Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

1. Entwicklungspsychologische und rechtliche Ausgangslagen. Kinder müssen in einem langjährigen Lernprozess die Fähigkeiten erwerben, Bedürfnisse und Rechte anderer wahrzunehmen und anzuerkennen. Sie müssen lernen, sozialverträgliche Konfliktlösungen zu finden. Zur Persönlichkeitsentwicklung gehören deshalb das „Austesten" der durch Normen repräsentierten Grenzen ebenso wie ihre Verdeutlichung durch die angemessene Reaktion Erwachsener. Deshalb sind Normenverletzungen in Kindheit und Jugend zumeist vorübergehende Erscheinungen. Kindern gelingt das Hineinwachsen in die Gesellschaft und ihre Normen jedoch nur in dem Maße, in dem sie selbst durch Erwachsene erfahren, dass sie anerkannt werden und ihre Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden. Das durch eine solche Anerkennung geförderte Interesse des Kindes an den Regeln des Zusammenlebens mit anderen, sein wachsendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Eröffnung von Zukunftschancen bilden die Basis für das Gelingen des individuellen sozialen Lernprozesses des Kindes. Das Risiko, dass dieser Lernprozess scheitert, ist erhöht, wenn

­ das Kind Missbrauch und Gewalt Erwachsener ausgesetzt ist, insbesondere durch Erziehungsfehlhaltungen der Eltern oder innerfamiliäre Gewalt;

­ das Kind in der Familie nicht akzeptiert, geborgen und geschützt ist;

­ gravierende soziale Benachteiligungen seiner Familie und geringe berufliche Zukunftschancen die Kompensation von Konflikten erschweren;

­ die Familie und das Kind sozial isoliert und stigmatisiert sind und Unterstützung insbesondere durch Nachbarschaft, Kindergarten, Spielgruppen, Schule, Jugendgruppen, Kirche, Vereine, Parteien und Medien ausbleiben.

Nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Diesem Elternrecht trägt auch das Kinder- und Jugendhilferecht Rechnung, indem es die Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz und die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt der Leistungen stellt (vgl. §§ 1, 27 SGB VIII). Wenn und soweit die Eltern das körperliche, geistige und seelische Wohl ihres Kindes durch ihr erzieherisches Handeln angemessen fördern, kann die Jugendhilfe nur dann tätig werden, wenn die Eltern sie um Mithilfe bzw. Unterstützung bitten.

Das primäre Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder ist allerdings nicht unbegrenzt, denn über diese Erziehungstätigkeit wacht nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 GG „die staatliche Gemeinschaft". Das BGB regelt, bis zu welcher Grenze die Eltern allein für ihre Kinder zuständig sind und wo die Eingriffsgrenze für den Staat als Wächter beginnt.

Die Ausführungsvorschriften für die Ausübung dieses Wächteramts ergeben sich aus den §§ 1666, 1666 a BGB.

Die letztliche Verantwortlichkeit für die Wahrnehmung dieses Wächteramtes ist nach dem BGB dem Familiengericht zugewiesen. Wenn die Eltern zur Abwehr einer Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, muss das Familiengericht die zur Abwehr der Gefahr für das Kindeswohl erforderlichen Maßnahmen treffen.

2. Einrichtung des Modellprojektes „Pilot" Aufgabe des Modellprojekts ist es, neue Wege zu erproben, um soziale Normenverdeutlichungsprozesse in der Erziehung zu unterstützen und die Voraussetzungen für die Akzeptanz der Regeln des Zusammenlebens durch Kinder zu verbessern, gegebenenfalls auch durch die Überwindung sozialer Isolation gefährdeter Kinder. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Modellprojekts sollen ausschließlich im Zusammenhang mit Normenkonflikten strafunmündiger Kinder tätig werden. Daraus ergeben sich folgende Schwerpunkte:

­ „PILOT" soll regionaler Ansprechpartner für Eltern sein, die Unterstützung und Rat bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben im Zusammenhang mit Normenverletzungen und -konflikten benötigen.

