Zwangseinweisungen und freiheitsentziehende Maßnahmen nach Betreuungsrecht und HmbPsychKG

I. Vorbemerkung:

Die Drs. 19/4741 war dem Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz auf Antrag der Fraktion DIE LINKE durch Beschluss der Bürgerschaft vom 10. Februar 2010 überwiesen worden. Der Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz befasste sich in seiner Sitzung am 27. April 2010 abschließend mit der Drucksache.

II. Beratungsinhalt Zwangseinweisungen

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE erklärten eingangs, die Beantwortung der Großen Anfrage habe neue Fragen aufgeworfen. Bei Zwangseinweisungen handele es sich um einschneidende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. Dies würde auch eine Bremer Studie zu Zwangseinweisungen verdeutlichen, nach der der Grad zwischen Strafvollzug und Gesundheitswesen äußerst schmal sei. Mit Verweis auf die Statistik auf Seite 2 fragten sie nach, wie die dramatische Zunahme der Einweisungen seit 1992 und der deutliche Unterschied zu anderen Städten oder Ländern zu erklären sei. Im Vergleich dazu liege die Zahl der Einweisungen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner im Saarland bei neun, in Bochum bei 30 und in Bremen und Hamburg bei 150. Weiterhin baten Sie um Darlegung, welche Schlussfolgerung der Senat aus dieser Entwicklung ziehe.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter hoben hervor, bei langfristigen Vergleichen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die Psychiatrie ambulantisiert, und Institutionen aufgelöst worden seien. Zu früheren Zeiten hätten Patienten nach einer Einweisung teilweise ihr ganzes Leben in den Einrichtungen verbracht; heute würden die Patienten wieder in die Gesellschaft eingegliedert, von daher sei die Zwangseinweisung nicht als Makel zu sehen. Dass die Thematik zwingend differenziert betrachtet werden müsse, werde an den Fällen deutlich, in denen Erkrankte keine Hilfe in Anspruch nehmen wollten. Hierbei könne es sich beispielsweise um Obdachlose handeln, die keine Versorgung ihrer Wunden wünschten, oder um Psychotiker, die die Medikation selbstständig beendeten. Sollten diese Erkrankten hilflos sein, beziehungsweise sich selbst oder andere gefährden, müsse eine ärztliche Behandlung gegen den Willen erfolgen. Die gestiegene Anzahl der Einweisungen bezogen auf die Zahl der Bevölkerung ergäbe durch Mehrfacheinweisungen von Patienten oder das Verhältnis zur Anzahl der psychisch Erkrankten gegebenenfalls ein anderes Bild der Einschätzung. Die Zahl der vollstationären Fälle habe sich seit 2005 kaum verändert.

Ein Vergleich mit anderen Bundesländern sei nur möglich, sofern die rechtlichen Voraussetzungen vergleichbar seien. In einigen Bundesländern hätten Ärzte die Möglichkeit, Patienten ohne Einweisungsbeschluss für eine gewisse Zeit im Krankenhaus zu halten. In diesen Ländern falle die Zahl der Zwangseinweisungen dementsprechend geringer aus.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE ließen gelten, dass verschiedene Ursachen für den Anstieg verantwortlich sein könnten. Der in der Anfrage genannte Zeitraum ab dem Jahre 1992 sei wegen der gesetzlichen Änderung gewählt worden. Davon unabhängig sei die starke Zunahme auffällig, die einer Begründung bedürfe. Der Verweis auf die Wohnungslosen sei ihrer Ansicht nach nicht nachvollziehbar, da der Senat in seiner Antwort den Anteil der Wohnungslosen an den Zwangseinweisungen nicht habe benennen können. Sie hielten es für problematisch, dass die Behörde über die Gründe der Einweisungen keine Kenntnis habe, da es sich hier um drastische Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht handele. Sie erwähnten eine EU-Studie, nach der der Behandlungserfolg nach Zwangseinweisungen deutlich schlechter ausfiele. Vor diesem Hintergrund baten sie um Darlegung der Gründe für die Zwangseinweisungen und der Schlussfolgerung, die der Senat aus dem Anstieg der Fälle ziehe.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter betonten, die individuellen Rechte der Betroffenen seien in Deutschland extrem abgesichert. Zudem würden Entscheidungen über Zwangseinweisungen in jedem Einzelfall überprüft. Die Frage, welche Daten mit welchem Aufwand an die Behörde im Sinne eines „gläsernen Patienten" zu übermitteln seien, sei eine hochpolitische. Hinsichtlich des Behandlungserfolgs führten sie aus, ein schlechter Behandlungserfolg durch fehlende Kooperation lasse möglicherweise auf eine stärkere Erkrankung des Patienten schließen. Auch hier sei ein Vergleich nur bei gleichen Bedingungen oder Ursachen herstellbar. Erfahrungen der Kliniken belegen, dass die Patienten ­ auch wenn sie gegen den Willen eingewiesen worden seien

­ in der Abteilung die Zustimmung zur Behandlung geben würden.

