Ratenzahlung

I. Anlass

Der Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg führte in seinem Jahresbericht 2007 aus, dass Beitreibungsmaßnahmen der Finanzämter häufig im Kontext einer insgesamt desolaten finanziellen Lage des Steuerpflichtigen stünden und damit ihren Teil dazu beitrügen, dass die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar bedroht sei. In dieser Lage sei es für Selbstständige nicht leicht, die Tilgungsmöglichkeiten sachgerecht einzuschätzen. Um in solchen Fällen die Erfolgsaussichten der Finanzämter im Beitreibungsverfahren zu verbessern, könne eine sogenannte Liquiditätsprüfung zweckmäßig sein.

Aus den Reihen der Bürgerschaft wurde diese Thematik aufgegriffen und der Senat ersucht, über den Einsatz von Liquiditätsprüfern in der Hamburger Steuerverwaltung zu berichten. Eine Unterrichtung der Bürgerschaft erfolgte mit am 8. Januar 2008.

Als Konsequenz aus dem bürgerschaftlichen Ersuchen ergriff die Steuerverwaltung darüber hinaus Maßnahmen, die eine weiter gehende systematische Erprobung von Liquiditätsprüfungen ermöglichten. Mit der vorliegenden Mitteilung wird über das Ergebnis des im Jahre 2008 erfolgten Einsatzes von Liquiditätsprüfern berichtet.

II. Durchgeführte Maßnahmen der Steuerverwaltung

1. Vorbemerkung Liquiditätsprüfungen werden in der Regel nicht als Außenprüfungen im Sinne der §§ 193 ff. Abgabenordnung (AO) durchgeführt. Sie sind als Ermittlungsmaßnahmen gleichwohl rechtlich zulässig und können auf die allgemeinen Besteuerungsgrundsätze wie den Untersuchungsgrundsatz oder die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen gestützt werden.

Die Liquiditätsprüfer können somit ihre Ermittlungen auf Grund der §§ 249 Absatz 2, 88, 93 ff. AO durchführen. Ein Liquiditätsprüfer hat also die gleichen Rechte, die dem Finanzamt im Steuerermittlungsverfahren zustehen. Eine Liquiditätsprüfung ist ­ im Gegensatz zu einer Außenprüfung gemäß §§ 193 ff. AO oder einer Durchsuchung zum Zwecke der Pfändung gemäß § 287 Absatz 4 AO ­ nicht erzwingbar.

2. Ergriffene Maßnahmen

Nach Schaffung der für eine systematische Erprobung erforderlichen organisatorischen und technischen Voraussetzungen wurde die Durchführung von Liquiditätsprüfungen mit Erlass vom 8. Februar 2008 (51 ­ S 0511 ­ 003/06) angeordnet und weitere begleitende Anweisungen erlassen.

Je etwa 300 in jedem Regionalfinanzamt erfasster Schuldner wurde eine Liquiditätsprüfung veranlasst. In der Erprobungsphase wurden daher 60 Liquiditätsprüfungen durchgeführt. Die Ermittlungen wurden von sechs für diese Tätigkeit ausgewählten Betriebsprüfern in der Zeit vom März bis Dezember 2008 vorgenommen. Erforderliche Kriterien für die Auswahl der Prüfer waren spezifische Kenntnisse auf dem Gebiet von Liquiditätsprüfungen.

Diese Kenntnisse wurden insbesondere durch bereits erfolgte Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen der Bundesfinanzakademie und durch Erfahrungen aus begleiteten praktischen Liquiditätsprüfungen erworben. Unterrichtung der Bürgerschaft über das Ergebnis der systematischen Erprobung des Einsatzes von Liquiditätsprüfern in der Steuerverwaltung

Zu Evaluationszwecken wurden u.a. folgende Daten erhoben:

­ Grund der Prüfung,

­ Bearbeitungszeit,

­ Art der getroffenen Feststellung,

­ Rückstand zu Beginn der jeweiligen Prüfung,

­ Rückstand nach 4 Monaten nach Beginn der Prüfung in etwa 60 % der Fälle,

­ Rückstand zum Ende des ersten Halbjahres 2009 in 100 % aller Fälle,

­ Nach Berichtsauswertung durch den Innendienst ergriffene Maßnahmen,

­ Einschätzung durch die Finanzämter.

Für den Grund der Prüfung und die Art der getroffenen Feststellungen waren Mehrfachnennungen möglich.

Zur Auswertung wurden nur Fälle herangezogen, die mit Bericht abgeschlossen werden konnten. Fälle, in denen Steuerpflichtige ihre erforderliche Zustimmung zu dieser Maßnahme verweigerten oder die mangels Bereitschaft zur Zusammenarbeit abgebrochen werden mussten, wurden ausgesondert.