­ „PILOT" soll regionaler Ansprechpartner für Kinder sein, deren normenverletzendes Verhalten Signal für eine Notlage sein kann.

­ „PILOT" bietet von sich aus in Fällen bekannt gewordener Normenverletzungen durch Kinder den Eltern dieser Kinder rasch Rat an und vermittelt erforderlichenfalls weitere Hilfen.

­ „PILOT" soll auch Ansprechpartner für Opfer sein und in geeigneten Fällen Eltern, deren Kinder die Rechte Dritter verletzt haben, ermutigen und unterstützen, eine Konfliktschlichtung analog dem Täter-Opfer-Ausgleich durchzuführen.

­ „PILOT" arbeitet in der Region eng mit anderen Beratungsdiensten, mit Schulen und sozialen Einrichtungen öffentlicher und privater Organisationen zusammen, klärt den Bedarf der Beratung, koordiniert Hilfen und wird deeskalierend tätig.

­ „PILOT" nimmt auch Meldungen der Polizei über Normenverletzungen von Kindern entgegen und wird bei Bedarf tätig.

­ Falls es zur Wahrnehmung des staatlichen Wächteramts erforderlich ist, wird „PILOT" die Kooperation mit dem Familiengericht suchen.

Die weitere Konkretisierung der Konzeption soll bis Ende 1999 einvernehmlich mit dem Bezirk erfolgen, in dem das Modellprojekt gestartet wird.

Das Projekt soll zunächst für zwei Jahre in einer ausgewählten Region unter der Regie der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung durchgeführt werden. Die räumliche Unterbringung soll im Einvernehmen mit einem Bezirk möglichst in einem bereits vorhandenen Kinder- und Familienhilfezentrum (KIFAZ) erfolgen. Das Projekt wird der Abteilung „Notdienste, Adoptionen und Kostenerstattung" des Amtes für Jugend zugeordnet. Es soll mit zwei Stellen Sozialpädagogen und einer Stelle Psychologe ausgestattet werden.

Nach Ablauf der Pilotphase sollen die im Rahmen dieses Projekts gewonnenen Erfahrungen ausgewertet und über die Fortführung und gegebenenfalls Ausweitung entschieden werden.

E. Kostenfolgen und Finanzierung.

Die Ausgaben für die Jugendstraffälligenhilfe sind im Haushalt 1999 im Kapitel 3350 „Andere Aufgaben der Jugendhilfe" ausgewiesen. Sie sind dort als gesetzliche Leistungen („Zuschüsse für betreutes Einzelwohnen", Titel 3350.684.01) oder als dem Budget zugehörig („Sonstige Kosten der Jugend bewährungshilfe", Titel 3350.534.02 und „Zuschüsse für den Täter-Opfer-Ausgleich", Titel 3350.684.02) klassifiziert. Eine solche nur scheinbar trennscharfe Abgrenzung, die sich an einzelnen Maßnahmen orientiert, entspricht nicht mehr den fachlichen Gegebenheiten. Um eine größere Flexibilität im Mitteleinsatz zu erhalten und damit auf kurzfristige Bedarfsentwicklungen besser reagieren zu können, werden diese drei Titel im Haushaltsplan-Entwurf 2000 im Titel 3350.684.03 „Zuschüsse im Bereich der Jugendstraffälligenhilfe" zusammengefasst werden.

1. Evaluation des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Kurse zur Gewaltvermeidung

Für die Durchführung einer Begleitstudie zum TäterOpfer-Ausgleich sowie einer Wirkungsanalyse von Gewaltvermeidungskursen sollen in den Jahren 1999 und 2000 aus dem Ansatz des Titels 3300.526.69 „Gutachten, Untersuchungen und Praxisberatungen gemäss §§ 79 und 80 KJHG sowie Prozesskosten und Kosten für anwaltliche Beratung und Vertretung" insgesamt 60 000 DM aufgewendet werden.

