belastbaren Einschätzung der JVA Hahnöfersand und der dort tätigen externen Suchtberatung 85 % bis 90 % der jugendlichen Strafgefangenen vor der Inhaftierung Suchtmittel konsumiert. Die Entwicklung eines Konzepts für drogengefährdete Insassen unter Einschluss von Alkoholmissbrauch im Jugendvollzug ist daher hoch aktuell.

Nach einer weitergehenden Schätzung des Jugendvollzuges kommen regelmäßig 25 % bis 30 % der Strafgefangenen mit einem riskanten Suchtmittelkonsum für eine ambulante oder stationäre Suchttherapie nach der Haft in Betracht. Die meisten von ihnen, derzeit ca. 15 bis 20 Gefangene, erscheinen für ein spezielles sozialtherapeutisches Angebot für drogen- bzw. suchtgefährdete Gefangene geeignet. Im Weiteren kämen Gefangene mit einem aktuellen Drogenkonsum in der Haft für dieses sozialtherapeutische Angebot infrage sowie Insassen mit einem besonderen Behandlungsbedarf, die aufgrund ihrer Suchtmittelabhängigkeit von der Aufnahme in die bestehende Sozialtherapeutische Abteilung ausgeschlossen sind.

Das spezielle sozialtherapeutische Angebot für suchtgefährdete Gefangene hätte zum Ziel, die Gruppenfähigkeit der Insassen zu fördern, prosoziales Verhalten zu erproben, Drogenabstinenz einzuüben sowie eine weitergehende Therapiemotivation zu schaffen und zu stärken.

Zu den besonderen Behandlungsmaßnahmen sollten eine intensive Einzelbetreuung, Gruppenangebote zur Gesundheitsfürsorge und Suchtprävention, ein Selbstsicherheits- und Anti-Aggressivitäts-Training, eine Motivationsgruppe und Akupunktur gehören. Ein Gruppenprogramm für Insassen mit einem riskanten Cannabiskonsum könnte in das Behandlungskonzept integriert werden. Die Erprobung dieses Programms wird zurzeit vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) des Universitätsklinikums-Eppendorf und der JVA Hahnöfersand vorbereitet.

Das DZSKJ stünde auch für die weitere Konzeptentwicklung beratend zur Verfügung.

Die Beteiligung weiterer externer Einrichtungen und der externen Suchtberatung sollte geprüft werden.

Eine Wohngruppe für suchtgefährdete Gefangene mit bis zu 15 Plätzen könnte auf der Station IV/1 des Hauses IV im geschlossenen Bereich eingerichtet werden. Eine weitergehende räumliche Trennung vom übrigen Vollzug wäre nicht erforderlich, da die Gefangenen auch im Schulbereich der Anstalt sowie in den Qualifizierungs- und Arbeitsbetrieben auf andere Gefangene träfen. Darüber hinaus würde die Bearbeitung drogenbezogener Verführungssituationen und vorübergehender Rückschritte zum Behandlungskonzept der Wohngruppe gehören.

- Kann das Haus I als sozialtherapeutische Abteilung genutzt werden?

Die Nutzung des frei stehenden Hauses I als sozialtherapeutische Einrichtung wird nicht in Betracht gezogen. In dem Haus ist die Aufnahmeabteilung der Jugenduntersuchungshaft untergebracht, für die es derzeit keine Alternative gibt. Zudem wären umfangreiche Umbauten erforderlich, um das Haus für die Sozialtherapie umzugestalten. Weitere Kosten würden durch eine mittelfristig erforderliche und dann ggfs. vorzuziehende Sanierung des Hauses entstehen. Vorläufige Schätzungen gehen dafür von Kosten in Höhe von ca. 1,8 Millionen Euro aus.

- Sind für eine Erweiterung der Sozialtherapeutischen Abteilung Umbauten erforderlich?

Das außerhalb des umwehrten Bereiches liegende Haus VII verfügt derzeit über 21 Haftplätze des offenen Vollzuges. Durch Umbauten könnten eine sozialtherapeutische Wohngruppe mit acht Plätzen sowie eine Wohngruppe mit 14 Haftplätze für den sonstigen offenen Vollzug einschließlich eines Bereichs für Freigänger mit vier Haftplätzen geschaffen werden. Auf diese Weise käme man zudem den Anforderungen des neuen Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes nach, das eine verbindliche Höchstgrenze von höchstens 15 Gefangenen pro Wohngruppe zwingend vorschreibt.

