Wohnungsbau

Der Senat hat den Bürgerentscheid „Rettet den BuchenhofWald" aufgehoben, da dieser einen nach § 22 Absatz 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVG) zu beanstandenden Beschluss der Bezirksversammlung Altona darstellt. Darüber hinaus hat der Senat entschieden, das Bezirksamt anzuweisen, die zur Realisierung der Baugenehmigung notwendige Baumfällgenehmigung unverzüglich zu erteilen. Rechtsgrundlage für diese Einzelweisung (Petitum zu 2.), ist § 42 Bezirksverwaltungsgesetz. Die Einzelweisung ist notwendig, weil eine Erteilung der Fällgenehmigung durch das Bezirksamt Altona auf Grund der Notwendigkeit der Befassung der bezirklichen Gremien für den Investor einen weiteren erheblichen Zeitverlust bedeuten würde.

Gemäß § 22 Absatz 4 BezVG unterrichtet der Senat die Bürgerschaft von der Aufhebung unter Angabe der maßgeblichen Gründe.

1. Sachverhalt

Der Bauverein der Elbgemeinden e.G. (BVE) hat den bisher in Privatbesitz befindlichen Buchenhof an der Osdorfer Landstraße 372/374 in Hamburg-Iserbrook erworben und plant, einen Teil der 3,4 ha großen Grundfläche zu bebauen.

Im Einzelnen ist vorgesehen

­ die Errichtung von 5 Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 66 Wohneinheiten einschließlich Stellplätzen in nördlichen Teilbereich des o.g. Flurstücks,

­ die Erschließung und Zuwegung von der Osdorfer Landstraße auf vorhandenen Fahrwegen sowie die Anbindung des Geländes über den Kuhgraben durch eine Neuanlage und

­ die Errichtung von Lärmschutzwänden zwischen Kuhgraben und Osdorfer Landstraße sowie entlang der Osdorfer Landstraße.

Das Bauprojekt „Familienwohnen 3 Generationen" besteht aus drei Stadthauszeilen und zwei Geschosswohnungsbauten in außergewöhnlicher, auf das Grundstück und die Bedürfnisse der Bewohner abgestimmter Architektur.

Durch eine Vielzahl an verschiedenen Wohnungstypen, die für unterschiedliche Nutzergruppen geeignet sind, bietet das Projekt jungen und älteren Menschen sowie Familien in naturnaher Umgebung bezahlbaren Wohnraum im Westen von Hamburg. Alle Mehrfamilienhäuser sind in umweltgerechter, energiesparender Bauweise konzipiert. Die Wohnungen sollen zu Preisen von ca. 9 Euro/m² vermietet werden.

Auf dem Grundstück befindet sich ein hochstämmiger älterer Wald mit einer fast vollständig fehlenden Strauchschicht. Die dominante Baumart ist die Buche, deren Bäume zahlreiche Habitatsqualitätsmerkmale wie Spechthöhlen und Stammaufrisse aufweisen. Dieser Buchenwald bildet mit älteren einzeln stehenden Buchen und kleineren Buchenbeständen durch Kronenschluss ein durchgehend waldartiges Gehölz. Eingebettet in den nördlichen Baumbestand ist eine Rasenfläche. Östlich an den Wald schließt sich entlang der Grundstücksgrenze eine Reihe älterer Eichen mit einigen Birken an. Insgesamt stehen rund 550 Bäume unterschiedlichster Art, Größe, Altersgruppen und Vitalität auf dem Grundstück. Im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben müssten ca. 160 Bäume davon gefällt werden.

In der näheren Umgebung befinden sich keine vergleichbaren ökologisch wertvollen Gehölzbestände mit einem derart hohen Anteil an Baumhöhlen.

Entsprechend hoch ist der Anteil relevanter Vogel- und Fledermausarten, die wie in diesem Fall bei einem Zulassungsverfahren artenschutzrechtlich zu berücksichtigen sind. Im artenschutzfachlichen Beitrag des Gutachters des BVE werden dazu 19 Vogelarten und 6 Fledermausarten genannt. Diese Vogelarten sind gemäß § 10 Absatz 2 Nr. 10

Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) allesamt „besonders geschützt", davon ist der im Buchenhof vorkommende Grünspecht „streng geschützt". Alle Fledermausarten unterliegen gemäß § 10 Absatz 2 Nr. 11 den strengen Schutzvorschriften des BNatSchG.