2. Erstellen eines Videofilms für die Fortbildung und Qualifizierung von Mediatoren

Für die Erstellung eines Videofilms zum Täter-Opfer-Ausgleich durch das Jugendinformationszentrum (JIZ) sind im Haushaltsjahr 1999 ca. 25 000 DM im Betriebskonto Z 66 des Jugendinformationszentrums vorgesehen.

3. Qualifizierung des Opferbeistands

Im Haushalt 1999 werden beim Titel 3350.684. „Zuschüsse für den Täter-Opfer-Ausgleich an Träger der freien Jugendhilfe" Mittel im Umfang von 145 000 DM bereitgestellt. Darüber hinaus werden für den Ausbau von Opferberatung und -unterstützung außerhalb des Täter-Opfer-Ausgleichs durch Träger der freien Jugendhilfe im Jahr 2000 im überregionalen Landesjugendplan Mittel im Umfang von 40 000 DM bereitgestellt werden.

4. Personalmehrbedarf bei der Jugendgerichtshilfe

Der Personalmehrbedarf von sieben Stellen soll innerhalb der nächsten zwei Jahre schrittweise durch Umschichtung gedeckt werden

5. Kurse zur Gewaltvermeidung

Für die Absicherung der 1999 begonnenen Ausweitung von Kursen zur Gewaltvermeidung auf der Grundlage richterlicher Weisungen werden im Haushaltsplan-Entwurf 2000

100 000 DM veranschlagt.

Für zusätzliche Angebote zur Stärkung der Konfliktlösekompetenz im Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit werden im Haushaltsjahr 2000 10 000 DM veranschlagt.

6. Modellprojekt „Pilot"

Der Personalbedarf (zwei Stellen BAT Vb/IVb und eine Stelle BAT II a) soll durch Umschichtungen durch die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung erbracht werden und verursacht keine Mehrkosten für den Haushalt 2000.

Der Sachmittelaufwand für das Haushaltsjahr 2000 wird mit insgesamt 51 000 DM veranschlagt und wird im Haushaltsplan-Entwurf 2000 berücksichtigt werden. Hierin sind einmalige Kosten für die Grundausstattung der Arbeitsplätze und die Einrichtung der Räumlichkeiten in Höhe von 25 000 DM sowie die laufenden Kosten für Miete, Neben- und Betriebskosten, Fahrgelderstattungen, Öffentlichkeitsarbeit und pädagogische Sachaufwendungen enthalten. Die Finanzierung der einmaligen Kosten erfolgt durch Umschichtung aus dem Titel 3300.539.69 (Vermischte Verwaltungsaufgaben), die der laufenden Kosten durch Umschichtung aus dem Titel 3350.671.86 (Inobhutnahme der Bezirke) auf den neu eingerichteten Titel 3350.534.01 „Modellprojekt PILOT". Dies ist möglich, da erwartet wird, dass durch die Arbeit des Modellprojektes die Zahl der Inobhutnahmen reduziert werden kann.

Arbeitsschritte und Zeitaufwand werden im folgenden Text idealtypisch am Beispiel eines alltäglichen Falles der Jugendgerichtshilfe im Bezirk Hamburg-Nord aus dem Jahr 1996 dargestellt. Der Fall verlief unproblematisch und erforderte keine psychologische Beratung.

Es waren zwei Vermittler der Jugendgerichtshilfe beteiligt, von denen einer die Täterseite und einer die Opferseite vertreten hat. Der gesetzliche Auftrag der Jugendgerichtshilfe richtet sich auf die Täter. Über personelle Ressourcen für die Betreuung von Opfern verfügt die Jugendgerichtshilfe nicht. Seit Januar 1998 fördert das Amt für Jugend drei freie Träger mit je einer halben Stelle. Heute unterstützen die dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Träger die Opfer während eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Interessen der Opfer finden dadurch angemessene Beachtung.

Delikt: gefährliche Körperverletzung Beteiligte: ein Täter, ein Geschädigter, Eltern des Täters und des Geschädigten, zwei Rechtsanwälte, eine Staatsanwältin, zwei Vermittler der Jugendgerichtshilfe.

