Menschen in Hamburg ohne Strom im Haushalt

Nach wie vor gibt es kein Verbot von Stromsperren in einkommensschwachen Haushalten in Hamburg. Das Grundrecht auf Energieversorgung ist nicht gewährleistet, obwohl es in Artikel 3 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt heißt: „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Versorgung". Gerät ein Stromkunde in Zahlungsrückstand, darf der Energieversorger nach der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) nach entsprechender Mahnung eine Stromsperre androhen. Zahlt der Kunde hierauf nicht, kann unter weiteren Voraussetzungen nach nochmaliger Ankündigung der Strom tatsächlich abgeschaltet werden.

Droht Empfängern von Grundsicherung oder Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) oder Empfängern von Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) wegen Stromschulden die Sperrung der Stromversorgung, kann eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage vorliegen, sodass die entsprechenden Energieschulden darlehensweise übernommen werden können.

Nach den einschlägigen Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (Weisung (GA Nr. 06/2010) HEGA 02/10 ­ 11) ist nicht näher geregelt, wie das entsprechende Ermessen bei der Übernahme von Stromschulden nach dem SGB II ausgeübt werden soll.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

Bei Energieschulden erhalten erwerbsfähige Hilfesuchende mit niedrigen Einkünften (ohne Transferleistungsanspruch) sowie Personen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) durch die Grundsicherungs- und Sozialdienststellen beziehen, Leistungen nach Maßgabe des § 34 SGB XII, die als Darlehen oder Beihilfe gewährt werden.

Erwerbsfähigen Arbeitsuchenden, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) beziehen, gewähren die Job-Center von team.arbeit.hamburg ­ Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II, Leistungen nach Maßgabe des § 22 Absatz 5 SGB II. Die Leistungen sollen als Darlehen gewährt werden, nur in atypischen Einzelfällen kommt eine Beihilfe in Betracht. Es handelt sich um kommunale Leistungen des SGB II, die von der Freien und Hansestadt Hamburg getragen werden.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:

1. Wie viele Haushaltskunden im Strombereich und wie viele Haushaltskunden im Gasbereich sind in Hamburg seit März 2009 von einer Sperrung der Energieversorgung betroffen gewesen?

Nach Auskunft der E.ON Hanse AG handelt es sich im Gassektor um 1.216 Haushaltskunden. Nach Auskunft der Vattenfall Europe Distribution Hamburg GmbH waren im Strombereich von Januar bis Dezember 2009 15.310 Kunden und im Zeitraum Januar bis April 2010 3.376 Kunden sämtlicher Versorger betroffen.

2. Hat der Senat seit der Schriftlichen Kleinen Anfrage vom 24.03. (Drs. 19/2611) mittlerweile Vorkehrungen dazu getroffen, diejenigen von Energiesperren betroffenen Haushalte im Bezug von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII statistisch zu erfassen?

a. Wenn nein, warum nicht?

Für eine statistische Erhebung von Daten von Leistungsempfängern nach dem SGB II und SGB XII, denen von den Energieversorgungsunternehmen die Lieferung von Strom beziehungsweise Gas gesperrt wurde, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Es liegen deshalb keine statistischen Auswertungsmöglichkeiten vor. Eine dahingehende statistische Erhebung aufgrund freiwilliger Meldung durch die Betroffenen ist nicht geplant.

b. Wenn ja, um wie viele Haushalte handelt es sich jeweils?

c. Wenn ja, in wie vielen Haushalten davon leben Rentnerinnen und Rentner?

d. Wenn ja, in wie vielen Haushalten davon leben Kinder?

e. Wenn ja, wie viele Haushalte mit Alleinerziehenden sind davon betroffen?

Entfällt.

3. Unter welchen Voraussetzungen wird im Falle von Leistungen nach dem SGB II die Übernahme von Stromschulden für gerechtfertigt gehalten?

In die Beurteilung, ob eine Leistungsgewährung gerechtfertigt ist, ist insbesondere einzubeziehen, ob

- der Hilfebedürftige seinen Selbsthilfepflichten nachgekommen ist (zum Beispiel Einsatz von ansonsten nicht einzusetzendem Vermögen oder Einkommen, Abschluss einer Ratenvereinbarung mit dem Energieversorgungsunternehmen),

- die Begleichung der weiteren laufenden Zahlungsverpflichtungen gesichert ist,

- aufgrund des Verhaltens des Hilfesuchenden erwartet werden muss, dass nach der Hilfestellung erneut eine entsprechende Notlage eintritt,

- der Hilfebedürftige seinen leistungsrechtlichen Mitwirkungspflichten nachkommt, also keine Sanktionen nach § 31 SGB II bestehen.

4. Unter welchen Voraussetzungen wird im Rahmen des SGB II davon ausgegangen, dass die Ursachen, die zum Entstehen von Energieschulden geführt haben, allein aus dem eigenen Verantwortungsraum des Hilfebedürftigen stammen?

