Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich

Gewalt gegen Frauen ist weltweit und in fast allen Kulturen verbreitet. Für Jahrhunderte waren männliche Herrschaftsansprüche und Gewalt akzeptiertes Recht. In Deutschland wurde erst 1928 das Recht von Männern, ihre Frauen zu züchtigen, endgültig abgeschafft. Seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe ein eigenständiger Straftatbestand.

Die Gleichstellung der Geschlechter ist gesetzlich abgesichert. Das geltende Recht verspricht Gleichberechtigung, persönliche Unversehrtheit und den Schutz vor Gewalt. Dennoch ist häusliche Gewalt ­ also die Gewalt zwischen Erwachsenen, die in einer privaten Beziehung oder Lebensgemeinschaft miteinander stehen oder standen ­ für viele Frauen alltägliche Realität. Im Zusammenhang mit dieser Form von Gewalt ist der Ort entscheidend, der häusliche Bereich, denn „zu Hause" erwarten alle, vor Gewalt geschützt zu sein; gerade dort aber sind Frauen ­ verstärkt im Falle der Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder Abhängigkeit ­ am häufigsten von Gewalt bedroht und betroffen.

Häusliche Gewalt reicht von Drohungen, Erniedrigungen und sozialer Isolation bis hin zu sexuellem Zwang, Vergewaltigung und schwersten körperlichen Mißhandlungen. Es handelt sich um eine der schlimmsten Formen von Geschlechterdiskriminierung. Traditionelle Geschlechterrollen stabilisieren und entschuldigen Gewalt von Männern gegen Frauen.

Häusliche Gewalt gegen Frauen wird nach wie vor weithin von vielen Menschen als privates Problem gesehen; Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen, die vorübergehenden Schutz bieten sollen, sind überlaufen und werden für die geflohenen Frauen und ihre Kinder zu oft zu einer ungewollten „Dauerlösung".

Der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt lässt sich verbessern. Dies ist vor allem Sache von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit. Ein effektiver Schutz vor häuslicher Gewalt kann jedoch nur erreicht werden, wenn es gelingt, alle Kräfte zu einem koordinierten Vorgehen zu bündeln und häusliche Gewalt als das zu ächten, was es ist: Häusliche Gewalt ist kein verzeihbares Kavaliersdelikt, sondern eine von Staat und Gesellschaft zu ahndende Straftat.

Dies vorausgeschickt, fragen wir den Senat.

Physische Gewalt und deren Androhung gegenüber Frauen ist in ihren vielen Gestalten eine auffällige Form von inakzeptablen Vorstellungen eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses.Vor allem zwischen den Geschlechtern ungleich verteilte Lebensmöglichkeiten können eine fortdauernde Gewaltandrohung oder Gewalttätigkeiten von (Ehe-)Männern gegenüber (Ehe-)Frauen zur Folge haben.

Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit sind Institutionen, derenTätigkeit in diesem Bereich erst am Ende einer langen Vorgeschichte steht, in deren Verlauf sozial orientierte Interventions- und Hilfsmöglichkeiten regelmäßig aussichtsreicher sind als polizeiliche oder repressive justitielle Reaktionen.

Insbesondere die Polizei kann vorrangig nur akute Krisenintervention betreiben und nicht die längerfristig anzugehenden Ursachen bekämpfen. Die Polizei ist sich bei ihren Maßnahmen der besonderen Bedeutung von Straftaten im häuslichen Bereich und der Situation der Opfer bewußt.

Hierfür bedarf es vor allem sozialpolitischer Maßnahmen sowie einer Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die auch darauf gerichtet sein müssen, die Lebenschancen und Lebensmöglichkeiten von Männern und Frauen aneinander anzugleichen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Zum Ausmaß häuslicher Gewalt gegen Frauen

Polizeieinsätze aus Anlaß „familiärer Gewalt" wurden bisher statistisch nicht gesondert erfaßt (Drucksache 15/5434). Hat sich dies geändert, bzw. ist eine rückwirkende Erfassung möglich? Wie viele Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen wurden der Hamburger Polizei seit 1990 jährlich bekannt? Falls nein, welche Gründe sprechen dafür, diese Fälle weiterhin nicht gesondert zu erfassen?

Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich wird derzeit weder bei der Staatsanwaltschaft noch in der bundeseinheitlich geführten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert ausgewiesen.Zukünftig sollen in der PKS die Opferkategorien „Ehepartner", „Lebensgefährte", „ehemaliger Ehepartner / ehemaliger Lebensgefährte" und das Merkmal „im gemeinsamen Haushalt lebend" aufgenommen werden. Der Zeitpunkt der Realisierung steht jedoch noch nicht fest.

Die Erhebung der erfragten Daten würde die Durchsicht einer Vielzahl von Akten erfordern und ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich.

Wie hoch schätzt der Senat die Dunkelziffer in diesem Bereich ein?

Seriöse Schätzungen zum Dunkelfeld bezüglich der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich sind nicht bekannt.

Wie viele Fälle häuslicher Gewalt wurden von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet?

Wie viele Verfahren wegen häuslicher Gewalt gegen Frauen wurden in Hamburg seit 1990 jährlich durchgeführt?

In wie vielen Fällen, in denen die Polizei ein Verfahren wegen häuslicher Gewalt an die Staatsanwaltschaft weiterleitete, wurde das Strafverfahren eingestellt, und aus welchen rechtlichen Gründen geschah dies?

In wie vielen Fällen häuslicher Gewalt kam es zu einer Verurteilung des Täters, und wie hoch fiel das jeweilige Strafmaß aus?

In wie vielen Fällen häuslicher Gewalt haben die Gerichte seit 1990 jährlich in Hamburg Schutzanordnungen für die Frauen erlassen, und geschieht dies regelhaft? Welcher Art waren die Schutzanordnungen?

Siehe Antwort zu 1.1.

Welche Möglichkeiten bestehen in Hamburg aus Sicht des Senats, um Gewalttaten frühzeitig gerichtsverwertbar dokumentieren zu können?

Äußerlich sichtbare Verletzungsfolgen (Hämatome, Schwellungen) können ­ z. B. durch eine Polaroidaufnahme ­ dokumentiert und anschließend im Wege des Augenscheins in ein Ermittlungs- bzw. ein Gerichtsverfahren eingeführt werden.

Insbesondere in Fällen erheblicher Mißhandlung kann von der Polizei oder der Zeugin selbst eine ärztliche Untersuchung veranlaßt werden. Art und Ausmaß der Verletzungen sollten hierbei möglichst genau festgehalten werden. Auch die Verwertung von Röntgenbildern o.ä. (bei Frakturen) oder Sonographiebefunden (bei inneren Verletzungen) ist in einem Gerichtsverfahren in der Regel unproblematisch möglich. Besteht Unklarheit oder Streit über den Tathergang, empfiehlt es sich, dazu einen rechtsmedizinisch erfahrenen Gutachter heranzuziehen, der abgesehen von der exakten Dokumentation der Verletzungsfolgen auch deren sachverständige Beurteilung sicherstellen kann.

Entsprechende ärztliche Dokumentationsmöglichkeiten können im Institut für Rechtsmedizin des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf (UKE) in Anspruch genommen werden. Das Institut beteiligt im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit erforderlichenfalls auch Ärzte aus anderen Fachrichtungen im UKE. Dies gilt unabhängig davon, ob die Fälle im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder Gerichte oder ohne Einschaltung der staatlichen Stellen an das Institut für Rechtsmedizin herangetragen werden.