Das Bezirksamt Altona hat dem BVE am 5. November 2007 auf Grundlage eines verbindlichen Beschlusses der Bezirksversammlung einen Bauvorbescheid für das Bauvorhaben erteilt. Gegenstand des Bauvorbescheids war die verbindliche Entscheidung über die Überschreitung der zulässigen Geschosszahl, das Abweichen von der vorgeschriebenen Baulinie und über die Anordnung der 5 Baukörper auf dem Grundstück. Der Bauvorbescheid enthielt mit diesen Regelungen Befreiungen gemäß § 31 Absatz 2 BauGB; die Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiungen lagen vor.

Auf der Grundlage des erteilten Vorbescheids und der darin vorab verbindlich entschiedenen Fragen hat der BVE unter dem 16. Dezember 2008 eine Baugenehmigung für das Bauvorhaben beantragt. Die Baugenehmigung gilt mit Eintritt der gesetzlichen Fiktionswirkung nach Vervollständigung der Bauvorlagen am 29. Januar 2009 gemäß § 61 Absatz 3 Satz 2 und 4 HBauO als am 2. März 2009 erteilt. Auf Grund des Umstandes, dass die Erteilung der Befreiung Teil des Vorbescheidsverfahrens und nicht des Baugenehmigungsverfahrens war, lagen die Voraussetzungen für eine verkürzte Bearbeitungsfrist gemäß § 61 Absatz 3 Satz 2 HBauO vor.

Gegen den Bauvorbescheid hat eine benachbarte Wohnungseigentümergemeinschaft WEG Kuhgraben, der auch die Vertrauensleute des Bürgerbegehrens angehören, nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist. Gegen die Baugenehmigung haben die Vertrauensleute des Bürgerbegehrens als Einzelpersonen und als Mitglieder der benachbarten Wohnungseigentümergemeinschaft WEG Kuhgraben Widerspruch eingelegt, über den wegen einer von der Verfahrensbevollmächtigten der Widersprechenden für die Begründung des Widerspruchs mehrfach erbetenen und gewährten Fristverlängerung noch nicht entschieden worden ist.

Am 5. November 2009 fand im Bezirk Altona gemäß § 32 Absatz 7 S. 1 BezVG ein Bürgerentscheid mit folgender Fragestellung statt: „Sind Sie dafür, dass der ökologisch wertvolle Waldbestand „Buchenhof-Wald", (Flurstück 1749, Osdorfer Landstraße 372­374) dauerhaft erhalten wird und deshalb das Bezirksamt Altona keine Genehmigung zur Fällung von Bäumen und zur Bebauung des Geländes erteilt, sondern stattdessen die Bezirksversammlung Altona ein Planverfahren einleitet mit dem Ziel, die Fläche als Grünfläche/Wald rechtlich zu sichern?"

Bei dem Bürgerentscheid wurde die Fragestellung des Bürgerbegehrens von den Abstimmungsberechtigten mehrheitlich mit „Ja" beantwortet. Gemäß § 32 Absatz 11 BezVG hat der Bürgerentscheid die Wirkung eines Beschlusses der Bezirksversammlung.

Dieser Beschluss führt zu einem Verstoß gegen die Hamburgische Bauordnung (HBauO) und ist auch mit den sich im Hinblick auf die Baumschutzverordnung (BaumSchVO) ergebenden Rechtswirkungen nicht vereinbar; damit wird zugleich gegen die Grenzen des Entscheidungsrechts der Bezirksversammlung (§ 21 BezVG) verstoßen.

Mit Schreiben vom 11. November 2009 hat die Bezirksamtsleitung den Beschluss vom 5. November 2009 gegenüber dem vorsitzenden Mitglied der Bezirksversammlung gemäß § 22 Absatz 2 BezVG beanstandet. Die Bezirksversammlung Altona hat die beanstandete Entscheidung nicht in einer der beiden nächsten Sitzungen, spätestens binnen zwei Monaten nach der Beanstandung geändert oder aufgehoben. Nach § 22 Absatz 2 S. 2 BezVG entscheidet in diesem Fall der Senat.

Zusammenfassend ergibt sich danach folgender zeitlicher Ablauf:

­ 5. November 2007: Erteilung des Bauvorbescheides, Verpflichtung zum Erlass einer Baugenehmigung

­ 16. Dezember 2008: Beantragung der Baugenehmigung

­ 29. Januar 2009: Vervollständigung der Bauvorlagen

­ 2. März 2009: Eintritt der gesetzlichen Fiktionswirkung.