Im Rahmen der Einzelfallprüfung wird davon ausgegangen, dass die Energieschulden vom Hilfesuchenden selbst zu verantworten sind, wenn sich trotz gewährter Hilfen die Notlage wiederholt und nicht zu erkennen ist, dass der Leistungsempfänger bereit ist, vorhandene Selbsthilfemöglichkeiten einzusetzen. Entsprechendes gilt in Missbrauchsfällen, wenn der Leistungsempfänger trotz ausreichender Einkünfte die Forderungen nicht begleicht.

5. Welche Rolle spielt bei der Übernahme von Energieschulden nach dem SGB II, ob Kleinkinder oder Behinderte von einer Energiesperre betroffen wären?

Bei der Abwägung der Frage, ob die Hilfe gerechtfertigt ist, sind grundsätzlich die Gesamtumstände des Einzelfalles zu würdigen. Dazu gehört auch die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern und Menschen mit Behinderungen. Deshalb wird zum Beispiel bei Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des zuständigen Jugendamtes vor einer eventuellen ablehnenden Entscheidung Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Die danach zu treffende Entscheidung wird dem ASD mitgeteilt.

6. Welche Rolle spielt das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten eines Hilfebedürftigen in Bezug auf Energiekostenrückstände bei der Übernahmeentscheidung?

In Fällen, in denen es trotz persönlicher und finanzieller Hilfen mehrfach zu wiederholten Energieschulden gekommen ist, wird die Übernahme rückständiger Zahlbeträge in Abwägung der Umstände des Einzelfalles abgelehnt.

7. Welche Anforderungen werden an von einer Energiesperre bedrohte Hilfebedürftige gestellt, die Notlage im Wege der Selbsthilfe zu beseitigen?

Die Hilfesuchenden sind grundsätzlich verpflichtet, ihre vorhandenen Selbsthilfemöglichkeiten einzusetzen. Außerdem ist nach Maßgabe des § 22 Absatz 5 SGB II bei Energieschulden vorrangig nach § 12 Absatz 1 Nummer 1 SGB II ansonsten geschütztes Barvermögen einzusetzen.

a. Gibt es hierzu ermessenslenkende Verwaltungsanweisungen?

b. Wenn ja, welche Ermessensgesichtspunkte werden dort geregelt?

Ja, die einzelnen Ermessensaspekte sind in der fachbehördlichen Konkretisierung „Hilfen zur Übernahme von Mietschulden und zur Überwindung vergleichbarer Notlagen vom 12. Juli 2006" zu § 22 Absatz 5 SGB II unter http://www.hamburg.de/fa-sgbiikap03-22/126546/uebernahme-mietschulden.html und der Konkretisierung zu § 34 SGB XII http://www.hamburg.de/kr-sgbxii-kap03/nofl/126820/start.html im Einzelnen aufgeführt.

Das Ermessen wird regelhaft von der Zielsetzung des SGB II und SGB XII abgeleitet.

Danach müssen erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die fachlichen Regelungen enthalten deshalb Kriterien für eine zumutbare Eigenbeteiligung an der Beseitigung der Notlage. Diese beziehen sich sowohl auf eine mögliche Eigeninitiative der Betroffenen (zum Beispiel dem Abschluss einer Abzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorgungsunternehmen) als auch auf den Einsatz von Einkünften und Vermögen.

c. Wenn nein, wie sichert der Senat das entsprechende einheitliche und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Verwaltungshandeln?

Entfällt.

8. Ist die Freie und Hansestadt Hamburg Allein- beziehungsweise Mitgesellschafter von Energieversorgungsunternehmen?

Wenn ja, von welchen in welchem jeweiligen Beteiligungsverhältnis?

Am 19. Mai 2009 ist die HAMBURG ENERGIE GmbH gegründet worden. Alleinige Gesellschafterin ist die Hamburger Wasserwerke GmbH.

9. Wirkt der Senat in diesen betroffenen Energieversorgungsunternehmen darauf hin, die bestehenden Vorschriften der StromGVV einzuhalten?

a. Wenn ja, in welcher Form geschieht dies?

Die Geschäftsführung der HAMBURG ENERGIE GmbH ist verpflichtet, die Geschäfte der Gesellschaft den Gesetzen entsprechend zu führen. Die zuständigen Behörden üben im Rahmen der Aufsichtsgremien hierüber eine Kontrolle aus.

b. Wenn nein, warum nicht? Entfällt.

10. In welcher Art und Weise wird die Einhaltung der StromGVV bei den übrigen Energieversorgungsunternehmen kontrolliert?

Die Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (StromGVV) werden Inhalt des privatrechtlichen Liefervertrages.

Es gibt keine Überwachungs- oder Vollzugsaufgabe der Energieaufsicht nach der Verordnung oder dem Energiewirtschaftsgesetz.