Darüber hinaus besteht als niedrigschwelliges Angebot die kostenlose Untersuchungs- und Dokumentationsmöglichkeit durch Ärzte der „Hamburger Initiative gegen Aggressivität und Gewalt e.V.", die über das Institut für Rechtsmedizin grundsätzlich jederzeit erreichbar sind und Räume des Instituts für ihre Tätigkeit (Untersuchung, Befunddokumentation, Spurensicherung usw.) nutzen dürfen.

Die in dem privaten Verein tätigen Ärztinnen und Ärzte stehen allen Opfern von Gewalt und Straftaten unabhängig davon zur Verfügung, ob sie eine Strafanzeige beabsichtigen oder nicht.

2. Rahmenbedingungen und Verfahren bei häuslicher Gewalt in Hamburg

Polizei

Ist das bei der Staatsanwaltschaft angesiedelte Sonderdezernat „Gewalt gegen Frauen" auch auf Fälle häuslicher Gewalt spezialisiert? Wenn ja, wie gestaltet sich die Arbeit in diesem Bereich? Falls nein, wie beurteilt der Senat die Notwendigkeit der Einrichtung einer vergleichbaren Spezialeinheit?

Fälle häuslicher Gewalt werden nur teilweise in dem bei der Staatsanwaltschaft eingerichteten Sonderdezernat Gewalt gegen Frauen, das seit Anfang des Jahres in Sonderdezernat Sexualdelikte umbenannt worden ist, bearbeitet. Die Zuständigkeit des Sonderdezernates erstreckt sich nur auf Verfahren wegen Sexualdelikten nach den §§174 bis 174c und 177 bis 179 des Strafgesetzbuches (StGB) bei mindestens vierzehnjährigen Geschädigten. Bei jüngeren Geschädigten handelt es sich um Jugendschutzsachen, die auch bei sonstigen Straftaten zum Nachteil eines Kindes vorliegen können (z.B. Körperverletzung, § 223 StGB) und die in die besondere Zuständigkeit der Dezernenten der Jugendabteilungen fallen. Sonstige Fälle häuslicher Gewalt ohne sexuellen Hintergrund werden in den Allgemeinen Abteilungen der Staatsanwaltschaft bearbeitet.

Die Ausdehnung der Zuständigkeit des Sonderdezernates Sexualdelikte auf alle Fälle häuslicher Gewalt hätte zwar den Vorteil, hierdurch Spezialkenntnisse zu bündeln. Dafür spricht auch, dass häusliche Gewalt und sexuelle Gewalt im Einzelfall ineinander übergehen können. Die Bearbeitung im Buchstabendezernat hat demgegenüber den Vorteil, dass die Dezernentin bzw. der Dezernent bei Tätern, deren Gewalttätigkeit sich nicht allein im häuslichen, sondern auch im weiteren sozialen Umfeld zeigt, besser in der Lage sind, Verfahren zu bündeln und einen Überblick über das gesamte kriminelle Verhalten eines Täters zu gewinnen. Da das Sonderdezernat Sexualdelikte bereits jetzt hoch belastet ist, ist eine Erweiterung der Spezialzuständigkeit gegenwärtig nicht möglich.

Vor Gericht werden die Aussagen der Opfer häuslicher Gewalt häufig als „zu pauschal", „zu vage" bzw. „nicht zu beweisen" eingestuft. Aussage steht gegen Aussage, da die Täter ihre Taten meist abstreiten oder bagatellisieren. Obwohl aus der einschlägigen Literatur und der Beratungspraxis heraus bekannt ist, dass Gewalttaten im häuslichen Bereich ­ bis sie polizeilich auffällig werden ­ in der Regel lange Ketten der Gewalteskalationen vorausgegangen sind und Vorfälle dieser Art in der Regel nicht als einmalig gewertet werden können, geschieht dies vor Gericht aus der beschriebenen Beweisnot der Opfer heraus häufig. Vor diesem Hintergrund sei der Senat gefragt:

a) Gibt es zum Schutz von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, konkrete Handlungsanweisungen oder Leitfäden, die das genaue Vorgehen der Polizei im Falle häuslicher Gewalt festlegen, beispielsweise wie der Tathergang zu protokollieren ist, welche weiteren möglichen Zeugen (z.B. Nachbarn) zur Beweisaufnahme sofort zu befragen sind, unter welchen Bedingungen hier Täter in polizeilichen Gewahrsam genommen werden müssen und welche Informationen mißhandelte Frauen in der gegebenen Situation bekommen müssen?