Die Baugenehmigung gilt seitdem als erteilt.

­ 5. November 2009: Durchführung des Bürgerentscheids

­ 11. November 2009: Beanstandung durch den Bezirksamtsleiter Altona

2. Rechtliche Bewertung

Der Bürgerentscheid hat bindende Wirkung i.S.d. § 19 Absatz 2 Satz 2 BezVG. Denn mit Bürgerentscheid soll dem Bezirksamt die Erteilung der vom BVE beantragten Baugenehmigung und der Ausnahmegenehmigung für das Fällen von ca. 160 Bäumen untersagt werden. Das Ergebnis dieses Bürgerentscheids verstößt aber gegen § 21 BezVG, weil er das Bezirksamt zu einer Handlung auffordert, die mit den Regelungen der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) und der Baumschutzverordnung (BaumSchVO) nicht vereinbar ist. Er musste daher beanstandet werden. Im Einzelnen:

a) Beanstandungsrecht der Bezirksamtsleitung

Die Befugnis und die Verpflichtung der Bezirksamtsleitung, einen Beschluss der Bezirksversammlung, der gegen Gesetze verstößt, zu beanstanden, folgt aus § 22 Absatz 1 BezVG. Diese Befugnis besteht auch gegenüber einem Bürgerentscheid, der gemäß § 32 Absatz 11 BezVG die Wirkung eines Beschlusses der Bezirksversammlung hat. Dies hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14. November 2002 (2 Bf 452/00) und zuletzt in einem Beschluss vom 10. Juni 2009 (2 Bs 71/09) ausdrücklich bestätigt. Danach obliegt die erste Kontrolle eines Bürgerentscheids „unverändert den Bezirksamtsleiterinnen und Bezirksamtsleitern und führt (...) zu einer Befassung des Senats, wenn diese Grund zur Beanstandung sehen".

b) Unvereinbarkeit mit den Regelungen der HBauO

Das Bezirksamt kann die Erteilung der Baugenehmigung aus Rechtsgründen nicht untersagen.

aa) ­ Der Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung ergibt sich aus der Tatsache, dass dem BVE auf einen entsprechenden bindenden Beschluss der Bezirksversammlung Altona hin bereits am 5. November 2007 ein Vorbescheid erteilt worden ist. Dadurch ist eine rechtliche Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren eingetreten. Denn aus der Rechtsnatur des Vorbescheids als einem vorweggenommenen Teil der Baugenehmigung folgt, dass dieser über die rechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens im Umfang seiner Feststellungen abschließend entscheidet. Die nachfolgende Baugenehmigung übernimmt den Inhalt des Vorbescheids stets lediglich redaktionell ohne eigene erneute Regelung. So verhält es sich hier: Gegenstand des Vorbescheids war ausweislich der Antragsunterlagen die Überschreitung der zulässigen Geschosszahl, das Abweichen von der vorgeschriebenen Baulinie und die Anordnung der 5

Baukörper auf dem Grundstück. Der nachfolgende Bauantrag vom 16. Dezember 2008 sieht demgegenüber keine Änderungen gegenüber diesen im Vorbescheid vorab entschiedenen Fragen vor. Zudem war die Geltungsdauer des Vorbescheides zum Zeitpunkt der Baugenehmigungsbeantragung ­ ungeachtet des Ablaufs der grundsätzlichen Geltungsdauer von einem Jahr (vgl. § 73 Absatz 2 HBauO) ­ auch noch nicht erloschen. Vielmehr entfaltete der Vorbescheid weiterhin Bindungswirkung für das Baugenehmigungsverfahren, weil der Ablauf der Jahresfrist auf Grund der Anfechtung mittels Nachbarwiderspruches gehemmt war (Alexejew/Niere, Kommentar zur HBauO, § 63 Rz. 40.; § 73 Rz. 13; ebenso HmbOVG, Urteil von 28. November 1985 ­ Bf II 27/85).

Auch die gegen den Vorbescheid eingelegten Nachbarwidersprüche ändern an dessen rechtlicher Bindungswirkung für die Bauaufsichtsbehörde zur Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung nichts. Denn ein Nachbarwiderspruch gegen einen Vorbescheid bewirkt nicht, dass dieser gegenüber dem Bauherrn unwirksam würde (Alexejew/Niere, Kommentar zur HBauO, § 63 Rz. 51). Vielmehr bleibt die Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren gegenüber dem Bauherrn weiterhin an ihre Feststellungen aus dem Vorbescheid gebunden.