Die für den Erwerb der für die Durchführung von Liquiditätsprüfungen benötigten besonderen Kenntnisse erforderliche Ausbildungszeit kann nicht im Einzelnen dargestellt werden, da die Kenntnisse bei Beginn der Erprobungsphase bei den eingesetzten Prüfern bereits vorhanden waren. Es muss insoweit aber mit mindestens 20 Tagen (5 Tage Bundesfinanzakademie und 15 Tage Praxis) je Betriebsprüfer gerechnet werden.

III. Ergebnisse

1. Prüfungsgrund

In nahezu allen Fällen war die Prüfung der Möglichkeit der Gewährung von Vollstreckungsaufschub (etwa 95 %) sowie die gleichzeitige Feststellung von bisher nicht bekannten Vollstreckungsmöglichkeiten (etwa 77 %) der Grund für die durchgeführte Liquiditätsprüfung. Bei etwa 17 % der Fälle handelte es sich zudem um Vorgänge von sog. Mehrfachschuldnern (GmbH & Co. KG, GmbH und gesetzlicher Vertreter, BGB-Gesellschaft und Gesellschafter).

2. Bearbeitungszeit

Die Prüfungen wurden durchschnittlich 14 Tage nach Aufgabe zur Prüfung begonnen. In 20 % der Fälle betrug der Zeitraum vom Auftrag bis zum Beginn der Prüfung aber

­ teilweise deutlich ­ mehr als 20 Tage. Einzelne Steuerpflichtige zögerten den Prüfungsbeginn hinaus. In einigen Fällen mussten die Prüfungen wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft der Steuerpflichtigen abgebrochen werden.

Die durchschnittliche Bearbeitungszeit belief sich auf 5 Tage je Prüfung. Als am zeitaufwändigsten erwiesen sich die Berichterstellungen mit durchschnittlich 44 % der Bearbeitungszeit. Auf die Vorbereitungen entfielen etwa 30 % und auf die Prüfungen vor Ort etwa 26 %. Daten betreffend den sich an die Prüfung anschließenden Zeitaufwand für den Innendienst konnten auf Grund der Struktur der Tätigkeit in den Vollstreckungsstellen nicht erhoben werden. Die Finanzbehörde rechnet jedoch mit einem weiteren Zeitbedarf von etwa 1 bis 2 Tagen je Fall für die anschließende Innendienstbearbeitung.

3. Art der getroffenen Feststellung

In nahezu allen Fällen wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse (95 %) ermittelt bzw. verifiziert, Forderungen und Rechte (89 %) festgestellt bzw. deren Vorhandensein bestätigt und sonstige Feststellungen (93 %) getroffen. In etwa 67 % der Fälle wurden pfändbare Sachen ermittelt, in etwa 14 % der Fälle die Stellung von Insolvenzanträgen angeregt.

4. Rückstandsentwicklung

Die Rückstände der zur Prüfung aufgegebenen sechzig Fälle beliefen sich zu Beginn auf 5,295 Mill. Euro.

In etwa 60 % der geprüften Fälle mit 3,673 Mill. Euro Rückständen verminderten sich die Forderungen in den ersten 4 Monaten nach Prüfungsbeginn um 1,581 Mill. Euro auf 2,092 Mill. Euro, stiegen allerdings bis Mitte 2009 wieder um 891 Tsd. Euro auf 2,983 Mill. Euro an.

In weiteren 40 % der geprüften Fälle stiegen die Rückstände vom Beginn der Prüfung von 1,622 Mill. Euro bis Mitte 2009 um 420 Tsd. Euro auf 2.042 Mill. Euro.

Von den in 2008 geprüften Fällen wiesen Mitte 2009 etwa 13 % keine Rückstände mehr auf. In weiteren etwa 29 % minderten sich die Rückstände. In etwa 58 % stiegen die Rückstände hingegen an.

Per Saldo minderten sich die Rückstände von 5,295 Mill. Euro mithin um etwa 270 Tsd. Euro auf 5,025 Mill. Euro.

Dies entspricht einer Minderung um etwa 5 %.

5. Vom Innendienst ergriffene Maßnahmen

In etwa 78 % der Fälle wurden Vollstreckungsaufschübe gewährt. Die Rückstände reduzierten sich zwar in etwa 42 % dieser Fälle, von den gewährten Vollstreckungsaufschüben wurden aber etwa 84 % nicht eingehalten, sodass Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden mussten. Die Quote der Minderungen in den Fällen, in denen Anträge auf Vollstreckungsaufschub zurückgewiesen und von Beginn an Beitreibungsmaßnahmen eingeleitet wurden, beträgt ebenso wie in der Fallgruppe der gewährten Vollstreckungsaufschübe etwa 42 %.

6. Einschätzung durch die Finanzämter

Die subjektive Einschätzung der mit Liquiditätsprüfungen befassten Prüfer und Bediensteten in den Vollstreckungsstellen der Finanzämter war im Grundsatz überwiegend positiv. Es wurde aber von allen Beteiligten darauf hingewiesen, dass Liquiditätsprüfungen nur dann wirklich sinnvoll seien, wenn jedes Finanzamt über einen eigenen Prüfer verfüge, der unmittelbar dem Vollstreckungsbereich zugeordnet sein sollte.

