Ein Jahr nach dem schrecklichen Mord in HamburgTonndorf Was wurde aus den Ankündigungen des

Ein Jahr nach dem schrecklichen Mord in Hamburg-Tonndorf ­

Was wurde aus den Ankündigungen des Senats?

Vor einem Jahr führte der Raubmord an dem Lebensmittelhändler Willi D. in Hamburg-Tonndorf zu einer heftigen Diskussion über den Umgang mit straffälligen Jugendlichen. Der Senat kündigte seinerzeit verschiedene Maßnahmen an.

So erklärte Bürgermeister Runde am 11. Juli 1998: „Wir werden prüfen, in welchen Bereichen etwas schiefgelaufen ist... und wie wir es ändern können." Weiterhin ließ der Bürgermeister verlautbaren, dass es mit der Schließung des Jugendwohnheimes in Tonndorf nicht getan sei, sondern auf dem Prüfstand verschiedene Maßnahmen stehen. „Das muss alles sehr sorgfältig aufgearbeitet werden", sagte Runde. „Und wir sind dabei."

Ich frage den Senat:

1. Bürgermeister Runde erklärte am 2. Juli 1998: „Wenn ihnen nicht anders beizukommen ist, müssen auch jugendliche Gewalttäter die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Ich kann nur alle Beteiligten daran erinnern, dass das Jugendstrafrecht eine ausreichende Handhabe dafür bietet, die es konsequent anzuwenden gilt."

a) Mit welchen konkreten Maßnahmen hat der Senat seitdem sichergestellt, dass „auch jugendliche Gewalttäter die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen"?

Die Rechtsprechung der Strafgerichte unterliegt nicht der Einflußnahme durch den Senat.

1. b) Wurden seit dem letzten Jahr Jugendliche verstärkt ­ und dies unter Berücksichtigung der gestiegenen Kriminalität ­ zu Strafen wie Jugendarrest, gemeinnützige Arbeit oder aber auch Haftstrafen verurteilt? Wenn ja: Wie viele?

Die Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 1998 liegt noch nicht vor.

1. c) Ist es zutreffend, dass Hamburg das einzige Bundesland ist, wo Jugendliche nicht zwangsweise dem Jugendarrest vorgeführt werden und dies 1998 in keinem einzigen Fall geschehen ist?

Siehe Antworten des Senats auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen Drucksachen 16/144, 16/352 und 16/2288 sowie auf die Große Anfrage Drucksache 16/687.

1. d) Ist es zutreffend, dass der Hamburger Senat im Bürgerschaftswahlkampf 1997 die stärkere Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes bei Jugendlichen angekündigt hat, im Bundesrat einen Antrag einbrachte, diesen jedoch nicht konsequent betrieb und sogar einen dementsprechenden Vorstoß Bayerns ablehnte?

Siehe Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/1462.

2. Die Zweite Bürgermeisterin Krista Sager forderte am 2. Juli 1998, zu prüfen, „wie extreme Einzelfälle, die besonders gefährlich sind und die sich nicht selbst kontrollieren können, zuverlässiger untergebracht und betreut werden können." Am 10. Juli 1998 erklärte die Justizsenatorin Peschel-Gutzeit: „Straffällig gewordene Jugendliche müssen in den Einrichtungen künftig rund um die Uhr beaufsichtigt und betreut werden."

a) In welcher Form wurde das Konzept „Menschen statt Mauern" überarbeitet?

b) Wie viele straffällige Jugendliche werden derzeit von wie vielen Fachpersonen betreut?

(Darstellung des Betreuungsschlüssels auch unter Berücksichtigung von Fehlzeiten.)

Siehe zunächst Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drucksache 16/687. Nach Schließung der Jugendeinrichtung im Pulverhofsweg sind von der zuständigen Behörde neue Angebote nach §§ 71, 72 JGG mit verändertem Konzept geschaffen worden. In zwei neuen Einrichtungen stehen jeweils drei Plätze zur Vermeidung von Untersuchungshaft und fünf Plätze zur Durchführung erzieherischer Hilfen zur Verfügung. Bestandteile dieser Konzeption sind eine pädagogische Betreuung im Verhältnis 1:1

(rund um die Uhr), ein fest strukturierter Tagesablauf, Arbeit und Beschäftigung der Jugendlichen in einer Werkstatt mit einer handwerklichen Fachkraft und eine angemessene schulische Betreuung durch Lehrkräfte aus dem allgemeinbildenden und dem beruflichen Schulwesen. Bestandteil dieser Konzeption sind ferner Vereinbarungen zur Kooperation des Trägers mit Jugendrichtern und den Jugendgerichtshilfen zur wechselseitigen Information und Abstimmung im Einzelfall. Für die pädagogische Arbeit stehen insgesamt 16 Fachkräfte zur Verfügung.

Am 24. Juni 1999 waren zwei straffällige Jugendliche nach § 72 JGG untergebracht. Der vorgenannte Betreuungsschlüssel gewährleistet, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit jeweils zwei Betreuungspersonen in den Einrichtungen anwesend sind.

2. c) Seit wann, mit welchen Mitgliedern und mit welchen Ergebnissen arbeitet die Kommission, die dafür sorgen soll, dass Jugendliche effizienter gesichert untergebracht werden?

Eine derartige Kommission ist nicht bekannt.