In der polizeilichen Vorschrift für den täglichen Dienst (PDV 350) ist geregelt, dass bei einer Körperverletzung in einer engen Lebensgemeinschaft eine Verpflichtung der Polizei zur Aufnahme einer Strafanzeige besteht. Ebenso sind in der PDV 350 generell die polizeiliche Vernehmung von Zeugen, der polizeiliche Umgang mit Opfern und die Ingewahrsamnahme geregelt.

Die Polizei informiert Opfer von Straftaten über ihre Rechte sowie über das Angebot von Opferhilfeeinrichtungen. Hierzu wurden Informationsblätter wie „Rechte von Opfern in Strafverfahren", ein Merkblatt mit verschiedenen Opferhilfeeinrichtungen sowie eine Informationsbroschüre über das Opferentschädigungsgesetz entwickelt, die auch Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich zur Verfügung gestellt werden.

Zusätzlich wurde beim Landeskriminalamt (LKA 151) in Zusammenarbeit mit dem Senatsamt für die Gleichstellung ein Handbuch zumThema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen" entwickelt, in dem auch der Bereich „Gewalt in häuslicher Gemeinschaft" dargestellt wird. Dieses Handbuch wird Multiplikatoren im Themenfeld Selbstbehauptung und Selbstverteidigung zur Verfügung gestellt.

b) Wenn ja, wie sehen diese Leitfäden oder Handlungsanweisungen aus und wie beurteilt der Senat diese Leitfäden?

Grundsätzlich werden die allgemeinen Vorschriften zum polizeilichen Einschreiten als ausreichend betrachtet. Darüber hinaus wird die Polizei nach dem Vorbild anderer Länder voraussichtlich Ende des Jahres eine spezielle komprimierte Handlungsanweisung als ein Standardkonzept für den Dienstunterricht erarbeiten.

c) Wenn nein, hält es der Senat für sinnvoll, entsprechende Leitfäden bzw. Handlungsanweisungen entwickeln zu lassen? Wenn nein, warum nicht?

Entfällt.

Aufgrund welcher Ermächtigungsgrundlage schreitet die Hamburger Polizei ein, wenn sie von einem Vorfall häuslicher Gewalt Kenntnis erlangt? Welche Gesetze kommen hier zum Tragen?

Zur Gefahrenabwehr erforderliche Maßnahmen kommen nach dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) (z.B. Platzverweis, Ingewahrsamnahme) oder nach dem Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) (Identitätsfeststellung) in Betracht.

Sofern der Verdacht einer Straftat vorliegt, führt die Polizei in ihrer Eigenschaft als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft (§152 des Gerichtsverfassungsgesetzes [GVG]) die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen (z.B. Identitätsfeststellung, Wohnungsdurchsuchung) auf der Grundlage der Strafprozeßordnung (StPO) durch.

Justiz und Staatsanwaltschaft

Gibt es in Hamburg Richterinnen oder Richter, die sich mit Fällen häuslicher Gewalt in Zivil- und Strafverfahren in besonderer Weise befaßt haben? Falls ja, wie viele Richter und Richterinnen sind dies? Falls nein, wie beurteilt der Senat den Bedarf nach einer derartigen Schwerpunktlegung in der Fallbeurteilung?

Die Geschäftsverteilung an den Gerichten ist als originäre Aufgabe richterlicher Unabhängigkeit den Präsidien der Gerichte zugewiesen. Der Senat nimmt hierzu aus grundsätzlichen Erwägungen keine Stellung.