Vier-Augen-Prinzip bei sozialpädagogischen Familienhilfen
Presseberichten zufolge gilt als Konsequenz aus dem Fall Lara-Mia bei dem Freien Träger „Das Rauhe Haus" das „Vier-Augen-Prinzip". Dieses bedeutet nach Auskunft des Pressesprechers des Rauhen Hauses, dass jede Familie mit einem Kind unter sechs Jahren von zweien anstatt von einem Mitarbeiter betreut werde. Dieses Vorhaben war vom Rauhen Haus bereits anlässlich der gemeinsamen Pressekonferenz von Behörde, Bezirk und Träger zum Tod von Lara-Mia am 17.4.2009 benannt worden.
Wir fragen unabhängig von Presseberichten, die der Senat bekanntlich nicht kommentiert den Senat:
1. Wie beurteilt der Senat das beschriebene „Vier-Augen-Prinzip"?
Das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte bei der Gefährdungseinschätzung das sogenannte Vier-Augen-Prinzip ist bundesgesetzlich im § 8a SGB VIII für die Jugendämter vorgegeben. An dieser Gesetzesänderung hat Hamburg auf der Ebene der Fachministerkonferenzen und im Bundesrat maßgeblich mitgewirkt. Darüber hinaus haben sich alle Leistungserbringer im Bereich Hilfen zur Erziehung (HzE) in Hamburg durch Vereinbarungen zum Kinderschutz mit der zuständigen Behörde verpflichtet, entsprechende Verfahren sicherzustellen.
In welchen Konstellationen das sogenannte Vier-Augen-Prinzip im Rahmen einer Sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 SGB VIII zum Tragen kommen kann, ergibt sich aus der konkreten Situation des jeweiligen Einzelfalls und ist im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII festzulegen.
2. Setzt das Rauhe Haus dieses Prinzip nunmehr um?
3. Wenn ja, seit wann?
4. Wenn ja, in wie vielen Fällen wurde es angewendet?
5. Bezieht sich das „Vier-Augen-Prinzip" auf das gesamte Betreuungsverfahren oder nur auf bestimmte Aspekte?
Wenn ja, auf welche und wann wird jeweils von wem entschieden, ob ein oder zwei Mitarbeiter tätig werden?
Das Rauhe Haus hat der zuständigen Behörde dazu folgende Auskünfte gegeben:
Das sogenannte Vier-Augen-Prinzip wird seit dem 15. April 2009 umgesetzt. Die Anwendung erfolgte bisher in 49 Fällen. Das Vier-Augen-Prinzip basiert auf einer Arbeitsteilung, wobei einer fallführenden pädagogischen Fachkraft eine weitere pädagogische Fachkraft an die Seite gestellt wird, die sich auf das Wohl des Kindes kon zentriert. Für die Einschätzung aller vorhandenen Resilienzfaktoren und die Abwägung von Ressourcen und Risiken stehen den Pädagogen standardisierte Arbeitshilfen zur Verfügung. Der durch das Vier-Augen-Prinzip entstehende Dialog zwischen den mit dem Einzelfall beauftragten pädagogischen Fachkräften soll die sogenannte Beziehungsfalle verhindern, die durch ein zu starkes Zutrauen zu den Ressourcen der Familie entstehen kann. Das Vier-Augen-Prinzip wird generell angewandt und bedarf keiner besonderen Entscheidung. Für die Umsetzung sind die Regionalleitungen zuständig. Zusätzliche Kosten entstehen durch diese Arbeitsteilung nicht.
6. Welche anderen Träger wenden dieses Prinzip an?
7. Jeweils seit wann, mit welchen Fallzahlen gegebenenfalls bezogen auf welche Leistungsarten?
8. Welche zusätzlichen Kosten zu jeweils welcher Höhe fallen durch das „Vier-Augen-Prinzip" an?
9. Wie erfolgt die Finanzierung/Refinanzierung dieser gegebenenfalls teilweisen Doppelbesetzung?
Bitte beispielhaft für die Fachleistungsstundenzahl, die die Familie von Lara-Mia erhielt, darlegen.
10. Werden hierfür für die jeweiligen Fälle zusätzliche FLS bewilligt? Nach welchem Verfahren?
Inwieweit andere Träger das sogenannte Vier-Augen-Prinzip generell oder nur, wenn die in § 8a SGB VIII genannten gewichtigen Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegen, anwenden, ist der zuständigen Behörde nicht bekannt. Eine Abfrage bei sämtlichen Trägern in Hamburg ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 11.
Der Leistungsumfang der Sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 SGB VIII wird einzelfallbezogen bewilligt und zwar in Form der Anzahl Fachleistungsstunden je Woche, auf Basis der Vereinbarungen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII. Bestandteil der Hilfeplanung sind ebenfalls Feststellungen zum Hilfebedarf sowie zu den notwendigen Leistungen. In diesem Zusammenhang kann auch festgelegt werden, ob, zu welchen Anlässen und Zeitpunkten, mit welcher Häufigkeit und Zeitperspektive eine zweite Fachkraft einzusetzen ist („Vier-Augen-Prinzip"). Dabei kann es im Einzelfall geboten sein, auch andere als sozialpädagogische Fachkräfte als zweite Fachkraft einzusetzen, beispielsweise Hebammen beziehungsweise Kinderkrankenschwestern.
Die Kosten der Leistung werden bestimmt durch die Anzahl der Fachleistungsstunden je Fall und Woche sowie durch die Dauer der Hilfe. Insofern führt der Einsatz mehrerer Personen nicht zwingend zu Mehrkosten. Mehrkosten können aber entstehen, wenn im Hilfeplan zusätzlich zu der Leistung des HzE-Trägers weitere kostenwirksame Leistungen bewilligt werden, beispielsweise durch den Einsatz externer Hebammen beziehungsweise Kinderkrankenschwestern.
11. Verfolgt der Senat das Ziel, flächendeckend das „Vier-Augen-Prinzip" einzuführen?
Wenn ja, bis wann?
Wenn nein, warum nicht?
Siehe Antwort zu 1.