Die nach §§ 71, 72 JGG sowie §§ 27, 34 Achtes Buch Sozialgesetzbuch ­ Kinder- und Jugendhilfe ­ (SGB VIII) neu geschaffenen Einrichtungen werden allerdings von einem Beirat begleitet, dessen Aufgaben unter anderem die Beobachtung der Arbeit der Einrichtungen, die Beratung in konzeptionellen Fragen und die Evaluation der Wirkungen der Maßnahmen sind. Er setzt sich zusammen aus Vertreterinnen bzw. Vertretern des Trägers, des Amtes für Jugend, der Justizbehörde, den Jugend- und Sozialdezernentinnen bzw. -dezernenten der Bezirke, in denen die Einrichtungen liegen, einem Jugendrichter, einem Jugendstaatsanwalt sowie zwei Wissenschaftlern der Universität Hamburg und der Fachhochschule Hamburg.

2. d) In welchen zeitlichen Abständen erfolgt jeweils der Besuch von örtlichen Polizeikräften bei Einrichtungen, in denen Jugendliche gesichert untergebracht werden?

Die Konzeption sieht keine regelhaften Besuche von örtlichen Polizeikräften vor. Die Polizei sucht die Einrichtungen, in denen Jugendliche untergebracht worden sind und betreut werden, wie auch sonst üblich in derWahrnehmung ihrer Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung anlaßbezogen auf.

3. Nach einem Gespräch zwischen Frau Raab und Frau Peschel-Gutzeit wurde am 7.Juli 1998 vereinbart, in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis und einer noch zu schaffenden Außenstelle jugendliche Gewalttäter psychosozial zu betreuen.Zu welchem Zeitpunkt wurde dieses Projekt umgesetzt?

Eine derartige Vereinbarung besteht nicht. Jugendliche Gewalttäter werden nicht in die Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis aufgenommen. Zuständig ist die Jugend- und Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand, in der ein spezielles Anti-Gewalttraining angeboten wird.

4. Am 8. Juli 1998 propagierte Frau Peschel-Gutzeit ihr bereits schon vor den Ereignissen in Tonndorf vorgestelltes Konzept „Mopäd". Dieses Konzept sah vor, „mobile Pädagogen" an den Gesprächen beim Familienrichter zu beteiligen, damit auch eine Unterbringung in einem Heim oder einer Jugendwohnung sofort eingeleitet werden kann. Das Konzept sollte noch in 1998 umgesetzt werden.Seit welchem Zeitpunkt und mit welchem Personalumfang wurde dieses Konzept umgesetzt?

Im Gegensatz zur Darstellung durch den Fragesteller sieht das Konzept „MOPÄD" nicht vor, „mobile Pädagogen" an Gesprächen beim Familienrichter zu beteiligen, damit auch eine Unterbringung in einem Heim oder einer Jugendwohnung sofort eingeleitet werden kann.

Das Konzept fußt vielmehr auf folgenden Erwägungen: Werden Kinder wiederholt delinquent, so kann dies Anlaß zu der Annahme geben, dass das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes durch eine mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet ist. In diesen Situationen hat das Familiengericht einzugreifen. Sind die Eltern zu einer Gefahrenabwehr nicht gewillt oder dazu nicht in der Lage, so muss das Familiengericht zur Abwehr der Gefahr für das Kindeswohl die erforderlichen Maßnahmen treffen. Das Gesetz bestimmt diese Maßnahmen nicht im einzelnen. Das Spektrum der in Betracht kommenden Maßnahmen beginnt mit Ermahnungen, reicht über Auflagen, z. B. zur Zusammenarbeit der Eltern mit der Jugendhilfe, Geund Verboten bis hin zur Herausnahme des Kindes aus der Familie und zum Entzug der Personensorge nach § 1666a BGB.

Zur Umsetzung des Konzeptes bedarf es intensiver Abstimmungen zwischen Polizei, Jugendhilfe und Familiengericht und einer gründlichen Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Das Konzept soll noch 1999 im Rahmen eines Pilotprojektes erprobt werden. Die Arbeitsgruppe „MOPÄD" hat in den bisher vier durchgeführten Sitzungen die entsprechenden Vorarbeiten dazu geleistet.

5. Am 2. Juli 1998 erklärte Frau Peschel-Gutzeit: „Die Stadt reagiert auf die steigende Jugendkriminalität in vielfältiger Weise.Wir sind dabei, die Strafverfahren insbesondere im Jugendbereich zu beschleunigen. Nur eine schnelle Reaktion auf jugendliches Fehlverhalten ist eine effektive Reaktion."

a) Welche zahlenmäßige Steigerung ist hinsichtlich

­ beschleunigter Verfahren,

­ sofortiger Verurteilungen unter Berücksichtigung der in den letzten Jahren steigenden Kriminalitätszahlen zu verzeichnen?

Soweit sich der Fragesteller nach „sofortigen Verurteilungen" erkundigt, geht der Senat davon aus, daß hiermit beschleunigte Verfahren im Sinne der sogenannten Schnellstverfahren gemeint sind.

§ 79 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) erklärt die Anwendung des beschleunigten Verfahrens des allgemeinen Verfahrensrechts auf Jugendliche für unzulässig.

Hinsichtlich des vereinfachten Jugendverfahrens gemäß § 76 ff. JGG ist die Entwicklung wie folgt verlaufen:

5. b) Ist es zutreffend, dass insbesondere unter Beachtung der gestiegenen Kriminalität die folgenlosen Einstellungen gestiegen sind und Bestrafungen proportional abgenommen haben?

Der Senat geht davon aus, dass der Fragesteller mit „folgenlosen Einstellungen" solche Verfahrenseinstellungen meint, welche die Staatsanwaltschaft bzw. das zuständige Gericht gemäß § 153 und § 154 der Strafprozeßordnung (StPO) vornehmen. Im übrigen siehe Antwort zu 1.b).