Nach allem war das Bezirksamt daher bereits seit dem 5. November 2007 rechtlich zum Erlass einer dem Vorbescheid entsprechenden Baugenehmigung verpflichtet.

bb) ­ Die Verpflichtung des Bezirksamts zur Erteilung einer Baugenehmigung blieb gemäß § 32 Absatz 5 S. 2 BezVG auch von einer etwaigen Sperrwirkung des Bürgerbegehrens unberührt. Denn die gemäß § 32 Absatz 5 S. 1 i.V.m. Absatz 3 BezVG für den Eintritt der Sperrwirkung geforderten Unterschriften gingen erst am 10. Februar 2009 bei dem Bezirksamt ein, mit der Folge, dass die Erteilung der beantragten Baugenehmigung im Wege eines Bürgerbegehrens auf Grund der bestehenden rechtlichen Verpflichtung aus dem Bauvorbescheid nicht (mehr) verhindert werden konnte.

Soweit der Beschluss in Form des Bürgerentscheids bei diesem Sachverhalt dahingehend ausgelegt werden sollte, dass in der Aufforderung, die Baugenehmigung nicht zu erteilen, quasi als „Minus" die Aufforderung enthalten ist, eine im Wege der Fiktionswirkung als erteilt geltende Baugenehmigung zu widerrufen, wäre das Bezirksamt am Widerruf der Genehmigung ebenfalls aus Rechtsgründen gehindert.

Denn die auf Grund des Bauvorbescheides vom 5. November 2007 im Wege der gesetzlichen Fiktion seit dem 2. März 2009 als erteilt geltende Baugenehmigung ist rechtmäßig, weil die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 61 HBauO zu prüfen war und weil das Vorhaben gegen die in diesem Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht verstößt. Denn die für das Bauvorhaben erteilten Befreiungen berührten die Grundzüge der Planung nicht und waren städtebaulich vertretbar. Nachbarrechte werden durch das Bauvorhaben nicht verletzt.

Der Widerruf eines rechtmäßigen, begünstigenden Verwaltungsakts, hier: der am 16. Dezember 2008 beantragten Baugenehmigung, richtet sich nach § 49 Absatz 2 HmbVwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger, begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen des § 49 Absatz 2, S. 1, Nr. 1­5 HmbVwVfG widerrufen werden. Die Entscheidung über den Widerruf steht im Ermessen der zuständigen Behörde.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Widerruf der Baugenehmigung ist weder durch Rechtsvorschrift zugelassen noch in der Baugenehmigung selbst vorbehalten worden (§ 49 Absatz 2 Nr. 1 HmbVwVfG). Mit der Baugenehmigung war auch keine Auflage verbunden, die der BVE nicht oder nicht in der gesetzten Frist erfüllt hätte (§ 49 Absatz 2 Nr. 2 HmbVwVfG). Es liegen auch keine nachträglich eingetretenen Tatsachen vor, auf Grund derer das Bezirksamt berechtigt wäre, die Baugenehmigung nicht zu erlassen und auf Grund derer ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (§ 49 Absatz 2 Nr. 3 HmbVwVfG). Denn das Abstimmungsergebnis des Bürgerentscheides ist keine Tatsache, die die bauplanungs- oder bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens betrifft. Ebenso wenig haben sich die für die Genehmigung des Bauvorhabens maßgeblichen Rechtsvorschriften geändert (§ 49 Absatz 2 Nr. 4 HmbVwVfG).

Schließlich ist der Widerruf auch nicht zur Verhütung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl erforderlich (§ 49 Absatz 2 Nr. 5 HmbVwVfG). Insoweit rechtfertigen in der Regel nur überragende Gründe eines übergesetzlichen Notstandes, wie z. B. Katastrophenfälle, einen Widerruf. Solche Gründe liegen hier nicht vor.

c) Einhaltung des Bauplanungsrechts

Die bauplanungsrechtlichen Vorschriften werden bei einer Realisierung des Vorhabens eingehalten. Die erteilten Befreiungen sind städtebaulich vertretbar.

Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Baustufenplans Iserbrook/ Sülldorf, der es als zweigeschossig offen zu bebauendes Wohngebiet ausweist.

Daneben gilt der Teilbebauungsplan 847, der eine Baulinie 12 m parallel zur Straße festsetzt.