Die GAL-Abgeordneten verwiesen auf die nach Altersgruppen aufgeschlüsselten Zwangseinweisungen in Frage 8. Beim Vergleich der Zahlen von 2008 zu 2009 seien eine Zunahme bei den Jüngeren sowie ein Rückgang bei den Älteren festzustellen.

Da die angegebenen Zahlen auf einer Auswertung vom 7. Dezember 2009 basierten, baten sie um Darlegung der Daten seit 2004, um einen langfristigen Trend erkennen zu können.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter erwiderten, dass viele Faktoren als Ursache infrage kämen, der Behörde derartige Auswertungen jedoch nicht vorlägen. Eine reine Betrachtung einer Zahlenreihe könne bei fehlender Vergleichsbasis zu Fehlschlüssen führen.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE regten an, hierzu eine Studie durchzuführen und fragten nach, aus welchen Gründen dies in Hamburg nicht vorgesehen sei.

Derartige Studien seien auch schon von anderen Bundesländern ­ beispielsweise Nordrhein-Westfalen ­ erfolgt. Diese zielten nicht auf den „gläsernen Patienten", sondern auf die besonderen Problematiken, Bedürfnisse und Bedarfe ab. Zu den Fragen 3., 5. und 7., die wegen der fehlenden statistischen Erhebung nicht beantwortet seien, merkten sie an, dass die Daten durch die Geschäftsstellen der Gerichte erhoben werden könnten, sofern eine Datenerhebung angewiesen werde. Sie interessierte, aus welchen Gründen den Geschäftsstellen der Gerichte bisher keine entsprechende Anweisung erteilt worden sei.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter antworteten, die Entwicklung und die Erhebung einer derartigen Statistik sei mit einem erheblichen Personalaufwand ­ auch bei den Geschäftsstellen der Gerichte ­ verbunden und könnte zudem den geschützten Bereich der Betroffenen berühren. Derzeit würden die Geschäftsstellen der Gerichte Daten zu Statistiken erheben, die in den Statistikkonferenzen der Länder vereinbart worden seien. Die Länder hätten die Möglichkeit, eigene zusätzliche Statistiken zu entwickeln und zu erstellen, es fehle dann jedoch an der Vergleichbarkeit auf Bundesebene. Die Möglichkeiten Statistiken zu erheben, seien, auch im Hinblick auf die Umrechnung in Personalschlüssel, begrenzt.

Die SPD-Abgeordneten baten um Erläuterung der Diskrepanz zwischen der gesamten Zahl der Einweisungen und dem in der Frage 11. dargestellten Aufenthalt in den Hamburger Einrichtungen. Weiterhin fragten sie nach, aus welchen Gründen einige Krankenhäuser keine Angaben geliefert hätten.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter erklärten, die fehlenden Angaben könnten sich gegebenenfalls auf eine nicht leistbare rückwirkende Auswertung der Akten beziehen, da die am 1. Dezember 2009 gestellte Anfrage hinsichtlich Frage 11. einen Stichtag vom 30. September 2009 vorgegeben habe. Würde die Anzahl der Einweisungen durch 365 Tage dividiert, ergebe sich ohnehin ein geringer Wert der Einweisungen pro Tag. Dieser Wert werde zudem noch beeinflusst von der Dauer der Behandlung, die gegen den Willen des Patienten stattfinde. Ein Großteil der Patienten würde schon am nächsten Tag die Einwilligung zur Behandlung erteilen.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE fragten unter Bezugnahme der Frage 11. b. nach, in wie vielen Fällen und in welchen Orten eine Unterbringung nach HmbPsychKG oder Betreuungsrecht in den Jahren 2008 und 2009 außerhalb Hamburgs erfolgt sei. Ihrer Kenntnis nach würden Patienten in Schleswig, Heiligenhafen und Neustadt untergebracht.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter antworteten, hier gehe es nicht unbedingt um stationäre Krankenhausbehandlungen, sondern beispielsweise um Wohneinrichtungen oder geschlossene Unterbringungen nach dem Betreuungsrecht. Auf Grundlage des HmbPsychKG seien keine Unterbringungen außerhalb Hamburgs möglich. Bei Maßnahmen der Eingliederungshilfe sei das Betreuungsrecht nicht entscheidend, daher würden keine entsprechenden Daten erhoben. Derzeit seien 460 Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, in Einrichtungen außerhalb Hamburgs untergebracht.

Die GAL-Abgeordneten verwiesen auf die Unterbringungen nach HmbPsychKG in Hamburg und den Anstieg der Zwangseinweisungen von 1.458 im Jahre 1992 auf 2.607 in 2009. Da aus der Beantwortung hervorgehe, dass die Einrichtungen ausgeweitet, aber nicht verdoppelt worden seien, baten sie um Abgabe einer Einschätzung hinsichtlich der vorhandenen Kapazitäten.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter erläuterten die in Hamburg bestehende Sektorisierung der Psychiatrie. Danach seien die klinischen Abteilungen des jeweiligen Sektors für die ganze Abdeckung des psychiatrischen Spektrums ­ unabhängig vom Rechtsstatus ­ zuständig. Der Anteil der gegen den Willen zu behandelnden Patienten im Vergleich zu allen Patienten sei sehr gering. Die gesamte Betrachtung der Entwicklung der stationären Kapazitäten sowie deren Nachfrage und Auslastung erfolge im Zusammenhang mit dem Krankenhausplan, der dahingehend auch schon in den vergangenen Jahren angepasst worden sei. Der Anstieg der Fälle sei über den Rückgang der Verweildauern kompensiert worden.