Ablauf eines Täter-Opfer-Ausgleichs Tag Arbeitsschritt Arbeitszeit

1. Tag. In einer der regelmäßigen Fallbesprechungen wird dieser Fall als geeignet für einen Täter-OpferAusgleich bewertet und zur weiteren Bearbeitung an die Vermittler abgegeben.

Einer der beiden Vermittler nimmt Kontakt zur Staatsanwältin auf und holt die Zustimmung zur Einleitung eines Täter-Opfer-Ausgleichs ein. 45 Min.

2. Tag Anlegen einer Fallakte und Karteikarte, Rückmeldung an die Staatsanwältin, dass der Fall übernommen wurde, Anschreiben an den minderjährigen Täter und seine Eltern mit Einladung zum Erstgespräch. 45 Min.

7. Tag Vorbereitung des Erstgesprächs durch die Vermittler, Durchführung des Erstgesprächs mit dem Täter und seinen Eltern, Nachbereitung und Protokollierung. 150 Min.

8. Tag Anruf des Anwalts des Geschädigten mit der Bitte um nähere Informationen zum Täter-Opfer-Ausgleich. 20 Min.

9. Tag Anruf des Täters nach Rücksprache mit seinem Anwalt. Seine Eltern und er stimmen einem Täter-Opfer-Ausgleich zu. Terminvereinbarung für das zweite Vorgespräch. 10 Min.

12. Tag Vorbereitung der Vermittler auf das zweite Vorgespräch mit dem Täter, Nachbereitung und Protokollierung. 30 Min.

15. Tag Zweites Vorgespräch mit dem Täter, Nachbereitung und Protokollierung. 120 Min.

16. Tag Schriftliche Einladung des Geschädigten und seiner Eltern zum Erstgespräch mit auf den Fall bezogenen Informationen. 20 Min.

22. Tag Anruf des Geschädigten, der nähere Informationen zum Täter-Opfer-Ausgleich wünscht und nur teilnehmen will, wenn sein Anwalt zustimmt. 20 Min.

25. Tag Telefonische Information des Anwafts des Geschädigten durch die Vermittler, der Anwalt stimmt ebenfalls zu. 20 Min.

26. Tag Gesprächsvorbereitung der Vermittler für das Erstgespräch mit dem Geschädigten und seinen Eltern. Nachbereitung und Protokollierung. 20 Min.

27. Tag Erstgespräch mit dem Geschädigten und seinen Eltern, Nachbereitung und Protokollierung. 120 Min.

30. Tag Darstellung des Falls in einer Supervisionsgruppe mit Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs in Hamburg arbeiten. 60 Min.

32. Tag Vorbereitung und Durchführung des zweiten Vorgesprächs mit dem Geschädigten, Protokollierung. 150 Min.

33. Tag Telefonische Einladung von Täter und Geschädigtem zum gemeinsamen Ausgleichsgespräch. 20 Min.

35. Tag Vorbereitung des Ausgleichsgespräches durch die Vermittler, Durchführung des Ausgleichsgesprächs.

U. a. wird die Zahlung eines Schmerzensgeldes vereinbart. Auf Wunsch der Beteiligten soll jedoch noch geklärt werden, ob die beiden Anwälte der Höhe zustimmen. Die Zahlung soll über ein Darlehen eines Opferfonds erfolgen. Der Täter möchte in Raten zurückzahlen. Aufsetzen eines Ratenzahlungsvertrages, Nachbereitung und Protokollierung. 180 Min.

37. Tag Telefonische Rücksprache der Vermittler mit den Rechtsanwälten; beide Seiten stimmen letztendlich zu. Telefonische Rückmeldungen an den Täter und den Geschädigten. 40 Min.

40. Tag Termin mit demTäter zur Abfassung eines Ratenzahlungsvertrages und Regelung der Rückzahlungsmodalitäten. 30 Min.

55. Tag Überwachung der ersten Ratenzahlung.

56. Tag Abschlussbericht an die Staatsanwältin, Ausfüllen eines internen Statistikbogens. 40 Min. bis zum 400. Tag Überwachung der Ratenzahlungen. 20 Min.