IV. Bewertung Anhand der vorliegenden Daten ist erkennbar, dass es sich bei Liquiditätsprüfungen auf Grund der hierfür bei den Prüfern erforderlichen persönlichen Voraussetzungen und des mit der Prüfung selbst verbundenen Zeitaufwands um ein Instrument handelt, das erhebliche personelle Ressourcen bindet.

Mit steigender Praxis könnte sich der Zeitbedarf für die eigentlichen Prüfungen und Berichterstellungen möglicherweise zwar verkürzen, der Aufwand für die erforderliche Ausbildung und Aneignung erster praktischer Erfahrungen ließe sich aber nicht vermindern. Außerdem müssten in größerem Umfang Stellen geschaffen werden, deren Bewertung den hohen quali tativen Anforderungen an die Prüfer entspräche. Die während der Erprobungsphase gewonnenen Erkenntnisse lassen zudem den Schluss zu, dass Liquiditätsprüfungen im Bereich der Prüfungsvorbereitung und der Berichtsauswertung in beträchtlichem Ausmaß zu Doppelarbeiten führen. So erbrachten die Liquiditätsprüfungen zwar durchaus Erkenntnisse, die in der Tiefe über das unmittelbar aus dem Innendienst heraus ermittelbare Maß hinausgehen. Die durch Liquiditätsprüfungen ermittelten Vollstreckungsmöglichkeiten waren vom Grundsatz her aber in der weit überwiegenden Zahl der Fälle bereits vorher bekannt bzw. wären mit einem vergleichbaren, zum Teil sogar geringeren Zeitaufwand auch vom Vollstreckungsinnendienst oder Vollstreckungsaußendienst feststellbar gewesen.

Die geringe Minderung der Rückstände in Höhe von nur 5 % lässt den Schluss zu, dass die zusätzlich erlangten Erkenntnisse oder sonstigen Feststellungen nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Beitreibungssituation führten.

Dass Liquiditätsprüfungen in Hamburg nur in geringem Umfang grundlegend neue Erkenntnisse über Beitreibungsmöglichkeiten erbrachten und keine höheren Rückstandsminderungen zur Folge hatten, ist möglicherweise darin begründet, dass die vollständige und jeweils aktuelle Aufklärung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Schuldnern in Hamburg seit jeher Bestreben der Steuerverwaltung war. Es hat sich in der Erprobungsphase bestätigt, dass sich die Liquiditätsprüfungen angesichts der seit Einführung dieses Instruments (in anderen Bundesländern) deutlich verbesserten Möglichkeiten der Informationsgewinnung im Vollstreckungsinnendienst zunehmend als uneffektiv erweisen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn vom Vollstreckungsinnendienst frühzeitig und konsequent Sachaufklärung betrieben wird.

Die Ergebnisse zeigen auch, dass Steuerpflichtige sich während und unmittelbar nach einer Liquiditätsprüfung verstärkt darum bemühen, ihre Rückstände zurück zu führen.

Diese Rückstandsminderungen waren in der Mehrzahl der geprüften Fälle aber nicht dauerhaft. Auch gewährte Vollstreckungsaufschübe führten letztlich zu keinen besseren Erfolgsquoten als Vollstreckungshandlungen.

Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Liquiditätsprüfungen keinen signifikanten Vorteil gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise bieten. Sie führten vielmehr dazu, dass statt einer sofortigen Tilgung ein Ausgleich des Rückstandes durch Ratenzahlungen im Vordergrund stand.

Ein derartiges Vorgehen hat grundsätzlich eine Zeitverzögerung im Wettlauf der Gläubiger und damit eine Gefährdung des Steueranspruchs zur Folge. Zudem erlangen die Finanzämter durch die Liquiditätsprüfungen in einer Vielzahl von Fällen Kenntnis von der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. So müssten im Falle einer Insolvenzeröffnung und Anfechtung die erlangten Zahlungen zurückgewährt werden.

Liquiditätsprüfungen können zu einer qualitativen Verbesserung der Vollstreckungstätigkeit führen. Allerdings ist das Ausmaß der Verbesserungen auch abhängig von der Kompetenz des jeweiligen Bearbeiters im Vollstreckungsinnendienst, dem die Auswertung der Prüfungsberichte obliegt. Eine quantitative Verbesserung im Sinne von deutlichen Rückstandsminderungen ist aber zweifelhaft.

Die Möglichkeiten der Vollstreckungsstellen zur Informationsgewinnung sowohl im Vollstreckungsinnendienst als auch über die Vollziehungsbeamten werden von der Steuerverwaltung daher grundsätzlich für ausreichend erachtet. Eine unmittelbare Einführung von „flächendeckenden" Liquiditätsprüfungen wird angesichts des hiermit verbundenen nicht unerheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwands nicht befürwortet.

V. Petitum:

Der Senat bittet die Bürgerschaft, sie wolle von den Ausführungen in dieser Drucksache Kenntnis nehmen.