Die SPD-Abgeordneten warfen die Frage auf, ob der Senat einen Zusammenhang zwischen den unerfüllten Bedarfen an Therapieplätzen und den Zwangseinweisungen sehe.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter antworteten, mit entsprechender Einweisung oder Indikation würden Patienten sofort in die Akut-Psychiatrie aufgenommen.

Freiheitsentziehende Maßnahmen

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE verwiesen auf eine Studie des Pflegeforschungsverbundes Nord aus dem Jahre 2008, die aufzeige, dass es bereits heute Heime gebe, die völlig ohne Fixierungen arbeiteten. Zudem würde die Anzahl der Bewohner mit mindestens einer mechanischen Maßnahme am Stichtag einrichtungsbezogen zwischen 4,4 und 58,9 Prozent variieren. Nach den vorangegangenen Ausführungen sei der Eindruck entstanden, dass Daten zwar erfasst, aber nicht zusammengefasst würden. Sie fragten nach, warum die Zahlen hinsichtlich einer Studie erhoben worden seien, seitens der Behörde jedoch nur wenige Zahlen benannt werden könnten.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter entgegneten, im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung würden Daten für einen gewissen Zeitraum und einen bestimmten Ort erfasst. Dies bedeute nicht, dass entsprechende Daten für ganz Hamburg zu einem bestimmten Zeitpunkt vorlägen.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE verwiesen auf die Beratung des Ausschusses zur Drs. 19/4858. In der in diesem Zusammenhang angesprochenen Drs. 19/5376 seien die Fixierungen der Asklepios Klinik Harburg angegeben. Andere Einrichtungen würden im Gegensatz dazu unter Anwendung von ReduFix gänzlich ohne Fixierungen arbeiten. Ihrer Ansicht nach gehe es in dieser Thematik nicht um den „gläsernen Patienten", sondern um die „gläserne Einrichtung". Daher hielten sie die Frage für legitim, warum einige Einrichtung häufig, andere Einrichtungen gar keine Fixierungen vornähmen. Weiterhin gingen sie davon aus, dass die vorhandenen Zahlen der Asklepios Klinik Harburg hochgerechnet werden könnten.

Die CDU-Abgeordneten merkten an, dass es möglicherweise Einrichtungen geben könnte, die die Aufnahme bestimmter Bewohner ablehnten.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter erläuterten, die Frage 1. zielte auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen ab, die mittels eines richterlichen Beschlusses angeordnet worden seien. Die in einer stationären Betreuung ermittelten Zahlen der Asklepios Klinik Harburg könnten nicht auf Anordnungen in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder Privaträumen hochgerechnet werden. Eine derartige Verfahrensweise ergäbe kein statistisch valides Ergebnis. Auf Nachfrage der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE erläuterten sie, die Erfassung im Rahmen einer Pflegedokumentation bedeute nicht, dass es eine Erfassungs- und Meldepflicht an staatliche Stellen einschließlich bestimmter Auswertungen gebe.

Die CDU-Abgeordneten erwähnten, die richterliche Anordnung der Pflege sei ­ neben der Dokumentation ­ Teil der Bewohnerakte im Heim.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE vertraten die Ansicht, dass der Staat in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte eine Schutzpflicht gegenüber den Bewohnern sowie eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen habe. Sie hielten es daher für besonders wichtig, die Anzahl und den Umfang der Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte genauestens zu ermitteln.

Die CDU-Abgeordneten führten aus, der Staat komme seiner Fürsorgepflicht dahingehend nach, dass derartige Anordnungen einer richterlichen Weisung bedürfen. Da keine rechtliche Erfassungs- und Meldepflicht bestehe, sei es nachvollziehbar, dass der Behörde keine entsprechenden Daten vorlägen.

Die GAL-Abgeordneten verwiesen auf die Modellprojekte zur Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen in Frage 20. und baten um Erläuterung, ob dem Senat Modellprojekte anderer Bundesländer bekannt seien.

Die Senatsvertreterinnen und -vertreter erklärten, derartige Modellprojekte seien ihnen nicht bekannt.

Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE regten abschließend an, bei anderer Gelegenheit die Vertreter des Bethesda-Seniorenzentrums Gronau einzuladen, da die dortige Pflege ohne freiheitsentziehende Maßnahmen erfolge.

III. Ausschussempfehlung:

Der Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz empfiehlt der Bürgerschaft, von der Drs. 19/4741 Kenntnis zu nehmen.

Anja Domres, Berichterstattung.