Bei den zurzeit bestehenden baulichen Bedingungen könnten sechs der 21 Haftplätze im offenen Vollzug aus diesem Grund nicht belegt werden.

Dafür wären der Einbau einer Trennwand mit Zwischentür und eines zweiten Gebäudezugangs mit Videoüberwachung erforderlich. Die Brandmelde- und Zellenrufanlage des Hauses müssten erneuert werden. Im Weiteren wären eine zweite Pantry und ein zweiter Duschraum sowie der Umbau eines Haftraums und der Aufsicht erforderlich.

Einschließlich der Malerarbeiten und einer Erneuerung des Fußbodens würden dadurch Kosten in Höhe von voraussichtlich 112.000,- Euro entstehen.

Zu entscheiden wäre, ob bei dieser Gelegenheit die Erneuerung der veralteten, störanfälligen Zellenruf- und Heizungsanlage des Hauses VII vorgezogen werden sollten.

Dafür würden Kosten in Höhe von 230.000,- Euro anfallen.

Für die Einrichtung einer sozialtherapeutischen Wohngruppe für suchtgefährdete Insassen im geschlossenen Bereich auf der Station IV/1 des Hauses IV wären keine Umbauten erforderlich.

- Besteht bei einer Erweiterung der Sozialtherapeutischen Abteilung ein erhöhter Personalbedarf?

Sozialtherapeutische Einrichtungen unterliegen aufgrund ihrer besonderen therapeutischen und sozialen Angebote einem höheren Personalbedarf als andere Vollzugsbereiche vergleichbarer Größe. Grundsätzlich sollten auf den beiden zusätzlichen sozialtherapeutischen Wohngruppen mit acht bzw. 15 Plätzen jeweils eine Wohngruppenleiterin bzw. ein Wohngruppenleiter, eine Psychologin bzw. ein Psychologe sowie jeweils ein Beamter des Allgemeinen Vollzugsdienstes im Schicht- und Tagesdienst eingesetzt sein.

Inwieweit sich aus der Einbindung der Wohngruppen in vorhandene Strukturen Synergieeffekte ergeben, bedarf einer eingehenderen Prüfung. Dabei ist zu erwarten, dass bei der sozialtherapeutischen Wohngruppe für suchtgefährdete Gefangene im Haus IV im stärkeren Maße auf vorhandene Strukturen aufgebaut werden könnte als bei der Erweiterung der Sozialtherapie im offenen Vollzug. Eine Wohngruppenleitung und ein Beamter des Allgemeinen Vollzugsdienstes im Schichtdienst sind auf der Station IV/1 vorhanden. Ein erhöhter Bedarf bestünde im Allgemeinen Vollzugsdienst durch einen Beamten im Tagesdienst und im Psychologischen Dienst.

Im offenen Vollzug käme es einem sozialtherapeutischen Angebot erst zu, Strukturen zu schaffen, von denen der offene Vollzug insgesamt profitieren würde. Nennenswerte Synergieeffekte sind hier lediglich aus der Zusammenarbeit mit der Sozialtherapeutischen Abteilung des geschlossenen Vollzuges zu erwarten. Ein erhöhter Personalbedarf bestünde in den Bereichen Wohngruppenleitung, psychologische Betreuung und Allgemeiner Vollzugsdienst.

Bei einer aufgabengerechten Personalausstattung eines sozialtherapeutischen Angebotes im offenen Vollzug wäre insbesondere die ständige Präsenz von Ansprechpersonen aus dem Allgemeinen Vollzugsdienst auch an den Wochenenden zu berücksichtigen. Im Weiteren wäre bei der Personalausstattung zu berücksichtigen, dass eine fachgerechte, übergreifende Entlassungsvorbereitung der Jugendlichen und deren Integration in das Hilfesystem nach der Haft neue Aufgaben und Anforderungen für die Wohngruppenleitung mit sich bringen. Eine genaue Personalbedarfsberechnung bedarf einer eingehenderen Prüfung." Wolfhard Ploog Vizepräsident